Eine im November vergangenen Jahres vorgestellte Studie des Fritz Bauer Instituts beleuchtet die Nähe von vier Eintracht-Präsidenten zum Nationalsozialismus. Und Archivar Matthias Thoma sucht weiter nach Spuren der Vereinsgeschichte im Stadtbild.
Christoph Schröder /
Bis Anfang Dezember prangte an der Eisenbahnunterführung am Schnittpunkt Golfstraße / Am Poloplatz ein Graffito der Frankfurter Ultras: Mit einem abgewandelten Zitat des NS-Widerstandskämpfers Martin Niemöller, eines Mannes, der sieben Jahre seines Lebens in Konzentrationslagern verbracht hatte, protestieren die Ultras gegen aus ihrer Sicht überzogene und ungerechtfertigte Stadionverbote.
Nun wissen wir nicht erst seit dem denkwürdigen Auftritt von Jana aus Kassel bei der Querdenker-Demo, dass Vergleiche mit der NS-Verfolgung zumeist in die Hose gehen, vor allem dann, wenn sie relativ harmlose Luxusprobleme mit diktatorischer Repression gleichsetzen. Das wird auch nicht dadurch besser, dass sich sofort Verteidiger fanden, die glaubten erklären zu müssen, dass das Graffito keine Corona-Verharmlosung darstelle. Das hatte allerdings auch niemand behauptet. Die Empörung richtete sich vielmehr dagegen, dass die in ihrem Selbstverständnis als wahre Fans unerschütterlichen Ultras sich in unangemessener Form zu Opfern stilisierten.
Die Deutsche Bahn ließ das Graffito am 9. Dezember übermalen. Eine Bahn-Sprecherin äußerte auf Anfrage gegenüber dem JOURNAL FRANKFURT: „Das Wandbild wurde ohne unsere Erlaubnis und ohne unser Wissen aufgebracht und von uns entfernt. Beim illegalen Aufbringen von Graffiti auf Anlagen der Deutschen Bahn handelt es sich um Sachbeschädigung, durch die der DB jedes Jahr immense wirtschaftliche Schäden entstehen.“ Die unerfreuliche Angelegenheit ist damit vom Tisch.
Dass Eintracht Frankfurt auf mehrere Bitten um eine Stellungnahme nicht reagierte, ist bedauerlich. Andererseits ist es dem Verein gar nicht hoch genug anzurechnen, wie er mit rechtsextremistischen Umtrieben, mit seiner Historie und mit Verstrickungen in den Nationalsozialismus umgeht. Matthias Thoma, der Gründer und Leiter des Eintracht Frankfurt-Museums in der Frankfurter Arena, hat bereits im Jahr 2007 mit seinem Buch „Wir waren die Juddebube“ ein großartiges Buch vorgelegt, für das er Zeitzeugen befragt und deren Erzählungen auf sachliche Richtigkeit hin überprüft hat. Thoma arbeitet mit Akribie daran, „die Gegenwart für die Vergangenheit zu sensibilisieren“, wie er schreibt, und er findet dafür bei Eintracht Frankfurt intensive Unterstützung. Nicht nur durch den Präsidenten Peter Fischer, der sich mit seinem resoluten Eintreten gegen die AfD im Dezember 2017 einen rechtsradikalen Shitstorm eingehandelt hat. Nun hat der Politologe und Soziologe Martin Aigner, der für das Frankfurter Fritz Bauer Institut arbeitet, im Auftrag von und in enger Kooperation mit dem Verein Eintracht Frankfurt ein rund 300 Seiten umfassendes Buch vorgelegt, in dem er die Verbindungen von vier Eintracht-Funktionären zum Nationalsozialismus untersucht: „Vereinsführer“ ist der doppeldeutige Titel.
