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Demokratie gestalten

„Wir brauchen eine starke Bürgergesellschaft mit Zivilcourage!“

Ob wir etwas ändern oder nicht, es geht um die mögliche Verantwortung eines jeden. Wir müssen gegen Verfügbarkeit, gegen Mitfunktionieren aufrufen. Ein Gastbeitrag.
Im Französischen gibt es den Begriff „courage civil“, den Mut des Einzelnen zum eigenen Urteil, und „courage civique“, den des Bürgers, des Staatsbürgers. Diese beiden Arten Mut sind in dem Wort Zivilcourage zusammengeflossen. Der erste Deutsche, der nachweislich das Wort Zivilcourage gebraucht hat, war der junge Bismarck. Nachdem er bei einer Landtagsdebatte ausgepfiffen und ausgebuht worden war, und ihm nachher beim Mittagessen ein Verwandter sagte: „Eigentlich hattest du ja ganz recht. Nur sagt man so etwas nicht“, da antwortete Bismarck: „Wenn du meiner Meinung warst, hättest du mir beistehen sollen. (…) Sie werden es nicht selten finden, daß es ganz achtbaren Leuten an Zivilcourage fehlt.“

Nicht „in“ sein müssen: Das ist Zivilcourage, sagte Hilde Domin. Die Schriftstellerin und ich gaben 1995 zusammen ein Buch unter dem Titel „Nachkrieg und Unfrieden“ heraus und im Nachwort steht: „In“ sein müssen, das ist Konformismus. Sich so verhalten, dass man möglichst morgen schon „in“ ist, das ist „Vorauskonformismus“. Und so können wir auch heute wieder bei allem gelebten Konformismus und „Vorauskonformismus“ sehen, dass es den meisten Menschen an Zivilcourage fehlt.

Junge Menschen zur Mitwirkung motivieren

Demokratie leben und lernen: Für Frankfurter Schulen hat die Frankfurter Bürgerstiftung ein Informationsbuch zum Verstehen des Demokratieorts Paulskirche herausgegeben. Zahlreiche Schülerinnen und Schüler haben das Buch bereits im Geschichtsunterricht durchgenommen und anschließend die Ausstellung in der Paulskirche besucht. Das Programm hat zum Ziel, durch die Demokratisierung von Unterricht und Schulleben die Bereitschaft junger Menschen zur aktiven Mitwirkung an der Zivilgesellschaft zu fördern. Es versteht sich auch als eine Antwort auf Gewalt, Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen und auf die seit Jahren zunehmende Politikverdrossenheit und Politikdistanz.

Wenn sich Politiker um die richtige Zusammensetzung einer Jury für einen „Paulskirchenpreis“ streiten, so sollten sie vielleicht einen Vertreter der jüngeren Generation, einen ganz jungen „Demokratie-Botschafter“ aller Frankfurter Schulen (oder aller deutschen Schulen?) in die Jury aufnehmen. Allerdings gibt es ja schon so etwas wie einen „Paulskirchenpreis“, den viele bedeutende Persönlichkeiten unter dem Dach der Paulskirche für ihren Einsatz für Frieden und Demokratie erhalten haben – denken wir nur an alle Preisträgerinnen und Preisträger, die seit vielen Jahren in der Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten haben. Sollte man die Preissumme dieses etablierten Preises vielleicht aufstocken und den Preis um den Namenszug „Paulskirchenpreis“ ergänzen?

„Demokratie bedeutet keineswegs Freiheit“

Einer der „Friedenpreisträger“, Karl Jaspers, sagte einmal: „Auch die Demokratie als Verfassungsform ist noch keineswegs Freiheit. Sie kann der Willkür, der Zügellosigkeit Raum geben. (…) Leicht wird die nur formale Freiheit verspielt. Wenn die Kämpfe der Parteien aus solidarischer Verbundenheit in den selbstzerstörerischen Prozeß treiben, dann wird der freie Staat zur Kulisse, die morgen mitsamt allen seinen Politikern und Parteien umgeworfen werden mag. (…) Kein Friede ohne Freiheit, aber keine Freiheit ohne Wahrheit. (…) Freiheit ist leer, wenn nicht die Wahrheit gemeint ist, der sie entspringt und der sie dient.“

