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Zum Tod des Frankfurter Dichters Paulus Böhmer
Radikal ausufernd
Er war eine der prägnantesten und prägendsten, eine der exzentrischsten und wichtigsten Figuren der Frankfurter Literaturszene: Wie seine Frau Lydia Böhmer mitteilte, ist der in Frankfurt-Sachsenhausen lebende Schriftsteller Paulus Böhmer am Mittwoch im Alter von 82 Jahren gestorben.
Über seine Arbeit und seine Texte mochte Paulus Böhmer nicht gerne reden. Er las sie stattdessen lieber vor und setzte das Publikum dem Klang, der Wucht, dem Fluss seiner Wörter aus. Der gebürtige Berliner, Jahrgang 1936, kam 1943 nach Oberhessen und begann nach dem Abitur, in Frankfurt Rechtswissenschaften zu studieren. Man kann sich das kaum vorstellen. Er konnte das offenbar auch sehr schnell nicht mehr, brach das Studium ab, arbeitete in Gelegenheitsjobs, studierte in Berlin Literaturwissenschaften und Architektur, ebenfalls ohne Abschluss und kam schließlich 1974 nach Frankfurt am Main. Dort blieb Paulus Böhmer, bis zu seinem Tod.
Er war ein Dichter, ein echter Dichter, der sich in vollkommener ästhetischer Freiheit von Konventionen dem Rausch verschrieben hatte, auf den Spuren der Beat-Poeten. Er malte, zeichnete und schrieb und leitete, nicht nebenher, sondern hauptberuflich, von 1985 bis 2001 das Hessische Literaturforum im Mousonturm. Bei Schöffling & Co sind Böhmers zum Teil schon Legende gewordenen Bände mit epischen Langgedichten erschienen, allen voran Böhmers Lebensprojekt „Kaddish“. In der Edition Engstler „Zum Wasser will alles Wasser will weg“, für das er 2013 mit dem Robert-Gernhardt-Preis ausgezeichnet wurde. Im Grunde schrieb Böhmer, wie so mancher großer Dichter, nur an einem einzigen langen Text, und dieser Text war das Leben und die ganze Welt, eine Geschichte der ganzen Welt, mit allem, was sie ist. Die deutsche Lyriktradition ist auf Knappheit ausgelegt. Böhmer konterte mit Opulenz und Entgrenzung.
Paulus Böhmer hat ein wildes Leben geführt. Er war Schriftsteller und Maler, hat als Ziergraszüchter gearbeitet und als Werbetexter. Er war ein Bohemien, der das Gängige ebenso mied wie das Sentimentale. In seiner formalen und inhaltlichen Radikalität scherte er sich um nichts. Für viele Lyriker*innen der jungen Generation war dieser große, massive, knurrige Mann Steinbruch und Idol zugleich. Wie jeder Schriftsteller von Rang, gab auch Paulus Böhmer der Welt eine Form, einen Tonfall vor, der nicht mehr abzustreifen ist.
Böhmers Gedichte sind Weltprägungen im Bewusstsein ihrer Leser. Böhmer dichtete nicht sein Leben, er dichtet um sein Leben; er schrieb den Tod und überschrieb ihn zugleich; er setzte sein eigenes Zeitmaß gegen das offiziell anerkannte und gültige – all das in dem Bewusstsein, dass er letztendlich keine Chance haben würde zu gewinnen. Paulus Böhmer ist nicht mehr da. Sein Sound bleibt.
Dieser Artikel wurde aktualisiert. In der ersten Version stand fälschlicherweise, dass Paulus Böhmer am Dienstag verstarb. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
Er war ein Dichter, ein echter Dichter, der sich in vollkommener ästhetischer Freiheit von Konventionen dem Rausch verschrieben hatte, auf den Spuren der Beat-Poeten. Er malte, zeichnete und schrieb und leitete, nicht nebenher, sondern hauptberuflich, von 1985 bis 2001 das Hessische Literaturforum im Mousonturm. Bei Schöffling & Co sind Böhmers zum Teil schon Legende gewordenen Bände mit epischen Langgedichten erschienen, allen voran Böhmers Lebensprojekt „Kaddish“. In der Edition Engstler „Zum Wasser will alles Wasser will weg“, für das er 2013 mit dem Robert-Gernhardt-Preis ausgezeichnet wurde. Im Grunde schrieb Böhmer, wie so mancher großer Dichter, nur an einem einzigen langen Text, und dieser Text war das Leben und die ganze Welt, eine Geschichte der ganzen Welt, mit allem, was sie ist. Die deutsche Lyriktradition ist auf Knappheit ausgelegt. Böhmer konterte mit Opulenz und Entgrenzung.
Paulus Böhmer hat ein wildes Leben geführt. Er war Schriftsteller und Maler, hat als Ziergraszüchter gearbeitet und als Werbetexter. Er war ein Bohemien, der das Gängige ebenso mied wie das Sentimentale. In seiner formalen und inhaltlichen Radikalität scherte er sich um nichts. Für viele Lyriker*innen der jungen Generation war dieser große, massive, knurrige Mann Steinbruch und Idol zugleich. Wie jeder Schriftsteller von Rang, gab auch Paulus Böhmer der Welt eine Form, einen Tonfall vor, der nicht mehr abzustreifen ist.
Böhmers Gedichte sind Weltprägungen im Bewusstsein ihrer Leser. Böhmer dichtete nicht sein Leben, er dichtet um sein Leben; er schrieb den Tod und überschrieb ihn zugleich; er setzte sein eigenes Zeitmaß gegen das offiziell anerkannte und gültige – all das in dem Bewusstsein, dass er letztendlich keine Chance haben würde zu gewinnen. Paulus Böhmer ist nicht mehr da. Sein Sound bleibt.
Dieser Artikel wurde aktualisiert. In der ersten Version stand fälschlicherweise, dass Paulus Böhmer am Dienstag verstarb. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
7. Dezember 2018, 14.06 Uhr
Christoph Schröder
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