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"I Am Here To Learn" im Frankfurter Kunstverein
Die Ich-Gefühle von Maschinen
In der Schau "I Am Here To Learn" zeigt der Kunstverein ab Mittwochabend künstlerische Positionen zum weiten Feld künstlicher Intelligenzen. Ein Gespräch mit den Kuratoren Franziska Nori und Mattis Kuhn.
JOURNAL FRANKFURT: Wie kam es zu der neuen Ausstellung im Kunstverein?
FRANZISKA NORI: Nach dem Erfolg der Ausstellung „Perception is Reality“, die sich der Frage nach der Wahrnehmung und deren Täuschung durch Bildwelten der Virtual Reality widmete, werden wir nun die maschinelle Perspektive hinterfragen. Hat ein intelligentes System ein Bewusstsein oder ein Ich-Gefühl? Bildet eine Maschine ein eigenständiges Bild von Welt aus? Wie viel Autonomie wollen wir ihr jetzt und in Zukunft zugestehen? Wir haben Mattis Kuhn als Nachwuchskurator eingeladen. Er hat sich schon seit seinem Studium mit dem Thema auseinandergesetzt. So ist die Ausstellung „I am here to learn: Zur maschinellen Interpretation der Welt“ in der Diskussion über dieses Themenfeld zwischen Mattis und mir entstanden.
MATTIS KUHN: Während meines Studiums der Medienkunst habe ich damit begonnen, eigene Arbeiten zu programmieren und über das Programmieren als solches künstlerisch zu arbeiten. Im Verlauf ging es zunehmend darum, die Programmierung selbst zum Thema zu machen und künstlerisch zu reflektieren. Technische Entwicklungen haben großen Einfluss auf unsere Lebenswelt und müssen außerhalb ihrer Entwicklungsumgebung diskutiert werden. Als Künstler habe ich die Frage immer unter dem Aspekt beleuchtet, welchen Beitrag die Kunst zu dieser Diskussion beisteuern kann.
Künstliche Intelligenz (KI) ist ein Phänomen, das in unserer alltäglichen Lebenswelt zunehmend an Bedeutung gewinnt. Wie sieht das konkret aus?
FN: In der Science-Fiction ist das Thema KI schon lange verhandelt worden und zwar mit einer ganzen Bandbreite an Szenarien. Spannend ist, inwiefern heute bereits Maschinen tatsächlich intelligent handeln oder einfach nur große Datenvolumen verarbeiten. Algorithmen werden zunehmend eingesetzt, um Entscheidungen zu treffen, die Auswirkung auf Individuen haben, so zum Beispiel im Scoring seitens Versicherungen und Banken. Oder auch bei der Steuerung von Infrastruktur. Als Zivilgesellschaft sollten wir versuchen zu verstehen, was diese Technologie leisten kann ohne voreingenommen zu sein. Wir sollten allerdings wissen, was es eigentlich bedeutet, die Entscheidungshoheit nicht mehr dem Menschen sondern Maschinen zu übereignen.
Welche Ansätze verfolgt die Informatik bei der Programmierung Artifizieller Intelligenzen? Und wie gehen die Künstler damit um, die Sie für die Ausstellung eingeladen haben?
FN: Es gibt bezüglich KI zwei Vorgehensweisen. Eine Methode sieht vor, Maschinen durch explizites Programmieren ein umfassendes Wissen zu übertragen, aus dem das System dann bestimmte Informationsmuster wiedererkennt. Die zweite, für uns in Zukunft problematischere Methode, basiert auf neuronalen Netzen und schafft Systeme, die ihren Algorithmus eigenständig verändern, dessen Parameter und Entscheidungskriterien somit für uns von außen nicht mehr nachvollziehbar sind. Es entsteht eine Art Blackbox – man weiß nicht mehr, nach welchen Kriterien das System Entscheidungen trifft. Das erste System ist nur eine Erweiterung der menschlichen Möglichkeiten durch computerisierte Speicherleistung. Das andere System hingegen entwickelt eine autonome Entscheidungskraft. Die Frage für die Zukunft ist, wie sich das auswirken wird.
