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Rettung vorm Bankrott

Als der Zoo städtisch wurde

Im Jahr 1915 - der Zoo war bereits ein beliebtes Ausflugsziel - ging den Betreibern das Geld aus. Die Stadt übernahm den Tierpark, der heute einer der führenden unter den wissenschaftlich arbeitenden Zoos ist.
Die Personalkosten. Die Einnahmeeinbußen. Der Erste Weltkrieg. Im Januar 1915 war Frankfurts Neue Zoologische Gesellschaft (NZG) bankrott. Und der Zoo stand kurz vor dem Aus. Die Herren der NZG wussten sich nur einen Rat: Die Stadt bitten, den bis dato privaten Tierpark zu übernehmen. „Der Zoologische Garten kann aus unserem Städtebild weder als Erholungsstätte für die Bevölkerung noch als wissenschaftliche Einrichtung in Wegfall kommen“, steht in der Magistratsvorlage aus demselben Jahr. Im Stadtparlament wurde sie hitzig debattiert. Ja, der 1858 eröffnete Zoo, nach Berlin der zweite Deutschlands, war ein Prestigeobjekt. Ja, er hatte einen Ruf als Bildungseinrichtung und Ort des Vergnügens weit über die Grenzen der Stadt hinaus. Doch seine Finanzierung war mehr als kostspielig.

Zukunftsweisende Entscheidung

Die Entscheidung der Stadtverordneten fiel pro Zoo: Am 15. Juni 1915 genehmigten sie die Magistratsvorlage. Seit 100 Jahren ist der Zoo nun städtisch. Bereits in den Jahren zuvor hatte die Stadt mehr und mehr Aufgaben übernommen, das Gelände – die ehemalige Pfingstweide im Osten der Stadt – war ihr Eigentum, nahezu das gesamte bewegliche Vermögen in ihrer Hand. Für die Besucher, die 1915 zwischen den Gehegen umher spazierten, änderte sich durch die Übernahme der Stadt und die Auflösung der NZG zunächst einmal nichts.

Doch im Rückblick hat sich der Verwaltungsakt als zukunftsweisend erwiesen. „Wir wollen, wie damals schon angelegt, Bildung, Naturschutz und Wissenschaft in den Fokus stellen und den Zoo zwar auch als Stätte der Erholung, nicht aber als Vergnügungspark entwickeln", betont Zoodirektor Manfred Niekisch. „Als von der Stadt getragene Einrichtung haben wir die Möglichkeit dazu.“ Die Aufgaben des Zoos haben sich bis heute kaum verändert. Die Schwerpunkte dafür umso deutlicher, denn vor allem der Naturschutz ist heute wichtiger denn je. Deswegen ernannte der Magistrat der Stadt 2008 ausdrücklich einen Experten mit großer Erfahrung im Naturschutz, nämlich Manfred Niekisch, zum Zoodirektor.

Gesellschaftlicher Mittelpunkt

Freilich kamen die Besucher schon vor 100 Jahren vor allem wegen der Tiere in den Zoo. Doch war er damals auch ein Schauplatz der heute umstrittenen Völkerschauen: 1905 lockte er mit der „Großen Inderschau“, 1925 bauten die „Lappländer“ ihre Zelte zwischen den Gehegen auf, 1930 die „Lippenplattenneger“. Und er war ein Ort des Vergnügens. Die Luftfahrtpionierin Käthchen Paulus startete ihren Heißluftballon vom Zoo aus, es gab Feuerwerke, Konzerte, im Zoogesellschaftshaus ging man ins Theater, feierte Karneval und Bälle. Der Tierpark war Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens im Ostend, den man unter keinen Umständen aufgeben wollte. Schon um die Jahrhundertwende war der Zoo zu klein geworden, 1908 gab es erste Überlegungen, ihn an die Louisa im Stadtwald zu verlegen. „Bei den Bewohnern des Ostends regte sich extremer Widerstand“, erzählt Zoosprecherin Christine Kurrle. „Sie wollten ihren Zoo behalten, und wenn schon nicht die Tiere, dann wenigstens das Zoogesellschaftshaus.“

