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"Dämmer und Aufruhr"
Bodo Kirchhoff liest im Literaturhaus
Er wurde mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet und gehört zu den renommiertesten Schriftstellern des Landes. Am Freitagabend liest Bodo Kirchhoff im Literaturhaus aus seinem aktuellen Buch "Dämmer und Aufruhr".
Schreiben, so sagt es Bodo Kirchhoff, bedeutet, sich schreibend zu verändern. Und deswegen sei es geradezu zwingend, dass die Bücher, die er in den vergangenen Jahren veröffentlicht habe, andere seien als die seiner frühen Jahre – „es wäre ja auch furchtbar, wenn ich immer noch dasselbe schreiben würde wie vor vierzig Jahren.“ Aber: „Es gibt natürlich, wie bei jedem Schriftsteller, einen Kern, der sich gleich geblieben ist, nur gestalte ich ihn anders. Es kommt eben auch eine Menge hinzu im Verlauf einer Biografie.“
Am 6. Juli ist Bodo Kirchhoff 70 Jahre alt geworden. Eigentlich eine gute Gelegenheit, um zurückzuschauen und Bilanz zu ziehen. Das tut er auch, auf seine Weise, nicht im Gespräch, aber in seiner Arbeit. Ende Juni ist ein Buch erschienen, das er über viele Jahre mit sich herum getragen hat. Es wäre müßig zu sagen, es sei vielleicht das wichtigste Buch seines Lebens oder gar das beste, denn dafür hat er zu viele gute Bücher geschrieben. Aber „Dämmer und Aufruhr“ trägt den Untertitel „Roman der frühen Jahre“ und ist damit ein unverhohlen autobiografisches Buch. Im Juli 2014 ist Bodo Kirchhoffs Mutter gestorben. Kirchhoffs Mutter war die Schauspielerin Evelyn Peters, die ab den 60er-Jahren, zum Teil unter Pseudonym, insgesamt 26 Romane veröffentlicht hat, Unterhaltungsliteratur, so sagt man. Was Kirchhoff schreiben wollte und geschrieben hat, ist ein Buch „über die Verschränkung der Geschichte meiner Sexualität mit der Geschichte meines Schreibens.“
Nach dem Tod der Mutter hat er dann zwei Kladden in die Hand bekommen, tagebuchartige Aufzeichnungen; „Ehejahresberichte“, so hat sie selbst das genannt. Die hat Kirchhoff gelesen, sich alte Fotos angeschaut, daraufhin eine erste Fassung des Romans geschrieben und noch eine und gemerkt: „Das geht so nicht.“ Also hat er das Thema erst einmal beiseite gelegt, die Novelle „Widerfahrnis“ geschrieben, für die er mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Die Lösung fand Bodo Kirchhoff in Italien, wie so oft, allerdings nicht am Gardasee, wo er seine Sommer verbringt, sondern in dem ligurischen Badeort Alassio. Dort haben seine Eltern ihren letzten glücklichen Urlaub verbracht, in einem Hotel mit Meerblick. Und dort mietete Kirchhoff sich ebenfalls ein und schrieb binnen vier Monaten, von Oktober 2017 bis Februar 2018 den Roman in der Form auf, wie er nun auch veröffentlicht wird: „Diese Arbeit hat mich an den Rand gebracht, und davon bin ich jetzt Gott sei Dank erste einmal weg.“
„Dämmer und Aufruhr“ ist ein Buch, in dem Bodo Kirchhoff sich selbst in Beziehung zur Welt, zu seiner Umwelt setzt: Die ersten Erinnerungen an Urlaube mit der Mutter. Der beinamputierte Vater, der eine Firma aufzubauen versucht. Der damit verbundene Umzug in den Schwarzwald. Und schließlich das Internat in Gaienhofen am Bodensee, wo der zu Beginn Elfjährige in eine Beziehung zum Sportlehrer und Kantor der Schule hineingezogen wird. Eine unfreiwillige, schambelastete sexuelle Initiation. Das Wort „Missbrauch“ weist Kirchhoff von sich: Diese Sache lässt sich nicht auf ein einziges Wort beschränken, so sagt er. In seiner Poetikvorlesung von 1995 hat er davon erzählt, in seinem Roman „Parlando“; „nie hat das jemanden interessiert. Bis ich 2010 einen Artikel im Spiegel darüber geschrieben habe, der in die Zeit der Debatte fiel. Aber das war nicht das, was ich als wahrhaftig empfunden habe. Nun habe ich das in Ruhe erzählt.“
„Dämmer und Aufruhr“ ist ein aufwühlendes Buch. Zum einen ein klassischer Bodo Kirchhoff-Roman, dessen Sprache sofort erkennbar ist. Zum anderen aber paradoxerweise ein Buch, in dem ein junger Mensch noch keine Worte hat für das, was ihm widerfährt. Eine Geschichte, die erzählt werden musste.
