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Jochem Hendricks u. Daniel Cohn-Bendit im Gespräch
Ist die Revolution jetzt Kunst?
Der Künstler Jochem Hendricks hat ein Buch aus Polizeifotos gemacht, Polizeifotos der 68er-Bewegung. "Revolutionäres Archiv", nennt er das und sprach im Frankfurter Kunstverein darüber mit Daniel Cohn-Bendit.
Am Anfang stellt Franziska Nori, Direktorin des Frankfurter Kunstvereins, die Frage, ob dieses Buch nun ein "Zeugnis einer Zeit" oder ein Kunstwerk. Und tatsächlich schwingt da, ganz am Anfang der Diskussionsrunde mit Jochem Hendricks, Daniel Cohn-Bendit und Doris Krystof, Kuratorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalens, schon einiges mit. Die Subjektivität der Fotografen, der Betrachter und nun, schließlich, die des Künstlers, der, wie er sagt, versucht habe, "Archetypen" zu schaffen aus den Bildern, die ihm in den Schoß fielen.
Man muss sich ein bisschen hineinversetzen in eine andere Zeit. Heute werden Demonstrationen hochauflösend gefilmt, wird jede Sekunde festgehalten, auf der Seite der Polizisten ebenso wie auf der der Demonstranten. Die Hoheit über diese Filmaufnahmen holen sich beide Seiten im Schnitt wieder, hier wird etwas weggelassen, dort etwas durch schwarze Balken verdeckt. Dabei werden pro Sekunde kaum weniger Bilder geschossen, wie früher auf eine ganze Filmrolle passten. 36 Bilder auf einer Rolle. Wann drückt man da auf den Auslöser, was erscheint wichtig, was nicht? Fragen, die nicht nur die Reporter jener Zeit, sondern auch die Polizeifotografen mal unbewusst, mal ganz bewusst stellten.
Das "Revolutionäre Archiv", dass Jochem Hendricks nun gehoben hat, will ein Zeitdokument sein, aber auch Kunst. "Ich bin auch ein Kunstwerk", sagt Daniel Cohn-Bendit dazu, mehr als 40.000 Fotos seien von ihm gemacht worden, die Welt aber kenne ihn nur durch eines: 23 Jahre alt, lächelnd vor einem Polizisten. Ein Augenblick, wie festgefroren. "Ein Foto ist nicht die Realität, es ist der Blick der Person, die es schießt, und die Reaktion derjenigen Person, die im Fokus ist." So betrachtet schweben aus der Sicht von Herrn Cohn-Bendit denn auch die Polizeifotos in ihrer eigenen Realität. "Ich kenne einige der Situationen, in denen die Fotos aus diesem Buch entstanden sind. Sie spiegeln ebenso die Realität wider wie sie es nicht tun." Sie seien belanglos, auch langweilig – auf den ersten Blick. Die Kunst geschehe mit der Projektion des Betrachters.
Für Doris Krystof ist das Archiv gleichsam ein Blick auf eine zu Ende gegangene Epoche der Fotografie, auf das Suchen eines Moments und wenn der in einer Adressliste liegt, die in einem Umzugskarton abgelichtet wurde. Die Zeit des Suchers ist vorbei, der Silbergelatine, des Barytpapiers, die Technik sei längst darüber hinaus. Die Fotos seien aber gerade deswegen heute besonders ansprechend.
Selbstredend liegt auch noch ein anderer voyeuristischer Impuls in dem Buchprojekt. "Diese Fotos sind ja eigentlich geheim", sagt Doris Krystof. Die Frage, wie sie eigentlich emporkamen, scheinbar so zufällig wie kürzlich die Polizeiakte Joschka Fischers, wird an diesem Abend nicht geklärt. Dafür erkennen einige Besucher sich oder Weggefährten wieder. Die Posterboys und -girls der Bewegung, die in Frankfurt tobte, sind im Buch jedoch nicht zu finden. Den Kult um sie wollte Jochem Hendricks nicht weiter betreiben. Geholfen hat dem Künstler bei dem Projekt aber eine Prominente, nämlich Magdalena Kopp, kürzlich in Frankfurt verstorben, früher mit dem Terroristen "Carlos" zusammen und einst, wie so viele, bei den Revolutionären Zellen. Sie hat ihren ganz eigenen Blick mitgebracht auf die Polizeifotos. So kommt eine weitere, nicht unerhebliche Facette zum "Revolutionären Archiv" hinzu. Nein, das wird an diesem Abend im Kunstverein deutlich, diese Bewegung ist wirklich schwer zu fassen.
