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Mousonturm: Keine Kunst ohne Kasse

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Heute Abend wird im Mousonturm das 20-jährige Bestehen des Künstlerhauses gefeiert – im aktuellen Journal Frankfurt finden Sie dazu ein Feature von Esther Boldt, das die bewegte Geschichte dieser Frankfurter Institution einordnet und zusammenfasst. Hier dokumentieren wir nun einen Text aus unserem Vorgängerblatt Auftritt, der vor 20 Jahren zur Eröffnung erschien.

Lange Jahre war die ehemalige Stammfabrik des Parfum- und Seifenherstellers Mouson in der Waldschmidtstraße 4 ständiger Zankapfel in Frankfurt. Erst als kaum noch jemand an die Verwirklichung der Pläne glaubte, aus der Fabrik ein Kulturzentrum zu machen, gab sich die Stadt den entscheidenden Ruck. Was alles passieren wird und welche Reaktionen darauf zu vernehmen sind, untersuchte Norbert Krampf.

Am 29. Dezember 1988 ist es endlich soweit. An diesem Tag wird im Mousonturm erstmals seit elf Jahren wieder Theater gespielt. Doch diesmal nicht als politische Demonstration, sondern als reguläres, in die Zukunt weisendes und subventioniertes Unternehmen.

Damals wie heute steht ein Name im Mittelpunkt des Geschehens: Dieter Buroch. Er war im Oktober '77 die treibende Kraft hinter der Bornheimer Künstlergruppe Omnibus, die mit einer neuntägigen Aktion mit insgesamt zwanzigtausend Zuschauern auf die Möglichkeit der leerstehenenden Fabrik aufmerksam machen wollte. "Die Fabrik, speziell der seit '76 unter Denkmalschutz stehende Turm, sah damals noch relativ gut aus, d.h. wir konnten mit relativ geringen MItteln dort spielen", erinnert scih Dieter Buroch, "die damalige Konzeption der Vereinigung verschiedener Kunstformen von Theater über bildende Kunst bis hin zu Musik und Literatur spiegelt sich auch heute noch im Programm des Mousonturm wider." Nach dem unerwarteten Erfolg und einer großen Presseresonanz verliefen die Ansätze allerdings wieder im Sand, da die Gruppe zersplitterte und der Turm auch wieder aus der allgemeinen Diskussion verschwand. Im Verborgenen wurde trotzdem an der Realisierung der Idee weitergearbeitet, zumal man von Anfang an Rückendeckung des Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann hatte.

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Die Mousonfabrik 1978.

An den politischen Verhandlungen über die Finanzierung, den Käufer des Areals und des Gebäudes und die Art der Gesellschaftsform der potentiellen Betreiber ergaben sich über die Jahre verschiedene Ansätze. Zunächst kaufte die Stadt '79 das gesamte Gelände auf, womit sich ihre Aktivitäten jedoch erst mal erschöpften. "Man hat sich damals sehr bedeckt gegenüber einer 'alternativen' Szene als möglichen Betreiber des Kulturzentrums gehalten. Wir hatten den Vorteil, daß wir durch unser Off-TAT-Produktionen schon zeigen konnten, was wir vorhatten, und nicht nur in der Theorie irgendwelche Pläne schmiedeten", beschreibt Buroch die damals für ihn und seine Gruppe positive Ausgangssituation. "Es gab aber sehr starke Bewegungen in politischen Kreisen gegen die Idee des Kulturzentrums, dadurch wurden die Wege sehr lang."

Schließlich bot sich nach gescheiterten Verhandlungen mit potentiellen Käufern des Turms Ende '86 die Frankfurter Aufbau AG als Käufer an. Sie vermietet den Turm nunmehr an die Kulturgesellschaft, zu der neben dem Künstlerhaus Mousonturm auch das Off-TAT, das TAT und die Kunsthalle Schirn gehören.

Aus der Zugehörigkeit zur Kulturgesellschaft folgt für den Mousonturm eine im subventionierten Bereich größtmögliche Freiheit: "Der Einfluß der Stadt ist nicht so krass wie in einem Museum oder in einem Institut. Dafür haben wir aber auch eine Beamten, sondern nur Angestelltenverträge. Außerdem ist die Stadt über unseren Aufsichtsrat und als Gesellschafter der Kulturgesellschaft schon sehr präsent." Als bisheriger Leiter des Off-TAT, das für alle Produktionen (Summertime, Art-Rock, messebegleitende Events et.) außerhalb des TAT verantwortlich ist, erfüllt Dieter Buroch diese Rolle nun auch im Mousonturm.