MK: Vor allem stellt sich die Frage, wer für Entscheidungen verantwortlich ist. Wenn in der ersten Variante Wissen und Verhalten vorprogrammiert ist, wird bereits vorher entschieden, was in welchen Situationen getan wird. Das kennen wir zum Beispiel von Autopiloten bei Flugzeugen. Da wird versucht, für alle möglichen Eventualitäten entsprechende Verhaltensweisen des Algorithmus festzulegen. Man weiß also, was in bestimmten Situationen passiert und kann später nachverfolgen, wie eine Entscheidung zustande kam. Bei lernfähigen Systemen hingegen ist im Nachhinein nur schwer oder gar nicht nachvollziehbar, wie eine Entscheidung zustande kommt. Die Künstler, die wir eingeladen haben, beschäftigen sich alle mit den Möglichkeiten und Grenzen der maschinellen Wahrnehmung und der darauf basierenden Interpretation der Daten; so zum Beispiel Jake Elwes, der die Trainingssets für die Erkennung pornografischen Materials im Netz nutzt, um daraus synthetische Pornografie zu generieren. Trevor Paglen, der bereits 2015 mit dem Frankfurter Kunstverein eine große Ausstellung entwickelte, zeigt seine neuesten Arbeiten, die sich mit KI und „Deep Learning“, also maschinellem Lernen beschäftigen.
Was erwartet den Besucher bei einem scheinbar so technologielastigen Thema?
MK: Es geht uns darum, komplexe Zusammenhänge, die aber entscheidend für unsere zukünftige Gesellschaft sein werden, öffentlich zu verhandeln. Die Kunst kann dies mit völlig freien, ergebnisoffenen Methoden tun. Die Künstler in der Ausstellung bieten ganz unterschiedliche Raumerlebnisse, die unser Wissen und unsere persönliche Perspektive auf KI bilden.
Warum wird die Ausstellung zur KI ausgerechnet im Frankfurter Kunstverein gezeigt?
FN: Für mich ist es zentral, den Frankfurter Kunstverein als institutionelle Plattform für gesellschaftlich relevante und innovative Themen zu stärken. Dies durch den Blick junger Künstlerinnen und Künstler und Kuratorinnen und Kuratoren zu tun, die disziplinübergreifenden arbeiten, gibt völlig neue Perspektiven.
Wie erklärt sich der Titel der Ausstellung?
MK: Der Titel bezieht sich auf die Arbeit von Jemima Wyman und Zach Blas. „im here to learn so :))))))“ ist eine 4-Kanal-Videoinstallation, in der die Geschichte des Chatbots Tay, einem lernenden System von Microsoft, das 2016 Aufsehen erregte, thematisiert wird. Die Entwickler von Tay versuchten, eine künstliche Intelligenz zu schaffen, die das Kommunikationsniveau einer typischen 19-jährigen amerikanischen Frau erreicht. Dafür wurde das lernende System durch unzählige Online-Chats mit Usern trainiert. In den Konversationen mit den menschlichen Chatpartnern lernte das System allerdings schnell menschenfeindliche, homophobe, rassistische und neo-faschistische Äußerungen, die es wiedergab. Der Chatbot wurde von Microsoft innerhalb weniger Stunden wieder abgestellt.
Inwieweit beschäftigt sich die Ausstellung auch mit ethischen Fragestellungen?
FN: Im Zusammenhang mit intelligenten Maschinen steht immer auch die Frage nach den Kriterien der Entscheidungsmuster und deren Auswirkungen im Raum. Wir präsentieren eine Ausstellung, die weder eine tendenziöse Meinung vertritt noch den Zeigefinger erhebt, sondern wir versuchen anhand der künstlerischen Ansätze, Wissen darüber zu vermitteln und hoffen, dass danach vielleicht mehr Bewusstsein für diese Problematik entsteht.
Was nimmt der Besucher aus der Ausstellung mit?
MK: Die 15 Künstler aus zehn Ländern widmen sich unterschiedlichen Aspekten und Schwerpunkten. Es geht um Methoden maschinellen Lernens, um die Übertragung menschlicher Fähigkeiten auf Computer bis hin zur Überwachungsproblematik. Ich glaube, die Besucherinnen und Besucher werden in der Ausstellung neues Wissen und Erkenntnisse zu KI gewinnen. Auch das sinnliche und ästhetische Erlebnis von Kunst steht im Fokus: Wahrnehmung und Interpretation sind zwei zentrale Bestandteile der Kunst, die nun auf algorithmische Prozesse übertragen werden. Wir denken, dass es sich lohnt, diese Entwicklungen mit den Mitteln der Kunst zu verhandeln.
