Darf man Lebewesen als Plastinat für die Ewigkeit konservieren? Die JOURNAL-MItarbeiterin Corinna Hunger hat sich die Körperwelten-Ausstellung im Senckenberg Museum angeschaut und schwankt zwischen Zweifeln und Faszination.
Corinna Hunger /
Schon seit ich von Gunter von Hagens erster Körperwelten Ausstellung hörte, konkurrieren zwei Einstellungen in mir. Auf der einen Seite ist da diese Neugier nach dem Unbekannten. Ist es nicht schon immer so gewesen, dass gerade das Neue und Verbotene das Spannendste war? Gut, verboten sind die Exponate natürlich nicht. Alle Tiere sind eines natürlichen Todes gestorben und mit ausdrücklicher Einwilligung des Besitzers zu diesem Zweck gespendet worden. Aber doch stellt sich mir die ethische Frage: Dürfen wir das überhaupt? Ist es zu verantworten, die Tiere nach ihrem Tod so zu präparieren, dass sie für die Ewigkeit erhalten bleiben?
Bei den menschlichen Körperwelten haben die plastinierten Personen vor ihrem Tod zumindest eine Einverständniserklärung abgegeben, dennoch würde ich mir die Ausstellung von menschen nie anschauen. Vielen Skeptikern stellt sich zwar auch da die Frage, in wie fern der Mensch diese Entscheidung in Eigenregie treffen darf, aber ich sehe da schon noch einen Unterschied gegenüber den tierischen Exponaten. Nach wie vor unentschlossen, was ich von der Ausstellung halten soll und beunruhigt, ob mein Magen den Anblick der Exponate gut überstehen wird, betrete ich, nachdem mein Wissenshunger den Zweikampf mit meinem Verantwortungsbewusstsein gewonnen hat, die Wolfgang-Staubig-Halle des Senckenberg Museums.
Im ersten Raum der Ausstellung angekommen, legt sich die Nervosität langsam und ich bestaune neugierig die Exponate. Zu sehen gibt es einen Pferdekopf, an dem man alle 37 Schädelknochen eines Pferdes begutachten kann, Skelette von Strauß, Kaninchen, Huhn und Frosch. „Ist doch gar nicht so schlimm!“, denke ich mir. Da die Exponate relativ klein sind, könnten sie von Laien wie mir durchaus auch für künstlich angefertigte Ausstellungsstücke gehalten werden. Frohen Mutes wage ich mich in den nächsten Raum in der Annahme, dass sich der erste Eindruck von der Ausstellung als einer sehr interessanten, aber vollkommen harmlosen Safari durch die Welt der Tiere dort fortsetzt. Aber weit gefehlt!
Es erwarten mich Ganzkörperexponate von Jungtieren bis hin zu ausgewachsenen Tieren, die man in dieser Größe sonst nur im Zoo zu sehen bekommt. Als ich ein ungutes Gefühl in meiner Magenregion wahrnehme, orte ich erst mal den nächsten Notausgang, nur so für den Fall natürlich. Nachdem ich mich an den Anblick gewöhnt habe, und sich auch mein Magen wieder besser anfühlt, wage ich mich dann aber doch in kleinen Schritten näher an die Tiere heran. Interessanterweise geht mein erster Blick immer zum Kopf des jeweiligen Tieres. Völlig im Unklaren darüber, was genau ich mir davon verspreche, suche ich immer erst „Blickkontakt“ bevor ich mich dem Rest des Körpers widmen kann. Da besonders in der Kopfregion der Tiere das Fell weitestgehend zu erhalten versucht wurde, zumindest um Augen, Ohren und Schnauze, wirken die Gesichter noch sehr lebendig auf mich. Ein Phänomen, das man sonst nur vom Betrachten von Gemälden kennt, begegnet mir auch beim Anblick der Tiere –ich habe den Eindruck beobachtet zu werden. Ganz so, als ob der Geist des Tieres noch in seinem Körper haust und traurig die Besucher betrachtet. Besonders die traurigen Augen eines dreigeteilten Pferdekopfes erwecken mein Mitleid und auch ein Rentierfötus, das noch mit geschlossenen Äuglein und verklebtem Mund halb in der Gebärmutter liegt, bringt mich erneut zum Nachdenken darüber, ob man mit dieser Ausstellung wirklich das Richtige tut.
