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Der Turm und seine Küken
Turmwächter und Freund der Altstadt: Schriftsteller Martin Mosebach
Man mag zur Diskussion um die Bebauung des Dom-Römer-Areals stehen wie man möchte. Ernstzunehmende Argumente gibt es für beide Seiten: sowohl für die Rekonstruktion historischer Gebäude als auch für moderne Architektur. Am Ende wird es wohl ein Mix aus beidem. Eine der grundsätzlichen Fragen in der Diskussion ist die der Rentabilität. Immerhin schlagen allein der Abriss und die Urbarmachung des Technischen Rathauses und seines Geländes mit gut 100 Millionen Euro zu Buche.
Um die Grundstücke möglichst gewinnbringend an private Bauherren zu vermarkten beschließt die Stadtverordnetenversammlung heute die Gründung einer städtischen „Dom-Römer-GmbH“. In Vorbereitung auf dieses Ereignis hatten die Freunde Frankfurts bereits Anfang der Woche zum mittlerweile sechsten Altstadtforum gebeten. Grundsätzlich ein konstruktives Ansinnen, um die Bürger der Stadt sowie Fachleute in einer öffentlichen Diskussion am Prozess der Stadtentwicklung zu beteiligen. Doch wer schon einmal einer solchen Zusammenkunft beiwohnte weiß, dass die Freunde Frankfurts auf dem Podium nichts anbrennen lassen.
Jürgen E. Aha sucht Schutz im Stand der Metzgersleut
Diesmal war der Kreis erlesener Redner auf der Bühne vor der Schirn, direkt am Kaiserkrönungsweg zwischen Dom und Römer gelegen, an Pathos nicht zu übertreffen. Schon der Beginn des Konvents von etwa einhundert alteingesessenen Gastronomen und Gewerbetreibenden sowie Rentnern und jungen Konservativen hätte dramatischer nicht sein können: Ein Wolkenbruch ging hernieder, vereint mit kräftigem Donner, so dass die Anwesenden unter den Schirmen der eigens zum „Altstadtfest“ errichteten Stände, ganze drei an der Zahl, Schutz suchen mussten. Begleitet von der stürmischen Arie eines italienischen Opernsängers, die aus den Lautsprechern der Mikrofonanlage schallte. Zeit für die Gäste, um unter den Schirmen, von den widrigen Wetterverhältnissen zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammen getrieben, über die Pfennigpreise von „Kliggerwasser un Schokeload“ in ihrer Kindheit zu diskutieren.
Wer ein richtiger Freund Frankfurts ist, dem kann ein solcher Regenguss natürlich nichts anhaben, der harrt aus, bis Petrus wieder milde gestimmt ist. „Wer ein richtiger Frankfurter ist, müsste heut Abend hier sein“, so auch der kämpferische Appell von Eröffnungsredner Frank Albrecht, seines Zeichens Stammhalter der traditionsreichsten Parfümerie der Stadt und Präsident des Landesverbandes des Hessischen Einzelhandels. „Der Himmel hat sicherlich geweint, weil die Altstadt immer noch nicht wieder aufgebaut ist“, so seine gekonnte Einleitung. „Wir maßen uns nicht an, moderne Architekten zu kritisieren und wir wollen auch kein Walt Disney“, nahm Albrecht gleich zu Beginn den Verfechtern einer modernen Bebauung den Wind aus den Segeln, „doch wir wünschen uns den vollständigen Wiederaufbau der Altstadt. In dieser Frage gibt es keine halben Sachen!“
Dort, wo gegenwärtig noch diese gelbe Säule das Technische Rathaus stützt, stand einst das Stammhaus der Parfümerie Albrecht. Und dort soll es nach dem Willen von Frank Albrecht auch wieder hin
Angesteckt vom Drang des Vorredners ließ sich auch Moderator Jürgen E. Aha zu Bildern höherer Sphären hinreißen. „Ich stelle mir vor“, sagte er mit Blick gen Himmel, „dass die zehn deutschen Kaiser, die hier im Dom gekrönt wurden, auf uns herab blicken und sagen: 'Gebt diesem Platz seine Ruhe wieder. Gebt ihm eine befriedete Architektur'.“
Doch einer wusste die Anwesenden durch seine Wortgewalt gänzlich zu überzeugen - ja, in seinen Bann zu ziehen. Kunststück! - war es doch kein geringerer als der Frankfurter Schriftsteller und Georg-Büchner-Preis-Träger Martin Mosebach. Er übertraf sich selbst in der Wahl seiner Bilder, Rang nach Worten, ließ sie in Kunstpausen wirken, und trieb seinen Argumentationsgang klar und für alle nachvollziehbar voran. „Jede Stadt hat ihr Schicksal“, eröffnete Mosebach. „Ich bin kein Feind der Hochhäuser, die der Stadt eine Krone verleihen, aber die Art und Weise wie diese in das Kataster der Stadt gequetscht wurden, zeugt von großer Dummheit“, so das harte Urteil des Literaten. „Die Stadt ist zersprengt und voller toter Räume. Wenn man ein Gefühl dafür hat, was diese Stadt sein könnte, lässt sich ein langer Schmerz nicht unterdrücken.“
