Nachdem ich mir vor ein paar Wochen das Sprunggelenk gebrochen hatte, machte ich mir so den einen oder anderen Gedanken über körperliche Einschränkungen. Auf Krücken ging es also nach Höchst, mit mulmigem Gefühl: Was ist, wenn mein Nachbar anfängt zu hüpfen und…? Der örtliche Veranstalter (BB Promotion) war so freundlich, mich auf eine extra für Rolli-Fahrer gebaute Tribüne zu verfrachten. Und so stand inmitten einer Crew von jungen Leuten, die bestens präpariert waren, eine gute Zeit zu haben. Sehr angenehmer Nebeneffekt war die Tatsache einer freien Sicht über die Köpfe bis hin zur Bühne. Ausverkauft, die Masse wogte und nahm den support act Oceana und ihren Pop-Reggae-Soul-Mix recht freundlich auf.
Licht aus, eine 16-köpfige Band entert die Bühne, unter ihnen im Halbdunkel kaum zu erkennen, Pierre Baigorry mit umgehängter Gitarre und namensgebendem rotem Schopf. Die Show beginnt und Peter Fox erscheint einem eher als schüchterner junger Mann - vom unglaublichen Erfolg überrollt - denn als Superstar. Natürlich hat er als wichtigster Kopf und Hauptproduzent von Seeed alle Bühnen dieser Welt gesehen, jahrelange Tourneen inklusive, bis zur Erschöpfung und dann: mitten in einer Tournee das Aus - eine einschneidende Erfahrung, eine Infektionskrankheit, die sichtbare Schäden hinterließ: partielle Gesichtslähmung. Und so singt er im vierten Lied, dem Namensgeber seines Albums „Stadtaffe“:
In einer Stadt voller Affen bin ich der King Weil ich mit schiefer Grimasse für die Massen sing Die Weibchen kreischen, alle Affen springen Schönes Ding, dass ich der angesagte Affe bin
Typisch für Album und Konzert sind diese Texte, die von Selbsterkenntnis und -ironie, Welterklärung (im Kleinen), von Zwischenmenschlichkeit und dem Besingen des urbanen Raumes geprägt sind. Das sind keine protzigen Großstadt-Hymnen (Dickes B von Seeed kommt dann auch erst am Ende des Konzerts), das ist keine Berliner Dicke-Eier-Show in der Diktion eines Bushido oder Sido. Diese ewige sich Groß machen und gleichzeitig greinen, über die vermeintlich böse Welt da draußen, die einen unterdrückt. Eine negative Perspektive, die Haltungen der Underdogs zementiert. Peter Fox’ Aussage ist grundpositiv, so kommt es auch im Konzert herüber – die Texte, die Musik, die Show ist uplifting. Ich kann dies nicht schreiben, ohne darauf verweisen zu müssen, was Peter Fox im Interview erzählte: „Die bisherigen Resonanzen der schreibenden Zunft (zum Album) sind super! Außer der vom Rolling Stone. Die haben gesagt, das sei doch wie Bushido - nur ohne den ekligen Sex und mit Geigen.“ Unglaublich! Die Zeitung, die sich das hehre Musikethos aufs Panier geschrieben hat, erweist sich als Zentralorgan von alten Fürzen, die in irgendeiner guten alten Zeit stehen geblieben sind und wie ihre Eltern alles Neue wegbeißen müssen, es sei denn, es seien die Mustersöhne, die den Dylans, Beatles oder Stones nacheifern. Gut, dass die Ohrfeige mit dem sensationellen Erfolg der Scheibe und zweier ausverkaufter Tourneen kam: der Rolling Stone also ein Fall für die Abwrackprämie. Doch sollte ich vielleicht nicht unversöhnlich sein und mich an eine weitere Textpassage halten:
Die Stimme bebt und der Blick ist Eis gleich geht jemand hier zu weit die Zunge ist geladen und bereit die Wörter von der Leine zu lassen, sich Feinde zu machen
die Pfeilspitzen voller Gift der Feind wackelt, wenn du triffst du triumphierst, wenn er kippt doch Morgen um diese Zeit tut es dir Leid
Hahnenkampf um einen Haufen Mist Jemanden opfern für einen lauen Witz Eine Spinne tot – duschen, wenn du in der Wanne sitzt Einem Dummen zeigen, dass du schlauer bist
