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SPD-Chef Mike Josef über den Syrien-Einsatz
"Inkonsequent und fahrlässig"
Auf dem am Donnerstag beginnenden SPD-Parteitag wird auch der Einsatz der Bundeswehr diskutiert werden. Hier spricht sich der aus Syrien stammende Frankfurter Parteichef Mike Josef gegen den Eingriff aus.
Es ist kaum mehr als einen Monat her, dass Tony Blair sich für die Fehler seiner Regierung im Irakkrieg entschuldigt hat. Maßgeblich das Fehlen einer politischen Strategie und unzureichende Planungen wären die Ursachen für das Desaster und mitverantwortlich für den Aufstieg des IS gewesen. Verständlicherweise emotionalisiert durch die Terroranschläge in Paris, aber blind für diese historischen Lehren taumeln wir nun sehenden Auges der potentiell nächsten Katastrophe entgegen. Wieder wird das Völkerrecht ignoriert oder durch Umdeutungen ad absurdum geführt, wieder fehlt es an der Einbettung des Militäreinsatzes in eine politische Strategie und umfassende Planung.
Klar ist, die Terroranschläge von Paris waren ein in seiner Bestialität und politischen Symbolik unerträgliches Verbrechen. Sie zielten auf die Zerstörung der Freiheit eines selbstbestimmten Lebens ab. Sie machten uns betroffen und griffen unser Sicherheitsgefühl an – politische Antworten werden erwartet. Leider ist der bevorstehende Kriegseinsatz genauso wenig einer gegen den weltweiten Terrorismus wie ein Einsatz für Frieden und Menschenrechte in Syrien.
Auch dieser Einsatz wird zeigen, dass ein militärisches Eingreifen in einen Krieg ohne übergeordnete politische Strategie den Krieg nicht beendet und den Konflikt nicht löst. Im Gegenteil: Man sorgt für zusätzlichen Zündstoff im Pulverfass. Dabei gibt es bittere Beispiele dafür, wie strategieloses militärisches Eingreifen Konflikte verschärft und Kriege verschlimmert statt sie zu beenden, in der neueren Geschichte zuhauf. Wer will behaupten, dass der Westen den Irakkrieg gewonnen hat, wenn die Generäle Saddam Husseins nun zum Teil die IS-Milizen anführen und das etablierte Regime überrennen? Wer will behaupten, dass die Taliban den Afghanistankrieg verloren haben, wenn sie sich erfolgreich nach Pakistan (eine Atommacht) zurückziehen konnten? Wer will von einem erfolgreichen Libyen-Feldzug sprechen, wenn das Ergebnis ein Failed-State ist.
Der so genannte Bürgerkrieg in Syrien, meiner Heimat, bedeutet seit Jahren eine humanitäre Katastrophe. Seit März 2011 haben über 250.000 Menschen ihr Leben verloren, mehr als 11,6 Millionen Syrer sind auf der Flucht. Die staatliche Infrastruktur ist zu einem Großteil zerstört und Kulturschätze von unvorstellbarem Wert unwiederbringlich verloren. Syrien ist ein Pulverfass mit sich gegenseitig überlagernden, kaum noch zu überblickenden Konfliktlagen. Bürgerinnen und Bürger griffen zu den Waffen, um sich gegen eine Diktatur aufzulehnen, Konfessionen einer Religionsgemeinschaft führen einen „Religionskrieg“, Regionalmächte wie Saudi-Arabien und der Iran führen einen Stellvertreterkrieg und Russland und der Westen führen einen Krieg gegen den Terrorismus mit gegensätzlicher Strategie.
Seit nahezu fünf Jahren wird die Situation in Syrien täglich schlimmer. Genauso lange aber werden der Krieg und seine Folgen ignoriert. Nichtstun wurde damit gerechtfertigt, dass die Lage zu undurchsichtig wäre. Nun zwingen uns steigende Flüchtlingszahlen und terroristische Anschläge zum Hinsehen und endlich auch zum Handeln. Die Lage aber ist noch unübersichtlicher geworden, doch jetzt soll der Eintritt in den Krieg plötzlich die Lösung sein?
