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Sophia Edschmid porträtierte 82 Wissenschaftler

Wunderbare Dinge, fabelhafte Menschen

Forschung ist nicht trocken und Wissenschaftler können jede Menge Humor haben. Das beweisen die Kurzfilme, die Sophia Edschmid für die Schau „Ich sehe wunderbare Dinge“ im Museum Giersch gedreht hat.
Bildschirme, nicht größer als ein DIN A4-Block, hängen über, unter, neben prähistorischen Köpfen, menschlichen Gehirnen, zwischen Comics, künstlichen Kristallen und dem Taufkleid Eva Demskis, zwischen Krebsen, Kinderbüchern und Röntgenaufnahmen. Darauf zu sehen: 82 Forscher, wissenschaftliche Mitarbeiter, Sammlungsleiterinnen, Studierende, die hinter den Mauern der Frankfurter Goethe-Universität arbeiten. „Ich sehe wunderbare Dinge“ heißt die Ausstellung zum 100. Jubiläum der Goethe-Universität im Museum Giersch am Schaumainkai. „Ich zeige fabelhafte Menschen“ könnte der Titel der Forscherporträts sein, die Sophia Edschmid gemeinsam mit Kameramann Philipp Kehm für die Schau produziert hat.

Ein Mann und seine Schätzchen
Da ist zum Beispiel Michael Türkay. Ein Mann, dessen Leidenschaft Krabben und Krebsen gilt. Bereits als Jugendlicher beschäftigte er sich mit Crustaceen, wie sie in der Fachsprache heißen. Türkay nennt sie liebevoll Schätzchen. Für seine Doktorarbeit legte er sich jeden Morgen bäuchlings auf den Boden, um mit seinen Landkrabbenweibchen zu reden – per Klopfzeichen. „Klopfte ein Weibchen zurück, bekam es als Belohnung ein Männchen“, sagt Türkay im Film und lächelt verschmitzt. Damals beobachtete er ihr Paarungsverhalten, heute ist er Leiter der Crustaceen-Sammlung der Universität Frankfurt – mit 45.000 katalogisierten Krebstieren und ebenso vielen, die noch nicht verzeichnet sind, eine der größten überhaupt. Da ist Roland Kaufmann, der Direktor der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, der über die Moulage, die Wachsnachbildung, eines von Milzbrand betroffenen Arms spricht, als sei sie ein Picasso. Ödematöses Gewebe, nässende Stellen, Verfärbungen – „ein Kunstwerk, prächtig“, findet der Dermatologe.

Eine Uni voller Überraschungen
Im Museum Giersch werden Stücke aus 40 Sammlungen gezeigt. Zu jeder Sammlung, so die Idee Charlotte Trümplers, der Kuratorin von „Ich sehe wunderbare Dinge“, sollte für die Jubiläumsschau ein Kurzfilm gedreht werden. Mit ihm sollte einem Studierenden des jeweiligen Fachbereichs die Möglichkeit gegeben werden, eine der Professorinnenen oder einen der Leiter zur Sammlung und ihren Objekten zu befragen. So, dass auch ein Laie versteht, um welches Thema sich die Forschungen drehen. Knapp drei Monate lang besuchte Regisseurin Edschmid, sie hatte bei einem früheren Projekt bereits für Trümpler gearbeitet, zusammen mit ihrem Kameramann Wissenschaftler aller Bereiche. Sie filmten in Bockenheim, auf dem Campus Westend, auf dem Riedberg, in Niederrad, in Kellern, Archiven, Wartezimmern, zwischen Gläsern mit eingelegten Embryonen und Tiefkühltruhen, in denen menschliche Arme lagern. „Die Uni steckt voller Überraschungen“, sagt Sophia Edschmid. „Als Student geht man in leere Seminarräume und danach wieder hinaus, man ist sich der wunderbaren Dinge, die es an der Uni gibt, überhaupt nicht bewusst.“ Während des Drehs sah sie Orte, von deren Existenz sie nicht einmal ahnte.

