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Euro-Dance-Hits in Country-Gewand - Interview mit Nosie Katzmann

„Ich mag Costa Cordalis ,Anita genauso so sehr wie ,Stairway To Heaven´ von Led Zeppelin“ sagt Nosie Katzmann und schwört auf seine Offenheit im Umgang mit Musik. So wurde Anfang der Neunziger Teil des Eurodance-Booms, hatte 40 internationale Charthits, verkaufter Millionen CDs. Dem ersten Erfolg mit „Der Erdbeermund“ folgten dann „Mr. Vain“, „Right In The Night“, „More And More“, „Be Angeled“ für Culture Beat, das Captain Hollywood Project und Jam & Spoon. Als Katzmann jedoch seine „Greatest Hits“ neu und selber aufnehmen wollte, überraschte er die Szene erstmals vor zwei Jahren, als er die Songs in Country- und Folk-Manier interpretierte. Jetzt ließ er seine „Greatest Hits 2“ folgen und mixte ein wenig Pop und Rock darunter.


JOURNAL FRANKFURT: Du bist gebürtiger Darmstädter, produzierst hier in Mörfelden-Walldorf in dem Studio, in dem die vergessenen Bänder von Falco gefunden wurden, lebst aber inzwischen in Potsdam... Viele Frankfurter Künstler zieht es nach Berlin. Wie kamst Du ausgerechnet nach Potsdam?
Nosie Katzmann: Ich bin durch Zufall nach Potsdam gekommen, hatte einen Produktionsjob in Berlin. Da haben mir keine Hotels gefallen. Mag keine normalen Hotels, die, die mir gefielen, waren alle belegt, also bin ich nach Potsdam ausgewichen. Da hat es mir gefallen und ich bin hängen geblieben. Potsdam ist so schön – es macht einfach Spaß, nach Berlin rein zu fahren, aber wieder zurück fahren zu können. Ich mag Natur um mich herum – Berlin ist zwar sehr grün, aber Potsdam ist einfach noch grüner. Vor fünf Jahren bin ich hingezogen, bin aber ständig
am Pendeln zwischen Potsdam, Darmstadt und Mörfelden-Walldorf.

Die Bands, über die man in Deiner Biografie lesen kann. Waren das alles Darmstädter Phänomene?
Ja, es waren Lokalmatadore in Darmstadt wie The Balloons oder Pill And The Baby Boom. Obwohl: Head over Heels waren deutschlandweit unterwegs. Ich hatte meine erste semiprofessionelle Band 1979.

Du bist dann mit Euro Disco-Hits bekannt geworden. Deine Musikalische Sozialisation war sicher eine andere...
Mein Vater hat sehr viel Johnny Cash gehört, das erste was ich wirklich toll fand. Meine erste Band war mehr inspiriert von Crosby, Still, Nash & Young...

Also war Amerika Deine Orientierung?
Jein – ich war auch sehr angetan von englischen Bands, die Original Fleetwood Mac, und alles was mit Jimmy Page zu tun hatte fand ich ganz, ganz super. Ich war auch großer Fan der ersten Punkbands. Für mich kam die erste Punkband allerdings aus New York: Velvet Underground. Die haben mich sehr inspiriert. Denn ich habe mir Gitarre spielen selber beigebracht und das waren die ersten Songs, die ich selber spielen konnte. Der erste Überheld war dann Brian Wilson von den Beach Boys. Ich habe die Beach Boys für mich entdeckt in ihrer Hippie-, nicht in ihrer „Help Me Rhonda“- und Surf-Phase – nach „Pet Sounds“. Und ich dachte, wow, wie großartig. War natürlich toller Gesang, extrem schwierige Arrangements, der aber federleicht rüber kam. Eigentlich kann man sagen Brian Wilson und Frank Zappa waren auf einer Stufe was Schwierigkeitsgraden angeht. Das hat mich total angemacht. C,S,N&Y war mehr so die einfache Lösung, weil wenn man eine akustische Gitarre hatte ist man immer irgendwie zu Bob Dylan und CSN&Y gekommen zu dieser Zeit. Meine ersten Auftritte habe ich komplett nur Johnny Cash gesungen, weil das immer und überall gut ankam. Ich selber war eher Neil Young-Fan...

