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Brüssel auf den Rüssel
Entrüstung in Frankfurt. Eine Stadt in Aufruhr: Man will uns in Europa den Apfelwein streitig machen! Skandal! Es ist eine Debatte, die die Zeitungen füllt und Anlass zur Aufregung gibt. Europa macht sich unbeliebt bei seinem Volk, das aber Volk ist für die Gelegenheit dankbar, fleißig schimpfen und sich empören zu können. Lokalpatriotismus kocht hoch. Es ist ein Thema, bei dem jeder mitreden kann bis die Diskussion darum so schnell verpufft wie ein Äppler-Rülps. Dass man bis dahin aber noch mächtig Medienwind machen kann, zeigt das folgende Erlebnis.
Pressetermin am Römerberg. "Ebbelwoi-Gipfel" im Traditionslokal "Römer Bembel". Das heißt im Klartext: Es soll gebechert werden. Petra Roth lädt EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering auf ein Geripptes ein, um mit ihm mal ein ernstes Wörtchen über die Brüsseler Weinordnung zu sprechen. Eine Krisensitzung an einem Ort, welcher der Krise gemäß ist. Auch das Personal macht den Ernst der Lage deutlich. Es geht um nichts geringeres als das traditionelle "Frankfurter Lebenselixier".
Kurz vor 17 Uhr. Volker Hoff, Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten ist zur Stelle, als die Frankfurter Äpfelwein-Königin, Mandy-Katja I., für die Fotografen das Stöffche vom Bembel ins Gerippte gießt. Hübsch, dieses silberne Apfel-Diadem, die passende Halskette und diese grüne Samt-Schärpe. Volker und Mandy-Katja stoßen gemeinsam schon mal an, während sie vor dem "Römer Bembel" auf den Rest der Belegschaft warten. Derweil häufen sich die Fotografen und Kameraleute um die traute Zweisamkeit, Mandy-Katja muss ihr Glas etwas mehr leeren, weil die Berufsknipser sie noch einmal einschenken sehen wollen. Die arme Frau kann einem leid tun. Tapfer hält sie den Bembel an das Glas, schenkt ein, lächelt und prostet ihrem Gesellschafter Volker zu.
Dann kommt die Polizeieskorte auf den Römerberg gefahren. Der Ehrengast ist da: Hans-Gert Pöttering, der gerade zufällig in der Gegend ist, um in einer Stunde den Walter-Hallstein-Preis im Römer abzuholen. Kaum ist der Mann aus seiner Limousine ausgestiegen, ist er schon umzingelt von Kameras und Mikrofonen, die ihn zum "Römer Bembel" eskortieren und den Polizeischutz überflüssig machen. Mit dabei ist auch Wirtschaftsdezernent Boris Rhein. Damit ist der Krisenstab fast vollzählig, es fehlt nur noch Petra, aber die ist noch unterwegs, zurück aus London.
Die Journalistentraube ist zu einem regelrechten Mob angewachsen. Ein wildes Blitzlichtgewitter geht auf die Äpplergesellschaft nieder, während auch die Neuankömmlinge mittlerweile je ein gefülltes Geripptes in den Händen halten. Pöttering bezieht klar Stellung: "Diesen Vorschlag der Kommission in Brüssel lehne ich, was den Appelwoi angeht, ab. Wenn wir heute schon entscheiden könnten, wäre ich dafür, dass dieser Vorschlag verschwindet und dass der Äppelwei, so wie er heute bezeichnet wird, als Apfelwein erhalten bleibt." Auch bei Pöttering scheint eine Begriffsverwirrung darüber zu herrschen, wie denn das Zeug eigentlich heißt, dessen Name erhalten werden soll.
Ein weiterer Gast schleicht zunächst unbemerkt in die Runde: Die Sachsenhäuser Brunnenkönigin Katja I., ein bisschen älter als die Äpfelwein-Königin, ein gelbes Kleid aus einer Art Gardinenstoff und einer blauen Schärpe, kein Diadem, aber ein hübsches Krönchen. Unweigerlich muss man an Queen Elisabeth II. denken. Wie ihr jüngeres Gegenüber hat auch sie nicht viel zu sagen, lächelt nur in die Kamera. Das Königreich des Äpplers scheint eine parlamentarische Monarchie zu sein, in der die Königin nur Präsenzbestand ist. Aber egal: Hoch die Gläser, auch wenn sie für Katja I. nicht mehr zu reichen scheinen, sie bleibt vorerst durstig.
Plötzlich taucht eine Handvoll Leute auf, die Plakate hochhalten: "Rettet unseren Apfelwein!" steht da und "Haut Brüssel auf den Rüssel!" sowie "Apfelwein muss Apfelwein bleiben!" Die Politiker äußern sich wohlwollend über die friedliche Mini-Demo. "Für mich ist Apfelwein hessische Identität," sagt eine Aktivistin. "Apfelwein muss Apfelwein bleiben." Auch wenn sie zugibt, den Unterschied zwischen Cidre und Apfelwein nicht zu kennen, sagt sie: "Ich würde keinen Apfelwein trinken wenn er Cidre heißen würde." Nomen est omen.