Zurück zum Konzert: Wie setzt man ein Album um, das von rollenden Drumbreaks und einer Armada von Streichern geprägt ist? Das Babelsberger Filmorchester stand wohl nicht zur Verfügung und wäre auch nicht ganz passend, denn schließlich wurden die Songs ja nicht eins zu eins im Studio eingespielt, sondern im Schichtverfahren produziert (so macht es auch ein Senor Coconut, wenn er eine lateinamerikanische Bigband vor uns entstehen lässt): Alle Instrumente echt, aber letztendlich zunächst aufgenommen, dann auseinandergeschnipselt und schließlich meisterlich wieder zusammengesetzt. Der Sound wird hallentauglich von einer fetten Rockkapelle generiert. Die ganze ehrliche Handmusik-Riege (hallo, Rolling Stone!) ist mit von der Partie: Schlagzeug, Bass, Gitarren, Bläser, Keyboards, Backing-SängerInnen, Co-Rapper und dem echten Hingucker, die Cold Steel Drumline (coldsteel.peterfox.de/). Das sind vier schwarze Gentlemen aus den US of A, die ihre Trommeln mächtig rollen lassen, die grüne Neo-Sticks und Schritte choreographieren und dabei die Rhythmen ganz leichtfüßig applizieren. Umwerfend, der Aufzug der kompletten Band als Trommel-Orchester zur ersten Zugabe, Herr Fox mit Bassdrum vor dem Bauch. Ansonsten gibt er den Bühnen-Derwisch, spielt Propeller mit dem Handtuch, dem wichtigsten Accessoire des Dancehall-Reggaes.
Das Bühnenbild, eine weitere Sensation: Überdimensionale Projektionen, die oft genug an die Stummfilme der Zwanziger Jahre (diese typischen Perspektiven aus Fritz Lang Filmen) erinnern. Natürlich der Affenkopf mit giftig grün leuchtenden Augen oder Godzillas Hand, die ein Mädchen wiegt. Affen sind schließlich das Thema! Aber nicht nur das: Schrift, überstrahlende Farbe, Grafik werden ebenso eingesetzt. Mein Lieblingsbild: eine Kamerafahrt in einer Kreuzberger Straße, das Haus kommt auf einem zu, die Perspektive kippt, die Kamera fährt die Fassade hoch, wir blicken über die Dächer, der Tag bricht an, wir erkennen die Skyline, hinten rechts der Fernsehturm am Alex:
Müde Gestalten im Neonlicht, mit tiefen Falten im Gesicht Die Frühschicht schweigt, jeder bleibt für sich Frust kommt auf, denn der Bus kommt nicht... und überall liegt Scheiße, man muss eigentlich schweben Jeder hat’ n Hund, aber keinen zum Reden Ich atme ständig durch den Mund, das ist Teil meines Lebens Ich fühl mich ungesund, brauch was Reines dagegen
Guten Morgen, Berlin, Du kannst so hässlich sein, so dreckig und grau, du kannst so schön schrecklich sein, deine Nächte fressen mich auf, es wird für mich wohl das Beste sein ich geh nach Haus und schlaf mich aus, und während ich durch die Straßen lauf wird langsam Schwarz zu Blau
Peter Fox vergisst nicht zu sagen, „das Lied habe ich für Berlin geschrieben, es könnte aber zu eurer Stadt, zu Frankfurt passen“. Währenddessen blicke ich mich um, auf die Halle, die Menschen in ihren Rollis. Jeder hat seine Art zu tanzen, mal sind es nur Finger, die auf dem Unterarm trommeln, Köpfe, die nicken oder Arme, die vom Oberkörper wegfliegen. Eigentlich bin ich froh, dass ich den Fuß gebrochen hatte…
PS: Alle, die die Show verpasst haben, haben noch eine Chance: Peter Fox kommt zum Festival „MTV Hip Hop Open Minded“ am 18. Juli 2009 in Mannheim (Ehrenhof, Schloss Mannheim). Das Stuttgarter Hip Hop Open Festival sah sich gezwungen, die Stadt zu verlassen, da die Polizei unter dem Vorwand der „Drogen-Repression“ eine kleinkarierte Obstruktionspolitik gefahren hat, die den Besuch des Events für alle Besucher zur Tortour machte.