Im Papiergewitter (III)

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Pflasterstrand /

Pflasterstrand Nummer 1391982 erhielt der Schriftsteller Ernst Jünger in der Frankfurter Paulskirche den Goethepreis der Stadt. Darum entsponn sich damals eine heiße Diskussion, ob denn dieser Kriegsautor ("Stahlgewitter") diesen Auszeichnung verdient habe. Der Pflasterstrand druckte damals einen "empörten Rundumschlag" der Grünen ab. Im darauffolgenden Heft nahm neben Emil Nichtsnutz und C. Sciolti auch Joschka Fischer Stellung zu solcherart Kritik. Hier der letzte Teil des Aufsatzes

(...)Kulturell und geistig leidet unser Konservatismus immer noch an einem durch Hitler gebrochenen Rückgrat. „Konservativ sein, heißt an der Spitze des Fortschritts stehen!“ Diese Formel des großen Bajuwaren erhellt das ganze geistige Elend unserer Konservativen. In Wirklichkeit sind sie alle brave Sozialdemokraten geworden. Sebastian Haffner behauptete einmal zu Recht, innenpolitisch herrsche in der Bundesrepublik ein breiter sozialdemokratischer Konsens, den niemand ernsthaft aufzukündigen gedenke. Freilich, den alten militanten Nationalkonservatismus bis hin zum Nazismus gibt es weiterhin, aber er führt eine eigentümlich zwielichtige Existenz. Er artikuliert sich in irgendwelchen Biertempeln der bayerischen Provinz, in Parteiversammlungen in abgelegenen Vororten der großen Städte (Alfred Dregger in Harheim), in dubiosen Preisverleihungen noch dubioserer rechter Stiftungen, kurz, er ist zur Subkultur verkümmert. Der Deutschnationale im Christdemokraten traut sich eben nur sehr bedingt in die breitere Öffentlichkeit. So muß es keineswegs bleiben, gewiß, aber einige Nobelbauten und ein Ernst Jünger als Goethepreisträger machen noch keine konservative Tendenzwende, sie demonstrieren eher deren Schwächlichkeit.

Der neudeutsche Konservatismus hatte nach dem verlorenen Weltkrieg und dem Zusammenbruch des Nazireiches mehr als nur politische und ökonomische Gründe, sich unwiderruflich an die Moderne auszuliefern – es galt vor allem zu vergessen. Vergessen sollte man die eigene Schande und Schandtaten, vergessen den Verlust von Tradition und Weltgeltung, vergessen machen wollte man vor allem Europa und die Welt, was deutsches Wesen ihnen angetan hatte. In den fünfziger Jahren verfügte die deutsche Rechte noch über einen breiten Fundus an Literaten und Intellektuellen. Nachgewachsen ist da aber so gut wie nichts, und die Gesetze der Biologie erklären die gegenwärtige Auszehrung.

Wenn man schon von konservativer Tendenzwende in der Kultur spricht – und man kann in der Tat davon sprechen –, so mache ich deren Protagonisten an anderer Stelle aus denn in den Reihen der vergangener Herrlichkeit nachjagenden Christdemokraten. Man findet sie eher unter den Grünen, den Alternativen und altgewordenen Neulinken. Nicht von ungefähr sieht man jenseits des Rheins in der Friedens- und Ökologiebewegung den alten deutschen Irrationalismus wieder entstehen, mischt sich Linkes mit Jungdeutschem, Wandervogel mit erdiger Zivilisationskritik, Romantik mit wabernder Mystik. Sicher, in Frankreich pflegt man die stilisierte Übertreibung und was Deutschland anbetrifft, legt man gerne noch etwas zu, da sich meist handfeste politische Eigeninteressen daruntermischen, aber ganz von der Hand zu weisen ist diese Einschätzung keineswegs.

Bedenke ich meine eigene linksradikale Biographie, so kreuzte Jünger mehrmals meinen Weg. Sowohl Ernst Jünger als auch Carl Schmitt galten bereits während der Studentenrevolte im SDS als eine Art intellektueller Geheimtip, umgeben von der Aura des intellektuell Obszönen. Denn es waren Faschisten, zweifellos, und dennoch las man sie mit großem Interesse. Je militanter sich die Revolte gestaltete, je mehr der „Kämpfer“, der „Fighter“ in den Vordergrund trat, desto sinnfälliger wurden die Parallelen. Später, als längst die „Subjektivität“, die „Politik der ersten Person“ angesagt war, da las man wiederum Ernst Jünger, diesmal den Drogen-Jünger. Und noch später, als der Klassenkampf endgültig Don Juan oder fernöstlicher Erleuchtung gewichen war, da starrte das neulinke Dritte Auge auf den kosmischen Jünger, von Jüngers Affinität zur vorindustriellen Welt und seiner Zivilisationskritik ganz zu schweigen.

Der Herr Major hat also eine Entwicklung begleitet und wohl auch dann und wann beeinflußt – rückblickend würde ich allerdings sagen: keineswegs segensreich –, deren vorläufiges Ergebnis ihm nunmehr donnernde Anklage aufs Altenteil nachschleudert, und dies in einem Stil, der ihm, bei anhaltender Gedächtniskraft, wohlvertraut sein müßte. Er ist in seiner Intoleranz einfach urdeutsch. Freilich, freilich, unsere Grünen Abgeordneten sind Politiker und da wird einiges von ihnen verlangt. Filigranes Feuilleton ist im Römer nicht gefragt, man muß da mit grobem Werkzeug arbeiten. Und so drosch man eben auf den alten Sack Ernst Jünger, zumal er sich seine frische braune Farbe so vorzüglich erhalten hat, und meinte doch vor allem den stockfleckigen Esel CDU und deren pausbäckigen Sancho Pansa im Frack.

So weit, so gut und auch recht vergnüglich. Im Rathaus schlägt man gewaltig mit den Flügeln und ehrt am Ende gar einen Widerstandskämpfer ... Dennoch sollte eine Alternative zur herrschenden deutschen Kulturpolitik nicht unbedingt in deren Radikalisierung von links bestehen. Skandale lassen sich auch auf andere Weise bewerkstelligen, ohne daß man an dem Ast sägt, auf dem man, Gott sei Dank, sitzt. Den Herrschenden auf die Pfoten zu hauen, sobald sie sich an der Freiheit der Kunst vergreifen, muß alleiniges Ziel einer alternativen Kulturpolitik sein. Und bringt es ein Herrschender zum Künstler, so hat für ihn dieselbe Freiheit – auch Freiheit der Ehrung! – zu gelten, selbst wenn es bisweilen wehtun mag. Beeindruckendes Beispiel und Maßstab bleiben für mich dabei die jüdischen Mitglieder einer amerikanischen Bürgerrechtsorganisation, die sich für die Bürgerrechte von Nazis in den USA eingesetzt haben (auch wenn dies, jedes Prinzip hat seinen Ausnahmezustand, in Deutschland 1933 wohl an eine Verbrechen gegrenzt hätte). In diesem Sinne möge sich der Major den Goethepreis als letzte Auszeichnung an seinen bereits stark behangenen Uniformrock heften. Es wird wohl eine seiner letzten sein. Wir dagegen schreiten Ende September geschlossen an die Wahlurnen und wählen – ja was wohl? – natürlich grün.

Text: Joschka Fischer; erschienen im Pflasterstrand Nummer 139 vom April 1982, S. 13 bis 15.


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