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Lieblingswerk
Zwischen Rap, Kunst und Kühlschränken
Murat Güngör arbeitet an der Goethe-Universität, ist Lehrer, Autor und ehemaliger Rapper. Sein Lieblingswerk ist das Kunstwerk Fun Fridge – ein Kühlschrank, der unter anderem in der Basquiat-Schau der Schirn 2018 zu sehen war.
Jean-Michel Basquiat schafft es, im New Yorker Stadtbild der 1980er-Jahre mit seinem Pseudonym SAMO in Form von lyrischen Graffitis präsent zu sein und gleichzeitig im etablierten Kunstmilieu Fuß zu fassen. Diese Haltung des eigenwilligen Grenzgängers mit unterschiedlichen kulturellen Einflüssen fasziniert mich bei Basquiat und auch sein Ansatz, dass seine Malerei von verschachtelten Textfragmenten getragen wird, die mich irritieren.
Als ehemaliger Rapper ziehen mich seine Texte in Form von Graffitis an. Diese rebellische Haltung des sogenannten Samplings, Inhalte anzueignen, neu zu kodieren und szeneübergreifend zu arbeiten, gehört zum Selbstverständnis der Hip-Hop-Kultur, die auch Teil meiner eigenen Geschichte ist. In diesem Denken war die Straße der öffentliche Raum, der als politischer und künstlerischer Ort der Aneignung markiert wurde. Ende der 70er-Jahre konnte man unter dem Pseudonym SAMO, welches ein Gemeinschaftsprojekt Basquiats mit seinem Partner Al Diaz war, Textfragmente an New Yorks Mauern lesen.
Zur selben Zeit gründeten die Schauspielerin Patti Astor und Bill Stelling die Fun Gallery. Es ging um Mitmachkultur und produktive Netzwerke. In dieser kleinen Galerie im East Village war der Name Programm. Keith Haring teilte seine Zeichentechniken selbstverständlich mit Schülerinnen. Basquiat hatte in der Fun Gallery seine erste Einzelausstellung. Ein Ort, der Spaß machte und die Teilhabe in den Mittelpunkt stellte, sowie frei von Abgrenzung und Verwertungslogik war.
In Astors Wohnung gingen die Künstler, die auch in der Graffiti-Szene eingebunden waren, ein und aus. Ein wichtiges Symbol der Graffitikünstler ist der Tag, ein Kürzel eines Künstlers, der mit seinem Pseudonym unterschreibt. So entstand das Kunstwerk Fun Fridge. Astors Kühlschrank, der mit Tags von zahlreichen Künstlern und auch Basquiat gebombt war. Es war Astors persönlicher Kühlschrank und Teil des Kunstverständnisses im Sinne von Marcel Duchamp, Alltagsgegenstände per Unterschrift zur Kunst zu erklären. Für Astor blieb es ihr Kühlschrank.
Beim ersten Anblick von Fun Fridge dachte ich, alles klar, das kenne ich aus alten Zeiten von WG-Kühlschränken und Partys, wo auch viele Spaß daran hatten, Kühlschränke zu personalisieren. Eine Frage, die mich dabei beschäftigt, ist, wann wird etwas zur Kunst – erklärt. Für mich braucht es eine kommunikative Ebene zum Werk. Eine wechselseitige Beziehung und Auseinandersetzung, die sowohl zu mir spricht als mich auch herausfordert. Und dies erlebte ich bei Fun Fridge. Meine erste Irritation und Einschätzung zu Fun Fridge ging über in den Sog der zahlreichen kodierten und versteckten Querverweise zur amerikanischen Film- und Musikkultur, die auf Fun Fridge markiert wurden. Mein Blick wandelte sich, als ich verstand, wie reichhaltig und komplex das Werk ist, da es nicht nur die Tags von bekannten Künstlern waren, sondern zahlreiche Bezüge von Frank Zappa über Jim Jarmusch bis zu den Flintstones herstellte, sowie bestimmte Verweise sich wiederholten und dadurch ein Muster erzeugten. Und gleichzeitig irritierte es mich, da es eigentlich untypisch ist, dass Tags überkreuzt werden, da dies ein Zeichen von fehlendem Respekt ist. Mein letzter Blick berührte mich am meisten, als ich den Verweis entdeckte: Love Patty.
Mittlerweile ist das nicht mehr Astors Kühlschrank, sondern Teil der etablierten Kunstwelt. Ihren Kühlschrank verkaufte sie aus finanziellen Gründen Ende der 70er Jahre für 1000 $, da sie prekär lebt. Die Schirn würdigte Basquiat 2018 mit einer großen Werkschau, zu sehen war dabei auch das Werk Fun Fridge. Die kreativen Netzwerke, die in den 80er- Jahren in New York gesponnen wurden, führen auch nach Frankfurt. Auf Initiative des Frankfurter DJs Cutmaster GB, der mit Astor befreundet ist, wurde sie zu Basquiats Werkschau eingeladen. Cutmaster GB erzählte mir auch diese Geschichte, die mich rührte.