Lassen nichts anbrennen: Bauingenieur Dominik Mangelmann und Jürgen E. Aha feierten zum 6. Altstadtforum ihren Geburtstag
Frankfurt sei immer schon arm an großer Architektur gewesen, dozierte Mosebach weiter. Allein der Domturm - und das sei das Ergebnis nüchterner Überlegungen, zu dem er Stück für Stück gekommen sei - allein der Domturm als Nabel der Stadt steche architektonisch hervor. Doch er dürfe nicht von Hochhäusern bedrängt werden, sonst sei ein Turm kein Turm mehr. „Der Domturm braucht in seinem Umfeld eine kleinteilige Bebauung, um sich entfalten zu können“, stieß Mosebach zum Kern seiner Ausführungen vor, „aus der er herauswächst. Ein Rahmen, ein Kissen, ein ... ein gehegtes Feld. Wie eine Glucke ihre Flügel über ihren Küken ausbreitet, muss der Dom die Häuser um sich versammeln, ein spitzgiebliges Feld.“
Ralf Wargel präsentierte sein Handwerk
Solches und noch vieles mehr - etwa den Vergleich der EU mit dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation und den Wiederaufabu des Goethehauses, der seinerzeit als gemütvolle Barbarei verurteilt worden sei - führte Mosebach für die Wiedererstehung der Altstadt an. Dass das Podium im Anschluss wegen der einseitig ausgewählten Teilnehmer keine kontroverse Diskussion mehr zustande brachte und auch die eigentliche Frage nach der Finanzierbarkeit nicht erhellen konnte, blieb nach dieser Vorrede Nebensache. Es waren sich ohnehin alle einig. Nur Herr Wargel sei hier noch kurz erwähnt, hatte er doch die lange Reise aus Lommatzsch in Sachsen nach Frankfurt auf sich genommen, um als Zimmermeister und Fachwerkspezialist verschiedene Beile und Schlagtechniken vorzustellen, mit denen man auch heute noch stilgerecht Fachwerkhäuser bauen könne. „Mit einem solchen Beil könnte damals das Haus Goldene Waage gebaut worden sein“, begann er seine Präsentation. Aber das führt hier nun wirklich zu weit.
Man mag zur Diskussion um die Bebauung des Dom-Römer-Areals stehen wie man möchte. Ernstzunehmende Argumente gibt es für beide Seiten: sowohl für die Rekonstruktion historischer Gebäude als auch für moderne Architektur. Am Ende wird es wohl ein Mix aus beidem. Eine der grundsätzlichen Fragen in der Diskussion ist die der Rentabilität. Immerhin schlagen allein der Abriss und die Urbarmachung des Technischen Rathauses und seines Geländes mit gut 100 Millionen Euro zu Buche.
Um die Grundstücke möglichst gewinnbringend an private Bauherren zu vermarkten beschließt die Stadtverordnetenversammlung heute die Gründung einer städtischen „Dom-Römer-GmbH“. In Vorbereitung auf dieses Ereignis hatten die Freunde Frankfurts bereits Anfang der Woche zum mittlerweile sechsten Altstadtforum gebeten. Grundsätzlich ein konstruktives Ansinnen, um die Bürger der Stadt sowie Fachleute in einer öffentlichen Diskussion am Prozess der Stadtentwicklung zu beteiligen. Doch wer schon einmal einer solchen Zusammenkunft beiwohnte weiß, dass die Freunde Frankfurts auf dem Podium nichts anbrennen lassen.
Jürgen E. Aha sucht Schutz im Stand der Metzgersleut
Diesmal war der Kreis erlesener Redner auf der Bühne vor der Schirn, direkt am Kaiserkrönungsweg zwischen Dom und Römer gelegen, an Pathos nicht zu übertreffen. Schon der Beginn des Konvents von etwa einhundert alteingesessenen Gastronomen und Gewerbetreibenden sowie Rentnern und jungen Konservativen hätte dramatischer nicht sein können: Ein Wolkenbruch ging hernieder, vereint mit kräftigem Donner, so dass die Anwesenden unter den Schirmen der eigens zum „Altstadtfest“ errichteten Stände, ganze drei an der Zahl, Schutz suchen mussten. Begleitet von der stürmischen Arie eines italienischen Opernsängers, die aus den Lautsprechern der Mikrofonanlage schallte. Zeit für die Gäste, um unter den Schirmen, von den widrigen Wetterverhältnissen zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammen getrieben, über die Pfennigpreise von „Kliggerwasser un Schokeload“ in ihrer Kindheit zu diskutieren.
