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Trevor Paglen im Frankfurter Kunstverein

Die Banalität der Geheimdienste

Zum Auftakt der Fotografie-Triennale Ray zeigt der Frankfurter Kunstverein Arbeiten von Trevor Paglen. Im Interview spricht der Künstler über Überwachung und eine Skulptur, die als anonymer Internetknoten fungiert.
JOURNAL FRANKFURT: Viele Journalisten und Kuratoren bezeichnen Sie als Aktivisten. Denken Sie, das ist eine adäquate Beschreibung? Sehen Sie sich selbst als Aktivist?
Trevor Paglen: Ich arbeite nicht jeden Tag politisch, ich betreibe keinen Lobbyismus – also als professioneller Aktivist würde ich mich nicht bezeichnen.

Aber Sie arbeiten regelmäßig mit Aktivisten und auch IT-Experten wie Jacob Applebaum zusammen. Wie kann man sich eine solche Zusammenarbeit vorstellen?
In der Tat arbeite ich mit vielen verschiedenen Gruppen zusammen, mit der Electronic Frontier Foundation, mit Jacob Applebaum oder Humans Right Watch. Das hat damit zu tun, dass viele der Dinge, die mich interessieren, auch mit ernsten verfassungsrechtlichen Fragen in den USA zu tun haben. Dazu kommt, dass ich für meine Arbeiten sehr viel recherchiere – so kommt es zwangsläufig zu Überschneidungen, zur Zusammenarbeit, denn auch Aktivisten und Journalisten sind in diesen Bereichen tätig.

Warum nutzen Sie die Kunst, um sich Themen wie Überwachung, Freiheit oder staatlicher Kontrolle zu nähern?
Kunst hilft uns, die gegenwärtigen Momente unserer Welt zu sehen, sie helfen uns, die Historizität des Augenblicks zu erkennen.

Worin besteht dieser historische Moment?
Nun, sicherlich aus unendlichen vielen Begebenheiten, doch das was mich interessiert, ist das Wachstum undemokratischer Strukturen und Institutionen in demokratischen Gesellschaften – also Gebilden wie der NSA, der CIA, des BND oder ganz allgemein gesprochen des Militärs. Es ist zu beobachten, wie sich diese undemokratischen Institutionen in den vergangenen 15 Jahren über politische, gesellschaftliche und sogar kulturelle Kräfte wie Mehltau gelegt haben.

Sie sagten gerade, dass die Kunst uns hilft, diese Institutionen zu sehen – doch denken Sie nicht, dass viele Menschen sich dieser Institutionen nicht schon durchaus bewusst sind?
Ich denke nicht. Wir haben lediglich sehr schlechte Metaphern, um diese Sachverhalt sichtbar zu machen. Wir können nur Dinge sehen, für die wir ein Bild, eine Metapher, eine Sprache haben. Aber wir haben es mehr und mehr mit Institutionen zu tun, die größer und größer werden und alles im Geheimen halten. Das visuelle Vokabular, um sie zu beschreiben und zu verstehen, ist so gut wie nicht vorhanden.

Können Sie ein Beispiel geben?
Man muss sich nur die Dokumente anschauen, die Edward Snowden veröffentlicht hat. Power-Point-Folien und PDF-Datenen und das war’s. Ich fand es interessant, dass die ersten Artikel, die darüber erschienen, mit dem immer gleichen Foto der NSA-Zentrale aus den 70er-Jahren aufgemacht wurden. Ich wollte etwas beitragen und machte mich mit einem Helikopter auf, aktuelle Luftaufnahmen der Geheimdienstzentralen zu machen und sie der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Gleich am ersten Tag, als wir ein Foto der NSA-Zentrale veröffentlichten, wurde es zwei Millionen Mal heruntergeladen. Das zeigt, wie groß der Bedarf an solchen Bildern ist.

Hatten Sie eine Erlaubnis für die Aufnahmen der NSA-Zentrale?
Ja, wir hatten vorher mit den PR-Leuten der NSA gesprochen. Die meinten: Vor zwei Jahren wäre das unmöglich gewesen, aber jetzt ... das zeigt, dass die Geheimdienste nach den Snowden-Veröffentlichungen um ihr Image besorgt sind.