Natürlich gibt es neben der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels auch noch andere wertvolle Demokratieorte, Freiheitsorte in unserer Stadt. Zum Beispiel die Römerberggespräche, die in diesem Jahr ihr 50-jähriges Jubiläum feiern. Sie sind zum Glück eine feste Institution der Debattenkultur in Deutschland und ein wertvoller Beitrag, Demokratie zu gestalten. Bei den letzten Römerberggesprächen wurden auf dem Podium und aus dem Auditorium zahlreiche kritische Fragen gestellt: Was sollen uns Völkerrecht und transnationale Gerechtigkeit wert sein? Welche Opfer wollen wir für den Schutz von geflüchteten und vertriebenen Menschen bringen? Welchen Preis müssen wir für die Verteidigung von Demokratie und Freiheit bezahlen? Und wie rechtfertigen wir diese Kosten denen gegenüber, die ihre Existenzgrundlage gefährdet sehen?

Gegen Verfügbarkeit, gegen Mitfunktionieren

Fragen, die uns alle im Alltag beschäftigen. Fragen, die gestellt werden müssen! Auch hier denke ich an die Möglichkeit, ganz junge Menschen zu beteiligen: Schülerinnen, Schüler, Studentinnen und Studenten aus ganz Deutschland sollten diese Gespräche mitgestalten und ihre Fragen stellen.

Ob wir etwas ändern oder nicht, es geht um die mögliche Verantwortung eines jeden. Gerade in einer Zeit, deren wesentliches Erlebnis immer wieder die Ohnmacht des einzelnen ist, müssen wir gegen Verfügbarkeit, gegen Mitfunktionieren (und sei es z.B. „nur“ gegen unleserliches Gendern) aufrufen. Jede, jeder einzelne von uns ist gefordert, zu reagieren und den Mund aufzumachen, und sich nicht von den lautesten Stimmen kleiner Gruppen einschüchtern zu lassen. Wir, die wir für Freiheit und Demokratie in unserem Land sind, bilden die Mehrheit und sind miteinander stärker als brüllende Demokratiegegner.

Als Thomas Mann im Oktober 1940 seine erste BBC-Rede an die Deutschen gehalten hatte, nutzte er ein Massenmedium, um seine Adressaten zu erreichen. Gegen die Pervertierung der Sprache, gegen eine Propaganda, wie sie die Nationalsozialisten über ihre medialen Kanäle verbreiteten, setzte Mann seine Aufrufe zum Widerstand, zum Festhalten an Humanität und zur Selbstbefreiung der Deutschen vom NS-Regime. Überzeugt von dem Grundsatz, dass die Demokratie, würde sie verteidigt, würde für sie gekämpft, gewinnen werde.

Kraft der Sprache und der Wirkung von Medien

Überzeugt auch von der Kraft der Sprache und der Wirkung von Medien, die diesen Kampf für die Demokratie stützen können. Es geht nicht nur darum, richtig zu fragen, zu hinterfragen, es geht auch darum, wie wir sprechen, wie Medien Wirklichkeit prägen, wie Begriffe – und die mit ihnen implizierten Ideale – zur Realität im Verhältnis stehen. Worauf reagieren wir, wenn wir immer wieder auf einzelne Personen reagieren und den Prozess aus den Augen verlieren, der uns über Ideologien und Programme informieren könnte. WhatsApp-Gruppen kann man verlassen, ein Smartphone kann man ausstellen und das Spektakel des Moments verlassen und eine „Unabhängigkeitserklärung“ abgeben, um sich durch die Freiheit des Rückzugs der Frage zuzuwenden: Was ist wirklich wichtig? Was kann ich als einzelner Bürger für unsere Freiheit tun?

Es ist schwer zu entscheiden, so formuliert es Hannah Arendt in ihrem im Nachlass gefundenen Essay „Die Freiheit, frei zu sein“, „wo der Wunsch nach Befreiung, also frei zu sein von Unterdrückung, endet und der Wunsch nach Freiheit, also ein politisches Leben zu führen, beginnt“.

Unsere Zeit wird keine heroische Epoche sein, sondern eine Periode mühsamer Kleinarbeit – aber es lohnt sich, dabei als starke und sich gegenseitig stärkende demokratische Bürgergesellschaft mit unserer Frankfurter Bürgerstiftung in unserer Stadt verantwortungsvoll und mutig mitzuwirken.
 
Fotogalerie:
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1. Mai 2023, 15.00 Uhr
Clemens Greve
 
 
 
 
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