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The Frankfurt Prototype
Eine neue Form sozialen Lebens
Die Zukunft des urbanen Bauens: Studierende entwerfen ein experimentelles Haus, das sowohl Wohnraum als auch Markthalle ist. Ein Interview mit dem Initiator Niklas Maak.
Niklas Maak: Der Frankfurt Prototype ist ein von meinen Studentinnen und Studenten an der Städelschule zusammen mit Studierenden der University of Applied Sciences und Biodiversitätsexperten der Senckenberg-Gesellschaft entworfenes experimentelles Haus: Es soll zeigen, wie man für einen Preis, für den man sich kein Einfamilienhaus kaufen kann, Wohnraum für bis zu zehn Menschen schafft, und dazu noch einen Raum, in dem eine neue Form von sozialem Leben stattfinden kann.
Es ging beim Prototype auch darum, wie man all das nachhaltig und ressourcenschonend baut. Wir haben deshalb eine kleine ‚Markthalle‘ aus gebrauchtem Stahl errichtet, in der tatsächlich verschiedene Märkte stattfinden werden, aber auch Lesungen, Filmvorführungen und Diskussionen. Auf dem Dach der Markthalle befinden sich modulare, vorfabrizierte Wohneinheiten, die mit gebrauchtem Schalungsholz aus dem Betonbau verkleidet sind und – anders als die üblichen Wohncontainer – flexibel miteinander verschaltet werden können, um verschiedenste Wohnbedürfnisse zu befriedigen.
Die temporären Ausstellungs- und Arbeitsräume des „Center for Contemporary Arts Afghanistan (CCAA)“ aus Kabul, eine Initiative des afghanischen Malers und ehemaligen Direktors des CCAA, Rahraw Omarzad, dessen Studentinnen und Studenten hier auch ein kleines Café betreiben und Besucher durch das Gebäude führen. Eine „grüne urbane Filterwand“ führt an der Stirnseite des Baus radikalere Visionen der Studierenden für ein Leben mit und in der Natur vor.“
Wir erleben gerade den grundlegendsten Wandel der Stadt seit Beginn der Moderne. Durch die Digitalisierung verschwindet das, was die Stadt seit jeher ausmachte: Produktion und Handel, Arbeit, Austausch von Informationen: Wenn man nicht mehr in Bürotürmen, sondern im Home Office arbeitet, wenn man Online Shopping macht, statt in die Einkaufsstraßen und – zentren zu gehen: Was ist dann eigentlich eine Stadt, was tut man in ihr, mit wem verbringt man dort warum Zeit – und wie kann sich Wohnen und Arbeiten neu zu einander verhalten? Ich hatte mich schon im Rahmen meiner Lehre an der Graduate School of Design in Harvard damit befasst, wie man mit wenigen Mitteln guten und würdevollen Wohnraum schaffen kann – für Studierende, Geflüchtete, aber auch generell Menschen mit geringerem bis mittleren Einkommen, die ja gerade in Frankfurt angesichts der Immobilienpreise kaum noch Unterkunft finden. Eine demokratische Stadt ist eine Stadt, die für alle offen und zugänglich ist, kein begehbares Anlagedepot. Aber etwa im Europaviertel sieht Frankfurt immer mehr so aus.
Genau. Wir wollten zeigen, dass man mit wenigen Mitteln einen Ort schaffen kann, an dem man sich treffen kann. Vorbild waren die kleinen Markthallen der Mittelmeerländer – oft sind die nicht größer als die Wohnzimmer eine Villa in Kronberg, aber hunderte von Menschen kommen dort zusammen. Wenn man Wohnungen auf eine Markthalle stellt, in der Workshops, Nahrungsmittelmärkte und Ausstellungen stattfinden, dann bringt man die in der Moderne getrennten Funktionen Arbeit und Wohnen wieder zusammen wie in der alten Stadt. Wir wollen mit dem Prototype erproben, wie das heute funktionieren kann.
Wir erleben eine verschärfte Form von Unterbringungsfunktionalismus, Wohnbauten werden als „assets“ vermarktet und kosteneffizient gestaltet- und nicht als Orte, an denen liebevolle Details ein gutes Leben ermöglichen. Sie bieten nur zwei Lebensentwürfen Platz – Singles und Kleinfamilien, Räume für Freunde, die zusammenleben wollen, für drei Alleinerziehende oder eine Senioren-WG sind schwer zu finden. Und die Neubauten schaffen selten wirklich öffentliche Räume, in denen man sich gern aufhält. Das muss sich ändern. Was sich auch ändern muss, sind unsinnige Vorschriften und Regelungen: Beim Prototyp dämmen wir anders, nicht wie üblich mit erdölbasierten Schäumen, die ein ökologisches Armageddon sind, wir verwenden recyceltes Holz und gebrauchten Stahl, um den CO2-Abdruck gering zu halten.
Es wäre schon viel geholfen, wenn die Börsen für gebrauchte Materialien und deren Zulassung funktionieren würden – das würde die Baukosten deutlich senken. Und wir brauchen beschleunigte Genehmigungsverfahren und Verpflichtungen, dann auch zu bauen, statt dass die Antragsteller nur auf einen leistungslosen Wertzuwachs spekulieren dürfen und nichts bauen müssen.
Bis Baugenehmigungen vorliegen, fließt bekanntlich viel Wasser den Main hinunter. Jedoch wird Frankfurt immer unbezahlbarer, der Wohnraum immer knapper. Wie könnte schnell gehandelt werden?
Wir bräuchten eine große Bauausstellung, die zeigen kann, wie man schnell und qualitätvoll Wohnungen für alle Menschen errichten kann. Die Chancen wären groß gerade – Frankfurt hat einen Oberbürgermeister, der mehr als viele seiner Kollegen vom Bauen versteht, eine Leidenschaft für die Stadt als kulturelle Errungenschaft und Ahnung von Organisation hat. Und Frankfurt hat, wie Deutschland insgesamt, exzellente, auch gerade junge Architektinnen und Architekten mit großartigen Ideen, wie die Stadt der Zukunft aussehen kann, wie man sie um- und weiterbauen könnte. Man muss ihnen nur Raum geben.
Der Prototyp hat eine Standgenehmigung für ein Jahr – dann werden wir sehen. Er ist leicht demontierbar und kann theoretisch mit wenigen LKWs überall hin transportiert werden. Es gibt Interessenten aus dem In- und Ausland. Aber ich fände es schön, wenn er länger in Frankfurt bliebe und ein Ort würde, an dem sich die Frankfurterinnen und Frankfurter gern bei einem Kaffee oder Wein treffen und über die Zukunft der Stadt reden – oder auch über ganz andere Dinge. Wie in einer kleinen Markthalle.
Niklas Maak ist Gastprofessor für Kunst und Architektur an der Frankfurter Städelschule. Er ist Initiator des Projekts. Der „Frankfurt Prototype“ steht im Innenhof des Senckenberg Museums.
7. Oktober 2024, 11.15 Uhr
Jasmin Schülke
Jasmin Schülke
Studium der Publizistik und Kunstgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit Oktober 2021 Chefredakteurin beim Journal Frankfurt. Mehr von Jasmin
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