Egon Graf von Beroldingen stand dem Verein von 1927 bis 1933 vor. Der damalige Oberbürgermeister Ludwig Landmann hatte den Grafen, einen erfahrenen Verwaltungsfachmann, aus Stuttgart nach Frankfurt geholt, um ihn zum Leiter des Flughafens auf dem Rebstockgelände zu machen. Von Beroldingen war zuvor bereits Präsident des VfB Stuttgart gewesen und hatte dort eine „Nationalkonservative und militärische Aura“ gepflegt, wie Aigner schreibt. Graf von Beroldingen trieb die Gleichschaltung des Vereins bis zu seinem Tod im Oktober 1933 voran, und zwar, wie Aigner anhand der Quellenlage nachweist, nicht aus Opportunismus, sondern aus Überzeugung. Von Beroldingens Nachfolger wurde Hans Söhngen, über dessen ideologische Ausrichtung keinerlei Zweifel bestanden. Zwar überwarf Söhngen, der seit 1931 NSDAP-Mitglied und von 1933 bis 1938 Eintracht-Präsident war, sich mit der NS-Verwaltung und stilisierte sich nach dem Krieg als unpolitisch, doch war er es, der die Umwandlung vom „Judenclub“ in einen NS-Vorzeigeverein vorantrieb.
Maximilian Aigners Studie ist ein spannender Einblick in mehrfacher Hinsicht, verbindet es doch Vereins-, Stadt- und NS-Geschichte anhand ganz konkreter Ereignisse und Personen. Und das Buch zeigt auch, wie Klarheiten verschwimmen: Adolf Metzner, Eintracht-Präsident von 1938 bis 1942, war erfolgreicher Leichtathlet, Olympia-Teilnehmer und nach dem Krieg bis zu seinem Tod ein engagierter Förderer kultureller und sportlicher Projekte. Aber: Er war auch SS-Mitglied. Über seine Verstrickung und sein Erbe wird bis heute diskutiert. Der legendäre Rudolf Gramlich schließlich, 1988 gestorben, führte den Verein erstmals gemeinsam mit Metzner und war von 1955 bis 1970 in der Epoche der größten sportlichen Erfolge erneut Präsident. Er war 22-facher Nationalspieler. Eine Institution. Aber Gramlich übernahm auch 1938 eine Lederwarengroßhandlung von deren jüdischem Besitzer, der dafür nicht entschädigt wurde. Und er war auch Mitglied der NSDAP und der 8. SS-Totenkopfstandarte. Aigners „Vereinsführer“ zeigt anschaulich, dass es kein Schwarz und kein Weiß gibt und dass der Sport kein politikferner Hort ist. In der Reihe „Spurensuche II“ im Eintracht Museum, die im Januar startete, wird Aigner das Buch präsentieren.
Und auch Archivar Matthias Thoma selbst hat sich wieder einmal auf Spurensuche begeben und einen informativen und schönen Stadtführer der besonderen Art veröffentlicht: In „59 Eintracht-Orte“ ist Thoma ungewöhnlichen Anekdoten und Orten rund um den Verein auf der Spur. Er erzählt die Geschichten der diversen Sportstätten, von der Hundswiese über den Rosegger-Sportplatz, dem traditionsreichen Riederwald, bis zum neuen Waldstadion. Er erinnert daran, dass der Leichtathlet Heinz Ulzheimer zur Wiedereröffnung der Paulskirche dem damaligen Oberbürgermeister Walter Kolb im Eintracht-Dress den so genannten „Hessischen Köcher“ übergab. Und er stellt uns das im Mai 2020 bemalte UEFA-Cup-Haus in der Werrastraße vor, das auf rund 100 Quadratmetern mit dem jubelnden Kapitän Charly Körbel an den Sieg der Eintracht im UEFA-Pokal 1980 erinnert. Ein Buch, in dem selbst ausgewiesene Eintracht-Fans noch etwas lernen können. ______________________________________
Maximilian Aigner: Vereinsführer. Wallstein Verlag, 304 S., 38,- € Eintracht Frankfurt Museum (Hg.): 59 Eintracht-Orte, 176 S., 15,– €. Bestellung unter museum@eintrachtfrankfurt.de Weitere Infos unter www.museum.eintracht.de
Dieser Text erschien zuerst in der Januar-Ausgabe (1/2021) des JOURNAL FRANKFURT.