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„Bembel und Gebabbel“
Alles spitze bei der SPD: Scholz und Reisig im Phrasenbingo vereint
Kanzler Olaf Scholz (SPD) war kurz vor der Hessen-Wahl bei „Bembel und Gebabbel“ zu Gast. Mit SPD-Fan Bernd Reisig hatte er leider keine ernsten Themen zu befürchten. Die Kolumne von Katja Thorwarth.
Es war ein lauschiger Freitagabend, als „Medien-Manager“ Bernd Reisig mit schwarz-rot-golden verziertem Jackett Kanzler Olaf Scholz (SPD) auf dem Frankfurter Lohrberg empfing. Ihm wohlgesonnenes Publikum saß entspannt vor dem Abendschoppen, und natürlich orderte Scholz auch einen – sogar in pur. Was blieb ihm auch anderes übrig, quasi im Wohnzimmer seines Duz-Kumpels, dem selbsternannten „Sozialdemokraten der Herzen“.
Und der legte gleich mit der ersten Frage los: „Was trägst du dazu bei, dass die SPD länger regiert (als die CDU)?“ Aber Scholz ist halt Scholz und verwies auf die Weimarer Republik – und beantwortete die Frage nicht. Nachhaken war Reisigs Sache am gesamten Abend nicht, aber immerhin klatschte Nancy Faeser, SPD-Anwärterin auf den Ministerpräsidentenposten in Hessen, in vorderster Reihe eifrig für ihren Dienstherrn.
„Harte Themen … ist das so ein Start, den hätte ich so nicht gebraucht?“, wollte Reisig vom Kanzler wissen, und da durfte Scholz natürlich erzählen, was „wir“ alles hinbekommen haben, was „unser Land alles kann“, „weil wir uns vor den Aufgaben, die vor uns liegen, nicht drücken“ usw. usf. Der „Scholzomat“ in Höchstform, macht aber nix, Faeser klatschte und Reisig wollte danach sowieso erst mal das „Hessenquiz“ spielen.
Olaf Scholz (SPD) vor der Hessen-Wahl 2023 bei „Bembel und Gebabbel“ – alle hatten Spaß
Weiter ging es um die Klassensprecher-Fähigkeiten von Scholz, der angeblich schon immer etwas für „Gerechtigkeit“ tun wollte, und Respekt einforderte, „vor sehr unterschiedlichen Lebensläufen“. Eine Variation in der vielfältigen Phrasenklaviatur, bis Reisig es ein bisschen politisch zumindest versuchte: „Welche Verantwortung trägt der Chef, wenn Sachen bei der Bevölkerung nicht ankommen?“, fragte er, ohne explizit die Scharmützel der Ampel in der Öffentlichkeit zu benennen.
Aber wieso auch, die sitzt Scholz in der Regel sowieso aus – vielleicht, weil ihn der „Tonfall“ stört und nicht alles „so laut diskutiert“ werden müsse? Wer weiß das schon, recht hat er am Beispiel der Erneuerbaren Energien damit, dass „alles vertagt worden“ sei.
Aber zu ernst durfte er natürlich nicht werden, sonst wäre vermutlich der ein oder andere Süßgespritzte versauert. Entsprechend wurden Schwanks aus des Kanzlers Leben abgefragt, bzw.: „Ist es so deine Art, dass du in dir ruhst?“ Da referierte Scholz über Demokratie, zu der auch gehöre, „dass nicht alle Leute Klassen- oder Schulsprecher geworden sind“. Btw. seien Umfragen Schall und Rauch, da erst am Wahltag abgerechnet werde. Würde ich an seiner Stelle auch sagen, tatsächlich wäre dennoch ein klitzekleines Statement zu den aktuellen 17 Prozent der SPD vs. 21 der AfD interessant gewesen.
Hessen-Wahl 2023: Kann Nancy Faeser (SPD) noch weiter nach rechts rücken?
Aber gesprochen wurde lieber über Nancy Faeser, die angeblich ab dem 8. Oktober „wieder weg von dir“ und hessische Ministerpräsidentin werden will. Natürlich, so Scholz, sei Faeser „eine erstklassige Innenministerin“, aber er wünsche „den Hessen auch, dass sie Nancy Faeser als Ministerpräsidentin bekommen“. Dann habe er eben „ein Problem“, und das vielleicht dahingehend, jemanden zu finden, der im nach rechts Blinken ähnlich talentiert ist wie sie.
Also alles spitze mit der Sozialdemokratie, beziehungsweise auf dem Lohrberg, schließlich soll Politik auch unterhalten, wo kämen wir da hin, wenn der Kanzler sich nicht einmal einen lässigen Abend machen dürfte mit Geplauder, Lotto und ein bisschen Wahlmusik (Tina Turner, Freddy Quinn, Rod Stewart)? Und dass die „Dinge ziemlich kompliziert sind“, dafür hatte jeder Verständnis mitgebracht.