Als Darmstädter hast Du ja sicherlich auch in den in der ganzen Regionen bekannten Läden – lange vor der Centralstation – gespielt ...
Klar, ich habe allein über 350 in der Krone gespielt, auch mal 30 Tage am Stück mit den Monatsbands. Zu meiner musikalischen Sozialisation gehörte übrigens auch Robert Palmer. Und Led Zeppelin sowieso. Was mich bei Jimmy Page immer auch beeindruckt hat, war, dass er auf über 400 Hits gespielt hat. Er war ja der best bezahlteste Studiomusiker auf der Insel.

Dann ist das ja recht ausgeglichen zwischen englischen und amerikanischen Einflüsse, wobei bei Deinen „Greatest Hits“ überwiegt ja schon das lässige Westcoast-Feeling?
Das war zwangsläufig, denn als ich mich hingesetzt habe, um meine „Greatest Hits“ aufzunehmen, habe ich mich gefragt was ist am weitesten entfernt von Euro-Dance? Und das erste was mir in den Kopf gekommen ist war eine Pedal Steel Guitar. Was für eine coole Sache – Du machst ein Album mit einer Pedal Steel... Dann habe ich den besten Pedal Steel Gitarristen Deutschlands in Mannheim kennen gelernt, Christian Schimanski, der spielte bei Tom Astor und das war´s dann. Ich wollte live aufnehmen, da war mir dann egal, ob das Country ist oder nicht. Ich wollte dieses Instrument drin haben...

Solche Instrumente haben ja mitunter Signalcharakter, aber was definiert etwas zu einem Stil...? Jeff Buckley zum Beispiel – den sah man als Post Grunge, aber er definierte für mich für Soulmusic neu, Nina Simone neben Nusrat Fateh Ali Khan... Also was heißt da schon Country?
Als ich angefangen habe Musik zu machen war Musik ja ein Ausdrucksmittel und gleichzeitig ganz viel Spaß und Befreiung. Als dann der Erfolg kam, war Musik der Türöffner, mein Leben in Anführungszeichen sinnvoller zu gestalten. Ich war ein armer Musiker gewesen bis dahin, auf einmal konnte ich die Miete regelmäßig bezahlen – das waren ganz neue Aspekte in meinem Leben. Da war dann das Arbeiten für Geld viel, viel wichtiger als alles andere. Als dann der Burn out kam wegen des immensen Erfolgs, hatte ich total die Lust an allem verloren.

Du bist ja quasi in eine Szene reingerutscht – da war schon auch Goldsuchermentalität im Spiel? Ich erinnere mich an unseren Star-DJ Markus Löffel alias Spoon von Jam & Spoon. Als der noch Koch war der legendären Music-Hall in Frankfurt, stand er immer backstage und erzählte jedem. Ich werde Popstar...
Wenn man in diesem Dunstkreis war – ich nenne es jetzt mal die übergeordnete Frankfurter Szene – da war schon so etwas da wie eine ganz eigene Energie. Wenn man in diesem Kreis war, hatte man schon das Gefühl man ist was Besonderes, man wird was Besonderes schaffen. Und alle um mich herum hatten irgendwann mal Erfolg. Das war kaum erklärbar. Da habe ich auch gemerkt: egal was wir machen, egal mit wem wir in Berührung kommen, da passiert was. Und wenn man raus kam aus diesem Zirkel, da war nichts, nur tote Hose. Das war aber wirklich auch nur eine Zeitlang. Und wenn ich heute nach Frankfurt fahre, um jemanden zu besuchen, ist da gar nichts mehr.
Ich habe ja die Musik auf den neuen CDs dann auch so gemacht, weil ich mir gesagt habe, das Wichtigste in meinem Leben war immer die Musik, die hat mein Leben geprägt und verändert und ich habe die Musik verloren durch den Erfolg. Ich wollte sie mir wieder zurückholen, den Spaß fernab von Fragen wie „Verkauft sich das?“, mich wieder so fühlen wie ich mich als junger Künstler gefühlt habe. Du nimmst deine akustische Gitarre, rufst ein paar Kumpels an, hast jetzt endlich das Glück, dass zu deinen Kumpels auch ein paar bekanntere Musiker zählen, kannst endlich die Songs so aufnehmen wie du es immer wolltest... Früher waren die Schlagzeuger untight weil du dir keinen besseren leisten konntest. Und wenn heute gute Musiker mit dir spielen, freust du dich, dass deine Songs gut gespielt werden.