Wer ein richtiger Freund Frankfurts ist, dem kann ein solcher Regenguss natürlich nichts anhaben, der harrt aus, bis Petrus wieder milde gestimmt ist. „Wer ein richtiger Frankfurter ist, müsste heut Abend hier sein“, so auch der kämpferische Appell von Eröffnungsredner Frank Albrecht, seines Zeichens Stammhalter der traditionsreichsten Parfümerie der Stadt und Präsident des Landesverbandes des Hessischen Einzelhandels. „Der Himmel hat sicherlich geweint, weil die Altstadt immer noch nicht wieder aufgebaut ist“, so seine gekonnte Einleitung. „Wir maßen uns nicht an, moderne Architekten zu kritisieren und wir wollen auch kein Walt Disney“, nahm Albrecht gleich zu Beginn den Verfechtern einer modernen Bebauung den Wind aus den Segeln, „doch wir wünschen uns den vollständigen Wiederaufbau der Altstadt. In dieser Frage gibt es keine halben Sachen!“
Dort, wo gegenwärtig noch diese gelbe Säule das Technische Rathaus stützt, stand einst das Stammhaus der Parfümerie Albrecht. Und dort soll es nach dem Willen von Frank Albrecht auch wieder hin
Angesteckt vom Drang des Vorredners ließ sich auch Moderator Jürgen E. Aha zu Bildern höherer Sphären hinreißen. „Ich stelle mir vor“, sagte er mit Blick gen Himmel, „dass die zehn deutschen Kaiser, die hier im Dom gekrönt wurden, auf uns herab blicken und sagen: 'Gebt diesem Platz seine Ruhe wieder. Gebt ihm eine befriedete Architektur'.“
Doch einer wusste die Anwesenden durch seine Wortgewalt gänzlich zu überzeugen - ja, in seinen Bann zu ziehen. Kunststück! - war es doch kein geringerer als der Frankfurter Schriftsteller und Georg-Büchner-Preis-Träger Martin Mosebach. Er übertraf sich selbst in der Wahl seiner Bilder, Rang nach Worten, ließ sie in Kunstpausen wirken, und trieb seinen Argumentationsgang klar und für alle nachvollziehbar voran. „Jede Stadt hat ihr Schicksal“, eröffnete Mosebach. „Ich bin kein Feind der Hochhäuser, die der Stadt eine Krone verleihen, aber die Art und Weise wie diese in das Kataster der Stadt gequetscht wurden, zeugt von großer Dummheit“, so das harte Urteil des Literaten. „Die Stadt ist zersprengt und voller toter Räume. Wenn man ein Gefühl dafür hat, was diese Stadt sein könnte, lässt sich ein langer Schmerz nicht unterdrücken.“
Lassen nichts anbrennen: Bauingenieur Dominik Mangelmann und Jürgen E. Aha feierten zum 6. Altstadtforum ihren Geburtstag
Frankfurt sei immer schon arm an großer Architektur gewesen, dozierte Mosebach weiter. Allein der Domturm - und das sei das Ergebnis nüchterner Überlegungen, zu dem er Stück für Stück gekommen sei - allein der Domturm als Nabel der Stadt steche architektonisch hervor. Doch er dürfe nicht von Hochhäusern bedrängt werden, sonst sei ein Turm kein Turm mehr. „Der Domturm braucht in seinem Umfeld eine kleinteilige Bebauung, um sich entfalten zu können“, stieß Mosebach zum Kern seiner Ausführungen vor, „aus der er herauswächst. Ein Rahmen, ein Kissen, ein ... ein gehegtes Feld. Wie eine Glucke ihre Flügel über ihren Küken ausbreitet, muss der Dom die Häuser um sich versammeln, ein spitzgiebliges Feld.“
Ralf Wargel präsentierte sein Handwerk
Solches und noch vieles mehr - etwa den Vergleich der EU mit dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation und den Wiederaufabu des Goethehauses, der seinerzeit als gemütvolle Barbarei verurteilt worden sei - führte Mosebach für die Wiedererstehung der Altstadt an. Dass das Podium im Anschluss wegen der einseitig ausgewählten Teilnehmer keine kontroverse Diskussion mehr zustande brachte und auch die eigentliche Frage nach der Finanzierbarkeit nicht erhellen konnte, blieb nach dieser Vorrede Nebensache. Es waren sich ohnehin alle einig. Nur Herr Wargel sei hier noch kurz erwähnt, hatte er doch die lange Reise aus Lommatzsch in Sachsen nach Frankfurt auf sich genommen, um als Zimmermeister und Fachwerkspezialist verschiedene Beile und Schlagtechniken vorzustellen, mit denen man auch heute noch stilgerecht Fachwerkhäuser bauen könne. „Mit einem solchen Beil könnte damals das Haus Goldene Waage gebaut worden sein“, begann er seine Präsentation. Aber das führt hier nun wirklich zu weit.
9. Juli 2009, 15.49 Uhr
Jan-Otto Weber
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