„Es gibt nichts, was ihr jetzt macht, was ihr vor der Wahl nicht gesagt habt“, sagte Reisig, wobei er hier vielleicht einmal seiner Hessen-Kandidatin zuhören sollte, die plötzlich Leute schneller abschieben will, die gar nicht straffällig geworden sind („Clan-Kriminalität“), oder die Geduldete ohne Vorwarnung in den Flieger zu setzen gedenkt. Noch interessanter wäre aber, einmal die Realität mit dem Koalitionsvertrag abzugleichen und zu hinterfragen, was die Ampel hier alles nicht macht – und vor allem auf wessen Kosten.
Armut in Deutschland / Frankfurt: Kein Thema bei „Bembel und Gebabbel“ mit Kanzler Scholz
Kleiner Denkanstoß: Mehr als jedes fünfte Kind und jeder vierte junge Erwachsene in Deutschland sind von Armut betroffen. Im vergangenen Jahr waren drei Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren oder 21,6 Prozent armutsgefährdet. Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband sagt hierzu, dass es einen Widerspruch gebe „zwischen getroffenen Zusagen (Koalitionsvertrag) und erklärten Zielen der Regierungsparteien einerseits und den künftigen Haushaltsplanungen andererseits“. Tja.
Gut, das Format „Bembel und Gebabbel“ ist als Politiktalk gar nicht angelegt. Dafür ist Reisig zu sehr in seine eigene Show verliebt und nimmt entsprechend das Scholzsche Phrasenbingo in Kauf. Aber. In zwei Monaten sind Landtageswahlen in Hessen, die Ampel geht am Stock und Nancy Faeser hat sich für links eingestellte Menschen unwählbar gemacht.
Auch das „Gebabbel“ mit Kanzler Scholz hat eine gewisse Verantwortung
Da hat auch ein „Gebabbel“ eine gewisse Verantwortung dahingehend, zumindest einmal die Kürzungsexzesse insbesondere im sozialen- und Bildungsbereich anzusprechen. Oder etwa die fahrlässige Ignoranz in Sachen Klimawandel und das bizarre Schalten-Walten-Lassen der Autopartei FDP. Warum lässt Scholz Kürzungen im Digitalen zu? Warum bei der Bundeszentrale für politische Bildung? Warum lässt er einen C. Lindner beliebig seine Lobby-Politik fahren, während sich die Grüne Familienministerin Paus wegen Widerstands an den Pranger stellen lassen muss? Warum wird bei den Freiwilligenverbänden gekürzt, warum bei Arbeitslosenförderdung der unter 25-Jährigen? Warum soll die Kindergrundsicherung von 12 auf zwei Milliarden gebrochen und Bürgergeldbezieherinnen 700 Millionen Euro bei den Unterkunftskosten gekürzt werden?
Scholz hätte dazu auch beim Apfelwein was sagen können, wenn Reisig mal gefragt hätte. Aber immerhin wissen wir jetzt, dass Olaf Scholz einmal Oboe gespielt hat.
Und der legte gleich mit der ersten Frage los: „Was trägst du dazu bei, dass die SPD länger regiert (als die CDU)?“ Aber Scholz ist halt Scholz und verwies auf die Weimarer Republik – und beantwortete die Frage nicht. Nachhaken war Reisigs Sache am gesamten Abend nicht, aber immerhin klatschte Nancy Faeser, SPD-Anwärterin auf den Ministerpräsidentenposten in Hessen, in vorderster Reihe eifrig für ihren Dienstherrn.
„Harte Themen … ist das so ein Start, den hätte ich so nicht gebraucht?“, wollte Reisig vom Kanzler wissen, und da durfte Scholz natürlich erzählen, was „wir“ alles hinbekommen haben, was „unser Land alles kann“, „weil wir uns vor den Aufgaben, die vor uns liegen, nicht drücken“ usw. usf. Der „Scholzomat“ in Höchstform, macht aber nix, Faeser klatschte und Reisig wollte danach sowieso erst mal das „Hessenquiz“ spielen.
Weiter ging es um die Klassensprecher-Fähigkeiten von Scholz, der angeblich schon immer etwas für „Gerechtigkeit“ tun wollte, und Respekt einforderte, „vor sehr unterschiedlichen Lebensläufen“. Eine Variation in der vielfältigen Phrasenklaviatur, bis Reisig es ein bisschen politisch zumindest versuchte: „Welche Verantwortung trägt der Chef, wenn Sachen bei der Bevölkerung nicht ankommen?“, fragte er, ohne explizit die Scharmützel der Ampel in der Öffentlichkeit zu benennen.
Aber wieso auch, die sitzt Scholz in der Regel sowieso aus – vielleicht, weil ihn der „Tonfall“ stört und nicht alles „so laut diskutiert“ werden müsse? Wer weiß das schon, recht hat er am Beispiel der Erneuerbaren Energien damit, dass „alles vertagt worden“ sei.
