50 Jahre Jahrhunderthalle

You saved rock’n’roll for all of us!

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1970 wäre die Jahrhunderthalle beinahe für immer für die Rockmusik verloren gewesen. Randale und Glasbruch bei Jethro Tull – doch dann kam alles anders. 2013 wird Jubiläum gefeiert – 50 Jahre Jahrhunderthalle.

red /

11. Januar 1963 eröffnete die Jahrhunderthalle Hoechst. Hoechst wegen der Farbwerke, nicht wegen des Stadtteils, denn das Geschenk, dass das Chemie- und Pharmaunternehmen zu seinem 100. Geburtstag in Auftrag gab, steht auf Unterliederbacher Grund. Friedrich Wilhelm Kraemer gestaltete eine der schönsten Konzerthallen Europas, ein von der Architektur her zeitloser wie futuristischer Bau, von der Anmutung her zu vergleichen mit dem Industriedesign der Firma Braun oder den stromlinienfömigen Citroën DS-Limousinen, immer noch ein Hingucker. Der weiße Lamellenkuppelbau hat schon immer die Fantasie angeregt. Die Speckgürtelbewohner in Kronberg und Königstein mögen ihn bei Blick gen Süden für einen übergroßen, verschlagenen Golfball halten, der Musikredakteur des JOURNAL FRANKFURT nannte seine Lieblingshalle immer schon liebevoll Calimero – nach dem Zeichentrickküken mit der halben Eierschale auf dem Kopf. Vom wunderbaren Klang des Konzerthauses profitierten Künstler unterschiedlichster Genres – von Klassik bis Trance, von Anna Moffo bis Paul van Dyk. Stargeiger Yehudi Menuhin eröffnete den Reigen der Weltstars im Westen Frankfurts, Duke Ellington, Hildegard Knef, Charles Aznavour, James Brown und Jimi Hendrix folgten, Janis Joplin gab ihr einziges Deutschlandkonzert hier. Heute heißen die Helden Feist, Peter Fox, Jan Delay, Cocorosie, Florence & The Machine und Zaz, für die man zur Pfaffenwiese pilgert. Das nächste Highlight: am 25. Juni. präsentieren Dead Can Dance ihren „Retrofuturismus“ – das passt. Lesen Sie vier Anekdoten aus den an Ereignissen reichen fünf Dekaden.

Daniel Baremboim

Meine zwölf Jahre Intendanz in der Jahrhunderthalle Hoechst 1986-1997, spontan die Erinnerung an ein Konzerterlebnis der besonderen Art: am 21. November 1988 ein Spitzenereignis auf dem Programm, ein Gastkonzert des Orchestre de Paris und seines Chefdirigenten Daniel Barenboim in der ausverkauften Jahrhunderthalle. Die übliche Vorbereitungsroutine, dann gegen Mittag des Konzerttages die Schreckensnachricht direkt vom Münchner Flughafen. Orchester und Dirigent sitzen seit weit über einer Stunde im Flieger nach Frankfurt – am Boden ... Ein Schneesturm ungewöhnlichsten Ausmaßes legt den ganzen Flughafen lahm. Für einen Konzertveranstalter der Gau schlechthin, unmöglich in so kurzer Zeit Ersatz zu beschaffen und das Abendpublikum zu verständigen. Daher sicherheitshalber erste Vorkehrungen, die Kasse auf Rücknahme der Karten vorzubereiten, parallel dazu natürlich immer Dauerkontakt nach München bis in die Maschine hinein. Schließlich gelingt es der Intendanz der Jahrhunderthalle die damalige Weltfirma Hoechst als „Hintergrund“ des Hallenbetriebes dazu zu bewegen, in die Verhandlungen mit München, vor allen der Lufthansa, direkt einzutreten. Und das schier Unglaubliche passiert: Hoechst gelingt es, eine Sondergenehmigung für den Start dieser einen Maschine zu erwirken – der Rest bleibt am Boden. Der Orchester trifft unmittelbar vor Konzertbeginn in Frankfurt ein, eilt nebst Chefdirigent im Laufschritt in die Garderoben, auf dem weg dahin mit Getränken versorgt. Konzertbeginn leicht verspätet, das umjubelte Konzert kann beginnen. Selbst Daniel Baremboim erinnert sich zwei Jahrzehnte später in der Alten Oper an dieses „Wunder“. Und der ehemalige Intendant erinnert sich ebenfalls leicht beklommen und reflektiert, was passiert wäre wenn ... Michael Hocks

