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Club-Kultur
Frankfurt Techno City?
Der Status Quo der DJ- und Club-Kultur hat nur noch wenig mit den Ursprüngen zu tun, schreibt Raphael Krickow. In einem Gastbeitrag berichtet er, wie eine kleine und gut vernetzte Szene Frankfurt in den 80ern als Brutstätte der europäischen Techno-Welle bekannt machte.
Unabhängig des geschichtlichen Bezugs der Musiker Paul Hindemith, Frank Farian und Hans Zimmer zu Frankfurt, ist diese Stadt bis zum 20. Jahrhundert sicher nicht für ihre Musik bekannt. Das änderte sich erst in den 80er-Jahren, als diverse Bewegungen dazu führten, dass Frankfurt weltweit Einfluss auf die kommerzielle Popmusik ausübte.
Deutschland stand nach dem Zweiten Weltkrieg auch musikalisch vor einem Neuanfang. Der Komponist Karlheinz Stockhausen zweckentfremdete Mitte der 50er-Jahre Sinuswellengeneratoren, die eigentlich zur Klangerzeugung für Messzwecke gedacht waren. Die Geburtsstunde der elektronischen Musik. Durch deutsche Tugenden wie Technik, Ordnung und Zielstrebigkeit war es kein Wunder, dass man bei der Weiterentwicklung dieser Idee über den sogenannten – sehr psychedelischen – Krautrock am Ende der 70er-Jahre bei der ersten wirklich tanzbaren elektronischen Musik von Kraftwerk landete.
Wenige Jahre später trafen in Frankfurt Strömungen auf einen Nährboden, der den musikalischen Zeitgeist bis heute bestimmt. Zum einen den neuen elektronischen Sound, mit dem man sich von anderen Generationen und Jugendkulturen abgrenzen konnte. Zum anderen den Weg des DJs vom „Dienstleister“ hinter den Plattentellern zum „Master Of Ceremony“, der aus einzelnen Tracks einen eigenen, zusammenhängenden Sound kreierte. Als Urvater gilt DJ Kool Herc, der erste Blockparty-Superstar, der in der New Yorker Bronx schon Ende der 70er mit zwei Plattenspielern Instrumentalversionen ineinander mixte und damit den Soundtrack für die Graffiti- und Breakdance-Kultur erfand.
Das Dorian Gray eröffnet
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren 1978 die Gastronomen Gerd Schüler und Michael Presinger mit dem Dorian Gray am Frankfurter Flughafen. Hier entwickelte sich durch die Parameter einer nicht vorhandenen Sperrstunde, der internationalen Drehscheibe und einem unverwechselbaren Sound des Klang-Designers Richard Long ein Parallel-Universum für exklusive Club-Nächte, auch wenn ursprünglich beabsichtigt war, einen Treffpunkt der deutschen Haute Volée nach Vorbild des New Yorker Studio 54 zu schaffen.
Schnell entstand auf dieser Basis ein Mikrokosmos, der die ganze Stadt und das Umland in seinen Bann zog. Multi-Kulti, wie in Berlin oder Hamburg gab es zu der Zeit in Frankfurt kaum. Die Kälte der kosmopolitischen Bankenstadt und der mangelnde Medien-Hype aufgrund fehlender touristischer Highlights, führten zu einer eigenen, authentischen Subkultur. Das Publikum bestand damals schon aus vielen Selbstdarstellern, Paradiesvögeln und Bohemiens. Dieser Szene-Karneval aus frühen Gothics und New Romantics definierte sich aber im Gegensatz zu deren unterschiedlichen englischen Vorbildern über diese neue Art elektronischer Club-Musik, die weder Synth-Pop, noch Post-Punk oder New Wave war. Es war die namenlose Vorstufe von Techno.
