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MMK Frankfurt
Was macht ein Werk zum Kunstwerk?
Er revolutionierte den Kunstbegriff: Das Museum für Moderne Kunst Frankfurt widmet dem französischen Künstler Marcel Duchamp eine umfassende Einzelausstellung. Zu sehen sind 700 Werke aus sechs Jahrzehnten.
Kennen Sie das? Sie kaufen ein Möbelstück, zum Beispiel eine Garderobe, packen diese aus und dann bleibt sie erstmal liegen. So ist es offenbar auch Marcel Duchamp (1887-1968) ergangen. 1917 hatte er den „Trébuchet“ (Kleiderhaken) mit der Absicht gekauft, ihn an die Wand zu schrauben. Doch das tat er nie. Der Kleiderhaken blieb liegen und Duchamp stolperte regelmäßig darüber. Nun liegt der Kleiderhaken im MMK auf dem Boden. Auch hier könnten die Besucher darüber stolpern, so wie Duchamp es getan hat, gäbe es nicht die Aufsicht, die das zu verhindern weiß.
Und so stolpert man gleich voll rein in den Kosmos des Marcel Duchamp. Im ersten Ausstellungsraum des MMK sind die Werke versammelt, die die meisten wohl mit dem französischen Künstler in Verbindung bringen: die sogenannten Readymades. Der „Trébuchet“ ist das einzige, das sich auf dem Boden befindet. Alle anderen schweben im Raum. Sie hängen von der Decke herab, wie es auch in Duchamps Atelier der Fall war und werfen gemalte Schatten an die Wände. Auch die weltberühmte „Fountain“, vermutlich eines der einflussreichsten Kunstwerke des 20. Jahrhunderts, hängt: Duchamp hatte ein Urinal um 90 Grad auf seinen flachen Rücken gedreht und mit der Signatur „R.Mutt“ versehen. Gedacht war diese Arbeit 1917 für die erste Ausstellung der ein Jahr zuvor gegründeten Society of Independent Artists in New York. Das Komitee lehnte das Urinal jedoch ab, das Original gilt als verloren. Aber bei Duchamp geht es nicht um die Originale: Fast alle Ausstellungs-Readymades aus der Zeit von 1913 bis 1919 existieren nicht mehr. Die Bedeutung des Readymades ist vielmehr die Frage: Was macht ein Werk zum Kunstwerk?
„Duchamp hat es zwar stets abgelehnt, sich zu wiederholen, aber er hat es häufig unternommen, sich zu reproduzieren. Daher die natürliche Frage: Hat man in dem für die unterschiedlichen Reproduktionen eingesetzten Prinzip jemals einen Fehler in Form von Wiederholung festgestellt? Hat er es sich jemals zu leicht gemacht, sich zu vervielfältigen, ohne sich zu erneuern?“, fragt Quentin Meillassoux in einem Essay mit dem Titel „Duchamp aus einem Stück“. Klar ist: Duchamps Replikationen waren keine Massenprodukte, sie sollten aufhören, einmalig zu sein, aber dabei nicht ihre Seltenheit verlieren.
Duchamps Begabung wird schon in seinem Frühwerk deutlich: Seine Malereien zeigen, wie sicher er in der Strichführung ist, erläutert MMK-Direktorin Susanne Pfeffer, die die umfassende Schau kuratiert hat. Das im postimpressionistischen Stil gemalte Werk „Paysage à Blainville“ zeigt, wie sehr die ländliche Umgebung sein Frühwerk geprägt hat. Jedoch hat er sich sehr schnell von der Malerei abgewandt, in der er keine Perspektive gesehen hat. Von 1907 bis 1910 widmet er sich der Karikatur, um „seinen Humor zu trainieren“. Duchamp muss ein sehr humorvoller Mensch gewesen sein, Humor, sagte er, sei enorm wichtig. Auch die Theorie des Kubismus übte eine Anziehungskraft auf den Künstler aus. In der Ausstellung ist Duchamps erstes kubistisches Gemälde von 1911 zu sehen, das „Portrait de joueurs d’échecs“. Hier wird auch die „Moulin à café“ gezeigt, eine Arbeit, die Duchamp für seinen Bruder gemalt und die seine kubistische Vorgehensweise zeigt, die Dekonstruktion des Objekts.
Ein ganzer Raum ist dem Schachspiel gewidmet. Duchamp, dieses Multitalent, war Schachspieler der französischen Nationalmannschaft, und erklärte in einer Rede, dass zwar nicht alle Künstler Schachspieler seien, alle Schachspieler jedoch Künstler. Schach hatte ihn stets interessiert, er entwarf auch sein eigenes „Taschenschachspiel“.
Wie weit voraus er seiner Zeit war, zeigt ein weiteres bekanntes Werk: Er malte einer Nachbildung von Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ einen Schnurrbart auf, die Mona Lisa seines Werks „L.H.O.O.Q.“ von 1919 war also keine Frau mehr, sondern ein Mann. Die Fotografien, die Man Ray 1924 von Marcel Duchamp machte, zeigen, dass der Künstler über die Frage der Geschlechteridentität nachdachte. So ist auch ein ganzer Raum im MMK Rrose Sélavy gewidmet, Duchamps weiblichem Alter Ego, unter dessen Name er 1920 das Werk „Fresh Widow“ schuf. Rrose Sélavy wurde ausgesprochen wie „Eros, c’est la vie – Eros, das ist das Leben“.