Interview: Anett Göthe
>> I am here to learn: Zur maschinellen Interpretation der Welt
Ffm: Ausstellung, Frankfurter Kunstverein am Römerberg, 15.2–8.4., Di–So 11–19, Do 11–21 Uhr, Eintritt: 8,-, Vernissage: 14.2.2017, 19 Uhr
FRANZISKA NORI: Nach dem Erfolg der Ausstellung „Perception is Reality“, die sich der Frage nach der Wahrnehmung und deren Täuschung durch Bildwelten der Virtual Reality widmete, werden wir nun die maschinelle Perspektive hinterfragen. Hat ein intelligentes System ein Bewusstsein oder ein Ich-Gefühl? Bildet eine Maschine ein eigenständiges Bild von Welt aus? Wie viel Autonomie wollen wir ihr jetzt und in Zukunft zugestehen? Wir haben Mattis Kuhn als Nachwuchskurator eingeladen. Er hat sich schon seit seinem Studium mit dem Thema auseinandergesetzt. So ist die Ausstellung „I am here to learn: Zur maschinellen Interpretation der Welt“ in der Diskussion über dieses Themenfeld zwischen Mattis und mir entstanden.
MATTIS KUHN: Während meines Studiums der Medienkunst habe ich damit begonnen, eigene Arbeiten zu programmieren und über das Programmieren als solches künstlerisch zu arbeiten. Im Verlauf ging es zunehmend darum, die Programmierung selbst zum Thema zu machen und künstlerisch zu reflektieren. Technische Entwicklungen haben großen Einfluss auf unsere Lebenswelt und müssen außerhalb ihrer Entwicklungsumgebung diskutiert werden. Als Künstler habe ich die Frage immer unter dem Aspekt beleuchtet, welchen Beitrag die Kunst zu dieser Diskussion beisteuern kann.
Künstliche Intelligenz (KI) ist ein Phänomen, das in unserer alltäglichen Lebenswelt zunehmend an Bedeutung gewinnt. Wie sieht das konkret aus?
FN: In der Science-Fiction ist das Thema KI schon lange verhandelt worden und zwar mit einer ganzen Bandbreite an Szenarien. Spannend ist, inwiefern heute bereits Maschinen tatsächlich intelligent handeln oder einfach nur große Datenvolumen verarbeiten. Algorithmen werden zunehmend eingesetzt, um Entscheidungen zu treffen, die Auswirkung auf Individuen haben, so zum Beispiel im Scoring seitens Versicherungen und Banken. Oder auch bei der Steuerung von Infrastruktur. Als Zivilgesellschaft sollten wir versuchen zu verstehen, was diese Technologie leisten kann ohne voreingenommen zu sein. Wir sollten allerdings wissen, was es eigentlich bedeutet, die Entscheidungshoheit nicht mehr dem Menschen sondern Maschinen zu übereignen.
Welche Ansätze verfolgt die Informatik bei der Programmierung Artifizieller Intelligenzen? Und wie gehen die Künstler damit um, die Sie für die Ausstellung eingeladen haben?
FN: Es gibt bezüglich KI zwei Vorgehensweisen. Eine Methode sieht vor, Maschinen durch explizites Programmieren ein umfassendes Wissen zu übertragen, aus dem das System dann bestimmte Informationsmuster wiedererkennt. Die zweite, für uns in Zukunft problematischere Methode, basiert auf neuronalen Netzen und schafft Systeme, die ihren Algorithmus eigenständig verändern, dessen Parameter und Entscheidungskriterien somit für uns von außen nicht mehr nachvollziehbar sind. Es entsteht eine Art Blackbox – man weiß nicht mehr, nach welchen Kriterien das System Entscheidungen trifft. Das erste System ist nur eine Erweiterung der menschlichen Möglichkeiten durch computerisierte Speicherleistung. Das andere System hingegen entwickelt eine autonome Entscheidungskraft. Die Frage für die Zukunft ist, wie sich das auswirken wird.
