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Welche Kultur braucht Frankfurt?

Hausbesetzer crashen Podiumsdiskussion

Die Kulturdebatte nimmt kein Ende. Bei einer Podiumsdiskussion im Museum für Kommunikation äußerte sich nicht nur Peter Feldmann zu seiner Schmiermittelthese, auch Hausbesetzer mischten mit.
Eine Diskussion ist meist so gut wie ihr Thema. Was also sollte man von einem Diskussionsabend erwarten, bei dem gefragt wird "Welche Kultur braucht Frankfurt?" Nach zwei Stunden der Debattierei im Museum für Kommunikation kann die Antwort nur lauten: Streitkultur braucht Frankfurt! Und die setzt voraus, dass die Gesprächspartner heterogen sind, was leider diesmal, angesichts einer gewissen Theater- und Filmlastigkeit sowie nur eines politischen Vertreters, nicht der Fall war. Moderiert von Dirk Emig parlierten Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD), der Geschäftsführer des Filmhauses Ralf Förg, hr-Fernsehspiel-Chefin Liane Jessen, Theatermacher Willy Praml und der Intendant des Schauspiels Frankfurt, Oliver Reese, über Frankfurts Kulturetat.

161 Millionen Euro gibt die Stadt für Kultur aus – auf jeden einzelnen Einwohner gerechnet ist das bundesweit ein Spitzenwert. Doch die Haushaltslage ist angespannt, neun Millionen Euro sollen eingespart werden. So manche kulturelle Einrichtung der Stadt sieht sich durch den von der schwarzen-grünen Stadtregierung angesetzten Rotstift in ihrer Existenz bedroht. Und die Thesen von Oberbürgermeister Feldmann, in denen er Kultur als gesellschaftliches Schmiermittel bezeichnet, sorgten für einen Aufschrei bei Politikern und Kulturschaffenden. Feldmann stellte sich am Montag erstmals öffentlich der Debatte.

Vor der Podiumsdiskussion, der rund 100 Zuhörer beiwohnten, sagte Feldmann dazu, er habe absichtlich provokante Thesen aufgestellt, manche Kritiker hätten sein Papier jedoch nicht genau gelesen. Nicht Kultur sei das Schmiermittel der Gesellschaft, sondern die Kulturpolitik. Später kritisierte er, die Frankfurter Kulturpolitik habe einen Moduswechsel hinter sich, der nicht zufriedenstellend sei. Nur noch prominente Kultureinrichtungen würden wahrgenommen werden - zu Lasten der kulturellen Vielfalt, die Frankfurt schon hervorgebracht hat. "Wir waren mal Jazzhauptstadt, das ist in unseren Köpfen nicht mehr präsent", sagte Feldmann. "Ich sehe es als meine Aufgabe an auch die kleinen Kulturschaffenden an die Oberfläche zu bringen."

Oliver Reese, dessen Schauspielhaus jährlich mit Kürzungen von drei Millionen Euro umgehen muss, widersprach Feldmanns Wahrnehmung. Diese Kluft erkenne er nicht, von Grabenkämpfen könne keine Rede sein. Liane Jessen, die in Mainz wohnt und in Frankfurt hr-Tatorte dreht, kritisierte, dass in Frankfurt 50 Prozent der Bevölkerung gar nicht an der Kultur teilhätten, es fehle an Kulturerziehung, was schon in der Schule und bei der Jugendpolitik beginne. "Kultur muss Pflichtfach sein", forderte Jessen. Willy Praml, der mal als Hausbesetzer begann und weiß, wie sehr man sich in der Kulturszene durchschlagen muss, appellierte dafür, die Kunst müsse in die Milieus gehen. Auch Ralf Förg bemängelte, dass Frankfurt von einer Angestelltenkultur geprägt sei und nicht mal die Hälfte der Einwohner das Kulturangebot nutze, der Rest werde ausgeschlossen oder deren Kultur werde nicht repräsentiert. "Kultur definiert sich nicht über Subventionen." Das Ensemble Modern erhalte nur eine geringfügige Förderung gemessen an der globalen kulturellen Bedeutung.

