Eine Nacht in Alt-Sachsenhausen

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Judith-Christina /



In Alt-Sachsenhausen tut sich was – soweit der Tenor unserer Podiumsdiskussion am vergangenen Dienstagabend im Lorsbacher Thal. Doch auch dort hieß es: abends, da sei der Teufel los. Grund genug für unsere Mitarbeiterin Judith-Christina einmal vorbeizuschauen, um sich ein eigenes Bild zu machen:

FELIX steht mit Fingerfarbe auf dem weißen Papier. Wiese, Wolke, Schmetterlinge - eine Idylle, gezeichnet in der naiven, liebenswerten Weise eines Kindes. Und doch wirkt das ganze ziemlich surreal, denn, diese kleine Kinderzeichnung hängt an einer der zahlreichen Keipentüren in den Gassen von Alt-Sachsenhausen.

Während in Sachsenhausen gutbürgerliche Mittdreißigerinnen mit Studienabschluss ihre schicken Kinderwägen von einem Café ins Nächste fahren und Frankfurter Jungdesigner ihre ersten Schritte wagen, hat sich in Alt-Sachsenhausen ein zumindest nächtlicher sozialer Brennpunkt entwickelt.

Während ich dem Dönerverkäufer vehement erkläre, warum ich keine Tomaten zwischen den Falafel-Dürüm haben möchte, fliegen mir die Wortfetzen "Party" "geil" "lass mal Altsachs gehen" zu. Mit den Händen in der Tasche erklärt der Anfangzwanziger hinter mir in der Dönerschlange wieviele "Chicas" er in den letzten zwei Wochen in "seinem Viertel" "aufgerissen". Die weiteren Ausführungen sind nicht jugendfrei, wecken aber meine Neugierde auf das Viertel umsomehr.

Die Polizeiabsperrung lässt mich kurz zweifeln, ob es wirklich eine gute Idee war sich mit einer Spiegelreflex-Kamera den Weg durch grölende Englände und aufgedonnerte, betrunkene Teenies zu bahnen. Und auch der nette Polizist warnt mich kurz. Prompt passiert es: nach nur wenigen Metern werde ich von einigen Engländern umringt, die mich um ein Party-Foto bitten, ich erkläre also den kräftigen, Fußball-Trikots tragenden Insulanern höflich, das ich keine Party-Fotografin bin, was die mir aber nicht abnehmen – und ein großer Schluck Guiness landet auf meiner Lederjacke.

Fluchend ziehe ich weiter, vorbei an fünf Mädchen mit hochtupierten Haaren, aufdringlichem Make-Up und Miniröcken, die eine angeregte Diskussion über ihr Alter mit der Polizei führen. Die Blonde mit dem kürzesten Minirock erklärt dem Polizist mit schreiender, hoher Stimme, sie wäre schon 13 und die Mutter würde es erlauben um 1 Uhr noch in Altsachs unterwegs zu sein. Und überhaupt werde auch die Aufsichtspflicht nicht verletzt, schließlich sitze die Mutter im Fenstergucker. Was es mit dem Fenstergucker auf sich hat, erfahre ich später, als mir etliche Betrunkene aus einer Kneipe mit geöffnetem Fenster entgegenwinken und mir Schnaps anbieten. Auch hier möchten alle fotografiert werden. Auch hier winke ich höflich ab, was mir mit einem Schnapsglas (leer, geworfen durch das offene Fenster) gedankt wird.

Vorbei an Cocktailbars mit Plastikpalmen, Kitsch und alten Herren, die jungen Mädchen hinterherpfeifen und der thailändischen Thekendame den Hof machen, vorbei an stark alkoholisierten Jugendlichen, vorbei an zahlreichen Junggesellenabschieden, die mir jedesmal einen Schnaps anbieten und nach Fotos fragen, vorbei an einer Gruppe Skinheads, vorbei an Rockerkneipen, vorbei an Polizisten, die so scheint es, nicht Herr der Lage sind.

Altsachenhausen, ein Viertel, das in den letzten Jahren mehr und mehr sich selber überlassen wurde, ein Viertel, in dem Preistafeln mit Billigalkohol um die Gunst der Junggesellenabschiede buhlen, ein Viertel, dass in der Nacht zum Schmelztiegel sozialer Randgruppen avanciert, ein Viertel, das selbst die Polizei nicht in den Griff bekommt, ein Viertel, das so zu Frankfurt gehört wie der Römer – und in das es sich lohnt zu investieren.


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