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs landeten die Pläne für den neuen Zoo am Stadtwald in den Schubladen. Kurt Priemel, der damalige Zoodirektor, hatte andere Sorgen: Kein Futter, kein Material, stattdessen eine Seeblockade gegen Deutschland – wie sollte er da die Tiere versorgen, wo es doch bald kaum noch für die Menschen reichte? „Rüben statt Rosen“, sagt Christine Kurrle und beschreibt damit Priemels Maßnahme, aus jedem Zierbeet des Tierparks ein Nutzbeet zu machen, um Futtermittel anzubauen. Darüber hinaus bekam der Zoo einen neuen Auftrag: Den Frankfurtern eine Lehranstalt in Sachen Selbstversorgung sein. 20.000 Mark stellte das preußische Kriegsministerium zur Verfügung, damit der Zoo eine Kaninchen- und Hühnerzuchtanstalt aufbaute. Hier konnten die Besucher erfahren, wie man Hasen und Hühner hält, und sie außerdem erwerben, um eine Zucht für den Eigenbedarf aufzubauen. In die Kamelanlage zogen während des Krieges Ziegen ein, deren Milch an Kinderheime abgegeben wurde. Der Zoo erteilte Ratschläge in Schädlingsbekämpfung, im Pilze sammeln und im Anbau von Wildgemüse sowie Heil- und Gewürzkräutern.

Unverhoffter Zuwachs

Direktor Priemel war es ein Anliegen, Tiere in ihren natürlichen sozialen Strukturen zu zeigen – Paare lebten als Paare, Rudeltiere in Gruppen. Bis dahin hatten Tierparks häufig eher einer Menagerie geglichen: Möglichst viele Tierarten sollten gezeigt werden. Die Tiere wurden oft einzeln gehalten und regelrecht präsentiert. Als Jagdtrophäe fanden so manche von ihnen ihren Weg nach Frankfurt. Großwildjagd in Afrika war unter den Industriellen oder Bankiers jener Jahre ein beliebter Sport. Doch ging es den wohlhabenden Herren dabei nicht immer ums Töten, sondern vielmehr ums Fangen. „Ihre Beute ließen sie dann verschiffen und schenkten sie dem Zoo“, sagt Christine Kurrle. So bekam mancher Zoodirektor plötzlich ein Tier, für das er gar keinen Platz vorgesehen hatte.

In der Zeit von Kurt Priemel änderte sich die Art des Tierzuwachses nach und nach. Die Tierhaltung gemäß sozialer Strukturen ermöglichte die systematische Zucht. Priemel war es auch, der die erste Zusammenarbeit verschiedener Zoos zum Erhalt einer Art initiierte und das erste Zuchtbuch anlegte – für den Wisent. Anfang der 1920er Jahre war das letzte freilebende Wildrind geschossen worden. Aus 21 Bullen und 19 Kühen, die in menschlicher Obhut gehalten wurden, entstand die erste planmäßige Erhaltungszucht. Die Nachfahren dieser Tiere kann man heute in verschiedenen Zoos, zum Beispiel in München, sehen.

Kamen die Tiere vor 100 Jahren manches Mal als überraschendes Souvenir nach Frankfurt, und brachte sie der spätere Zoodirektor Bernhard Grzimek nach dem Zweiten Weltkrieg ganz bewusst von seinen Safaris mit, ist es heute Ziel eines wissenschaftlich geführten Zoos wie dem Frankfurter, eine stabile Zoopopulation zu schaffen. Experten koordinieren weltumspannende Zuchtprogramme, für viele Arten liegen Zuchtbücher wie das des Wisents vor. „Die Tiere werden nicht gekauft, sondern getauscht“, erklärt Christine Kurrle. Nur ganz selten, zum Beispiel wenn die Koordinatoren eine genetische Verarmung befürchten, werde ein Tier aus seinem natürlichen Lebensraum entnommen.