Oliver Reese brachte ein neues Argument in die Debatte: "Was weg ist, ist verloren und kommt nicht wieder." Das Ballett Frankfurt und das TAT, beides geschlossen und weggespart, seien solche Beispiele. Was er nicht explizit erwähnte, sind andere kleine Theater, die kaum über die Runden kommen und vielleicht bald auch nicht mehr da sind. Man solle doch aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, mahnte der Schauspielintendant. Gleichwohl entgegnete er Jessen und Förg, mehr Menschen in Frankfurt könne das Schauspiel gar nicht erreichen bei 700 Vorstellungen im Jahr, die zu 87 Prozent ausgelastet seien.

Feldmann kündigte an, den Scheinwerfer nicht länger auf die etablierten Institutionen richten zu wollen. Frankfurt habe eine Clubszene, Offparties, die Städelschule, die Kreativbranche und viele Schulprojekte, all das müsse mehr nach außen getragen werden. Auch das internationale Potenzial der Bevölkerung müsse mehr zur Geltung kommen. Dass in Frankfurt westtürkische Klassik, die Sanatmusik, aufgeführt werde, das wisse in der Stadt kaum ein Mensch.

Willy Praml kritisierte, es gehe in der Debatte letztlich doch immer nur ums Geld. "Theater in freier Trägerschaft müssen stärker finanziert werden. Bei uns gibt es nichts zu sparen, wir haben ja nichts!" Da müsse mehr von Feldmann kommen. Während Reese sich gegen das von Feldmann vorgeworfene Wachstumscredo verwehrte, forderte Jessen die Kulturpolitik auf, außenstehende kulturbeflissene Profis mit ins Boot zu holen, um Frankfurt zum Kulturvorreiter zu machen. Feldmann letztlich hielt die klare Abgrenzung von Sozialem, Jugend sowie Kultur für überholt, das eine greife in das andere über. Überhaupt wünsche er sich, dass das Land Hessen seinen kulturellen Reichtum nicht als selbstverständlich hinnimmt, sondern finanziell dazu einen stärkeren Beitrag leiste.

Als Liane Jessen gerade forderte, das Konzept "Kultur für alle" mit Leben und Inhalten zu füllen, sahen sich rund zehn Hausbesetzer, die sich bislang recht unauffällig verhalten hatten, dazu ermutigt, das Podium zu erstürmen. "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Häuser klaut!", skandierten die jungen Demonstranten, die auf der Bühne ein Banner entfalteten mit der Aufschrift "Ich geb Dir gleich Räumung". Etwas widerstrebend ließ man die Protestler zu Wort kommen und integrierte ihr Problem in die etwas kurslose Debatte. Zwei Jahre lang seien die Besetzer nun schon auf der Suche nach einem Haus für kulturelle Partizipation. Das IvI sei eines der bekanntesten Versuche, dieses zu etablieren. Immer wieder werde man geräumt, zuletzt am Samstag, als sie eine der lange schon leerstehenden Villen auf dem Campus Bockenheim unfreiwillig verlassen mussten.

Feldmann bestätigte, dass er die Arbeit des KOZ früher oder auch das Klapperfeld schätze und stolz darauf sei, dass die Stadt so etwas aushalte. Ob Hausbesetzungen aber das Mittel der Wahl seien, bezweifelte er. Ein fester Ort sei illusorisch, einzelne Veranstaltungen zu realisieren sei hingegen machbar. Liane Jessen, selbst mit Hausbesetzervergangenheit, berichtete, dass es in Frankfurt für Dreharbeiten gar kein Problem sei, eine leerstehenden Villa zu finden. Dann zahle man für drei Wochen Filmarbeiten 6000 Euro, schon habe man plötzlich Raum. "Das ist ein schreiendes Unrecht!" Daraufhin prangerte Feldmann den spekulativ überhitzten Wohnungsmarkt an. Das sei eine Blase, aus der er gerne die Luft rauslasse, in dem er auf intensiven Wohnungsbau setze.

Und so hatten die Hausbesetzer, auch wenn sie nach kurzer Zeit wieder das Podium verlassen mussten, der Diskussion eine neue Facette hinzugefügt. Am Ende hatte jeder etwas gesagt, aber keiner eine Lösung serviert. Die Kulturdebatte ist damit längst noch nicht beendet.
 
Fotogalerie:
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18. März 2014, 11.00 Uhr
Nicole Brevoord
 
 
 
 
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Text: Florian Aupor / Foto: Über den Holbeinsteg zum Museumsufer © Adobe Stock/Branko Srot
 
 
 
 
 
 
 
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