Um dem Kind einen Namen zu geben, einigte man sich dann gegen Ende der 80er auf eben diesen: „Techno“, auch wenn es den Begriff schon lange gab. Die Detroit Techno Szene beruft sich z.B. auf den Begriff „Techno-Rebellen“, den Atkins Toffler schon 1970 in seinem Buch „Future Shock“ benutzte. Vorher beschrieb die holprige Frankfurter Neuwortschöpfung „Aggrepo“ (aggressiv positiv) noch die eigene Interpretation von Industrial, Electronic Body Music und New Beat.
Im Sog dieser Entwicklungen entstanden dann unzählige Home-Studio-Projekte, und es bildete sich eine Infrastruktur von Clubs (Vogue, Plastik, Construction 5, Music-Hall, AoxomoxoA), Labels (Clockwork, Ohrwurm, Westside, Logic, Abfahrt, Muzic Research), Studios (Cream, Dynaton, Master Studios, paraDOX), Radiosendungen (1983-1986 HR3 Sounds of Synthesizer, 1990-2014 HR3 Clubnight), Plattenläden (Eisele, Knie, Marions, City Music, Boy) und Zeitschriften (Frontpage, Groove).
Die Protagonisten dieser Welle waren sicher die ersten DJs im Dorian Gray, u.a. Peter Römer, Bijan Blum und Ralf Holl. Elektronische Musik-Maßstäbe setzten dort ab 1982 Ulli Brenner und Michael Münzing, der später wie schon DJ Dag in der Music-Hall auflegte, 1988 zusammen mit Sven Väth und Matthias Martinsohn das Omen eröffnete, Gründungsmitglied von Logic Records war und zusammen mit Luca Anzilotti die Projekte OFF (Organisation For Fun)(„Bad News“ 1985), 16 Bit („Where Are You“ 1986) und SNAP! („The Power“ 1989) etablierte.
Schillernde Persönlichkeiten: Sven Väth und Talla 2XLC
Der erste erwähnenswerte Tonträger des späteren Frankfurter Erfolgs-Sounds entstand aber im Umfeld des ebenfalls den Gastronomen Schüler & Presinger gehörenden Clubs Aladdin’s bei Aschaffenburg. Schon 1982 produzierte dort der DJ Mike Staab das Projekt Depro-Art mit dem richtungsweisenden Track "Ghetto Life“. Die schillerndsten und einflussreichsten Figuren waren aber sicher Sven Väth und Talla 2XLC (Andreas Tomalla). Väth fing 1983 im kleinen Club des Grays an, zog dann in sein „Wohnzimmer“ Vogue, um vor der Gründung des eigenen Clubs Omen von 1987 bis 1988 legendäre Samstagsnächte im großen Club des Grays zu bestreiten. Musikalisch war er seit 1985 für seine Mitarbeit an den Projekten OFF („Electrica Salsa“ 1986) und 16 Bit bekannt.
Talla erkannte schon sehr früh, wohin die musikalische Reise in Frankfurt ging und war ab 1983 eine der Drehscheiben für den DJ Vinyl-Verkauf im City-Music unter dem Frankfurter Hauptbahnhof. Dort kreierte er auch ein Fach für rein elektronische Musik und beklebte es mit dem Dymo Prägeschrift-Aufkleber „Techno“. So benannte er 1984 auch seine Veranstaltung, den Techno-Club, der mit Unterbrechungen ab 1987 freitags ein fester Bestandteil im Dorian Gray war. 1984 und 1985 erschienen seine ersten 12-Inches der Projekte Axodry („Feel It Right“) und Moskwa TV („Generator 7/8“) zusammen mit den Produzenten Axel Henninger und RaHen (Ralf Henrich). Später kam die eigene Plattenfirma Muzic Research mit den Labeln Techno Drome International (TDI), Suck Me Plasma und New Zone dazu. Kaum jemand lebt den Begriff Techno bis heute so authentisch und kompromisslos wie Talla 2XLC.