Natürlicher Lebensraum

Der natürliche Lebensraum. Ein Zootier wird sich nie auf einem Gelände, das weit ist wie eine Steppe oder artenreich wie ein Dschungel, bewegen. Doch haben sich die Haltungsbedingungen in den letzten 100 Jahren extrem verbessert – nicht nur, was die Größe der Gehege angeht. Die Tiere leben – je nach Art – auf Erde, Rinde oder Sand, streifen durch Grün, hangeln sich an Bäumen entlang. „Mit dem aktuellen Wissen kann man es sich leisten, Gehege mit vielen natürlichen Materialien anzulegen“, sagt Christine Kurrle und erklärt, warum zum Beispiel Frankfurts Menschenaffen lange Zeit in gefliesten Anlagen lebten: Die Tiere sollten gesund bleiben, Hygiene und Sauberkeit standen an erster Stelle. „Heute wissen wir, wie wir sie prophylaktisch und schonend behandeln können“, sagt Christine Kurrle. Ein Wissen, das sich Generationen von Zoodirektoren erst erarbeiten mussten.

Für Tiere und Besucher sind die Gehege der neuen Bauart ohne Zweifel ein Gewinn. Für einen innerstädtischen Zoo wie den Frankfurter bedeuten sie aber eine große Herausforderung. „Die artgerechte Haltung für Tiere wie Giraffen, Nashörner und Flusspferde verlangen immer größere Gehege“, erklärt Christine Kurrle. „Wir müssen uns bei allen Planungen die Frage stellen: Was können wir den Tieren auf unserer Fläche bieten?“ Die Antwort kann dann auch mal „nicht genug“ lauten. So war es bei den Elefanten, die es seit 1985 nicht mehr in Frankfurt gibt, was viele Besucher immer noch schmerzt.

Ähnlich war es bei den Eisbären, die in den 1990ern den Zoo verließen. Statt der großen arktischen Bären sind seit der Eröffnung des Ukumari-Lands im Sommer 2013 Brillenbären in Frankfurt zu Hause. Und die fühlen sich in ihrer Anlage so wohl, dass sie bereits ein halbes Jahr nach ihrem Einzug Nachwuchs bekamen. Brillenbären-Zwillinge im Frankfurter Zoo! Für Zoodirektor Manfred Niekisch ist ihre Geburt eines der schönsten Erlebnisse, und „das ist das beste Gütesiegel für die Anlage und die Tierpflege in unserem Zoo, zumal auch die Besucher von der neuen Anlage begeistert sind.“

Lebendiger Organismus

„Die Entwicklung bleibt auch in der Zukunft nicht stehen. Neue Erkenntnisse aus der Forschung, Anforderungen an den Artenschutz, nicht zuletzt die Bedürfnisse der Tiere und die Interessen der Gäste sind immer wieder Motoren der Weiterentwicklung. Der Zoo beherbergt nicht nur lebende Organismen, er ist selbst ein solcher Organismus, der sich ständig verändert. Jetzt aber ist ein Moment zum Innehalten gekommen – und natürlich zum Feiern“, kündigt Oberbürgermeister Peter Feldmann das Festprogramm an, mit dem der Zoo am Sonntag, 21. Juni, sein Jubiläum feiern will. Ein historischer Jahrmarkt, Sonderaktionen der Tierpfleger und eine Zaubershow für Kinder, traditionell die treuesten Zoobesucher, historische Zooführungen, eine kleine Ausstellung zu „100 Jahre Zoo der Stadt“, die Museumsfeuerwehr und ein musikalischer Frühschoppen werden die Rolle des Zoos nicht nur als Tiergarten, sondern als Oase der Natur und zugleich als Ort der Unterhaltung und Erholung unterstreichen.
 
Fotogalerie:
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29. Mai 2015, 09.00 Uhr
Anja Prechel
 
 
 
 
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