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Das jüdische Frankfurt von gestern

"Frankfurt liest ein Buch macht mich sehr glücklich"

Ein Interview mit der Schriftstellerin Silvia Tennenbaum über ihren Roman „Straßen von gestern“, über Heimat und warum sie sich von der Jüdischen Gemeinde Frankfurt "ein wenig ausgegrenzt" fühlt.
JOURNAL FRANKFURT: Sie haben 1938 im Alter von zehn Jahren Deutschland verlassen. Wie fühlt sich das an, wenn die eigene Geburtsstadt nun Ihr Buch liest?
Silvia Tennenbaum: Das stimmt nicht ganz. Wir sind 1936 zunächst von Deutschland in die Schweiz ausgereist, wo ein Onkel und eine Tante wohnten. 1938 sind wir dann in die USA gegangen. Wir sind sozusagen in die Ferien gefahren und nie wiedergekommen. Aber die ersten acht Jahre meines Lebens haben sich sehr stark in mir eingeprägt. Als ich „Straßen von gestern“ schrieb, war das auch eine Hommage an Frankfurt. Dass der Roman nun für „Frankfurt liest ein Buch“ ausgewählt wurde, macht mich sehr glücklich und stolz. Ich freue mich ungeheuer.

Sie kommen seit 1983 regelmäßig wieder nach Frankfurt. Wie haben Sie die Stadt seinerzeit gesehen? Und warum sind Sie erst so spät zurückgekehrt?
Ich habe hier in den USA geheiratet und drei Kinder bekommen. Da musste alles laufen. Mein Mann war kein guter Reisender. Er wollte nicht nach Deutschland fahren. Als ich dann wieder nach Frankfurt kam, habe ich mich seltsamerweise sofort wieder zurechtgefunden. Sicher, die Innenstadt hat sich stark verändert, aber in Bornheim und Bockenheim kannte ich mich noch gut aus.

Wie ist „Straßen von gestern“ in den USA aufgenommen worden?
So gut wie gar nicht. Die meisten amerikanischen Juden haben osteuropäische Wurzeln. Die deutschen Juden interessieren dort nicht; die wurden stets als herablassend eingestuft. Ich wollte aber ein Buch schreiben über eine bestimmte assimilierte, wohlhabende Schicht von Juden. Darüber hatte meines Wissens noch niemand geschrieben. Aber auch in Deutschland ist der Roman zunächst wenig beachtet worden. Erst als 1996 im S. Fischer Verlag das Taschenbuch erschien, hat das Buch viele Leser gefunden. Und mittlerweile habe ich viele Freunde gewonnen. Ich gehe unvoreingenommen auf die Menschen zu. Und ich habe politisch immer links gestanden, das hat geholfen.

Wie geht es Ihnen dann in den USA, politisch gesprochen?
Die Leute sind schon anders hier, trotz Occupy und Wall-Street-
Demonstrationen. Wenn ich sehe, wie die Republikaner hier mithilfe ihrer Millionen Lügen verbreiten, werde ich sehr zornig. Die Menschen in den US sind nicht mehr sonderlich ­reflektiert.

Zurück zum Roman. Sie erzählen die Geschichte der Frankfurter Familie Wertheim vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in den Beginn der Nachkriegszeit hinein ...
Ja, einer deutschen Familie. Man hat sich mehr als Deutsche denn als Juden begriffen. Schließlich ist man auch im Ersten Weltkrieg für dieses Land in den Krieg gezogen. Das war für viele das Schlimmste an der Emigration – dass man als Deutscher nicht mehr akzeptiert war. Das konnten viele gar nicht fassen. Die orthodoxen Juden sagen heute, die Assimilation führe vom Judentum weg. Ich dagegen kenne auch heute wieder viele Menschen, die assimiliert sind und trotzdem eine Beziehung zum Judentum haben.

Haben Sie Kontakt zur Jüdischen Gemeinde in Frankfurt?
Nein, nicht direkt. Als „Straßen von gestern“ erschien, schlug ein Freund Herrn Bubis vor, mich zu einer Lesung einzuladen. Ich habe niemals etwas gehört. Meine Großeltern waren Mitglieder der Westend-Synagoge. Ich selbst fühle mich ein wenig ausgegrenzt. Aber ich muss auch ehrlich sagen: Wäre ich seinerzeit in Frankfurt gewesen, hätte ich für die Aufführung des Fassbinder-Stückes demonstriert.

Gibt es einen Ort, den Sie Heimat nennen?
Eine schwierige Frage. Das Wort gibt es im Englischen nicht. „Home“ ist mein Haus. Mein Haus steht in den USA. Die USA sind nicht unbedingt meine Heimat. Im Sinne des deutschen Wortes ist wohl Frankfurt meine Heimat: der Ort, von dem ich stamme.

>> Silvia Tennenbaum ...
... wurde 1928 in Frankfurt geboren. 1938 emigrierte sie mit ihrer Familie in die USA. Der Roman „Straßen von gestern“ erschien 1981. Silvia Tennenbaum lebt auf Long Island.

>> Frankfurt liest ein Buch
16.–29. April 2012, eine Übersicht über die Veranstaltungen finden Sie in unserem Online-Kalender.

Dieses Interview ist zuerst im Journal Frankfurt vom 10. April 2012 erschienen. In der gleichen Ausgabe finden Sie auch eine Titelgeschichte mit Michel Friedman und seinem jüdischen Frankfurt. Wir dürfen außerdem auf unsere Stadtführung "Judentum in Frankfurt - Eine historische Zeitreise" verweisen.
 
Fotogalerie:
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16. April 2012, 11.17 Uhr
Interview: Christoph Schröder
 
 
 
 
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