Da Petra immer noch nicht da ist, die Parolen verbraucht und sich die Statements wiederholen, beschließt man, schon mal ins Lokal zu gehen. Der Journalistenpulk zieht hinterher, auf die Empore des "Römer Bembel". Da oben machen es sich die zwei Damen und drei Herren schon mal in einer kuscheligen Sitzecke gemütlich. Das Bechern geht weiter, auch Katja I. bekommt ihr Stöffche, den Kameraleuten entgeht nichts. Doch was niemandem zunächst auffällt: Die lustige Gesellschaft trinkt keinen Apfelwein, sondern "Possmann Landappel Apfelsaft"! Der Kollege von der BILD hat gut aufgepasst und diesmal stimmt es sogar. Skandal! Aber vielleicht muss man noch eine Weile nüchtern bleiben, anschließend soll es ja zum Festakt in den Römer gehen, Pöttering muss immerhin eine Rede halten. So wartet man geduldig auf Petra, belagert von den harrenden Berichterstattern, die - wer hat noch nicht, wer will nochmal? - aus Verlegenheit Interviews um das erschöpfte Thema führen.
Kurz vor 17.30 Uhr kommt Petra endlich und pfeffert uns eine feurige Ansprache um die Ohren: "Ich bin empört über die fehlende Strukturerkenntnis," sagt sie und hält eine Laudatio auf den Apfelwein, das letzte hessische Naturprodukt, spricht vom Schutz der regionalen Besonderheiten, dem Europa der Regionen, dem "Erhalt dieses Kulturguts", klärt über die Einmaligkeit des Apfelweins auf. Pöttering stimmt mit ein: "Ich werde mich dafür einsetzen, dass das Parlament zu den Vorschlägen der Kommission nein sagt. Aus Überzeugung, nicht nur aus Solidarität mit Hessen. Wer so etwas vorschlägt, der hat 'ne Schnapsidee." Zustimmung überall. Volker belehrt uns über den eklatanten Unterschied zum Cidre. Auch Petra weiß gut über Maische und Kelterei bescheid. Wie auch immer: Man ist sich einig und trinkt den leckeren unvergorenen Apfelsaft - "Auf die Rettung des Apfelweins!"
Man schaut auf die Uhr: "Oh, wir müssen mal langsam los!" Ab in den Römer, der Walter-Hallstein-Preis wartet. Laudator Wolfgang Schüssel (früherer Bundeskanzler Österreichs) sagt später über den Preisträger Pöttering: "Er ist ein Mann, der die großen Probleme anpackt, dem aber auch kein Problem zu niedrig ist - auch beim Apfelwein." Wahrlich: Ein würdiger Preisträger.
Pressetermin am Römerberg. "Ebbelwoi-Gipfel" im Traditionslokal "Römer Bembel". Das heißt im Klartext: Es soll gebechert werden. Petra Roth lädt EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering auf ein Geripptes ein, um mit ihm mal ein ernstes Wörtchen über die Brüsseler Weinordnung zu sprechen. Eine Krisensitzung an einem Ort, welcher der Krise gemäß ist. Auch das Personal macht den Ernst der Lage deutlich. Es geht um nichts geringeres als das traditionelle "Frankfurter Lebenselixier".
Kurz vor 17 Uhr. Volker Hoff, Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten ist zur Stelle, als die Frankfurter Äpfelwein-Königin, Mandy-Katja I., für die Fotografen das Stöffche vom Bembel ins Gerippte gießt. Hübsch, dieses silberne Apfel-Diadem, die passende Halskette und diese grüne Samt-Schärpe. Volker und Mandy-Katja stoßen gemeinsam schon mal an, während sie vor dem "Römer Bembel" auf den Rest der Belegschaft warten. Derweil häufen sich die Fotografen und Kameraleute um die traute Zweisamkeit, Mandy-Katja muss ihr Glas etwas mehr leeren, weil die Berufsknipser sie noch einmal einschenken sehen wollen. Die arme Frau kann einem leid tun. Tapfer hält sie den Bembel an das Glas, schenkt ein, lächelt und prostet ihrem Gesellschafter Volker zu.
Dann kommt die Polizeieskorte auf den Römerberg gefahren. Der Ehrengast ist da: Hans-Gert Pöttering, der gerade zufällig in der Gegend ist, um in einer Stunde den Walter-Hallstein-Preis im Römer abzuholen. Kaum ist der Mann aus seiner Limousine ausgestiegen, ist er schon umzingelt von Kameras und Mikrofonen, die ihn zum "Römer Bembel" eskortieren und den Polizeischutz überflüssig machen. Mit dabei ist auch Wirtschaftsdezernent Boris Rhein. Damit ist der Krisenstab fast vollzählig, es fehlt nur noch Petra, aber die ist noch unterwegs, zurück aus London.
