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Wie Mario Kramer Sammlungsleiter am MMK wurde
Der Glücksfall seines Lebens
Seit Gründung des Museums für Moderne Kunst leitet Mario Kramer die Sammlung – geholt hatte ihn vor 25 Jahren Direktor Jean-Christophe Ammann. Beim Gang durchs Haus spürt man Kramers Begeisterung.
„Kurator zu sein ist der Glücksfalls meines Lebens“, sagt er, während er treppauf, treppab durchs Haupthaus des MMK in der Domstraße führt, mit flotten Schritten von einem Raum in den nächsten. Bilder, Grafiken, Skulpturen, Namen. Und immer wieder die Geschichten, die dahinter stecken. Da ist, um nur eine herauszupicken, die von einer seiner letzten Begegnungen mit On Kawara. 25 Bilder aus der Serie „Date Paintings“ des japanischen Konzeptkünstlers stellte das MMK seit seiner Eröffnung 1991 aus. Ein Vierteljahrhundert in Bildern, pro Bild ein Datum. Kurz vor seinem Tod im vergangenen Jahr wünschte sich On Kawara, diese Serie bis zur Jahrtausendwende zu vervollständigen, und bot dem MMK neun weitere Date Paintings an. „On, wie stellst du dir das vor? Das ist nicht realistisch“, sagte Kramer. Das Geld für diesen Kauf zu sammeln – der Erwerb der Kunstwerke finanziert sich aus Fundraising – schien dem Sammlungsleiter unmöglich. „Mario, komm nach New York! Wir werden eine Lösung finden“, antwortete der Künstler. In seinem Atelier machte er Kramer und dem Museum ein einmaliges Angebot: Wenn das MMK sein Kalenderwerk „One Hundred Years Calendar - 20th Century 24.845 days“ erwirbt, bekommt es obendrein die neun Datumsbilder als Schenkung. Der Coup gelang. Seit September 2014 ist der vollständige Zyklus von 1966 bis 2000 und der Kalender, in dem der Künstler jeden Tag seines Lebens- und Werklaufs gekennzeichnet hat, im On-Kawara-Raum im dritten Stock des MMK1 zu sehen.
Mario Kramer erzählt voller Leidenschaft. Über Künstler und ihre Werke, wie er zur Kunst kam, wie er ans MMK kam, wie er Sammlungsleiter wurde, warum er immer noch da ist, 25 Jahre am selben Haus, Mitarbeiter der ersten Stunde und damit so glücklich. „Ein Haus ohne Sammlung reizt mich nicht“, sagt Kramer. Sich, wie früher bei Kunsthistorikern nicht unüblich, den lieben langen Tag über Bücher zu beugen und nicht ans Tageslicht zu trauen – für ihn undenkbar. Noch heute führt der Sammlungsleiter immer dienstags um 16 Uhr zu verschiedenen Themen durchs Haus.
Die Berufung
Sein Wunsch, in einem Museum zu arbeiten, keimte in den späten 80ern, als Kramer freier Mitarbeiter beim Kunstverein Hamburg war. „Ich habe in vieles hinein geschnuppert und dabei gelernt, was ich nicht will.“ Seine Liebe zur Kunst entdeckte der Sammlungsleiter während seiner Schulzeit am Bodensee. Seine Eltern, weniger kunstbeflissen, dafür umso mehr sportbegeistert, hätten ihren Sohn lieber erfolgreich auf dem Tennisplatz gesehen. Doch Kramers Lehrerin Julia Rau hatte mit ihrem Unterricht in Kunstgeschichte und Architektur genau seinen Nerv getroffen.
„Eine Ausnahmeerscheinung“, sagt er über seine Lehrerin. Noch heute verbindet die beiden eine enge Freundschaft. „Für sie war Kunst nicht l’art pour l’art, sondern eine gesellschaftspolitische Angelegenheit.“ Kramer studierte Kunstgeschichte, Archäologie und Kulturwissenschaften in Freiburg, und damit ganz nah an den damaligen Epizentren der Modernen Kunst Basel und Zürich, später ging er an die Universität Hamburg. Er schrieb seine Magisterarbeit und promovierte bei Martin Warnke über Joseph Beuys. Und dann kam der Anruf von Jean-Christophe Ammann. „Kommen Sie mal nach Frankfurt, wir müssen uns über Ihre Zukunft unterhalten“, sagte der designierte Direktor des MMK. Ammann war über Kramers wissenschaftliche Arbeit zu Beuys auf den Kunsthistoriker aufmerksam geworden. Im Gespräch zwischen Ammann und Kramer fiel die Zahl zehn. Zehn Jahre lang am MMK bleiben. „Der Mann muss verrückt sein“, dachte Kramer. Er war jung, zehn Jahre eine unvorstellbare Dimension. „Natürlich habe ich ja gesagt."