Bei Dir in Deiner Geschichte taucht mehrfach der Name Edo Zanki auf, der erste deutschsprachige Soulsänger schon Dekaden vor Xavier Naidoo...
Edo Zanki war einer der ersten, der auf mich aufmerksam wurde. Und als ich überlegte, wie mache ich meine „Greatest Hits 1“, war einer der ersten, an den ich dachte Edo Zanki, also rief ich ihn an: Edo, ich find Dein Studio so geil – da würde ich gerne mit meinen Leuten sitzen und das Album live einspielen, hast Du nicht Lust mitzumachen? Und Edo hat dann mitproduziert und mitgemischt und es war genau das richtige, das Umfeld bei ihm. Er hat ja auch immer ganz tolle Musiker und er hat dann auch ein paar Leute vorgeschlagen, die kamen dann, dann habe ich meine Jungs noch mitgebracht und dann hat sich das so vermischt... Zankis damalige Band war ja die spätere Grönemeyer Band... Und er hat schon immer sehr gute Musiker gehabt.

Wenn ich mir die beiden „Greatest Hits“ anhörn und man das in einen Kontext stellen will mit was es schon an vergleichbarer deutscher Musik gab, findet man wenig und muss bis in die Siebziger zurück gehen, zu Wolf Maahns Food Band oder zu Michels Percewood’s Onagram... Waterkant als Westcoast – viel Leichtigkeit, anders als bei Lake und Konsorten...
Das kommt sicher durch meine Sozialisierung mit Johnny Cash und Crosby, Stills, Nash & Young... Wenn du dann mit tollen Musikern spielst und dich im Studio auch ein bisschen auskennst, trifft halt Spiellust mit gutem Handwerk zusammen. Denn es so leicht rüberbringen zu können geht halt nur mit gutem Handwerk...

Als Du begonnen hast für die Euro-Dance-Szene zu schreiben, war Dir bewusst, wo Du da reinrutscht und bist Du da ganz unvorbelastet rangegangen, hast Dir gesagt, ich schreibe jetzt Songs wie ich sie immer schreibe und die Umsetzung ist dann etwas, was halt dann passierte.... Gab´s denn auch so was wie Berührungsängste, wird das überhaupt meinem Anspruch als Musiker gerecht?
Es ist einfach passiert. Ich war eine lokale Größe in der Rockmusik und Torsten Fenslau war der angehende Star-DJ und wir haben beide ein Faible für das gleiche Café, das Mini Café am Luisenplatz in Darmstadt gehabt. Wir haben da abgehangen und sind irgendwann ins Gespräch gekommen wegen Musik und irgendwann hat er mich mal gefragt, ob ich ihm nicht mal einen Song texten könnte und ich sagte, ja klar. Und so kam´s dann ganz schnell. Ich selbst bin so: ich mag Costa Cordalis „Anita“ genauso so sehr wie „Stairway To Heaven“ von Led Zeppelin.

