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Kommentar: SEK Frankfurt

Heldendämmerung

Der Skandal um das SEK Frankfurt zeigt, dass auch Elitepolizisten niederträchtig sein können. Rafael Behr lehrt Kriminologie und Soziologie an der Polizeiakademie Hamburg. Die aktuellen Entwicklungen überraschen ihn nicht. Ein Kommentar.
Olympiade 1972 in München. Die palästinensische Terrororganisation „Schwarzer September“ überfällt die israelische Olympiamannschaft. Elf Sportler, fünf Geiselnehmer und ein Polizist sterben bei dem Versuch einer völlig überforderten Polizei, auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck die Geiseln zu befreien. Die deutsche Polizei hatte den Terroristen nichts, aber auch gar nichts entgegenzusetzen. Dieser Schock saß tief – und war die Geburtsstunde der Grenzschutzgruppe 9 (GSG9) und der Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Länder. Seit dieser Zeit spezialisieren und professionalisieren sich die Länderpolizeien und der Bund zunehmend und kontinuierlich auf diesem Gebiet.

SEK-Beamte sind Elitepolizisten. Für sie gehört die Überwältigung hochpotenter Gegner zum Auftrag. Da geht es nicht mehr um Verkehrskontrollen, sondern um die „Worst-case“-Situationen. In einem Spezialeinsatzkommando sind die Besten der Guten – aber diese produzieren auch unerwünschte Effekte. Die Auswahlkriterien richten sich nicht nach Kontaktkompetenz, Empathie und Serviceorientierung. Psychologisch getestet und ausgewählt werden Kollegen mit hohem Durchhaltevermögen, Disziplin, Ausdauer, Kraft, Geschick, Durchsetzungs- und Überwältigungskompetenz. Frauen haben offiziell Zutritt, kommen aber trotzdem nicht rein (sie schaffen es einfach körperlich nicht, sagen die Männer). Die Probationszeit dauert in der Regel ein Jahr, dann bekommt man „die Schwinge“ – und dann gehört man dazu, nicht ohne entsprechende Initiationsrituale. Das ist bei Rockern ganz ähnlich. Dort muss der „Prospect“ auch lange dienen und sich beobachten lassen, bis er zum „Member“ wird.

Rocker und ein SEK sind Männerbünde, in denen Frauen abwesend sind. Und in beiden Gruppen geht es um Brüderlichkeit. Und um aggressive Männlichkeit. Männer, die kämpfen können und – im Falle der Rocker – auch kämpfen wollen. In beiden Gruppen geht es um das Aushalten von Strapazen, um Disziplin und um ein Heilsversprechen. Die Ikonographie von Rockern und SEK-Polizisten hat viel mit phallischer Symbolik zu tun. Bei den Rockern sind es dicke Motorräder, bei SEK-Beamten sind es stets die Waffen. Sie unterstreichen Martialität und dokumentieren die Potenz. Oft sind es Gewehre, Rammen oder andere Werkzeuge zur wirkungsvollen Überwältigung von Menschen.

Das SEK ist eine Zugriffseinheit, und in ihr arbeiten Bezwingermännlichkeiten. Alle Vorgesetzten wissen, dass es da leicht zu Kollateralschäden kommen kann. Aber alle sind davon überzeugt, dass man diese Einheiten braucht. Deshalb nimmt man Kollateralschäden in Kauf. Währen Rocker in der Regel gewaltfähig und gewaltaffin sind, sollen SEK-Angehörige im Idealfall nur gewaltfähig sein. Auch das funktioniert manchmal nicht, aber immerhin macht das SEK seine Arbeit präzise.

Was ist beim Frankfurter SEK passiert? Man weiß es nicht, über allem liegt der Mantel der Geheimhaltung. Man weiß noch nicht einmal, wie viele Menschen dort arbeiten. Unter diesen Bedingungen hört sich das Wort Fehlerkultur fad an. Alle Reformen, die die Hessische Polizei nach Skandalen seit 2018 begonnen hat, werden von Polizeibeamten geleitet (außer der sogenannten „Expertenkommission“ – aber die hat nur eine beratende Funktion). Kritisiert wird an den Beamten jedenfalls nicht die Arbeitsleistung, sondern persönliche Haltungen. Warum merkte das keiner? Weil ein SEK hohe Autonomie hat, die Dinge selbst zu regeln. Vielleicht hat zu Beginn des Jahres 2019 (als die Chats langsam endeten) ein Kollege oder ein Vorgesetzter die Truppe zusammengerufen und gesagt: „Mir reicht‘s - hört jetzt auf mit dem Scheiß, uns sitzt die Behördenleitung im Nacken“. Damit hätten die Vorgesetzten zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Sie hätten sich Cop Culture-konform verhalten (Kollegen werden nicht verraten) und sie hätten die niederträchtige Chat-Kommunikation beendet.