Die Projekte
Aus unvorstellbaren zehn Jahren wurden unglaubliche 25. Und noch immer freut sich Mario Kramer jeden Tag auf ein anderes Projekt, das er in Angriff nehmen kann. Als Sammlungsleiter betreut und katalogisiert er die Sammlung des Hauses, das Peter Roehr Archiv und das Ammann Archiv – sie umfassen Bilder, Installationen, Video- und Fotokunst, Grafiken und Performatives. Er bearbeitet Leihanfragen. Er kuratiert Ausstellungen in allen drei Häusern des MMK. Zudem ist er betraut mit dem Kauf neuer Werke. Im Fokus stehen dabei weniger Einzelstücke, sondern vielmehr Werkgruppen eines Künstlers oder einer Künstlerin. Manchmal lädt das MMK die Künstler ein, im Haus selbst für die Museumsarchitektur spezifische Werke zu realisieren – Kunst als eine Art exklusive Auftragsarbeit. So sind Hauptwerke für die Sammlung entstanden, die man nur im Frankfurter Museum sehen kann, wie etwa Lothar Baumgartens „Frankfurter Brief“, Bill Violas „The Stopping Mind“ oder Wolfgang Tillmans „Frankfurter Installation“.
Die Privilegien
Ja, es gebe auch Werke und vielleicht auch Künstler, die ihm weniger am Herzen liegen. Aber über die schweigt Kramer – selbstverständlich. Viel lieber redet er über die, die er besonders schätzt. Tüllmann, Slominski, Kawara. Genzken, Trockel, Viola, Dumas, Warhol, Oldenburg, Sturtevant, Bayrle. Die Liste könnte weit und weiter gehen. Die meisten von ihnen kennt Kramer persönlich – eines der Privilegien, wenn man mit Moderner Kunst arbeitet. So nah an den Kunstschaffenden und damit am Puls der Zeit zu sein, sei immer wieder eine große Herausforderung. Nachzuempfinden, was sie wahrnehmen und wie sie die Welt sehen - „mit manchen gelingt es, mit manchen nicht“. Doch immer entstehe dabei ein Prozess, der Früchte für die Sammlung trage.
Kramers Schönstes
In den 25 Jahren, die Kramer nun am MMK ist, wage das Haus mehr und mehr. „Wir sind reflektierter geworden“, sagt er. Sammelte und zeigte man in den Anfangsjahren hauptsächlich europäische und amerikanische Kunst, spielen Künstler aus Afrika, Indien oder Südamerika heute eine immer größere Rolle: „Die Welt mit all ihrem Licht und ihren Schatten kommt ins Museum.“ Die Beschäftigung mit anderen Kulturen empfindet der Sammlungsleiter als extrem anregend. Ist der Privatmann Kramer auf Reisen, besucht er mit Begeisterung Völkerkundemuseen, auch Häuser mit universellem Anspruch wie das Landesmuseum in Darmstadt liebt er sehr. Dort führt er noch immer durch den „Block Beuys“, den weltweit größten, authentischen Werkkomplex des Künstlers. Und doch reicht für Mario Kramer nichts an das MMK heran. „Es ist für mich ein permanenter Ort der Diskussion, der Konferenz, des Austauschs. Es wird nie langweilig. Hier zu arbeiten, ist das Schönste, das ich mir vorstellen kann.“
© Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main
Mario Kramer erzählt voller Leidenschaft. Über Künstler und ihre Werke, wie er zur Kunst kam, wie er ans MMK kam, wie er Sammlungsleiter wurde, warum er immer noch da ist, 25 Jahre am selben Haus, Mitarbeiter der ersten Stunde und damit so glücklich. „Ein Haus ohne Sammlung reizt mich nicht“, sagt Kramer. Sich, wie früher bei Kunsthistorikern nicht unüblich, den lieben langen Tag über Bücher zu beugen und nicht ans Tageslicht zu trauen – für ihn undenkbar. Noch heute führt der Sammlungsleiter immer dienstags um 16 Uhr zu verschiedenen Themen durchs Haus.
Die Berufung
Sein Wunsch, in einem Museum zu arbeiten, keimte in den späten 80ern, als Kramer freier Mitarbeiter beim Kunstverein Hamburg war. „Ich habe in vieles hinein geschnuppert und dabei gelernt, was ich nicht will.“ Seine Liebe zur Kunst entdeckte der Sammlungsleiter während seiner Schulzeit am Bodensee. Seine Eltern, weniger kunstbeflissen, dafür umso mehr sportbegeistert, hätten ihren Sohn lieber erfolgreich auf dem Tennisplatz gesehen. Doch Kramers Lehrerin Julia Rau hatte mit ihrem Unterricht in Kunstgeschichte und Architektur genau seinen Nerv getroffen.
