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Gesichter der Stadt
Am richtigen Ort
Franziska Nori leitet seit 2014 den Frankfurter Kunstverein. Sie ruft dazu auf, Fürsorge auch für Mitlebewesen zu tragen und nicht nur den menschlichen Profit als Priorität zu sehen. Ein Gespräch.
Journal Frankfurt: Frau Nori, Sie leiten den Frankfurter Kunstverein. Können Sie kurz beschreiben, welche Schwerpunkte Sie in ihrer Arbeit setzen.
Franziska Nori: Seit sieben Jahren konzentriert sich unser Programm auf sehr aktuelle Kunst. Wir wollen vor allem eine Plattform, eine erste institutionelle Bühne für hier lebende und arbeitende Künstlerinnen und Künstler sein. Ich möchte außerdem Themen mit einem internationalen Anspruch setzen und einen Fokus legen auf Themen an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft, die in unserer Gesellschaft nicht nur jetzt, sondern auch in naher Zukunft eine Rolle spielen werden. Somit beschäftigen wir uns mit Themen, die nicht nur innerhalb des Kunstsystems von Relevanz sind, sondern die Herausforderungen unserer Gesellschaft abbilden.
Sie befinden sich unweit der Schirn und des MMK, viele Galerien finden sich ebenfalls in der Nähe. Welche Rolle spielt der Kunstverein in der Frankfurter Kulturlandschaft?
Ich finde an Frankfurt einmalig, dass wir eine sehr hohe Dichte an kulturellen Akteurinnen und Akteuren, Institutionen, aber auch die freie Szene haben. Das ist eine riesige Qualität und ein Gewinn, dass wir uns gegenseitig potenzieren und uns deshalb bundesweit sichtbar machen. Der Frankfurter Kunstverein ist zusammen mit der Städel Stiftung und der Senckenberg Gesellschaft eine der ältesten von Frankfurter Bürgerinnen und Bürgern gegründete Institution. Er gehört zu den größten Kunstvereinen Deutschlands. Ich fühle mich dem Gedanken verpflichtet, dass man der Gemeinschaft etwas zurückgibt, die so eine Institution erst möglich gemacht hat und bis heute trägt.
Sie haben in Frankfurt studiert und anschließend viele Jahre im Ausland gearbeitet. Was hat Sie wieder hierher geführt?
Anfang der 90er-Jahre bin ich aus Rom zum Studium nach Frankfurt gekommen und wurde freie kuratorische Assistentin von Thomas Messer an der Schirn Kunsthalle. Dann habe ich mehrere Jahre in Barcelona gearbeitet, kam Anfang des Jahres 2000 wieder zurück und habe die Abteilung digitaler Kunst am Museum Angewandte Kunst geleitet. Danach ging ich für sieben Jahre nach Florenz als Direktorin für die zeitgenössische Kunsthalle am Palazzo Strozzi, seit einigen Jahren bin ich wieder hier. Sie sehen, mein Weg ist eher mit einer Pendelbewegung zu vergleichen. Inzwischen gibt mir Frankfurt unter vielen Gesichtspunkten das Gefühl, am richtigen Ort zu sein.
Was bedeutet Frankfurt für Sie?
Ich habe Frankfurt immer als eine Stadt erlebt, in der alle, auch die, die neu dazukommen, willkommen sind, wenn sie sich einbringen. Besonders, wenn man sich öffentlich engagiert, wird dies anerkannt. Was toll ist in Frankfurt, sind auch die vielen wissenschaftlichen Institutionen und eine bundesweit überdurchschnittlich hohe Präsenz von privaten Stiftungen, die Innovation und Kultur fördern.
Sie sind in Rom geboren und aufgewachsen, haben sieben Jahre in Florenz gearbeitet. Worin unterscheiden sich die deutsche und italienische Kulturpolitik voneinander?
Was an Deutschland einmalig ist, ist eine organisierte Struktur von Akademien, Kunstvereinen, Museen und fördernden Einrichtungen, die ineinandergreifen. Das ist in Italien leider nicht so. Gleichzeitig beobachte ich mit Sorge, dass mit der Pandemie in der Politik eine Verschiebung stattgefunden hat, die sukzessive die Bedeutung der Kultur gleichsetzt mit Sport und Freizeit.
Die Corona-Pandemie hat eine stärkere Hinwendung zur Natur zur Folge gehabt. Ist die aktuelle Ausstellung „Die Intelligenz der Pflanzen“ eine Reaktion darauf?
Nein. Sie ist Teil eines Gesamtgefüges in unserem Programm, in dem wir immer wieder thematisieren, wie sich das Verhältnis von Mensch und Natur radikal verändert hat. Neue Erkenntnisse ermöglichen uns, unseren anthropozentrischen Blick auf die Welt zu verändern. Das hat die Folge, dass wir uns und unser Handeln im Umgang mit den Mitlebewesen neu denken müssen. Es gibt kaum mehr Ökosysteme auf dem Planeten, in die wir nicht eingegriffen haben. Wir müssen Fürsorge auch für Mitlebewesen tragen und nicht nur den menschlichen Profit als Priorität sehen.