MK: Vor allem stellt sich die Frage, wer für Entscheidungen verantwortlich ist. Wenn in der ersten Variante Wissen und Verhalten vorprogrammiert ist, wird bereits vorher entschieden, was in welchen Situationen getan wird. Das kennen wir zum Beispiel von Autopiloten bei Flugzeugen. Da wird versucht, für alle möglichen Eventualitäten entsprechende Verhaltensweisen des Algorithmus festzulegen. Man weiß also, was in bestimmten Situationen passiert und kann später nachverfolgen, wie eine Entscheidung zustande kam. Bei lernfähigen Systemen hingegen ist im Nachhinein nur schwer oder gar nicht nachvollziehbar, wie eine Entscheidung zustande kommt. Die Künstler, die wir eingeladen haben, beschäftigen sich alle mit den Möglichkeiten und Grenzen der maschinellen Wahrnehmung und der darauf basierenden Interpretation der Daten; so zum Beispiel Jake Elwes, der die Trainingssets für die Erkennung pornografischen Materials im Netz nutzt, um daraus synthetische Pornografie zu generieren. Trevor Paglen, der bereits 2015 mit dem Frankfurter Kunstverein eine große Ausstellung entwickelte, zeigt seine neuesten Arbeiten, die sich mit KI und „Deep Learning“, also maschinellem Lernen beschäftigen.
Was erwartet den Besucher bei einem scheinbar so technologielastigen Thema?
MK: Es geht uns darum, komplexe Zusammenhänge, die aber entscheidend für unsere zukünftige Gesellschaft sein werden, öffentlich zu verhandeln. Die Kunst kann dies mit völlig freien, ergebnisoffenen Methoden tun. Die Künstler in der Ausstellung bieten ganz unterschiedliche Raumerlebnisse, die unser Wissen und unsere persönliche Perspektive auf KI bilden.
Warum wird die Ausstellung zur KI ausgerechnet im Frankfurter Kunstverein gezeigt?
FN: Für mich ist es zentral, den Frankfurter Kunstverein als institutionelle Plattform für gesellschaftlich relevante und innovative Themen zu stärken. Dies durch den Blick junger Künstlerinnen und Künstler und Kuratorinnen und Kuratoren zu tun, die disziplinübergreifenden arbeiten, gibt völlig neue Perspektiven.
Wie erklärt sich der Titel der Ausstellung?
MK: Der Titel bezieht sich auf die Arbeit von Jemima Wyman und Zach Blas. „im here to learn so :))))))“ ist eine 4-Kanal-Videoinstallation, in der die Geschichte des Chatbots Tay, einem lernenden System von Microsoft, das 2016 Aufsehen erregte, thematisiert wird. Die Entwickler von Tay versuchten, eine künstliche Intelligenz zu schaffen, die das Kommunikationsniveau einer typischen 19-jährigen amerikanischen Frau erreicht. Dafür wurde das lernende System durch unzählige Online-Chats mit Usern trainiert. In den Konversationen mit den menschlichen Chatpartnern lernte das System allerdings schnell menschenfeindliche, homophobe, rassistische und neo-faschistische Äußerungen, die es wiedergab. Der Chatbot wurde von Microsoft innerhalb weniger Stunden wieder abgestellt.
Inwieweit beschäftigt sich die Ausstellung auch mit ethischen Fragestellungen?
FN: Im Zusammenhang mit intelligenten Maschinen steht immer auch die Frage nach den Kriterien der Entscheidungsmuster und deren Auswirkungen im Raum. Wir präsentieren eine Ausstellung, die weder eine tendenziöse Meinung vertritt noch den Zeigefinger erhebt, sondern wir versuchen anhand der künstlerischen Ansätze, Wissen darüber zu vermitteln und hoffen, dass danach vielleicht mehr Bewusstsein für diese Problematik entsteht.
Was nimmt der Besucher aus der Ausstellung mit?
MK: Die 15 Künstler aus zehn Ländern widmen sich unterschiedlichen Aspekten und Schwerpunkten. Es geht um Methoden maschinellen Lernens, um die Übertragung menschlicher Fähigkeiten auf Computer bis hin zur Überwachungsproblematik. Ich glaube, die Besucherinnen und Besucher werden in der Ausstellung neues Wissen und Erkenntnisse zu KI gewinnen. Auch das sinnliche und ästhetische Erlebnis von Kunst steht im Fokus: Wahrnehmung und Interpretation sind zwei zentrale Bestandteile der Kunst, die nun auf algorithmische Prozesse übertragen werden. Wir denken, dass es sich lohnt, diese Entwicklungen mit den Mitteln der Kunst zu verhandeln.
Interview: Anett Göthe
>> I am here to learn: Zur maschinellen Interpretation der Welt
Ffm: Ausstellung, Frankfurter Kunstverein am Römerberg, 15.2–8.4., Di–So 11–19, Do 11–21 Uhr, Eintritt: 8,-, Vernissage: 14.2.2017, 19 Uhr
Web: www.fkv.de
14. Februar 2018, 10.47 Uhr
red
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24. Dezember 2024
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