Ok...
Ich bin – ich nenn’ das jetzt mal so – kein musikalischer Rassist. Ich hab jetzt kein Faible für nur das oder jenes... Und deswegen war ich für alles offen und gleichzeitig fasziniert mich auch alles, was anders klingt. Das heißt wenn man Country oder Rock auf einer akustischen Gitarre spielt, ist man irgendwann mal an seinem Limit und dann fühlst sich für einem selber alles gleich an. Wenn ich jeden Tag Essen gehe, nach einer gewissen Zeit ist es egal, ob du zum Chinesen, zum Japaner oder sonstwem gehst – du hast das Gefühl es schmeckt alles ähnlich. Bei der Musik war’s damals genauso für mich. Ich dachte ich kenn jeden Akkord, ich weiß was als nächstes kommt. Dann auf einmal kommen da so ein paar junge Typen, schlagen ’ne Tür zu und verkaufen es als Musik so habe ich es damals empfunden. So ein bisschen Bumm-bumm, ein bisschen Stockhausen, ein bisschen Zwölftonmusik, keinen blassen Schimmer von Akkordfolgen usw usf und auf einmal war Musik wieder spannend. Das war für mich der Anreiz – da waren auf einmal Leute, die waren so naiv wie ich es mal war als ich angefangen habe Gitarre zu spielen. Und die haben profitiert davon, dass ich Songs schreiben konnte, und ich habe profitiert davon, dass sie die Songs, die ich ihnen gegeben habe, so frei arrangiert haben wie ich es vorher nie gehört hatte. Also war das eine wunderbare Synergie. Das hat mich angemacht. Ob das nun Dance war oder Underground, das war mir vollkommen egal. Es hatte nur eine bestimmte Art von Energie, die anders war als was ich vorher gemacht habe. Dass ich zuhause schon Demos gemacht hatte, die in die Deep House-, Dance- und Techno- Richtung gegangen waren, war eigentlich purer Zufall. Im Country machst du ja auch nur be-buff-tschack, be-buff-tschack, be-buff-tschack. Wenn du das tschack weg lässt, biste du schon beim Techno: buff- buff- buff- buff- buff. Also war mir klar, nur so kommst du musikalisch weiter wenn du so offen bist wie möglich. Und ich sag mich auch mich weiterzuentwickeln. Wenn ich jetzt nur mal an Led Zeppelin denke, wie stark die sich vom ersten Bluesalbum verändert haben. Und das kommt auch nur wenn du im Kopf frei bist von Zwängen. Wenn mir einer gesagt hat, A-Dur und F-moll geht nicht zusammen, habe ich nur gedacht, Junge, du hast noch nicht mit den Leuten zusammen gearbeitet.

Da ist Dir ja was Gutes widerfahren. Denn wir haben ja in Deutschland noch weit mehr als in anderen europäischen Länden das Problem mit Kategorien wie falsch und richtig und es geht weniger darum, drückt das, was ich da mache gerade das aus was ich fühle und sagen will...
Ich seh’ mich als neugieriger Freigeist und deswegen war das nur eine weitere musikalische Palette.

Du hast ein eigenes Label gegründet – ist das für Dich eine logische Konsequenz aus Deiner vorherigen Arbeit, Deinen Erfahrungen als Musiker und Produzent mit Plattenfirmen?
Ich hab mal ein Interview mit Babyface gelesen, dass er frustriert war, 60 oder 70 Top 10-Hits hatte, und trotzdem noch wie ein kleiner Junge zu den Chefs der Platenfirmen gehen musste, um seine neuesten Songs vorzuspielen und dann angegangen wurde, wir hören den Hit nicht.... Wie viel Millionen Hits muss ich noch schreiben, bis mir einer mal einen Kredit gibt nach dem Motto: Wir glauben Dir, dass das ein Hit wird?! Und dieses Gefühl hat mich mein Leben lang nicht verlassen. Und irgendwann kam ich zu dem Punkt, ich habe gar keine Lust mit meinen Sachen zu irgendeiner Plattenfirma zu gehen und mir anzuhören, Du bist zu alt, das ist nicht kommerziell, das ist zu dies, das ist zu das... Es hat so ein bisschen gegärt in mir, aber ich hab’ mir gesagt, ok, ich mach’s trotzdem. Und dann hatten wir eine Idee mit jemand anders, der das produziert hat, der hieß Ronny und die Bauarbeiter. Das waren nur Songs übers Bauen. Die Idee fand außer mir niemand toll, aber es hat wahnsinnig Spaß gemacht, den zu produzieren. Und erst nachdem wir 15.000 Stück verkauft hatten, fand Universal die Idee auch gut. Und dann haben wir uns gesagt: wir haben die erste Platen allein gemacht, eine hohe Stückzahl verkauft, dann machen wir die zweite auch alleine. Das war dann der endgültige Auslöser dafür, dass ich gesagt habe, ich mache jetzt nur noch worauf ich Lust habe, ich sehe die Mechanismen im Musikgeschäft haben sich so und so verändert, theoretische kann jetzt jeder die selben Mechanismen wie ein Majorlabel an den Start bringen. Dann brauchst du ja nur noch einen gescheiten Radiopromoter, einen gescheiten Pressemann, einen gescheiten Vertrieb und ein bisschen Kleingeld, um das alles zu bezahlen... Aber dann kannst du genauso agieren, sogar besser als ein Major teilweise...