Was können wir als Individuen tun, um eine solche Fürsorge zu tragen?
Sehr viel. Für mich gibt es zwei Ebenen, sich einer Sache zu nähern. Auf der einen Seite muss man sich Wissen aneignen, über das man Dinge begreifen kann. Dann gibt es eine zweite Ebene, die der Erfahrung und Beobachtung. Beide Aspekte sind wichtig, um eine Beziehung herzustellen, auch zu anderen Lebewesen. Empathie und der Versuch, sich über Ähnlichkeiten und nicht über Differenzen zu verstehen, ist ein interessanter Ansatz, der auch in der aktuellen Ausstellung eine Rolle spielt.
Sie haben ein Stück Ackerland hinter Niederursel renaturiert. Wie kam es dazu?
Vor neun Jahren habe ich gemeinsam mit Mitstreiterinnen und Mitstreitern von NABU und BUND die Fläche aus der konventionellen Agrarbewirtschaftung herausgenommen und einen Renaturierungsprozess begonnen. Der Boden war überdüngt und ohne Bodenlebewesen. Langsam kehrt das Leben wieder in den Boden zurück. Auch die Anzahl der Insekten ist stark gestiegen. In den Bäumen nisten Vögel, und ab und zu ist sogar ein Reh dort zu sehen. Mir war es schon immer ein Anliegen, im Rahmen der eigenen Möglichkeiten Veränderungen zu initiieren, bei denen man sieht, dass das eigene Handeln positive Veränderungen bewirken kann.
________________________________________________________________
Franziska Nori: wurde in Rom geboren und wuchs dort auf. Seit November 2014 leitet sie den Frankfurter Kunstverein, der 1829 gegründet wurde. Hier hat sie Ausstellungen mit Thomas Feuerstein, Trevor Paglen, Regina Jose Galindo und Melanie Bonajo kuratiert. Von 2007 bis 2014 war sie Direktorin des Centro di Cultura Contemporanea Strozzina am Palazzo Strozzi in Florenz. Seit 2011 ist Nori Professorin für Museologie und kuratoriale Praktiken zeitgenössischer Kunst für das Marist College New York in Florenz.
Dieser Text ist zuerst in der Dezember-Ausgabe (12/21) des JOURNAL FRANKFURT erschienen.
Franziska Nori: Seit sieben Jahren konzentriert sich unser Programm auf sehr aktuelle Kunst. Wir wollen vor allem eine Plattform, eine erste institutionelle Bühne für hier lebende und arbeitende Künstlerinnen und Künstler sein. Ich möchte außerdem Themen mit einem internationalen Anspruch setzen und einen Fokus legen auf Themen an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft, die in unserer Gesellschaft nicht nur jetzt, sondern auch in naher Zukunft eine Rolle spielen werden. Somit beschäftigen wir uns mit Themen, die nicht nur innerhalb des Kunstsystems von Relevanz sind, sondern die Herausforderungen unserer Gesellschaft abbilden.
Sie befinden sich unweit der Schirn und des MMK, viele Galerien finden sich ebenfalls in der Nähe. Welche Rolle spielt der Kunstverein in der Frankfurter Kulturlandschaft?
Ich finde an Frankfurt einmalig, dass wir eine sehr hohe Dichte an kulturellen Akteurinnen und Akteuren, Institutionen, aber auch die freie Szene haben. Das ist eine riesige Qualität und ein Gewinn, dass wir uns gegenseitig potenzieren und uns deshalb bundesweit sichtbar machen. Der Frankfurter Kunstverein ist zusammen mit der Städel Stiftung und der Senckenberg Gesellschaft eine der ältesten von Frankfurter Bürgerinnen und Bürgern gegründete Institution. Er gehört zu den größten Kunstvereinen Deutschlands. Ich fühle mich dem Gedanken verpflichtet, dass man der Gemeinschaft etwas zurückgibt, die so eine Institution erst möglich gemacht hat und bis heute trägt.
Sie haben in Frankfurt studiert und anschließend viele Jahre im Ausland gearbeitet. Was hat Sie wieder hierher geführt?
Anfang der 90er-Jahre bin ich aus Rom zum Studium nach Frankfurt gekommen und wurde freie kuratorische Assistentin von Thomas Messer an der Schirn Kunsthalle. Dann habe ich mehrere Jahre in Barcelona gearbeitet, kam Anfang des Jahres 2000 wieder zurück und habe die Abteilung digitaler Kunst am Museum Angewandte Kunst geleitet. Danach ging ich für sieben Jahre nach Florenz als Direktorin für die zeitgenössische Kunsthalle am Palazzo Strozzi, seit einigen Jahren bin ich wieder hier. Sie sehen, mein Weg ist eher mit einer Pendelbewegung zu vergleichen. Inzwischen gibt mir Frankfurt unter vielen Gesichtspunkten das Gefühl, am richtigen Ort zu sein.