Bedingung war: Keiner macht etwas, das den Sicherheitsring der Gruppe sprengt. Das geht offenbar auch eine Weile gut und dann wird die Schutzhülle doch perforiert: Einer bekommt ein Verfahren an den Hals, als er schon gar nicht mehr beim SEK ist. Und auch noch eines, was nicht vom Solidaritätsgebot der Kollegen gedeckt ist: Kinderpornografie. Jetzt gibt es einen Grund für die Mainzer Staatsanwaltschaft, an Handykommunikation zu gelangen. Dadurch gerät das männerbündische Getriebe des SEK in Aufruhr. Mindestens eine Teilgruppe kann sich nicht mehr vollständig vor Durchleuchtung schützen. abschotten. Der Zusammenhalt, der im Einsatz oft über Erfolg oder Misserfolg entscheidet, wird jetzt zur Belastung, der „Code of Silence“ verliert seine Schutzfunktion.

Am SEK sehen wir, dass es sich leider nicht ausschließt, „guter“ Polizist und Rassist gleichzeitig zu sein. In Frankfurt ist das schon einmal vorgeführt worden: Michel Friedmans Personenschützer zeigten sich in SS-Uniform: Auch sie haben ihren Dienst vorbildlich verrichtet. Aber ausgerechnet das SEK! Die sollen doch besonders loyal sein! Sind sie auch, wobei sich die Loyalität zuerst auf die Kollegen im Team bezieht. Und was die Integrität angeht, so sind SEK-Beamte eben nicht anders als die sonstigen Polizisten (Rassismus und Diskriminierung in der Polizei sind übrigens vor allem ein Männerthema).

Ich halte es auch für Heuchelei, so überrascht und empört darüber zu sein, dass das Führungsverhalten angeblich versagt hat. Spätestens seit den Vorfällen im KSK der Bundeswehr und den SEKs NRW, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen hätten überall die Alarmglocken läuten müssen, denn die Logik ist überall ähnlich: Männerbünde, die sich als Elite definieren, die eigene Zugangsbarrieren definieren können, die darüber bestimmen, wer hineinkommt und wer nicht, die viel Freiraum zum Üben haben, die über alle möglichen Waffen verfügen, die täglich Überlegenheit und Unterwerfung üben und die klare Feindbilder haben. Wenn dann noch die Verteidigung des Vaterlandes oder der eigenen Nation hinzukommt, wird es ganz gefährlich.

Eine Dominanzkultur, die sich angegriffen fühlt, bereitet den Boden für Abwertung der „Anderen“, für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und für Rassismus. Und vielleicht ist deshalb dieser Vorfall gar nicht so SEK-spezifisch, weil die Konkurrenz um begehrte Güter, die Verteidigung der eigenen Superiorität und die Überhöhung der eigenen Position auch zu den Zutaten gehört, mit der PEGIDA unterwegs war, die „Identitäre Bewegung“ und die Neue Rechte insgesamt. Ein SEK ist in diesem Sinne tatsächlich nur ein Spiegelbild der Gesellschaft und keine, zumindest keine moralische, Elite.

Mittlerweile, so ist zu hören, hat die Polizeiführung die Räume besichtigt, in denen das Frankfurter SEK zu Hause war. Und sie ist erschrocken. Es dürften Bilder vom Siegen sein – und von der Unterwerfung. Bilder der Selbstidealisierung, die man überall sieht, wo Männer sich auf den Kampf vorbereiten. Gruppenbild mit Gewehr. Muskeln. Trophäen aus Überwältigungshandlungen. Sie geben dem „Nest“ die Wärme. Und dass der Polizeipräsident erst am Wochenende die Räume von innen gesehen hat, zeigt, wie hoch die Autonomie des SEK war. Keiner wollte oder durfte in das Innere vordringen. Ein Musterbeispiel für Dominanzkultur. Und dass nun immer noch neue Chatbeteiligte hinzukommen, dürfte damit zusammenhängen, dass man ein Leben lang zur „Familie“ gehört – auch wenn man nicht mehr beim SEK ist.   


Über Rafael Behr: Jahrgang 1958, Professor für Polizeiwissenschaften mit den Schwerpunkten Kriminologie und Soziologie am Fachhochschulbereich der Akademie der Polizei Hamburg, von 1975 bis 1990 Polizeibeamter bei der hessischen Bereitschaftspolizei und im Frankfurter Polizeipräsidium. Nach seinem Psychologie- und Soziologie-Studium an der Goethe-Universität promovierte Behr unter der Überschrift „Cop Culture“ über die Organisationskultur und das Gewaltmonopol der Polizei.
 
Fotogalerie:
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17. Juni 2021, 10.55 Uhr
Rafael Behr
 
 
 
 
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