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"Künstler und Propheten" in der Schirn
Eine geheime Geschichte der Moderne
Mit ihrer neuen Ausstellung "Künstler und Propheten" schlägt die Schirn Kunsthalle neue Wege in der Kunstgeschichte ein und leistet damit eine äußerst faszinierende wissenschaftliche Pionierarbeit.
Es ist eine geheime, fast unbekannte Geschichte der Moderne, die derzeit in der Schirn Kunsthalle erzählt wird. Eine Geschichte von selbst ernannten Propheten, die barfüßig und mit einer Gefolgschaft von Jüngern durch die Lande zogen, um die Gesellschaft zu verändern und den Menschen bei der Lösung ihrer Probleme zu helfen. Neuzeitliche Christusgestalten, die heute überwiegend in Vergessenheit geraten sind, zu Lebzeiten jedoch Legenden waren – und die Kunstwerke schufen, die herausragende Meisterwerke des 20. Jahrhunderts darstellen.
Es ist das erste Mal, dass diese speziellen und faszinierenden Figuren, zu denen als Hauptvertreter Karl Wilhelm Diefenbach, Gusto Gräser, Gustav Nagel, Friedrick Muck-Lamberty und Ludwig Christian Haeusser gehören, nicht nur in einer Ausstellung, sondern überhaupt in der Kunstgeschichte derart ausführlich betrachtet werden. Mehrere Jahre forschte die amerikanische Kunsthistorikern Pamela Kort zu diesem speziellen Thema und machte dabei Facetten der Kunst der Moderne sichtbar, die ebenso verblüffend wie überwältigend sind. Dementsprechend ist auch der über 500 Seiten starke Katalog, den die Kuratorin komplett alleine schrieb, eine „wissenschaftliche Pionierarbeit“, wie es Max Hollein, Direktor der Schirn Kunsthalle, nennt.
In 400 Werken, die teilweise seit Jahrzehnten nicht mehr zu sehen waren, wird das ganze künstlerische Können der Propheten sichtbar. Eingeleitet wird die Ausstellung mit einem Fries von Karl Wilhelm Diefenbach, bekannt als der „Vegetarier-Apostel“ und wohl der erste Künstlerprophet in Deutschland. 22 von den insgesamt 34 Tafeln des Fries „Per aspera ad astra“ sind in der Schirn zu sehen, man muss den Blick heben um das gewaltige Werk, das in seiner Gesamtlänge 68 Meter misst, zu betrachten, denn es hängt ganz oben, am äußersten Rand des verwinkelten Ganges, der in die Schau führt. Nicht nur diese Seherfahrung ist ungewohnt, die gesamte Ausstellungsarchitektur kommt einem eleusinischen Labyrinth voller Mysterien gleich, hinter jeder Ecke verbirgt sich etwas Neues, Unerwartetes.
Diefenbach, Gräser und Nagel lebten als Wanderapostel und Verfechter der freien Liebe am Rande der Gesellschaft, ihr Einfluss auf die Kunst ihrer Zeit und auch auf die nachfolgender Kunstschaffender ist jedoch überdeutlich. So wurde beispielsweise František Kupka durch seinen Kontakt zu Diefenbach und dessen Jüngern zu seinen bahnbrechenden Abstraktionen inspiriert und Egon Schiele wählte aufgrund der Lehren, die er in der Wiener Szene kennenlernte, das Motiv des gemarterten Propheten als eines seiner wichtigsten Themen. Nach 1945 entdeckten Friedensreich Hundertwasser und Joseph Beuys die radikalen Ansichten für sich und übernahmen einige der Ideen.
Man muss diese außergewöhnliche Ausstellung selbst gesehen haben, um das volle Ausmaß dieser geheimen Geschichte der Moderne erfassen zu können. Nicht nur findet man dort eine Fülle an meisterhaften Kunstwerken, man erhält einen Einblick in ein Kapitel der europäischen, insbesondere der deutschen Kunstgeschichte, das durch den Fortschritt der Aufklärungs-Bewegung und die Schrecken des Nationalsozialismus nahezu unbekannt ist, das jedoch unbedingt Aufmerksamkeit verdient hat.