Eine tragende Ziege, aus deren offenem Bauch ihre drei ungeborenen Kitze zu erspähen sind, gibt mir den Rest. Während ich abwäge, ob ich durchhalten oder vielleicht doch besser schleunigst durch den Notausgang fliehen soll, fällt mir auf, dass sich viele Familien die Ausstellung ansehen und die Kinder um mich herum die Ungeborenen neugierig und ohne jeden Hintergedanken ansehen. Sind sie einfach nur zu jung, um zu verstehen, was sie sich da eigentlich gerade anschauen oder bin ich die einzige Skeptikerin? Kinder jeden Alters schlendern neugierig durch die Räume und schauen sich an, was sie selbst in ihren Biologiebüchern so noch nie gesehen haben. „Die ist ja kannibal!“, so der 11-jährige Felix erstaunt beim Betrachten eines Schafbock Präparats. Und auch seine große Schwester ist begeistert von der Ausstellung. „Es ist schon beeindruckend, was die Natur so macht. Alle die Vorgänge, die hinter der Fassade der Tiere vorgehen – echt Wahnsinn!“. Aber zu meiner Beruhigung ist auch die Mutter der beiden überrascht, so viele kleine Kinder anzutreffen und versichert mir, dass sie ihre Kinder in dem Alter nicht mitgenommen hätte. Völlig unverständlich ist für mich, dass das Museum die Ausstellung für Kinder ab 6 Jahren empfiehlt.
Durch die Euphorie der beiden Kinder angesteckt, setze ich meine Erkundungstour fort. Ich muss gestehen, es ist schon beeindruckend einen Elefanten mal von Innen zu sehen. Übrigens das erste und einzige Elefantenplastinat weltweit. Auch war mir nicht bewusst, dass eine Giraffe genauso viele Halswirbel hat wie der Mensch, oder dass die Zunge einer Giraffe bis zu 50 Zentimetern aus ihrem Maul herausragen kann und ihr somit als „Hand“ dient. Und auch einen Bären mal aus nächster Nähe zu begutachten hat seinen Reiz, wenn es mir auch seltsam erscheint, ein von uns Menschen als majestätisch und kraftvoll betiteltes Tier auf diese Weise zu sehen. Einen Raum weiter höre ich die 9-jährige Elena ihre Mutter fragen: „Der ist wohl wütend gestorben, oder Mama?“, als die beiden sich gemeinsam einen Bullen anschauen. Zugegeben, der Blick in seinen Augen und die Angriffshaltung wirken auch auf mich etwas einschüchternd. Den größten Schock erlebe ich aber kurz vor Ende der Ausstellung. Mir hat vorher niemand erzählt, dass auch ein menschliches Plastinat Teil der Ausstellung ist. Gegenüber unserem Artgenossen, dem Gorilla, steht ein als „Schwätzer“ titulierter Mensch mit einem Handy am Ohr. Der Anblick schockt mich, aber als noch schockierender empfinde ich meine Reaktion darauf. War ich mir nicht sicher, dass ich mir die menschlichen Körperwelten nie im Leben anschauen könnte? Hat sich mir nicht schon bei dem Gedanken daran der Magen umgedreht? Und jetzt stehe ich hier, begutachte das Exponat von allen Seiten und der Notausgang, den ich die ganze Zeit im Augenwinkel fokussiert hatte, rückt in immer weitere Ferne. Zwar meldet sich auch hier mein Magen und ich hüte mich davor zu lange vor meinem Artgenossen stehen zu bleiben, aber fasziniert bin ich schon.
Nachdem ich mich von meiner Safari der etwas anderen Art erholt und die Eindrücke verdaut habe, muss ich rückblickend (leider?) sagen, dass ich mich den positiven Reaktionen der anderen Besucher weitestgehend anschließen kann. Es stimmt, dass es eine imposante Ausstellung ist und Alina hat bestimmt Recht, wenn sie sagt, dass ihr der Besuch im Museum viel besser gefallen hat und er viel lehrreicher war als der langweilige Biounterricht in der Schule. Aber ein kleines bisschen schlechtes Gewissen, dass es mir so gut gefallen hat, habe ich trotzdem...