Was bedeutet Frankfurt für Sie?
Ich habe Frankfurt immer als eine Stadt erlebt, in der alle, auch die, die neu dazukommen, willkommen sind, wenn sie sich einbringen. Besonders, wenn man sich öffentlich engagiert, wird dies anerkannt. Was toll ist in Frankfurt, sind auch die vielen wissenschaftlichen Institutionen und eine bundesweit überdurchschnittlich hohe Präsenz von privaten Stiftungen, die Innovation und Kultur fördern.
Sie sind in Rom geboren und aufgewachsen, haben sieben Jahre in Florenz gearbeitet. Worin unterscheiden sich die deutsche und italienische Kulturpolitik voneinander?
Was an Deutschland einmalig ist, ist eine organisierte Struktur von Akademien, Kunstvereinen, Museen und fördernden Einrichtungen, die ineinandergreifen. Das ist in Italien leider nicht so. Gleichzeitig beobachte ich mit Sorge, dass mit der Pandemie in der Politik eine Verschiebung stattgefunden hat, die sukzessive die Bedeutung der Kultur gleichsetzt mit Sport und Freizeit.
Die Corona-Pandemie hat eine stärkere Hinwendung zur Natur zur Folge gehabt. Ist die aktuelle Ausstellung „Die Intelligenz der Pflanzen“ eine Reaktion darauf?
Nein. Sie ist Teil eines Gesamtgefüges in unserem Programm, in dem wir immer wieder thematisieren, wie sich das Verhältnis von Mensch und Natur radikal verändert hat. Neue Erkenntnisse ermöglichen uns, unseren anthropozentrischen Blick auf die Welt zu verändern. Das hat die Folge, dass wir uns und unser Handeln im Umgang mit den Mitlebewesen neu denken müssen. Es gibt kaum mehr Ökosysteme auf dem Planeten, in die wir nicht eingegriffen haben. Wir müssen Fürsorge auch für Mitlebewesen tragen und nicht nur den menschlichen Profit als Priorität sehen.
Was können wir als Individuen tun, um eine solche Fürsorge zu tragen?
Sehr viel. Für mich gibt es zwei Ebenen, sich einer Sache zu nähern. Auf der einen Seite muss man sich Wissen aneignen, über das man Dinge begreifen kann. Dann gibt es eine zweite Ebene, die der Erfahrung und Beobachtung. Beide Aspekte sind wichtig, um eine Beziehung herzustellen, auch zu anderen Lebewesen. Empathie und der Versuch, sich über Ähnlichkeiten und nicht über Differenzen zu verstehen, ist ein interessanter Ansatz, der auch in der aktuellen Ausstellung eine Rolle spielt.
Sie haben ein Stück Ackerland hinter Niederursel renaturiert. Wie kam es dazu?
Vor neun Jahren habe ich gemeinsam mit Mitstreiterinnen und Mitstreitern von NABU und BUND die Fläche aus der konventionellen Agrarbewirtschaftung herausgenommen und einen Renaturierungsprozess begonnen. Der Boden war überdüngt und ohne Bodenlebewesen. Langsam kehrt das Leben wieder in den Boden zurück. Auch die Anzahl der Insekten ist stark gestiegen. In den Bäumen nisten Vögel, und ab und zu ist sogar ein Reh dort zu sehen. Mir war es schon immer ein Anliegen, im Rahmen der eigenen Möglichkeiten Veränderungen zu initiieren, bei denen man sieht, dass das eigene Handeln positive Veränderungen bewirken kann.
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Franziska Nori: wurde in Rom geboren und wuchs dort auf. Seit November 2014 leitet sie den Frankfurter Kunstverein, der 1829 gegründet wurde. Hier hat sie Ausstellungen mit Thomas Feuerstein, Trevor Paglen, Regina Jose Galindo und Melanie Bonajo kuratiert. Von 2007 bis 2014 war sie Direktorin des Centro di Cultura Contemporanea Strozzina am Palazzo Strozzi in Florenz. Seit 2011 ist Nori Professorin für Museologie und kuratoriale Praktiken zeitgenössischer Kunst für das Marist College New York in Florenz.
Dieser Text ist zuerst in der Dezember-Ausgabe (12/21) des JOURNAL FRANKFURT erschienen.
20. Dezember 2021, 10.33 Uhr
Jasmin Schülke
Jasmin Schülke
Studium der Publizistik und Kunstgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit Oktober 2021 Chefredakteurin beim Journal Frankfurt. Mehr von Jasmin
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