Ein fast geheimer Tunnel
Allein die Uni Bibliothek. „Jeder Student holt dort seine Bücher ab“, sagt Sophia Edschmid. „Aber hat sich schon mal jemand gefragt, wo die Bücher herkommen?“ Sie, die selbst an der Goethe-Uni Kunstpädagogik studiert hat, weiß es nun: „Zwischen Bockenheimer Warte und Messe verläuft parallel zum Tunnel der U4 ein weiterer Tunnel – man brauchte ihn für die Bauarbeiten an der Strecke.“ In dieser unterirdischen Röhre lagern Bücher, Bücher, Bücher. Ein Regal reiht sich ans andere, so weit wie die Distanz zwischen den beiden U-Bahnstationen. „Die Mitarbeiter fahren mit Rädern hin und her. Und nebenan sitzen Menschen in der U-Bahn und wissen von nichts!“ Ebenfalls in der Uni-Bibliothek traf die Filmemacherin zwei Frauen: „Sie sind die beiden einzigen, die Senckenbergs Handschrift entziffern können – 1.000 Worte pro Seite, mit bloßem Auge kaum zu erkennen, dazu Abkürzungen und Symbole, die sie enträtseln müssen.“ In drei Jahrzehnten hat Senckenberg 53 Tagebücher geschrieben – in Deutsch, Italienisch und Französisch. Die beiden Frauen aus der Uni-Bibliothek transkribieren die Aufzeichnungen Wort für Wort.

Eine Art Müllhalde
Es sind die vermeintlich geheimen Orte der Uni, die Sophia Edschmid schwärmen lassen. Und es sind die Menschen. Bisher, sagt sie, sei sie Forschern mit großer Ehrfurcht begegnet. Bei den Dreharbeiten jedoch merkte die Filmemacherin: Forscher sind keine verstrubbelten, in sich gekehrten Wissenschaftler, die in einem eigenen Universum leben. Es sind Menschen mit Humor, Leidenschaft, mit Geduld und Neugier, mit Gefühlen und Selbstironie. Sophia Edschmids Filme erzählen von dem Physiker, der seine künstlich hergestellten Kristalle auf ihre Brechkraft untersucht und dabei so gespannt ist, als täte er das zum ersten und nicht zum x-ten Mal. Vom Geologen, der strahlt, als er eine Muschel zeigt, die zwei Jahre nach der Entdeckung Amerikas geboren wurde. Vom Professor, der, das weltweit erste Gerät zur Vakuumerzeugung des Nobelpreisträgers Otto Stern in der Hand haltend, die Sammlung physikalischer Messgeräte als „eine Art Müllhalde“ beschreibt. Um wenig später die Wichtigkeit und den Wert dieser und aller anderen Sammlungen der Uni zu betonen: Sie seien zeithistorische Dokumente. „Keiner käme auf die Idee, Gutenbergs Buchdruckmaschine wegzuwerfen.“

„Forschung ist nicht trocken und verstaubt, sie ist praktisch und manchmal auch sehr persönlich“, sagt Sophia Edschmid. Und: „Forscher sind keine allwissenden Genies, die auf alles eine Antwort haben. Sie sind Menschen, die Fragen stellen.“ Auch nach den Dreharbeiten habe sie noch Ehrfurcht vor den Wissenschaftlern, doch ihr Blick ist ein anderer geworden.

Eine Filmemacherin aus Leidenschaft
Sophia Edschmid hat das Filmen nicht an Akademien oder in Kursen gelernt, vielmehr ist sie – der Vater Dokumentarfilmer, der Bruder preisgekrönter Kameramann – mit dem Medium aufgewachsen. Bilder und Kunst sind ihr Metier, Menschen ihre Leidenschaft. „Sie begeistern mich“, sagt sie. Mindestens so sehr, wie die Forscher der Uni Frankfurt ihre Krabben, Moulagen, Muscheln, ihre antiken Statuen oder eingelegten Schädel.

>> Ich sehe wunderbare Dinge
Ausstellung im Museum Giersch, Schaumainkai 83, bis 8. Februar 2015, mehr zur Ausstellung lesen Sie hier.
 
Fotogalerie:
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19. November 2014, 10.12 Uhr
Anja Prechel/ PIA Frankfurt
 
 
 
 
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Text: Florian Aupor / Foto: Über den Holbeinsteg zum Museumsufer © Adobe Stock/Branko Srot
 
 
 
 
 
 
 
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