Als Teil von ID_Fankfurt e.V. vergibt das neu gegründete ID_Tanzhaus Residenzen für Projektentwicklungen. Mitglieder der freien Tanz- und Choreographie-Szene können damit an eigenen Projekten arbeiten. Eine der Residenzkünstlerinnen ist Judith Nagel.
Julian Mackenthun /
Als Tänzerin und Choreographin arbeitete Judith Nagel bereits für Fernsehproduktionen wie „Ein Hauch von Amerika“ und „Babylon Berlin“. Zur Zeit entwickelt sie jedoch ein eigenes Tanzprojekt über die Themen „Mutterschaft“ und „Schweigen“, für das sie eine Künstlerresidenz im ID_Tanzhaus erhielt. Letzteres wurde 2020/21 als Teil von ID_Frankfurt gegründet.
Als gemeinnützige Assoziation für „Independent Dance and Performance” bietet ID_Frankfurt der freien Tanz-, Performance- und Choreographie-Szene in Frankfurt und Umgebung Unterstützungen an. So werden Teile der Öffentlichkeitsarbeit übernommen, das Performance-Festival „Implantieren“ organisiert und kulturpolitische Arbeit geleistet. Im Z – Zentrum für Proben und Forschung – stehen außerdem vollausgestattete Proberäume zur Verfügung, die auch für das Residenzprogramm im ID_Tanzhaus genutzt werden.
Die Residenzen werden durch eine vierköpfige Fachjury in einem doppelblinden Auswahlverfahren vergeben. Pro Residenz steht eine Zeit von einer bis drei Wochen für die Projektentwicklung zu Verfügung. Neben der individuellen künstlerischen Arbeit sollen dabei auch der Austausch und die Vernetzung innerhalb der freien Szene gefördert werden. Judith Nagel erhielt für ihre Projektentwicklung „Die Ambiguität des Schweigens – Die unterschiedlichen Dimensionen und Wirkungen des Schweigens in Mutterschaft und Tanz“ eine zweiwöchige Residenz im ID_Tanzhaus. Auch das Förderprogramm DIS-TANZ-SOLO vom Dachverband Tanz fördert das Projekt im Rahmen von Neustart Kultur.
Das Schweigen hat für Nagel eine doppelte Bedeutung. Im Positiven steht es für das Zuhören, im Negativen kann es aber auch für ein „Ver-schweigen“ stehen. Beide Seiten lassen sich in der Mutterschaft beobachten. Es gilt, dem Neugeborenen mit seinen rudimentär artikulierten Bedürfnissen zuzuhören, doch dafür muss man eigene Bedürfnisse oft hinten anstellen. Man muss sie sozusagen „verschweigen“. Zugleich sei es gerade für die Kinder wichtig, eigene Probleme nicht zu unterdrücken, sondern durch ein Sprechen zu bearbeiten. Die Forschung hat bewiesen, dass unbearbeitete Traumata sogar ins Erbgut übergehen können und sich damit auf Kinder übertragen.
Ausgehend von Erzählungen über diese sogenannten „transgenerationalen Traumata“ setzte Judith Nagel sich auch mit dem Schweigen in der Gesellschaft auseinander, das sie vor allem im Verlust der Dialogfähigkeit beobachtet. Dieses Problem hänge auch mit der Mutter- oder Elternschaft zusammen. Denn der Kern einer Gesellschaft liegt in der Familie.
Derzeit befindet sich Nagels Projekt in der Entwicklungsphase: Sie sammelt Ideen und probiert sie aus. Doch nächstes Jahr soll „Die Ambiguität des Schweigens – Die unterschiedlichen Dimensionen und Wirkungen des Schweigens in Mutterschaft und Tanz“ seine Premiere in Frankfurt oder der Umgebung feiern.