Patty Astor und Cutmaster GB vor Fund Bridge (Basquiat / Boom for real / Schirn 2018)
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Murat Güngör ist pädagogischer Mitarbeiter an der Goethe-Universität, Lehrer, Autor und ehemaliger Rapper. Gemeinsam mit Hannes Loh hat er das Sachbuch „Fear of a kanak planet – HipHop zwischen Weltkultur und Nazirap“ verfasst und war zuletzt in der vierteiligen Dokumentation über Hip Hop aus Frankfurt, „Dichtung und Wahrheit“, zu sehen.
Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 1/22 des Artkaleidoscope (Januar bis März) erschienen.
Als ehemaliger Rapper ziehen mich seine Texte in Form von Graffitis an. Diese rebellische Haltung des sogenannten Samplings, Inhalte anzueignen, neu zu kodieren und szeneübergreifend zu arbeiten, gehört zum Selbstverständnis der Hip-Hop-Kultur, die auch Teil meiner eigenen Geschichte ist. In diesem Denken war die Straße der öffentliche Raum, der als politischer und künstlerischer Ort der Aneignung markiert wurde. Ende der 70er-Jahre konnte man unter dem Pseudonym SAMO, welches ein Gemeinschaftsprojekt Basquiats mit seinem Partner Al Diaz war, Textfragmente an New Yorks Mauern lesen.
Zur selben Zeit gründeten die Schauspielerin Patti Astor und Bill Stelling die Fun Gallery. Es ging um Mitmachkultur und produktive Netzwerke. In dieser kleinen Galerie im East Village war der Name Programm. Keith Haring teilte seine Zeichentechniken selbstverständlich mit Schülerinnen. Basquiat hatte in der Fun Gallery seine erste Einzelausstellung. Ein Ort, der Spaß machte und die Teilhabe in den Mittelpunkt stellte, sowie frei von Abgrenzung und Verwertungslogik war.
In Astors Wohnung gingen die Künstler, die auch in der Graffiti-Szene eingebunden waren, ein und aus. Ein wichtiges Symbol der Graffitikünstler ist der Tag, ein Kürzel eines Künstlers, der mit seinem Pseudonym unterschreibt. So entstand das Kunstwerk Fun Fridge. Astors Kühlschrank, der mit Tags von zahlreichen Künstlern und auch Basquiat gebombt war. Es war Astors persönlicher Kühlschrank und Teil des Kunstverständnisses im Sinne von Marcel Duchamp, Alltagsgegenstände per Unterschrift zur Kunst zu erklären. Für Astor blieb es ihr Kühlschrank.
Beim ersten Anblick von Fun Fridge dachte ich, alles klar, das kenne ich aus alten Zeiten von WG-Kühlschränken und Partys, wo auch viele Spaß daran hatten, Kühlschränke zu personalisieren. Eine Frage, die mich dabei beschäftigt, ist, wann wird etwas zur Kunst – erklärt. Für mich braucht es eine kommunikative Ebene zum Werk. Eine wechselseitige Beziehung und Auseinandersetzung, die sowohl zu mir spricht als mich auch herausfordert. Und dies erlebte ich bei Fun Fridge. Meine erste Irritation und Einschätzung zu Fun Fridge ging über in den Sog der zahlreichen kodierten und versteckten Querverweise zur amerikanischen Film- und Musikkultur, die auf Fun Fridge markiert wurden. Mein Blick wandelte sich, als ich verstand, wie reichhaltig und komplex das Werk ist, da es nicht nur die Tags von bekannten Künstlern waren, sondern zahlreiche Bezüge von Frank Zappa über Jim Jarmusch bis zu den Flintstones herstellte, sowie bestimmte Verweise sich wiederholten und dadurch ein Muster erzeugten. Und gleichzeitig irritierte es mich, da es eigentlich untypisch ist, dass Tags überkreuzt werden, da dies ein Zeichen von fehlendem Respekt ist. Mein letzter Blick berührte mich am meisten, als ich den Verweis entdeckte: Love Patty.
Mittlerweile ist das nicht mehr Astors Kühlschrank, sondern Teil der etablierten Kunstwelt. Ihren Kühlschrank verkaufte sie aus finanziellen Gründen Ende der 70er Jahre für 1000 $, da sie prekär lebt. Die Schirn würdigte Basquiat 2018 mit einer großen Werkschau, zu sehen war dabei auch das Werk Fun Fridge. Die kreativen Netzwerke, die in den 80er- Jahren in New York gesponnen wurden, führen auch nach Frankfurt. Auf Initiative des Frankfurter DJs Cutmaster GB, der mit Astor befreundet ist, wurde sie zu Basquiats Werkschau eingeladen. Cutmaster GB erzählte mir auch diese Geschichte, die mich rührte.
Patty Astor und Cutmaster GB vor Fund Bridge (Basquiat / Boom for real / Schirn 2018)
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Murat Güngör ist pädagogischer Mitarbeiter an der Goethe-Universität, Lehrer, Autor und ehemaliger Rapper. Gemeinsam mit Hannes Loh hat er das Sachbuch „Fear of a kanak planet – HipHop zwischen Weltkultur und Nazirap“ verfasst und war zuletzt in der vierteiligen Dokumentation über Hip Hop aus Frankfurt, „Dichtung und Wahrheit“, zu sehen.
Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 1/22 des Artkaleidoscope (Januar bis März) erschienen.
12. Januar 2022, 12.24 Uhr
Murat Güngör
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