>> "Künstler und Propheten. Eine geheime Geschichte der Moderne 1872-1972", Schirn Kunsthalle, 6. März bis 14. Juni, weitere Informationen gibt es hier.
Eine Besprechung der Ausstellung finden Sie auch in der Ausgabe 7/2015 des JOURNAL FRANKFURT. Das Magazin erscheint am Dienstag, den 10. März.
Es ist das erste Mal, dass diese speziellen und faszinierenden Figuren, zu denen als Hauptvertreter Karl Wilhelm Diefenbach, Gusto Gräser, Gustav Nagel, Friedrick Muck-Lamberty und Ludwig Christian Haeusser gehören, nicht nur in einer Ausstellung, sondern überhaupt in der Kunstgeschichte derart ausführlich betrachtet werden. Mehrere Jahre forschte die amerikanische Kunsthistorikern Pamela Kort zu diesem speziellen Thema und machte dabei Facetten der Kunst der Moderne sichtbar, die ebenso verblüffend wie überwältigend sind. Dementsprechend ist auch der über 500 Seiten starke Katalog, den die Kuratorin komplett alleine schrieb, eine „wissenschaftliche Pionierarbeit“, wie es Max Hollein, Direktor der Schirn Kunsthalle, nennt.
In 400 Werken, die teilweise seit Jahrzehnten nicht mehr zu sehen waren, wird das ganze künstlerische Können der Propheten sichtbar. Eingeleitet wird die Ausstellung mit einem Fries von Karl Wilhelm Diefenbach, bekannt als der „Vegetarier-Apostel“ und wohl der erste Künstlerprophet in Deutschland. 22 von den insgesamt 34 Tafeln des Fries „Per aspera ad astra“ sind in der Schirn zu sehen, man muss den Blick heben um das gewaltige Werk, das in seiner Gesamtlänge 68 Meter misst, zu betrachten, denn es hängt ganz oben, am äußersten Rand des verwinkelten Ganges, der in die Schau führt. Nicht nur diese Seherfahrung ist ungewohnt, die gesamte Ausstellungsarchitektur kommt einem eleusinischen Labyrinth voller Mysterien gleich, hinter jeder Ecke verbirgt sich etwas Neues, Unerwartetes.
Diefenbach, Gräser und Nagel lebten als Wanderapostel und Verfechter der freien Liebe am Rande der Gesellschaft, ihr Einfluss auf die Kunst ihrer Zeit und auch auf die nachfolgender Kunstschaffender ist jedoch überdeutlich. So wurde beispielsweise František Kupka durch seinen Kontakt zu Diefenbach und dessen Jüngern zu seinen bahnbrechenden Abstraktionen inspiriert und Egon Schiele wählte aufgrund der Lehren, die er in der Wiener Szene kennenlernte, das Motiv des gemarterten Propheten als eines seiner wichtigsten Themen. Nach 1945 entdeckten Friedensreich Hundertwasser und Joseph Beuys die radikalen Ansichten für sich und übernahmen einige der Ideen.
Man muss diese außergewöhnliche Ausstellung selbst gesehen haben, um das volle Ausmaß dieser geheimen Geschichte der Moderne erfassen zu können. Nicht nur findet man dort eine Fülle an meisterhaften Kunstwerken, man erhält einen Einblick in ein Kapitel der europäischen, insbesondere der deutschen Kunstgeschichte, das durch den Fortschritt der Aufklärungs-Bewegung und die Schrecken des Nationalsozialismus nahezu unbekannt ist, das jedoch unbedingt Aufmerksamkeit verdient hat.
>> "Künstler und Propheten. Eine geheime Geschichte der Moderne 1872-1972", Schirn Kunsthalle, 6. März bis 14. Juni, weitere Informationen gibt es hier.
Eine Besprechung der Ausstellung finden Sie auch in der Ausgabe 7/2015 des JOURNAL FRANKFURT. Das Magazin erscheint am Dienstag, den 10. März.
Fotogalerie: Künstler und Propheten Schirn Kunsthalle
5. März 2015, 19.00 Uhr
Ronja Merkel
Ronja Merkel
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin. Mehr von Ronja
Merkel >>
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