Einen neuen Sound kreierte dann Torsten Fenslau sowohl als DJ ab 1988 im Dorian Gray, wie auch als Produzent zusammen mit Jens Zimmermann, Nosie Katzmann, Peter Zweier und Alexander Abraham. Out of the Ordinary mit „The Dream“ (1988) war ein musikalischer Wendepunkt. Ein Jahr später gründete Fenslau sein eigenes Label Abfahrt und produzierte mit Culture Beat 1993 den Welthit „Mr. Vain“.
„Sound Of Frankfurt“ entsteht
All diese musikalischen Entwicklungen führten Ende der 80er zum Begriff „Sound Of Frankfurt“, nachdem das in der Gegend ansässige Label ZYX schon 1987 die Compilation „The New Sound Of Frankfurt“ herausbrachte. ZYX war auch schon das Label, welches seit Beginn des Jahrzehnts maßgeblich für die frühen Elektro-Sounds verantwortlich zeichnete, mit denen erwähnte DJs ihre Sets spielten. Eine einheitliche, kleine und gut vernetzte Szene mit einem klaren Ziel sorgte für den Ruf Frankfurts als Brutstätte der europäischen Techno-Welle der 90er weit über Europas Grenzen hinaus. Eine einzigartige Erfolgsgeschichte von der authentischen Subkultur zum zwangsläufigen Ausverkauf. Einige DJs wurden Superstars und Produzenten zu Platten-Millionären. Wie in dieser Branche üblich, führten Gier und Neid dazu, dass die Szene zerfiel, und Berlin lief Frankfurt den Rang ab. Zudem war der kurzfristige Zusammenhalt über den Ehrenkodex Drogenkonsum irgendwann wichtiger als die Professionalität von Musikschaffenden, Club-Betreibern und Veranstaltern. Qualität spielte eine untergeordnete Rolle. Die 90er und 2000er waren zwar noch sehr produktive Jahre, aber Frankfurt hatte in Sachen Dance-Music schon lange kein Alleinstellungsmerkmal mehr.
Der Status Quo nicht nur der Frankfurter DJ- und Club-Kultur hat nur noch wenig mit den Ursprüngen zu tun. Elektronische Musik dient eher als Hintergrundrauschen denn als Grund in den Club zu gehen. Man will nichts Neues entdecken, weil man vermeintlich schon alles durch Könnte-Dir-Auch-Gefallen-Dauerberieselung kennt. Der Club als Ort eines exklusiven Ereignisses hat seine Bedeutung verloren. DJs ersetzen seit 15 Jahren in Stadien die Rockstars früherer Jahrzehnte, auch wenn man aus 100 Meter Entfernung nur kleine unbewegliche Köpfe auf einer Bühne erkennen kann. Aber es geht wohl eher um das begleitende Feuerwerk und das Gemeinschaftserlebnis mit 100 000 Gleichgesinnten. So hat Frankfurt erst wieder durch Veranstaltungen wie dem World Club Dome eine gewisse Bedeutung in der elektronischen Musikwelt, auch wenn es nur einer von 1 000 Hobby-DJs zum Headliner schafft. Und das auch eher weniger durch das Handwerk des Plattenauflegens, sondern durch erfolgreiche Fließband-Produktionen, die man mittlerweile auch am Laptop auf dem Flug von Ibiza nach Berlin bewerkstelligen kann.
Viele aus dem damaligen Nachtleben werden heute gar nicht wissen, dass sie Pioniere einer sehr individuellen, exklusiven und richtungsweisenden Entwicklung waren.
Raphael Krickow hat exklusiv für das JOURNAL FRANKFURT zwei Playlists zusammengestellt: Essentielle elektronische Tracks der 80er in den Clubs finden Sie hier; innovative elektronische Tracks der 80er in den Clubs hier.
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Raphael Krickow, geb. 1966 in Osnabrück, ist in Darmstadt
aufgewachsen. Er schrieb für die erste deutsche DJ- und Dance-Zeitung „Network Press“ und legte als DJ im Frankfurter Club Vogue auf. Nach seiner Tätigkeit als Art Director und der Gründung einer Werbeagentur startete er 1994 gemeinsam mit Gordon Hollenga das DJ-Projekt The Disco Boys. Das Duo tritt weltweit auf. Seit 2009 dokumentiert Krickow mit seinem Projekt „Welcome to the Robots“ die elektronische Musik und Clubkultur seit den frühen 80er-Jahren: www.welcometotherobots.com
Dieser Text ist zuerst in der April-Ausgabe (4/22) des JOURNAL FRANKFURT erschienen.