Fritz Rau &Jethro Tull

Als die Konzertagentur Lippmann + Rau den ersten Auftritt von Jethro Tull in Deutschland ankündigten, galt die Band hier noch als Geheimtipp, trotzdem war das Konzert wie auch ein zusätzlich am Nachmittag angesetztes sofort ausverkauft. Viele Fans mussten draußen bleiben, andere verschafften sich mit Gewalt Eintritt indem sie die Scheibenwände mit Steinbrocken einwarfen. Impressario Fritz Rau erinnert sich in seinem Buch „50 Jahre Backstage - Erinnerungen eines Konzertveranstalters“ (Palmyra Verlag, Heidelberg, 2005): „Die Direktoren der Farbwerke Hoechst als Eigentümer der Jahrhunderthalle waren entsetzt und baten mich um eine Besprechung am nächsten Morgen. Ich erschien übernächtigt, aber pünktlich und wurde mit dem Hinweis begrüßt, dass in der Halle erhebliche Schäden in Höhe von etwas vierzigtausend D-Mark entstanden seien. Der Jurist in mir versuchte deutlich zu machen, dass ich an Veranstalter nur für solche Schäden haften würde, die meine Kartenkäufer verursacht hatten, nicht aber für Demonstrationsschäden von außen. Die Herren Direktoren schienen dafür Verständnis zu haben, doch machten sie mich darauf aufmerksam, dass unter diesen Umständen in Zukunft eben keine Konzerte der sogenannten Rockmusik in ihrer Halle mehr geben würde. Da holte ich mit zittrigen Händen mein Scheckbuch aus der Tasche und schrieb einen Scheck über vierzigtausend D-Mark aus. Das war damals sehr viel Geld für uns, und eigentlich konnten wir uns so eine Summe kaum erlauben. Gleichzeitig übernahm ich die Verantwortung für Schäden bei weiteren Konzerten und stellte klar, dass ich eine Beeinträchtigung der Freiheit unserer Musik in einer der Öffentlichkeit gewidmeten Halle nicht zulassen würde.“ Jethro Tulls Manager Terry Ellis übernahm die Hälfte der Kosten und meinte zu Rau: „You saved rock’n’roll for all of us!“

Bette Midler

7.5.1973, Bette Midler in der Jahrhunderthalle. Im tief dekoltierten Leoparden-Mini trippelt „The Divine Miss M“ über die Bühne. „Ich mache mich ja immer schlau wo ich spiele. Eigentlich sollte ich ja erst in Offenbach auftreten“, grinst sie ihr Publikum an. „Aber dann sagte man mir, das Beste an Offenbach sei die Straße nach Frankfurt.“ Kunstpause. „Jetzt bin ich also hier und die Halle ist wirklich toll, finanziert wie ich hörte von den Fabriken gegenüber. Bewundernswert wenn Kultur auf diese Weise unterstützt wird. Nur eins verstehe ich nicht: auf der einen Seite der Straße vergiften sie die Leute, auf der anderen versuchen sie sie zu unterhalten...“
Detlef Kinsler

Lady Gaga

Lady Gaga ist der größte weibliche Weltstar zurzeit. Wohin sie kommt, sie hat eine riesige Entourage, wird betreut, bemuttert, abgetupft und versorgt. Aber das war nicht immer so. Im tiefsten Winter im Februar 2009 war ich durch einen Zufall im Backstagebereich der Jahrhunderthalle. Und zwar in den neuen Katakomben, die sich tief unter der Bühne befinden. Als Journalist kommt man heutzutage nicht in diesen Bereich. No Chance. Aber ich war mit einer Bekannten da, die Backstage-Tickets für das Konzert der damals höchst angesagten Pussycat Dolls hatte, und mich einfach mitschleppte. Im Vorprogramm Queensberry (kennt man heute gar nicht mehr) und Lady Gaga. Ehrlich gesagt, so ein Backstage-Bereich ist gar nicht so toll. Es sieht hier eher aus wie in einem Bürgerhaus, wo vielleicht gerade ein Studenten-Fußballturnier stattfinden wird. Etwas sauberer ist es als im Bürgerhaus. Klar, das Feeling, hinter (beziehungsweise unter) der Bühne zu sein, das hat etwas. Aber von der Show kriegt man hier nichts mit. Nada. Die Bühne ist ganz woanders und es gibt nicht einmal eine Videoschaltung. Und als die Pussycat Dolls als Stars des Abends durch den Gang liefen, wurde der Minuten zuvor geräumt. Ach das war höchst uncharmant. Aber als Lady Gaga von ihrem Vorprogramm-Auftritt zurück kam, da stand ich direkt am Fuß der Betontreppe. Sie stöckelt herunter, wird von niemandem beachtet, ich bin der einzige, der sie anschaut und sie schaut etwas schüchtern zurück: „How did you like it?“ Fragte sie mich. Klar ich hatte null komma nichts von der Show gesehen. Aber: Ein Künstler braucht den Applaus, denke ich mir und sage: „Great! You were fantastic!“ Lady Gaga strahlt mich an und ich bin seitdem stolz, dass ich ihr diesen Abend in der Jahrhunderthalle mit einer Notlüge gerettet habe. Wahrscheinlich konnte sie nur wegen mir danach ihre Karriere so selbstbewusst fortsetzen!
Jens Prewo

Unser Foto zeigt den Kulturveranstalter Peter Schwenkow, die Leiterin der Jahrhunderthalle Uschi Ottersberg und den Grafikdesigner Günther Kieser (von links). Am Donnerstagabend wurde in der Jahrhunderthalle der runde Geburtstag gefeiert, ein paar Impressionen liefert unsere Bildergalerie. Mit dabei u.a. Konzertveranstalter Ossy Hoppe, Trio-Sänger Stefan Remmler, das Höchst-Kind Wolfgang Kaus, Dieter Buroch,Sarah jane Pugh, DJ Vira, Makeshift Innocent und die Barrelhouse Jazzband.


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