Früherer Chefredakteur der Frankfurter Rundschau

Werner Holzer ist tot

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Werner Holzer war die Eminenz des Frankfurter, wenn nicht sogar des bundesdeutschen Journalismus. Am Montag verstarb der langjährige Chefredakteur der Frankfurter Rundschau im Alter von 90 Jahren.

Nils Bremer /

In seinem ersten, soeben erschienenen autobiographisch-gefärbten Roman hat der Theaterkritiker Gerhard Stadelmeier beschrieben, wie bei der Staatszeitung genannten FAZ der Menschen gedacht wird, die ihr nicht mehr angehören, nämlich gar nicht. Sie sei eine völlig geschichtslose, mithin geschichtenlose Zeitung. "Insofern gleicht sie sehr der Stadt, in der sie gemacht wird: Sie ist dauernd im Fluss, der diejenigen, die gestern noch da waren, morgen schon ins Unkenntliche mit sich fortgenommen hat. Es gilt nur, wer heute dazugehört. Und wer fehlt, wird gar nicht mehr bemerkt."

Nun ist mir nicht klar, was es für die Rundschau bedeutete, als sie Werner Holzer 1991 als Chefredakteur verließ, nach fast 20 Jahren in dieser Position, Jahren, die aus heutiger Sicht als die Glanzzeit des Blattes gelten dürfen. Zu dem es natürlich erst gemacht werden musste. 1973 trat Werner Holzer die Nachfolge des Zeitungsgründer Karl Gerold an, dessen Name gewiss nicht vergessen ist und noch tagtäglich im Impressum mitgedruckt wird.

Am 21. Oktober 1926 wurde Werner Holzer in Zweibrücken geboren, der Weltkrieg kommt dem Beruf in den Weg. „Wir hatten ja alle nicht Journalismus gelernt, wir waren gerade noch Soldaten gewesen.“ Nach dem Krieg macht er sein Abitur, beginnt zu studieren, hört wieder auf. "Ich hatte keine Lust mehr zu studieren. Das Angebot an Fächern und Professoren war einfach zu dünn in den vierziger Jahren. Ich bekam ein Angebot von einer Zeitung, weil ich einen Wettbewerb mit dem Titel 'Jugend, weißt du den Weg?' gewonnen hatte. Der Preis war die Aufnahme in die Redaktion. Ich war plötzlich Redakteur, wurde aber behandelt wie ein Jungvolontär – zu Recht", erinnerte er sich an den Beginn.

Die ersten Stationen: Der Mannheimer Morgen, die Zeitschrift "Der Ruf", die Süddeutsche Zeitung in München, die Abendzeitung. 1953 stellte ihn die Frankfurter Rundschau als Chef vom Dienst ein. Ein Jahrzehnt später durchmaß er die Welt als Korrespondent, was seine Herzensbildung maßgeblich beeinflusst haben mag. Mit Preisen ausgezeichnet wurde er schließlich Chefredakteur. Und prägte das Blatt. Als er ging war die Welt im Wandel. Der Ostblock zerfiel, das Internet schickte sich an, die Medien aus den Angeln zu heben.

Er blieb auch danach immer Journalist im besten Sinne: Offen, neugierig, mit klarer Haltung und dem selten gewordenen Vermögen, diese auch auszudrücken. Den Weg, den die Frankfurter Rundschau nahm, kann nicht in seinem Sinne gewesen sein. Das Seichte, das Leichte war ihm abhold. Die Veränderungen, denen das Verlagshaus nach seiner Abkehr unterworfen war und wurde, waren enorm. Von über 1600 Mitarbeitern schrumpfte das Haus zum Teil des Societätsverlags mit knapp über hundert Kollegen; Druckereien wurden abgestoßen, die SPD beteiligte sich und verkaufte dann, es wurde gespart und gespart, das Tabloid-Format wurde eingeführt, im doppelten Sinne ja nicht nur die Abmaße, sondern auch die gedanklichen Ausmaße, nämlich boulevardeske, gekrönt also von einer Ausgabe am Tage einer royalen Hochzeit in Großbritannien im Jahre 2011, als kleine royale Machtinsignien im Kopf des Blattes prunkten.

"Was mir sehr am Herzen liegt, ist die Frage der Ethik im Journalismus. Was gehört zu unserer Aufgabe, wo haben wir den normalen Anstand zu wahren? Wo haben wir die Pflicht, dem Leser etwas zu sagen, selbst wenn er es gar nicht gerne hört?" Diese Fragen stellte er in einem Gespräch mit mir vor nunmehr auch schon wieder acht Jahren (hier als PDF nachzulesen). Es war das erste Mal, das ich ihn traf. Er stellte nicht nur Fragen, er sagte seine Meinung, ohne verletzend zu sein. Er hörte zu und wo ist überhaupt die Nachdenklichkeit hin im Journalismus, der immer nur Ausschau nach dem nächsten "Skandal" hält, während er sich noch über den gestern erlegten beugt.

Die Titelseite der heute erschienenen Frankfurter Rundschau ziert die entblößte Brust des Transgender-Models Andreja Pejić. Der Hintergrund, so erfährt der Leser, ist ein kanadisches Gesetz, dass solche Lebenswelten schützen soll. Über dem sich entblätternden Mannequin prangt das Gesicht Holzers noch einmal von der Zeitung. "Weltbürger mit Rückgrat" steht neben seinem Porträtfoto.

Am Montag ist er verstorben, 90 Jahre alt, im Kopf stets jung. Es wäre schön, wir würden ihn und seine Prinzipien nicht vergessen, sie nicht vom Fluss der Zeit ins Unkenntliche fortnehmen lassen.


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