Deutschland stand nach dem Zweiten Weltkrieg auch musikalisch vor einem Neuanfang. Der Komponist Karlheinz Stockhausen zweckentfremdete Mitte der 50er-Jahre Sinuswellengeneratoren, die eigentlich zur Klangerzeugung für Messzwecke gedacht waren. Die Geburtsstunde der elektronischen Musik. Durch deutsche Tugenden wie Technik, Ordnung und Zielstrebigkeit war es kein Wunder, dass man bei der Weiterentwicklung dieser Idee über den sogenannten – sehr psychedelischen – Krautrock am Ende der 70er-Jahre bei der ersten wirklich tanzbaren elektronischen Musik von Kraftwerk landete.
Wenige Jahre später trafen in Frankfurt Strömungen auf einen Nährboden, der den musikalischen Zeitgeist bis heute bestimmt. Zum einen den neuen elektronischen Sound, mit dem man sich von anderen Generationen und Jugendkulturen abgrenzen konnte. Zum anderen den Weg des DJs vom „Dienstleister“ hinter den Plattentellern zum „Master Of Ceremony“, der aus einzelnen Tracks einen eigenen, zusammenhängenden Sound kreierte. Als Urvater gilt DJ Kool Herc, der erste Blockparty-Superstar, der in der New Yorker Bronx schon Ende der 70er mit zwei Plattenspielern Instrumentalversionen ineinander mixte und damit den Soundtrack für die Graffiti- und Breakdance-Kultur erfand.
Das Dorian Gray eröffnet
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren 1978 die Gastronomen Gerd Schüler und Michael Presinger mit dem Dorian Gray am Frankfurter Flughafen. Hier entwickelte sich durch die Parameter einer nicht vorhandenen Sperrstunde, der internationalen Drehscheibe und einem unverwechselbaren Sound des Klang-Designers Richard Long ein Parallel-Universum für exklusive Club-Nächte, auch wenn ursprünglich beabsichtigt war, einen Treffpunkt der deutschen Haute Volée nach Vorbild des New Yorker Studio 54 zu schaffen.
Schnell entstand auf dieser Basis ein Mikrokosmos, der die ganze Stadt und das Umland in seinen Bann zog. Multi-Kulti, wie in Berlin oder Hamburg gab es zu der Zeit in Frankfurt kaum. Die Kälte der kosmopolitischen Bankenstadt und der mangelnde Medien-Hype aufgrund fehlender touristischer Highlights, führten zu einer eigenen, authentischen Subkultur. Das Publikum bestand damals schon aus vielen Selbstdarstellern, Paradiesvögeln und Bohemiens. Dieser Szene-Karneval aus frühen Gothics und New Romantics definierte sich aber im Gegensatz zu deren unterschiedlichen englischen Vorbildern über diese neue Art elektronischer Club-Musik, die weder Synth-Pop, noch Post-Punk oder New Wave war. Es war die namenlose Vorstufe von Techno.
Um dem Kind einen Namen zu geben, einigte man sich dann gegen Ende der 80er auf eben diesen: „Techno“, auch wenn es den Begriff schon lange gab. Die Detroit Techno Szene beruft sich z.B. auf den Begriff „Techno-Rebellen“, den Atkins Toffler schon 1970 in seinem Buch „Future Shock“ benutzte. Vorher beschrieb die holprige Frankfurter Neuwortschöpfung „Aggrepo“ (aggressiv positiv) noch die eigene Interpretation von Industrial, Electronic Body Music und New Beat.