„Eine Ausnahmeerscheinung“, sagt er über seine Lehrerin. Noch heute verbindet die beiden eine enge Freundschaft. „Für sie war Kunst nicht l’art pour l’art, sondern eine gesellschaftspolitische Angelegenheit.“ Kramer studierte Kunstgeschichte, Archäologie und Kulturwissenschaften in Freiburg, und damit ganz nah an den damaligen Epizentren der Modernen Kunst Basel und Zürich, später ging er an die Universität Hamburg. Er schrieb seine Magisterarbeit und promovierte bei Martin Warnke über Joseph Beuys. Und dann kam der Anruf von Jean-Christophe Ammann. „Kommen Sie mal nach Frankfurt, wir müssen uns über Ihre Zukunft unterhalten“, sagte der designierte Direktor des MMK. Ammann war über Kramers wissenschaftliche Arbeit zu Beuys auf den Kunsthistoriker aufmerksam geworden. Im Gespräch zwischen Ammann und Kramer fiel die Zahl zehn. Zehn Jahre lang am MMK bleiben. „Der Mann muss verrückt sein“, dachte Kramer. Er war jung, zehn Jahre eine unvorstellbare Dimension. „Natürlich habe ich ja gesagt."
Die Projekte
Aus unvorstellbaren zehn Jahren wurden unglaubliche 25. Und noch immer freut sich Mario Kramer jeden Tag auf ein anderes Projekt, das er in Angriff nehmen kann. Als Sammlungsleiter betreut und katalogisiert er die Sammlung des Hauses, das Peter Roehr Archiv und das Ammann Archiv – sie umfassen Bilder, Installationen, Video- und Fotokunst, Grafiken und Performatives. Er bearbeitet Leihanfragen. Er kuratiert Ausstellungen in allen drei Häusern des MMK. Zudem ist er betraut mit dem Kauf neuer Werke. Im Fokus stehen dabei weniger Einzelstücke, sondern vielmehr Werkgruppen eines Künstlers oder einer Künstlerin. Manchmal lädt das MMK die Künstler ein, im Haus selbst für die Museumsarchitektur spezifische Werke zu realisieren – Kunst als eine Art exklusive Auftragsarbeit. So sind Hauptwerke für die Sammlung entstanden, die man nur im Frankfurter Museum sehen kann, wie etwa Lothar Baumgartens „Frankfurter Brief“, Bill Violas „The Stopping Mind“ oder Wolfgang Tillmans „Frankfurter Installation“.
Die Privilegien
Ja, es gebe auch Werke und vielleicht auch Künstler, die ihm weniger am Herzen liegen. Aber über die schweigt Kramer – selbstverständlich. Viel lieber redet er über die, die er besonders schätzt. Tüllmann, Slominski, Kawara. Genzken, Trockel, Viola, Dumas, Warhol, Oldenburg, Sturtevant, Bayrle. Die Liste könnte weit und weiter gehen. Die meisten von ihnen kennt Kramer persönlich – eines der Privilegien, wenn man mit Moderner Kunst arbeitet. So nah an den Kunstschaffenden und damit am Puls der Zeit zu sein, sei immer wieder eine große Herausforderung. Nachzuempfinden, was sie wahrnehmen und wie sie die Welt sehen - „mit manchen gelingt es, mit manchen nicht“. Doch immer entstehe dabei ein Prozess, der Früchte für die Sammlung trage.
Kramers Schönstes
In den 25 Jahren, die Kramer nun am MMK ist, wage das Haus mehr und mehr. „Wir sind reflektierter geworden“, sagt er. Sammelte und zeigte man in den Anfangsjahren hauptsächlich europäische und amerikanische Kunst, spielen Künstler aus Afrika, Indien oder Südamerika heute eine immer größere Rolle: „Die Welt mit all ihrem Licht und ihren Schatten kommt ins Museum.“ Die Beschäftigung mit anderen Kulturen empfindet der Sammlungsleiter als extrem anregend. Ist der Privatmann Kramer auf Reisen, besucht er mit Begeisterung Völkerkundemuseen, auch Häuser mit universellem Anspruch wie das Landesmuseum in Darmstadt liebt er sehr. Dort führt er noch immer durch den „Block Beuys“, den weltweit größten, authentischen Werkkomplex des Künstlers. Und doch reicht für Mario Kramer nichts an das MMK heran. „Es ist für mich ein permanenter Ort der Diskussion, der Konferenz, des Austauschs. Es wird nie langweilig. Hier zu arbeiten, ist das Schönste, das ich mir vorstellen kann.“
© Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main
Web: mmk-frankfurt.de
23. Juni 2015, 19.26 Uhr
Anja Prechel
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