Unser Literaturredakteur Christoph Schröder reiste nach Köln-Mülheim zur einzigen Deutschlandlesung von Michel Houellebecq aus seinem Roman „Unterwerfung“. Seine Frau war besorgt. Völlig grundlos, wie sich herausstellte.
Christoph Schröder /
„Da fährst Du nicht hin“, sagt meine Frau, „das ist viel zu gefährlich.“ „Wenn ich da nicht hinfahren darf, gehst Du ab morgen nicht mehr zur Arbeit“, antworte ich, „das ist nämlich viel gefährlicher und islamistischer.“ Meine Frau arbeitet in Offenbach. Sie ging zur Arbeit, ich fuhr nach Köln, Köln-Mülheim, um genau zu sein, dorthin, wo im Jahr 2004 die NSU-Bombe hochging und 22 Menschen verletzte, dorthin, wo man die Parallelgesellschaft in Reinkultur betrachten kann; dorthin, wo der Schriftsteller Michel Houellebecq die erste und einzige Deutschlandlesung aus seinem Roman „Unterwerfung“ absolvieren würde.
Wie zu erwarten, erwies sich all der Wind, der im Vorfeld um Houellebecqs Auftritt gemacht wurde (im Foyer des Veranstaltungsortes war es kaum möglich, nicht vor eine Kamera oder ein Mikro gezerrt und gefragt zu werden, wie man sich denn jetzt fühle und was man erwarte), als vollkommen überflüssig: Es war ein umspektakulärer Abend. Der 56-jährige Autor war gut gelaunt und trug sein gewohntes Outfit: Schlabberparka, Schlabberjeanshemd, langes, wirres Haar, viel zu kurze Hose und beige Strümpfe, bei denen man kaum ausmachen konnte, wo sie aufhörten und die Beine anfingen.
Er wolle erst einmal eine Erklärung abgeben, damit er nicht immer dasselbe gefragt werden würde: „Unterwerfung“ sei kein islamophober Roman, aber jeder habe das recht, einen islamophoben Roman zu schreiben, wenn er Lust habe. Die Lesung aus seinem Roman durch den Schauspieler Robert Dölle verfolgte Houellebecq sichtlich amüsiert; dem Publikum erging es nicht anders, schließlich bekam man großartige Sätze zu hören: : „Die Betrachtung von Frauenärschen, dieser kleine, träumerische Trost, war ebenfalls unmöglich geworden.“ Nämlich deshalb, weil die Frauen nach der Islamisierung Frankreichs allesamt in weiten Hosen mit langen Blusen darüber herumlaufen. Im Roman, versteht sich.
Houellebecq blieb im gesamten Gespräch mit FAZ-Redakteur Nils Minkmar auf dem Boden der Literatur, und das heißt: ambivalent. Darin ähnelt er seinem Ich-Erzähler François. Wie er zu dem Vorwurf stehe, sein Buch helfe dem Front National? „Das ist mir ziemlich egal. Aber es hat noch nie jemand seine politische Meinung geändert, weil er ein Buch gelesen hat.“ Nach 90 Minuten ist alles vorbei. Ein schlurfender Abgang, umringt von einigen schwarz gekleideten Frauen. Draußen im Foyer wieder die Kameras und Mikrofone der Kollegen. Der Skandal fand nicht statt.