Im Sog dieser Entwicklungen entstanden dann unzählige Home-Studio-Projekte, und es bildete sich eine Infrastruktur von Clubs (Vogue, Plastik, Construction 5, Music-Hall, AoxomoxoA), Labels (Clockwork, Ohrwurm, Westside, Logic, Abfahrt, Muzic Research), Studios (Cream, Dynaton, Master Studios, paraDOX), Radiosendungen (1983-1986 HR3 Sounds of Synthesizer, 1990-2014 HR3 Clubnight), Plattenläden (Eisele, Knie, Marions, City Music, Boy) und Zeitschriften (Frontpage, Groove).
Die Protagonisten dieser Welle waren sicher die ersten DJs im Dorian Gray, u.a. Peter Römer, Bijan Blum und Ralf Holl. Elektronische Musik-Maßstäbe setzten dort ab 1982 Ulli Brenner und Michael Münzing, der später wie schon DJ Dag in der Music-Hall auflegte, 1988 zusammen mit Sven Väth und Matthias Martinsohn das Omen eröffnete, Gründungsmitglied von Logic Records war und zusammen mit Luca Anzilotti die Projekte OFF (Organisation For Fun)(„Bad News“ 1985), 16 Bit („Where Are You“ 1986) und SNAP! („The Power“ 1989) etablierte.
Schillernde Persönlichkeiten: Sven Väth und Talla 2XLC
Der erste erwähnenswerte Tonträger des späteren Frankfurter Erfolgs-Sounds entstand aber im Umfeld des ebenfalls den Gastronomen Schüler & Presinger gehörenden Clubs Aladdin’s bei Aschaffenburg. Schon 1982 produzierte dort der DJ Mike Staab das Projekt Depro-Art mit dem richtungsweisenden Track "Ghetto Life“. Die schillerndsten und einflussreichsten Figuren waren aber sicher Sven Väth und Talla 2XLC (Andreas Tomalla). Väth fing 1983 im kleinen Club des Grays an, zog dann in sein „Wohnzimmer“ Vogue, um vor der Gründung des eigenen Clubs Omen von 1987 bis 1988 legendäre Samstagsnächte im großen Club des Grays zu bestreiten. Musikalisch war er seit 1985 für seine Mitarbeit an den Projekten OFF („Electrica Salsa“ 1986) und 16 Bit bekannt.
Talla erkannte schon sehr früh, wohin die musikalische Reise in Frankfurt ging und war ab 1983 eine der Drehscheiben für den DJ Vinyl-Verkauf im City-Music unter dem Frankfurter Hauptbahnhof. Dort kreierte er auch ein Fach für rein elektronische Musik und beklebte es mit dem Dymo Prägeschrift-Aufkleber „Techno“. So benannte er 1984 auch seine Veranstaltung, den Techno-Club, der mit Unterbrechungen ab 1987 freitags ein fester Bestandteil im Dorian Gray war. 1984 und 1985 erschienen seine ersten 12-Inches der Projekte Axodry („Feel It Right“) und Moskwa TV („Generator 7/8“) zusammen mit den Produzenten Axel Henninger und RaHen (Ralf Henrich). Später kam die eigene Plattenfirma Muzic Research mit den Labeln Techno Drome International (TDI), Suck Me Plasma und New Zone dazu. Kaum jemand lebt den Begriff Techno bis heute so authentisch und kompromisslos wie Talla 2XLC.
Einen neuen Sound kreierte dann Torsten Fenslau sowohl als DJ ab 1988 im Dorian Gray, wie auch als Produzent zusammen mit Jens Zimmermann, Nosie Katzmann, Peter Zweier und Alexander Abraham. Out of the Ordinary mit „The Dream“ (1988) war ein musikalischer Wendepunkt. Ein Jahr später gründete Fenslau sein eigenes Label Abfahrt und produzierte mit Culture Beat 1993 den Welthit „Mr. Vain“.