Die Freiheit hast Du Dir auch bewahrt, weil ein bisschen was von dem Geld von früher übrig geblieben ist, Du nicht alles in Statussymbole und einen aufwendigen Lebensstil gesteckt hast...
Ich investiere lieber in Musik als in Autos. Es ist was hängen geblieben, sonst könnte ich mir das nicht leisten. Als ich früher Edo Zanki kennen gelernt habe und auch Curt Cress, der hat Vierspur-Cassetten-Aufnahmen von mir gehört und meinte er bekommt so viele geile Demos, nur das Einzige was ihn damals interessiert hat war der Typ, die ihm diese Vierspur-Cassettenrekorder-Aufnahmen schickte. Die haben mir beide auf den Weg gegeben: irgendwann mal musst Du die Staffel in die Hand nehmen und weiter tragen, d.h. Du bist auch mitverantwortlich, dass es weiter geht, dass Du jungen Leuten eine Chance gibst, wie wir Dir eine Chance geben. Der Edo war der erste, der gesagt hat, komm’ mal ins Studio, das klingt ja interessant was Du da machst, hier haste Du eine Band – das war dann zufällig gleich die damalige Grönemeyer Band, wir nehmen jetzt mal ein paar Songs auf. Curt war genauso. Er hat mich nach München geholt und mich gefragt hast Du nicht Lust hier zu arbeiten und Songs zu schreiben – Du kriegst ein Studio, kriegst ´n Koch, kriegst ´ne Wohnung... Deswegen habe ich auch eine große Dankbarkeit für all den Erfolg, den ich hatte und sehe also auch die Verpflichtung, dass an die nächste Generation weiter zu geben.

Du bist dann also ganz klassisch A&R (der Mann, der bei Plattenfirmen mal verantwortlich war für die Suche neuer Künstler und passendes Repertoire, sprich Songs, eigene oder fremde) und machst etwas, was keine Plattenfirma mehr macht: echtes Artist Development, also Künstleraufbau? Ja, beides... Ein kleines Label muss von Anfang an damit rechnen, dass man einen Künstler nur breaken kann, wenn man ihm auch hilft auf eigenen Füßen zu stehen.

Den Katalog, den Du jetzt hast – wie viel Künstler sind das?
Vier. Wir haben jetzt auch drüber nachgedacht, größere Acts zu nehmen. Mein großer Held ist Tom Liwa, die Flowerpornoes, da waren wir schon im Gespräch... Liwa ist ganz groß. Wir haben schon mal über eine gemeinsame Produktion gesprochen, aber ich habe dann Angst davor, dass ich ihn zu schön produzieren denn das, was er gemacht, klingt immer so abgefahren. Dabei liebe ich ihn ja so wie er ist...

So diese Gefahr besteht also bei Dir wenn Du produzierst...?
Das hörst Du ja auch auf den „Greatest Hits“. Da stimmt der Satzgesang, aber Tom macht ja auch Aufnahmen, wo die akustische Gitarre gar nicht mit den Drums zusammen geht...