Dabei sieht er sich auch Vorwürfen ausgesetzt, er hätte die ursprüngliche Konzeption völlig verändert. Dagegen wehrt er sich: "Was wir heute hier machen ist fast ausschließlich das, was wir damals auch vorgestellt haben. Natürlich haben sich die Zeiten und die Inhalte von Theater verändert, aber die Idee ist geblieben. Auch haben weder Omnibus noch ich jemals - auch als Kollektiv - von einer Selbstverwaltung gesprochen, weil uns damals schon klar war, daß es unmöglich ist, ein solches Haus zu führen, wenn bei jeder Entscheidung erst ein Plenum einberufen werden muß. Ich bin froh über diese, im Off-TAT schon bewährte Organisationsstruktur, da wir auch die Möglichkeit haben, erfolgsorientiert zu arbeiten. Mehreinnahmen können wir für neue Projekte verwenden, auch für Experimente, die extrem aufwendig und sehr teuer sind und vielleicht nciht den erwarteten Erfolg haben werden. Das ist ein ganz wichtiger Punkt bei Kulturarbeit, die sich weiterentwickeln soll."

Der von der Stadt zur Verfügung gestellte Produktionsetat für Off-TAT und Mousonturm beträgt jährlich insgesamt 2,02 Millionen Mark, von denen 630.000 Mark eingespielt werden müssen. Im Vergleich zu den hochsubventionierten Betrieben Oper, Schauspiel und Alte Oper ist das nicht viel; in Relation zu den Beträgen für freie Theater (Theaterhaus: 110.000, Theater in Bornheim pro Produktion 4000, Gallus-Theater ca. 60.000) eine ganze Menge. Durch die geplante Menge an eigenen Produktionen relativieren sich die Zuschüsse wieder. Buroch sieht in diesem Zusammenhang auch "die Gefahr, durch verstärkte Eigenfinanzierung den Eindruck, zu erwecken, daß das Theater im Mousonturm keine Subventionen braucht. So etwa ist fatal, auch wenn wir uns um Sponsoren bemühen, dürfen wir die Stadt nicht aus ihrer Verantwortung entlassen, freies Theater zu subventionieren". Letztlich sollte nach Meinung des Turmleiters die Unabhängigkeit des freien Theaters auch darin bestehen, sich nicht nur auf einen Finanzier zu stützen. Buroch hat aber auch Bedenken vor seinem eigenen Ansatz "Wenn es, wie im Fall Theaterhaus Schützenstraße, in Zukunft im Magistrat heißt, 'wenn die sich selbst finanzieren wollen, streichen wir ihnen die Mittel zusammen', wird jegliche Motivation zur Eigenfinanzierung genommen. So geht's auf keinen Fall".

Wie sieht nun das vielzitierte Konzept des Mousonturms aus? Die Selbstdarstellung des Hauses bemerkt dazu: "Das Künstlerhaus soll ein aktives Zentrum zur Förderung, Entwicklung und Darstellung aktueller künstlerischer Disziplinen sein." Zwei wesentliche Punkte sind darin enthalten. Als erstes die Integration unterschiedlicher Kunstformen unter einem Dach, die sich wie folgt darstellt. Im Erdgeschoß des Hauses liegt als Herzstück der große Saal, der 350 Sitzplätze bietet und durch seine große Bühne, seine technische Einrichtung und seine Flexibilität in der Bestuhlung und der Bühneninstallation Raum für Theater-, Musik- und andere Veranstaltungen bietet. Dieter Auroch bemerkt dazu: "Bislang war es so, daß viele internationale freie Theater, die in ihrer Heimat ungleich größere Möglichkeiten haben, mit ihren Stücken in Frankfurt keine Auftrittsmöglichkeiten hatten, da sie einiges an technischem Aufwand benötigen. Dieser Aufwand konnte von den traditionellen Spielstätten für freie Theater nicht geleistet werden. Wir füllen jetzt eine Lücke aus". So ist das Stück der Belgischen Grupe 'Raffinerie du Plan K', das am Eröffnungsabend gezeigt wird, schon fünf Jahre alt und in ganz Europa bereits erfolgreich aufgeführt worden - nur hier mangels Möglichkeiten nicht. Buroch sieht darin auch die Abgrenzung zu den kleineren freien Theatern, die es in Frankfurt bislang schon gibt: "Wir wären falsch beraten, wenn wir hier Sprechtheater oder Kabarett verstärkt präsentieren würden, denn das ist auch anderswo zu realisieren. Unser Schwergewicht liegt auf visuellem Theater, das nur hier möglich ist". Eine Meinung, die von den kleineren Betrieben wie Gallus Theater, Theater in Bornlieim und Theaterhaus mit Zustimmung aufgenommen wird.