Die Journalistentraube ist zu einem regelrechten Mob angewachsen. Ein wildes Blitzlichtgewitter geht auf die Äpplergesellschaft nieder, während auch die Neuankömmlinge mittlerweile je ein gefülltes Geripptes in den Händen halten. Pöttering bezieht klar Stellung: "Diesen Vorschlag der Kommission in Brüssel lehne ich, was den Appelwoi angeht, ab. Wenn wir heute schon entscheiden könnten, wäre ich dafür, dass dieser Vorschlag verschwindet und dass der Äppelwei, so wie er heute bezeichnet wird, als Apfelwein erhalten bleibt." Auch bei Pöttering scheint eine Begriffsverwirrung darüber zu herrschen, wie denn das Zeug eigentlich heißt, dessen Name erhalten werden soll.
Ein weiterer Gast schleicht zunächst unbemerkt in die Runde: Die Sachsenhäuser Brunnenkönigin Katja I., ein bisschen älter als die Äpfelwein-Königin, ein gelbes Kleid aus einer Art Gardinenstoff und einer blauen Schärpe, kein Diadem, aber ein hübsches Krönchen. Unweigerlich muss man an Queen Elisabeth II. denken. Wie ihr jüngeres Gegenüber hat auch sie nicht viel zu sagen, lächelt nur in die Kamera. Das Königreich des Äpplers scheint eine parlamentarische Monarchie zu sein, in der die Königin nur Präsenzbestand ist. Aber egal: Hoch die Gläser, auch wenn sie für Katja I. nicht mehr zu reichen scheinen, sie bleibt vorerst durstig.
Plötzlich taucht eine Handvoll Leute auf, die Plakate hochhalten: "Rettet unseren Apfelwein!" steht da und "Haut Brüssel auf den Rüssel!" sowie "Apfelwein muss Apfelwein bleiben!" Die Politiker äußern sich wohlwollend über die friedliche Mini-Demo. "Für mich ist Apfelwein hessische Identität," sagt eine Aktivistin. "Apfelwein muss Apfelwein bleiben." Auch wenn sie zugibt, den Unterschied zwischen Cidre und Apfelwein nicht zu kennen, sagt sie: "Ich würde keinen Apfelwein trinken wenn er Cidre heißen würde." Nomen est omen.
Da Petra immer noch nicht da ist, die Parolen verbraucht und sich die Statements wiederholen, beschließt man, schon mal ins Lokal zu gehen. Der Journalistenpulk zieht hinterher, auf die Empore des "Römer Bembel". Da oben machen es sich die zwei Damen und drei Herren schon mal in einer kuscheligen Sitzecke gemütlich. Das Bechern geht weiter, auch Katja I. bekommt ihr Stöffche, den Kameraleuten entgeht nichts. Doch was niemandem zunächst auffällt: Die lustige Gesellschaft trinkt keinen Apfelwein, sondern "Possmann Landappel Apfelsaft"! Der Kollege von der BILD hat gut aufgepasst und diesmal stimmt es sogar. Skandal! Aber vielleicht muss man noch eine Weile nüchtern bleiben, anschließend soll es ja zum Festakt in den Römer gehen, Pöttering muss immerhin eine Rede halten. So wartet man geduldig auf Petra, belagert von den harrenden Berichterstattern, die - wer hat noch nicht, wer will nochmal? - aus Verlegenheit Interviews um das erschöpfte Thema führen.
Kurz vor 17.30 Uhr kommt Petra endlich und pfeffert uns eine feurige Ansprache um die Ohren: "Ich bin empört über die fehlende Strukturerkenntnis," sagt sie und hält eine Laudatio auf den Apfelwein, das letzte hessische Naturprodukt, spricht vom Schutz der regionalen Besonderheiten, dem Europa der Regionen, dem "Erhalt dieses Kulturguts", klärt über die Einmaligkeit des Apfelweins auf. Pöttering stimmt mit ein: "Ich werde mich dafür einsetzen, dass das Parlament zu den Vorschlägen der Kommission nein sagt. Aus Überzeugung, nicht nur aus Solidarität mit Hessen. Wer so etwas vorschlägt, der hat 'ne Schnapsidee." Zustimmung überall. Volker belehrt uns über den eklatanten Unterschied zum Cidre. Auch Petra weiß gut über Maische und Kelterei bescheid. Wie auch immer: Man ist sich einig und trinkt den leckeren unvergorenen Apfelsaft - "Auf die Rettung des Apfelweins!"
Man schaut auf die Uhr: "Oh, wir müssen mal langsam los!" Ab in den Römer, der Walter-Hallstein-Preis wartet. Laudator Wolfgang Schüssel (früherer Bundeskanzler Österreichs) sagt später über den Preisträger Pöttering: "Er ist ein Mann, der die großen Probleme anpackt, dem aber auch kein Problem zu niedrig ist - auch beim Apfelwein." Wahrlich: Ein würdiger Preisträger.
6. November 2007, 13.50 Uhr
the luke
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