Die Argumente derjenigen, die einen Waffengang unter deutscher Beteiligung in Syrien befürworten, überzeugen nicht. Weder würden wir Frankreich unsere Solidarität verweigern, wenn wir unsere Soldatinnen und Soldaten nicht überstürzt in einen Krieg schicken, um innenpolitisch Stärke zu demonstrieren, noch ist das Eingreifen alternativlos. Dabei geht es mir auch gar nicht darum, die Beteiligung am Krieg gegen den so genannten Islamischen Staat grundsätzlich auszuschließen. Im Gegenteil, ich erkenne militärische Mittel, demokratisch legitimiert und völkerrechtlich legal, durchaus als Ultima Ratio der Politik an. Wer Verantwortung übernehmen will, muss die deutsche Geschichte als Auftrag annehmen und darf irrationalen, menschenverachtenden Regimen nicht mit einer bedingungslos pazifistischen Strategie entgegentreten.
Gleichwohl bin ich der festen Überzeugung, dass der General nicht lösen kann, was den Politiker vor ein Rätsel stellt. Nur eine gemeinsame Strategie der Koalitionspartner zur politischen Lösung für die zahlreichen Konflikte in der Region könnte den Bürgerkrieg in Syrien beenden, die Unterstützung des IS durch Saudi Arabien im Keim ersticken sowie die Türkei dazu bringen, die Grenze nach Syrien für IS-Unterstützung und IS-Kämpfer konsequent zu schließen. Hinzu kommt, dass weder der Umgang mit Baschar al-Assad und dessen Truppen im Kampf gegen den IS geklärt ist, noch die viel weiter reichende, aber zwingend zu klärende Frage danach, wie man mit einem jetzt schon geteilten Land umgeht, in dem bewaffnete Konfessionen und Stämme sich unversöhnlich gegenüberstehen. Denn insbesondere eine fehlende Strategie für ein Nachkriegssyrien und die ausbleibende Einbindung der wichtigsten Konfessionen und Stämme würde die folgenschwersten Fehler des Irakkrieges wiederholen, die Hauptursache für das Aufkommen des IS gewesen sind.
Eine umfassende Strategie gegen den internationalen islamistischen Terrorismus würde darum neben der politisch, nicht militärisch zu erwirkenden Unterbrechung der Finanzströme, Waffenlieferung und Kommunikationswege auch eine Auseinandersetzung mit der Ideologie solcher Terrororganisationen bedeuten. Vielmehr als ein Militärbündnis braucht es jetzt ein politisches Bündnis gegen diejenigen Staaten und Organisationen, die durch Handeln oder Unterlassen den IS oder andere islamistische Terrororganisationen und dadurch den Nahen Osten immer wieder destabilisierten.
Vor diesem Hintergrund, nämlich der Konflikte innerhalb des im Bündnisses, der fehlenden politischen Strategie, der Missachtung des Völkerrechts und der weiterhin ungeklärten Frage, was mit einem Nachkriegssyrien passiert, erscheint der Militäreinsatz inkonsequent und fahrlässig. Nicht ausgeschlossen ist, dass am Ende der Hauptgegner dieses Waffengangs, der IS, sogar gestärkt daraus hervorgehen könnte. Deshalb halte ich diesen Einsatz für falsch.
Klar ist, die Terroranschläge von Paris waren ein in seiner Bestialität und politischen Symbolik unerträgliches Verbrechen. Sie zielten auf die Zerstörung der Freiheit eines selbstbestimmten Lebens ab. Sie machten uns betroffen und griffen unser Sicherheitsgefühl an – politische Antworten werden erwartet. Leider ist der bevorstehende Kriegseinsatz genauso wenig einer gegen den weltweiten Terrorismus wie ein Einsatz für Frieden und Menschenrechte in Syrien.
Auch dieser Einsatz wird zeigen, dass ein militärisches Eingreifen in einen Krieg ohne übergeordnete politische Strategie den Krieg nicht beendet und den Konflikt nicht löst. Im Gegenteil: Man sorgt für zusätzlichen Zündstoff im Pulverfass. Dabei gibt es bittere Beispiele dafür, wie strategieloses militärisches Eingreifen Konflikte verschärft und Kriege verschlimmert statt sie zu beenden, in der neueren Geschichte zuhauf. Wer will behaupten, dass der Westen den Irakkrieg gewonnen hat, wenn die Generäle Saddam Husseins nun zum Teil die IS-Milizen anführen und das etablierte Regime überrennen? Wer will behaupten, dass die Taliban den Afghanistankrieg verloren haben, wenn sie sich erfolgreich nach Pakistan (eine Atommacht) zurückziehen konnten? Wer will von einem erfolgreichen Libyen-Feldzug sprechen, wenn das Ergebnis ein Failed-State ist.