Es gibt eine deutsche Band, die heißt ANNY. Die zweite Band beim Label war eine Metalband, als die sich aufgelöst haben wollten drei weiter auf Deutsch machen. Ich mochte die Jungs und habe mir die Demos angehört, hab ihnen Tipps gegeben und ihnen immer wieder erklärt, macht das doch mal so, geht mal in das Studio. Und irgendwann hatte ich keine Lust mehr zu erklären, es hat keinen Sinn, was zu erklären, ich glaube an learning by doing. Also habe ich irgendwann zu ihnen gesagt, wir nehmen jetzt eine Platte auf, dabei lernt ihr, was es heißt eine Platte aufzunehmen, danach dann, was es heißt, auf Tour zu gehen, vor leeren Sälen zu spielen und was es heißt, Merchandise zu machen usw. Und das ist besser als was zu erklären und dann sagt der Künstler, der bis dahin keine Ahnung hatte, Scheißplattenfirma, nur weil er den Fehler nicht selber machen wollte... So hat das angefangen bei ANNY, dann kam Anna Aalrust, eine Sängerin, die sehr interessante Texte macht, das ist irgendwo Tori Amos auf Deutsch sage ich jetzt mal. Dann Bionic Ghost Kids, die liebe ich auch über alles. Ich nenn es immer eine Mischung aus KLF und Scooter, das Gut von KLF, das Trashige von Scooter. Bei Scooter ist alles echt. Wir haben uns angefreundet, als keiner an sie geglaubt hat, Bei „Hyper Hyper“ sagte ja jeder, ein Ein-Hit-Wunder und icj fand ganz toll, dass die immer Spaß hatten bei allem was sie gemacht haben. Mit denen abzuhängen damals war einfach besser als mit anderen. Deshalb – ich hab großen Respekt, dass sie soweit gekommen sind.

Wie weit würdest Du denn mit Deinen Künstlern gehen? Heute ist es ja immer ein großes Ding, sie in Wettbewerbe reinzuschicken. Es muss ja nicht gleich der Grand Prix sein, aber vielleicht der Bundesvision Song Contest oder Vergleichbares...
Diese ganze Maschinerie interessiert mich nur peripher. Man muss das Spiel mitspielen bis zu einem gewissen Grad, aber man muss nicht alles mitmachen. Ich erlaube mir en Luxus, nicht alles mitzumachen und versuche den Musikern auch zu sagen: das Einzige, was euch weiter hilft, ist, dass ihr so eigen wie möglich seid. Wenn ihr eine E-Gitarre in der Hand haltet, habt ihr das Rad nicht neu erfunden, aber ihr müsst auch nicht den oder den nachspielen, sondern macht euer eigenes Ding, versucht nicht irgendwer zu sein, sondern nur ihr selbst und zieht das mit aller Konsequenz durch... Um meinen Musikern das zu zeigen, mache ich es bei mir selber auch. Und das ist auch das Wichtigste bei dem Label, dass die Leute so authentisch wie möglich sind. Und dann glaube ich kommt irgendwann auch so was wie kommerzieller Erfolg. Für mich wäre das schon doppelt so viel zu verkaufen wie wir reingesteckt haben. Super. Ich glaube was ich jetzt für mich gelernt habe ist, wenn man länger im Geschäft bleiben will, darf man den Spaß nicht verlieren. Wenn der Spaß weg, nützt einem das gar nichts, und der Spaß kann ganz schnell verloren gehen wenn man in dieses Mühlrad reinkommt.

Wirst Du weiter touren und viele Konzerte spielen?
Ja, ab August/September so viele Auftritte wie möglich, eigenes Booking für unser Label, drei Mädels machen das... Ich spiele zu zwei oder mit ganzer Band. Kommt an auf die Gage. Aber viele mögen es unplugged, wenn ich mich einfach auf die Bühne setze und erzähle. Ich selbst liebe es mit Band zu spielen. Deswegen machen wir beides.

Interview & Foto: Detlef Kinsler
 
Fotogalerie:
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21. Juni 2010, 09.58 Uhr
Detlef Kinsler
 
 
 
 
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