Neben dem großen Saal bietet die Studiobüline mit 90 Plätzen eine weitere Möglichkeit, Theater zu spielen oder auch Lesungen zu veranstalten. Das Angebot an Theatergruppen wird vervollständigt durch zwei Probebühnen, eine Bühnen- und eine Elektrowerkstatt.

Als Nächstes sieht die Planung zelip Ateliers vor, von denen fünf allerdings bis auf weiteres von der Herderschule genutzt werden. Drei der verbliebenen sind inzwischen an Frankfurter Künstler als Stipendium vergeben worden. Kein Auswahlkriterium, aber ein Kozeptpunkt der Ateliers war, nicht nur Geld (Miete) zu bewegen: "Das Haus lebt star von der Zusammenarbeit der verschiedenen Gruppen. Insofern würde ich es mir wünschen, daß sich die Künstler auch dafür interessieren, mal ein Bühnenbild zu gestalten. Es wird aber auf gar keinen Fall so sein, daß wir jemanden arbeitsdienstlich verpflichten wollen. Man kann Künstler, die kreativ tätig sind, nicht in einem solchen bürokratischen Rahmen zwängen. Die künstlerliche Arbeit wird ganz klar vorgehen, die Entscheidung liegt bei den Betroffenen." Seine Initiative wird von Kaspar König, Leiter der Städelschule, durchaus begrüßt: "Ich finde diese interdisziplinäre Möglichkeit sehr interessant und glaube, daß es eine ideale Kombination ergibt, wenn dort Künstler einziehen, die eine solche Arbeit wollen." Neben den Ateliers findet sich auch ein Ausstellungsbereich, der sich bis auf 200 qm erweitern läßt.

Vervollständig wird das Multimedia-Haus durch ein Video-/Fotostudio (wobei dessen Einrichtung dun Größenordnung noch nicht festgelegt ist), ein Tonstudio (das mit dem großen Saal und der Studiobühne verkabelt ist, was nicht nur für den Hessischen Rundfunk interessant sein dürfte), eine kleine Druckerei, mit der "schnell und effektiv Werbung gedruckt werden kann", ein Seniorentreff und ein Café. Und nicht zuletzt das Hessische Literaturbüro, das über den Umzug sehr glücklich ist. Büroleiter Paulus Böhmer rechnet zwar damit, daß die Erwartungen der Öffentlichkeit um einiges steigen werden, da man nun mehr im Mittelpunkt steht. Doch er grenzt vorsorglich ein: "Spektakuläre Lesungen und Aktionen sollen und werden vorkommen, doch wir werden nicht abheben, sondern die größeren Mittel breiter streuen, auch im Hinblick auf den Nachwuchs." Auch Böhmer begrüßt die interdisziplinäre Zusammenarbeit: "Ich kann mir vorstellen, daß freie Gruppen auf Texte der Autoren des Literaturbüros zurückgreifen. Auch eine verstärkte Zusammenarbeit mit Musikgruppe ist denkbar."