>> Bodo Kirchhoff: Dämmer und Aufruhr. Roman der frühen Jahre.
Frankfurter Verlagsanstalt, 480 S., 28,-
Lesung: Frankfurt, Literaturhaus, 28.09., 19.30 Uhr
Eintritt: 16,-
Die Lesung ist ausverkauft. Restkarten gibt es eventuell an der Abendkasse.
Am 6. Juli ist Bodo Kirchhoff 70 Jahre alt geworden. Eigentlich eine gute Gelegenheit, um zurückzuschauen und Bilanz zu ziehen. Das tut er auch, auf seine Weise, nicht im Gespräch, aber in seiner Arbeit. Ende Juni ist ein Buch erschienen, das er über viele Jahre mit sich herum getragen hat. Es wäre müßig zu sagen, es sei vielleicht das wichtigste Buch seines Lebens oder gar das beste, denn dafür hat er zu viele gute Bücher geschrieben. Aber „Dämmer und Aufruhr“ trägt den Untertitel „Roman der frühen Jahre“ und ist damit ein unverhohlen autobiografisches Buch. Im Juli 2014 ist Bodo Kirchhoffs Mutter gestorben. Kirchhoffs Mutter war die Schauspielerin Evelyn Peters, die ab den 60er-Jahren, zum Teil unter Pseudonym, insgesamt 26 Romane veröffentlicht hat, Unterhaltungsliteratur, so sagt man. Was Kirchhoff schreiben wollte und geschrieben hat, ist ein Buch „über die Verschränkung der Geschichte meiner Sexualität mit der Geschichte meines Schreibens.“
Nach dem Tod der Mutter hat er dann zwei Kladden in die Hand bekommen, tagebuchartige Aufzeichnungen; „Ehejahresberichte“, so hat sie selbst das genannt. Die hat Kirchhoff gelesen, sich alte Fotos angeschaut, daraufhin eine erste Fassung des Romans geschrieben und noch eine und gemerkt: „Das geht so nicht.“ Also hat er das Thema erst einmal beiseite gelegt, die Novelle „Widerfahrnis“ geschrieben, für die er mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Die Lösung fand Bodo Kirchhoff in Italien, wie so oft, allerdings nicht am Gardasee, wo er seine Sommer verbringt, sondern in dem ligurischen Badeort Alassio. Dort haben seine Eltern ihren letzten glücklichen Urlaub verbracht, in einem Hotel mit Meerblick. Und dort mietete Kirchhoff sich ebenfalls ein und schrieb binnen vier Monaten, von Oktober 2017 bis Februar 2018 den Roman in der Form auf, wie er nun auch veröffentlicht wird: „Diese Arbeit hat mich an den Rand gebracht, und davon bin ich jetzt Gott sei Dank erste einmal weg.“
„Dämmer und Aufruhr“ ist ein Buch, in dem Bodo Kirchhoff sich selbst in Beziehung zur Welt, zu seiner Umwelt setzt: Die ersten Erinnerungen an Urlaube mit der Mutter. Der beinamputierte Vater, der eine Firma aufzubauen versucht. Der damit verbundene Umzug in den Schwarzwald. Und schließlich das Internat in Gaienhofen am Bodensee, wo der zu Beginn Elfjährige in eine Beziehung zum Sportlehrer und Kantor der Schule hineingezogen wird. Eine unfreiwillige, schambelastete sexuelle Initiation. Das Wort „Missbrauch“ weist Kirchhoff von sich: Diese Sache lässt sich nicht auf ein einziges Wort beschränken, so sagt er. In seiner Poetikvorlesung von 1995 hat er davon erzählt, in seinem Roman „Parlando“; „nie hat das jemanden interessiert. Bis ich 2010 einen Artikel im Spiegel darüber geschrieben habe, der in die Zeit der Debatte fiel. Aber das war nicht das, was ich als wahrhaftig empfunden habe. Nun habe ich das in Ruhe erzählt.“
„Dämmer und Aufruhr“ ist ein aufwühlendes Buch. Zum einen ein klassischer Bodo Kirchhoff-Roman, dessen Sprache sofort erkennbar ist. Zum anderen aber paradoxerweise ein Buch, in dem ein junger Mensch noch keine Worte hat für das, was ihm widerfährt. Eine Geschichte, die erzählt werden musste.
>> Bodo Kirchhoff: Dämmer und Aufruhr. Roman der frühen Jahre.
Frankfurter Verlagsanstalt, 480 S., 28,-
Lesung: Frankfurt, Literaturhaus, 28.09., 19.30 Uhr
Eintritt: 16,-
Die Lesung ist ausverkauft. Restkarten gibt es eventuell an der Abendkasse.
27. September 2018, 10.28 Uhr
Christoph Schröder
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