Man muss sich ein bisschen hineinversetzen in eine andere Zeit. Heute werden Demonstrationen hochauflösend gefilmt, wird jede Sekunde festgehalten, auf der Seite der Polizisten ebenso wie auf der der Demonstranten. Die Hoheit über diese Filmaufnahmen holen sich beide Seiten im Schnitt wieder, hier wird etwas weggelassen, dort etwas durch schwarze Balken verdeckt. Dabei werden pro Sekunde kaum weniger Bilder geschossen, wie früher auf eine ganze Filmrolle passten. 36 Bilder auf einer Rolle. Wann drückt man da auf den Auslöser, was erscheint wichtig, was nicht? Fragen, die nicht nur die Reporter jener Zeit, sondern auch die Polizeifotografen mal unbewusst, mal ganz bewusst stellten.
Das "Revolutionäre Archiv", dass Jochem Hendricks nun gehoben hat, will ein Zeitdokument sein, aber auch Kunst. "Ich bin auch ein Kunstwerk", sagt Daniel Cohn-Bendit dazu, mehr als 40.000 Fotos seien von ihm gemacht worden, die Welt aber kenne ihn nur durch eines: 23 Jahre alt, lächelnd vor einem Polizisten. Ein Augenblick, wie festgefroren. "Ein Foto ist nicht die Realität, es ist der Blick der Person, die es schießt, und die Reaktion derjenigen Person, die im Fokus ist." So betrachtet schweben aus der Sicht von Herrn Cohn-Bendit denn auch die Polizeifotos in ihrer eigenen Realität. "Ich kenne einige der Situationen, in denen die Fotos aus diesem Buch entstanden sind. Sie spiegeln ebenso die Realität wider wie sie es nicht tun." Sie seien belanglos, auch langweilig – auf den ersten Blick. Die Kunst geschehe mit der Projektion des Betrachters.
Für Doris Krystof ist das Archiv gleichsam ein Blick auf eine zu Ende gegangene Epoche der Fotografie, auf das Suchen eines Moments und wenn der in einer Adressliste liegt, die in einem Umzugskarton abgelichtet wurde. Die Zeit des Suchers ist vorbei, der Silbergelatine, des Barytpapiers, die Technik sei längst darüber hinaus. Die Fotos seien aber gerade deswegen heute besonders ansprechend.
Selbstredend liegt auch noch ein anderer voyeuristischer Impuls in dem Buchprojekt. "Diese Fotos sind ja eigentlich geheim", sagt Doris Krystof. Die Frage, wie sie eigentlich emporkamen, scheinbar so zufällig wie kürzlich die Polizeiakte Joschka Fischers, wird an diesem Abend nicht geklärt. Dafür erkennen einige Besucher sich oder Weggefährten wieder. Die Posterboys und -girls der Bewegung, die in Frankfurt tobte, sind im Buch jedoch nicht zu finden. Den Kult um sie wollte Jochem Hendricks nicht weiter betreiben. Geholfen hat dem Künstler bei dem Projekt aber eine Prominente, nämlich Magdalena Kopp, kürzlich in Frankfurt verstorben, früher mit dem Terroristen "Carlos" zusammen und einst, wie so viele, bei den Revolutionären Zellen. Sie hat ihren ganz eigenen Blick mitgebracht auf die Polizeifotos. So kommt eine weitere, nicht unerhebliche Facette zum "Revolutionären Archiv" hinzu. Nein, das wird an diesem Abend im Kunstverein deutlich, diese Bewegung ist wirklich schwer zu fassen.
8. Dezember 2015, 10.52 Uhr
Nils Bremer
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