„Sound Of Frankfurt“ entsteht
All diese musikalischen Entwicklungen führten Ende der 80er zum Begriff „Sound Of Frankfurt“, nachdem das in der Gegend ansässige Label ZYX schon 1987 die Compilation „The New Sound Of Frankfurt“ herausbrachte. ZYX war auch schon das Label, welches seit Beginn des Jahrzehnts maßgeblich für die frühen Elektro-Sounds verantwortlich zeichnete, mit denen erwähnte DJs ihre Sets spielten. Eine einheitliche, kleine und gut vernetzte Szene mit einem klaren Ziel sorgte für den Ruf Frankfurts als Brutstätte der europäischen Techno-Welle der 90er weit über Europas Grenzen hinaus. Eine einzigartige Erfolgsgeschichte von der authentischen Subkultur zum zwangsläufigen Ausverkauf. Einige DJs wurden Superstars und Produzenten zu Platten-Millionären. Wie in dieser Branche üblich, führten Gier und Neid dazu, dass die Szene zerfiel, und Berlin lief Frankfurt den Rang ab. Zudem war der kurzfristige Zusammenhalt über den Ehrenkodex Drogenkonsum irgendwann wichtiger als die Professionalität von Musikschaffenden, Club-Betreibern und Veranstaltern. Qualität spielte eine untergeordnete Rolle. Die 90er und 2000er waren zwar noch sehr produktive Jahre, aber Frankfurt hatte in Sachen Dance-Music schon lange kein Alleinstellungsmerkmal mehr.
Der Status Quo nicht nur der Frankfurter DJ- und Club-Kultur hat nur noch wenig mit den Ursprüngen zu tun. Elektronische Musik dient eher als Hintergrundrauschen denn als Grund in den Club zu gehen. Man will nichts Neues entdecken, weil man vermeintlich schon alles durch Könnte-Dir-Auch-Gefallen-Dauerberieselung kennt. Der Club als Ort eines exklusiven Ereignisses hat seine Bedeutung verloren. DJs ersetzen seit 15 Jahren in Stadien die Rockstars früherer Jahrzehnte, auch wenn man aus 100 Meter Entfernung nur kleine unbewegliche Köpfe auf einer Bühne erkennen kann. Aber es geht wohl eher um das begleitende Feuerwerk und das Gemeinschaftserlebnis mit 100 000 Gleichgesinnten. So hat Frankfurt erst wieder durch Veranstaltungen wie dem World Club Dome eine gewisse Bedeutung in der elektronischen Musikwelt, auch wenn es nur einer von 1 000 Hobby-DJs zum Headliner schafft. Und das auch eher weniger durch das Handwerk des Plattenauflegens, sondern durch erfolgreiche Fließband-Produktionen, die man mittlerweile auch am Laptop auf dem Flug von Ibiza nach Berlin bewerkstelligen kann.
Viele aus dem damaligen Nachtleben werden heute gar nicht wissen, dass sie Pioniere einer sehr individuellen, exklusiven und richtungsweisenden Entwicklung waren.
Raphael Krickow hat exklusiv für das JOURNAL FRANKFURT zwei Playlists zusammengestellt: Essentielle elektronische Tracks der 80er in den Clubs finden Sie hier; innovative elektronische Tracks der 80er in den Clubs hier.
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Raphael Krickow, geb. 1966 in Osnabrück, ist in Darmstadt
aufgewachsen. Er schrieb für die erste deutsche DJ- und Dance-Zeitung „Network Press“ und legte als DJ im Frankfurter Club Vogue auf. Nach seiner Tätigkeit als Art Director und der Gründung einer Werbeagentur startete er 1994 gemeinsam mit Gordon Hollenga das DJ-Projekt The Disco Boys. Das Duo tritt weltweit auf. Seit 2009 dokumentiert Krickow mit seinem Projekt „Welcome to the Robots“ die elektronische Musik und Clubkultur seit den frühen 80er-Jahren: www.welcometotherobots.com
Dieser Text ist zuerst in der April-Ausgabe (4/22) des JOURNAL FRANKFURT erschienen.
12. April 2022, 12.23 Uhr
Raphael Krickow
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