Marchel Duchamp, Museum für Moderne Kunst, bis 3. Oktober 2022, www.mmk.art
Und so stolpert man gleich voll rein in den Kosmos des Marcel Duchamp. Im ersten Ausstellungsraum des MMK sind die Werke versammelt, die die meisten wohl mit dem französischen Künstler in Verbindung bringen: die sogenannten Readymades. Der „Trébuchet“ ist das einzige, das sich auf dem Boden befindet. Alle anderen schweben im Raum. Sie hängen von der Decke herab, wie es auch in Duchamps Atelier der Fall war und werfen gemalte Schatten an die Wände. Auch die weltberühmte „Fountain“, vermutlich eines der einflussreichsten Kunstwerke des 20. Jahrhunderts, hängt: Duchamp hatte ein Urinal um 90 Grad auf seinen flachen Rücken gedreht und mit der Signatur „R.Mutt“ versehen. Gedacht war diese Arbeit 1917 für die erste Ausstellung der ein Jahr zuvor gegründeten Society of Independent Artists in New York. Das Komitee lehnte das Urinal jedoch ab, das Original gilt als verloren. Aber bei Duchamp geht es nicht um die Originale: Fast alle Ausstellungs-Readymades aus der Zeit von 1913 bis 1919 existieren nicht mehr. Die Bedeutung des Readymades ist vielmehr die Frage: Was macht ein Werk zum Kunstwerk?
„Duchamp hat es zwar stets abgelehnt, sich zu wiederholen, aber er hat es häufig unternommen, sich zu reproduzieren. Daher die natürliche Frage: Hat man in dem für die unterschiedlichen Reproduktionen eingesetzten Prinzip jemals einen Fehler in Form von Wiederholung festgestellt? Hat er es sich jemals zu leicht gemacht, sich zu vervielfältigen, ohne sich zu erneuern?“, fragt Quentin Meillassoux in einem Essay mit dem Titel „Duchamp aus einem Stück“. Klar ist: Duchamps Replikationen waren keine Massenprodukte, sie sollten aufhören, einmalig zu sein, aber dabei nicht ihre Seltenheit verlieren.
Duchamps Begabung wird schon in seinem Frühwerk deutlich: Seine Malereien zeigen, wie sicher er in der Strichführung ist, erläutert MMK-Direktorin Susanne Pfeffer, die die umfassende Schau kuratiert hat. Das im postimpressionistischen Stil gemalte Werk „Paysage à Blainville“ zeigt, wie sehr die ländliche Umgebung sein Frühwerk geprägt hat. Jedoch hat er sich sehr schnell von der Malerei abgewandt, in der er keine Perspektive gesehen hat. Von 1907 bis 1910 widmet er sich der Karikatur, um „seinen Humor zu trainieren“. Duchamp muss ein sehr humorvoller Mensch gewesen sein, Humor, sagte er, sei enorm wichtig. Auch die Theorie des Kubismus übte eine Anziehungskraft auf den Künstler aus. In der Ausstellung ist Duchamps erstes kubistisches Gemälde von 1911 zu sehen, das „Portrait de joueurs d’échecs“. Hier wird auch die „Moulin à café“ gezeigt, eine Arbeit, die Duchamp für seinen Bruder gemalt und die seine kubistische Vorgehensweise zeigt, die Dekonstruktion des Objekts.
Ein ganzer Raum ist dem Schachspiel gewidmet. Duchamp, dieses Multitalent, war Schachspieler der französischen Nationalmannschaft, und erklärte in einer Rede, dass zwar nicht alle Künstler Schachspieler seien, alle Schachspieler jedoch Künstler. Schach hatte ihn stets interessiert, er entwarf auch sein eigenes „Taschenschachspiel“.
Wie weit voraus er seiner Zeit war, zeigt ein weiteres bekanntes Werk: Er malte einer Nachbildung von Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ einen Schnurrbart auf, die Mona Lisa seines Werks „L.H.O.O.Q.“ von 1919 war also keine Frau mehr, sondern ein Mann. Die Fotografien, die Man Ray 1924 von Marcel Duchamp machte, zeigen, dass der Künstler über die Frage der Geschlechteridentität nachdachte. So ist auch ein ganzer Raum im MMK Rrose Sélavy gewidmet, Duchamps weiblichem Alter Ego, unter dessen Name er 1920 das Werk „Fresh Widow“ schuf. Rrose Sélavy wurde ausgesprochen wie „Eros, c’est la vie – Eros, das ist das Leben“.
Marchel Duchamp, Museum für Moderne Kunst, bis 3. Oktober 2022, www.mmk.art
4. April 2022, 12.50 Uhr
Jasmin Schülke

Jasmin Schülke
Studium der Publizistik und Kunstgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit Oktober 2021 Chefredakteurin beim Journal Frankfurt. Mehr von Jasmin
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