Aber zu ernst durfte er natürlich nicht werden, sonst wäre vermutlich der ein oder andere Süßgespritzte versauert. Entsprechend wurden Schwanks aus des Kanzlers Leben abgefragt, bzw.: „Ist es so deine Art, dass du in dir ruhst?“ Da referierte Scholz über Demokratie, zu der auch gehöre, „dass nicht alle Leute Klassen- oder Schulsprecher geworden sind“. Btw. seien Umfragen Schall und Rauch, da erst am Wahltag abgerechnet werde. Würde ich an seiner Stelle auch sagen, tatsächlich wäre dennoch ein klitzekleines Statement zu den aktuellen 17 Prozent der SPD vs. 21 der AfD interessant gewesen.
Aber gesprochen wurde lieber über Nancy Faeser, die angeblich ab dem 8. Oktober „wieder weg von dir“ und hessische Ministerpräsidentin werden will. Natürlich, so Scholz, sei Faeser „eine erstklassige Innenministerin“, aber er wünsche „den Hessen auch, dass sie Nancy Faeser als Ministerpräsidentin bekommen“. Dann habe er eben „ein Problem“, und das vielleicht dahingehend, jemanden zu finden, der im nach rechts Blinken ähnlich talentiert ist wie sie.
Also alles spitze mit der Sozialdemokratie, beziehungsweise auf dem Lohrberg, schließlich soll Politik auch unterhalten, wo kämen wir da hin, wenn der Kanzler sich nicht einmal einen lässigen Abend machen dürfte mit Geplauder, Lotto und ein bisschen Wahlmusik (Tina Turner, Freddy Quinn, Rod Stewart)? Und dass die „Dinge ziemlich kompliziert sind“, dafür hatte jeder Verständnis mitgebracht.
„Es gibt nichts, was ihr jetzt macht, was ihr vor der Wahl nicht gesagt habt“, sagte Reisig, wobei er hier vielleicht einmal seiner Hessen-Kandidatin zuhören sollte, die plötzlich Leute schneller abschieben will, die gar nicht straffällig geworden sind („Clan-Kriminalität“), oder die Geduldete ohne Vorwarnung in den Flieger zu setzen gedenkt. Noch interessanter wäre aber, einmal die Realität mit dem Koalitionsvertrag abzugleichen und zu hinterfragen, was die Ampel hier alles nicht macht – und vor allem auf wessen Kosten.
Armut in Deutschland / Frankfurt: Kein Thema bei „Bembel und Gebabbel“ mit Kanzler Scholz
Kleiner Denkanstoß: Mehr als jedes fünfte Kind und jeder vierte junge Erwachsene in Deutschland sind von Armut betroffen. Im vergangenen Jahr waren drei Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren oder 21,6 Prozent armutsgefährdet. Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband sagt hierzu, dass es einen Widerspruch gebe „zwischen getroffenen Zusagen (Koalitionsvertrag) und erklärten Zielen der Regierungsparteien einerseits und den künftigen Haushaltsplanungen andererseits“. Tja.
Gut, das Format „Bembel und Gebabbel“ ist als Politiktalk gar nicht angelegt. Dafür ist Reisig zu sehr in seine eigene Show verliebt und nimmt entsprechend das Scholzsche Phrasenbingo in Kauf. Aber. In zwei Monaten sind Landtageswahlen in Hessen, die Ampel geht am Stock und Nancy Faeser hat sich für links eingestellte Menschen unwählbar gemacht.
Da hat auch ein „Gebabbel“ eine gewisse Verantwortung dahingehend, zumindest einmal die Kürzungsexzesse insbesondere im sozialen- und Bildungsbereich anzusprechen. Oder etwa die fahrlässige Ignoranz in Sachen Klimawandel und das bizarre Schalten-Walten-Lassen der Autopartei FDP. Warum lässt Scholz Kürzungen im Digitalen zu? Warum bei der Bundeszentrale für politische Bildung? Warum lässt er einen C. Lindner beliebig seine Lobby-Politik fahren, während sich die Grüne Familienministerin Paus wegen Widerstands an den Pranger stellen lassen muss? Warum wird bei den Freiwilligenverbänden gekürzt, warum bei Arbeitslosenförderdung der unter 25-Jährigen? Warum soll die Kindergrundsicherung von 12 auf zwei Milliarden gebrochen und Bürgergeldbezieherinnen 700 Millionen Euro bei den Unterkunftskosten gekürzt werden?
Scholz hätte dazu auch beim Apfelwein was sagen können, wenn Reisig mal gefragt hätte. Aber immerhin wissen wir jetzt, dass Olaf Scholz einmal Oboe gespielt hat.
22. August 2023, 11.00 Uhr
Katja Thorwarth
Katja Thorwarth
Die gebürtige Frankfurterin studierte an der Goethe-Uni Soziologie, Politik und Sozialpsychologie. Ihre journalistischen Schwerpunkte sind Politik, politisches Feuilleton und Meinung. Seit März 2023 Leitung online beim JOURNAL FRANKFURT. Mehr von Katja
Thorwarth >>
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