Der zweite wesentliche Punkt des Künstlerhaus-Konzeptes ist die Förderung junger Künstler und Ideen. Das kommt im Programm des großen Saals zum tragen, in dem allein im Januar und Februar sechs Eigenproduktionen, darunter frei Premieren stehen. Buroch will "intensiv und kontinuierlich mit Frankfurter Gruppen zusammenarbeiten", schränkt allerdings ein: "Wir wollen eine klare, gerade, konzeptionelle Linie fahren, die von außen nachvollzogen werden kann. Ich kann nur um Verständnis bitten, daß wir nicht alle Frankfurter Gruppen hier spielen lassen können." Intesiver noch als im Theater schlägt sich der Regionalbezug in den Ateliers und in den zwei Musikproberäumen nieder. "Wir wollen Künstlerförderung betreiben, was nicht heißt, billige Ateliers dauerhaft zu vergeben. Wir wenden uns hauptsächlich an die, die ihre Schule gerade beendet haben und den Schritt ins Berufsleben gehen. Wir hoffen, daß die Leute innerhalb von zwei Jahren (so lange stehen die Räume zur Verfügung) eine Linie gefunden haben, mit der sie sich auf dem Markt frei bewegen können", erklärt Dieter Buroch. Diese Vorgabe ist nicht unumstritten. Ingrid Mössinger vom Frankfurter Kunstverein ist der Ansicht, zwei Jahre seien zu kurz. Ihre Kritik geht vorrangig an die Stadt: "Man sollte kein neues Haus einrichten, sondern mit gegebenen Räumen arbeiten, Vermieter subventionieren, damit sie Räume längerfristig zur Verfügung stellen." Als Beispiel führt Frau Mössinger Düsseldorf an, wo 180 Ateliers direkt und indirekt von der Stadt finanziert werden. Im Gegensatz dazu fördere Frankfurter über den Mousonturm eher eine repräsentative Kunst als die gewachsene basisnahe Kunstszene.



Dezente Kritik kommt auch von den seit längerer Zeit etablierten freien Theatergruppen bzw. kleinen Bühnen. Im Prinzip ist man sich zwar einig, daß der Mousonturm eine schöne, wichtige und gute Einrichtung ist. Anlaß zu Berührungsängsten wird nicht gesehen, Heike Bonzelius vom Gallus-Theater meint im Gegenteil: "Wir arbeiten sehr gut mit Dieter Buroch zusammen." Werner Andreas vom Theater in Bornheim streicht die konzeptionelle Abgrenzung des Mousonturms heraus und sieht für sich "keine Konkurrenz, da unser Schwerpunkt auf politischem Theater liegt". Daß Gruppen oder einzelne Künstler eventuell abwandern, stellt für beide kein Problem dar, ist sogar im Sinne der Künstler eher gewollt. Sebastian Rottner (Theater in der Brotfabrik) stellt als Konsequenz aus der neuen Situation fest: "Wir fangen jetzt nicht an zu quengeln, sondern überlegen uns gemeinsam, was zu tun ist." Oben erwähnte dezente Kritik formuliert Gordon Vajen, Geschäftsführer des Theaterhauses: "Ich finde den Ausverkauf der Kunst in den Millionentempeln problematisch. Kunst sollte von ihrem Selbstverständnis her radikal sein und nicht nur Unterhaltungsfunktion haben. Letzteres ist bei Dieter Buroch ganz stark." Dennoch relativiert Vajen: "Als Leiter ist Buroch jedenfalls ein Glücksfall, weil er Verständnis für die Szene hat und etwas für sie tut."

Zwei Gefahren, die vom Mousonturm ausgehen, werden von den kleinen Betrieben gesehen: Zum einen, daß aufgrund der hohen Qualitätsvorgaben der Frankfurter Nachwuchs an den Rand gedrängt werden könnte. Zum andern appelliert Heike Bonzelius an die Stadt, die kleinen Betriebe nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, die teilweise seit Jahren kontinuierlich gutes Programm machen. Werner Andreas ergänzt: "Ich sehe eine finanzielle Konkurrenz, daß sich die Stadt auf Mouson beruft, wenn die alternativen Betriebe mehr Mittel benötigen." Dagegen möchte Dieter Burcoh allerdings mit allen Mitteln vorgehen: "Es wäre für mich eine persönliche Niederlage, wenn mein Erfolg gegen mein eigenes Konzept ginge. Mich bewegt weiterhin die Idee eine anderen Kulturarbeit, und dazu gehören alle andere Kultureinrichtung."

Erschienen im Dezember 1988 im Auftritt. Das Foto oben von J. Baumann zeigt den Saal des Hauses bei einem Auftritt von Adam Green im Jahr 2003.
 
Fotogalerie:
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29. Dezember 2009, 11.07 Uhr
Redaktion
 
 
 
 
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