Der so genannte Bürgerkrieg in Syrien, meiner Heimat, bedeutet seit Jahren eine humanitäre Katastrophe. Seit März 2011 haben über 250.000 Menschen ihr Leben verloren, mehr als 11,6 Millionen Syrer sind auf der Flucht. Die staatliche Infrastruktur ist zu einem Großteil zerstört und Kulturschätze von unvorstellbarem Wert unwiederbringlich verloren. Syrien ist ein Pulverfass mit sich gegenseitig überlagernden, kaum noch zu überblickenden Konfliktlagen. Bürgerinnen und Bürger griffen zu den Waffen, um sich gegen eine Diktatur aufzulehnen, Konfessionen einer Religionsgemeinschaft führen einen „Religionskrieg“, Regionalmächte wie Saudi-Arabien und der Iran führen einen Stellvertreterkrieg und Russland und der Westen führen einen Krieg gegen den Terrorismus mit gegensätzlicher Strategie.
Seit nahezu fünf Jahren wird die Situation in Syrien täglich schlimmer. Genauso lange aber werden der Krieg und seine Folgen ignoriert. Nichtstun wurde damit gerechtfertigt, dass die Lage zu undurchsichtig wäre. Nun zwingen uns steigende Flüchtlingszahlen und terroristische Anschläge zum Hinsehen und endlich auch zum Handeln. Die Lage aber ist noch unübersichtlicher geworden, doch jetzt soll der Eintritt in den Krieg plötzlich die Lösung sein?
Die Argumente derjenigen, die einen Waffengang unter deutscher Beteiligung in Syrien befürworten, überzeugen nicht. Weder würden wir Frankreich unsere Solidarität verweigern, wenn wir unsere Soldatinnen und Soldaten nicht überstürzt in einen Krieg schicken, um innenpolitisch Stärke zu demonstrieren, noch ist das Eingreifen alternativlos. Dabei geht es mir auch gar nicht darum, die Beteiligung am Krieg gegen den so genannten Islamischen Staat grundsätzlich auszuschließen. Im Gegenteil, ich erkenne militärische Mittel, demokratisch legitimiert und völkerrechtlich legal, durchaus als Ultima Ratio der Politik an. Wer Verantwortung übernehmen will, muss die deutsche Geschichte als Auftrag annehmen und darf irrationalen, menschenverachtenden Regimen nicht mit einer bedingungslos pazifistischen Strategie entgegentreten.
Gleichwohl bin ich der festen Überzeugung, dass der General nicht lösen kann, was den Politiker vor ein Rätsel stellt. Nur eine gemeinsame Strategie der Koalitionspartner zur politischen Lösung für die zahlreichen Konflikte in der Region könnte den Bürgerkrieg in Syrien beenden, die Unterstützung des IS durch Saudi Arabien im Keim ersticken sowie die Türkei dazu bringen, die Grenze nach Syrien für IS-Unterstützung und IS-Kämpfer konsequent zu schließen. Hinzu kommt, dass weder der Umgang mit Baschar al-Assad und dessen Truppen im Kampf gegen den IS geklärt ist, noch die viel weiter reichende, aber zwingend zu klärende Frage danach, wie man mit einem jetzt schon geteilten Land umgeht, in dem bewaffnete Konfessionen und Stämme sich unversöhnlich gegenüberstehen. Denn insbesondere eine fehlende Strategie für ein Nachkriegssyrien und die ausbleibende Einbindung der wichtigsten Konfessionen und Stämme würde die folgenschwersten Fehler des Irakkrieges wiederholen, die Hauptursache für das Aufkommen des IS gewesen sind.
Eine umfassende Strategie gegen den internationalen islamistischen Terrorismus würde darum neben der politisch, nicht militärisch zu erwirkenden Unterbrechung der Finanzströme, Waffenlieferung und Kommunikationswege auch eine Auseinandersetzung mit der Ideologie solcher Terrororganisationen bedeuten. Vielmehr als ein Militärbündnis braucht es jetzt ein politisches Bündnis gegen diejenigen Staaten und Organisationen, die durch Handeln oder Unterlassen den IS oder andere islamistische Terrororganisationen und dadurch den Nahen Osten immer wieder destabilisierten.
Vor diesem Hintergrund, nämlich der Konflikte innerhalb des im Bündnisses, der fehlenden politischen Strategie, der Missachtung des Völkerrechts und der weiterhin ungeklärten Frage, was mit einem Nachkriegssyrien passiert, erscheint der Militäreinsatz inkonsequent und fahrlässig. Nicht ausgeschlossen ist, dass am Ende der Hauptgegner dieses Waffengangs, der IS, sogar gestärkt daraus hervorgehen könnte. Deshalb halte ich diesen Einsatz für falsch.
8. Dezember 2015, 10.56 Uhr
Mike Josef
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