Das Überwachen der Überwacher war auch einer der Aufgaben im Eagle Eye Photo-Contest. Was genau stand dahinter?
Fotos macht man nicht nur, um anderen Leuten etwas zu zeigen. Fotografieren ist auch eine Art der Performance, es ist auch die Ausübung des Rechts, Fotos machen zu dürfen. Dieses Recht sollte man in einer demokratischen Gesellschaft immer wieder ausüben, weil es die Tendenz hat, ansonsten rasch zu verblassen.

Wie recherchieren Sie die Orte der Überwachung, die sich in Ihren Arbeiten finden: Unterseekabel, Militär-Drohnen, Wohnhäuser, in denen Spione arbeiten?
Das meiste stammt aus den Snowden-Dokumenten. Manchmal gibt es auch öffentliche Dokumente – etwa wenn Geheimdienste Scheinfirmen gründen. Diese „Unternehmen“ machen Steuererklärungen und zahlen Gehälter und manchmal streiten sich sogar zwei Geheimdienst-Firmen vor Gericht, was es mir ermöglichte in einem kleinen Gerichtsarchiv tausende von Dokumenten einzusehen, in denen die Standort der Firmen zu sehen waren. Die konnte ich dann fotografieren, recht banal fotografieren, aber das ist für mich auch der eigentliche Punkt: Die Banalität, die in diesen Orten liegt und das Böse, das hinter diesen Orten liegt.

Im Kunstverein ist auch eine Skulptur, der Autonomy Cube, zu sehen. Was hat es damit auf sich?
Der Cube steht in der Tradition minimalistischer Skulpturen. Kunst ist ja eigentlich nicht nur eine Unterhaltung mit gegenwärtig lebenden Menschen, sondern auch mit unseren Vorfahren und Menschen aus der Zukunft. Darum geht es ja auch in der Kunstgeschichte. Zur Skulptur selbst ist zu sagen, dass sie letztlich mit zwei Kabeln verbunden ist: Strom und die Internetverbindung des Kunstvereins. Sie erzeugt ein offenes WLAN, das jeder im Museum nutzen kann. Nur leitet es sämtlichen Datenverkehr über das sogenannte Tor-Netzwerk, kurz gesagt: Man kann anonym im Internet unterwegs sein. Um das Tor-Netzwerk am Laufen zu halten, stellen weltweit gut 2000 Menschen freiwillig ihre Internetverbindung dafür zur Verfügung – und die Skulptur ist nun auch einer dieser Knotenpunkte. Letztlich wird das Museum so nicht nur zu einem Ort, an dem sie Kunst anschauen können, sondern ihre eigene Privatsphäre verbessern können.

>> Ray — die Eröffnungsfeier, 19.6., 18 Uhr: Vernissage im MMK3, 19 Uhr Vernissage im MMK 1, 20.30 Uhr Preisverleihung Eagle-Eye Photo Contest mit Trevor Paglen im Kunstverein, anschließend Party im MAK.

>> Podiumsdiskussion im Rahmen der Ausstellung "Trevor Paglen: Octopus"
20. Juni 2015, 20 Uhr - Mit Trevor Paglen (Künstler), Prof. Dr. Klaus Günther (Co-Sprecher des Exzellenzclusters "Die Herausbildung normativer Ordnungen" und Professor für Rechtstheorie, Strafrecht und Strafprozessrecht der Goethe-Universität Frankfurt am Main), Dr. Valentin Rauer (Soziologe und Postdoktorand des Exzellenzclusters), Franziska Nori (Direktorin Frankfurter Kunstverein), Rebecca Caroline Schmidt (Geschäftsführerin des Exzellenzclusters)


Mehr zum Thema Ray und zu Trevor Paglen finden Sie im aktuellen JOURNAL FRANKFURT.
 
Fotogalerie:
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19. Juni 2015, 11.22 Uhr
Ronja Merkel
 
Ronja Merkel
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin. – Mehr von Ronja Merkel >>
 
 
 
 
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Text: Florian Aupor / Foto: Über den Holbeinsteg zum Museumsufer © Adobe Stock/Branko Srot
 
 
 
 
 
 
 
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