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Erinnerungen an die Band Schall & Rauch
Als Musik Rebellion bedeutete
Als Berry Blue tritt er noch regelmäßig auf, mit seinem Buch „Wilde Jahre – Musik und Rebellion“ erinnert Siegfried Bäuerle-Keßler an seine Zeit mit der Band Schall & Rauch in den 70er- und 80er-Jahren. Ein Interview.
JOURNAL FRANKFURT: Sind Sie mit der Idee des Buches lange schwanger gegangen oder war es eher ein spontaner Impuls, der Sie zum Schreiben veranlasste?
Siegfried Bäuerle-Keßler: Erinnerungen an meine Bandjahre mit Schall & Rauch wurden bei mir geweckt, als ich 2019 zum ersten Mal an einer Fridays-for-Future-Demo in Frankfurt teilnahm. Wir sind damals mit einer ähnlichen Begeisterung gegen Umweltzerstörung, z.B. gegen die Startbahn West oder für Abrüstung auf die Straße gegangen. Mir wurde bewusst, wie aktuell viele unserer Lieder auch heute noch sind.
Ich glaube, Sie haben eines bewusst vermieden: eine Autobiografie zu schreiben. Der Eindruck, den „Wilde Jahr – Musik und Rebellion" optisch auf Anhieb vermittelt, ist der eines ganz privaten Fotoalbums mit kommentierenden Texten, das allerdings aufgrund der Geschichten, die auch Stadt- und Szene-Geschichte spiegelt, mehr als nur eine persönliche Relevanz hat …
Ich hatte bei der Hessischen Kulturstiftung ein Künstlerstipendium für die Überbrückung der Corona-Krise beantragt. Im Ausschreibungstext wurden neben künstlerischen Produktionen auch Dokumentationen künstlerischer Werke genannt. Mit Schall & Rauch hatte ich damals begonnen, neben Studium und Beruf, regelmäßig öffentlich Musik zu machen, was ich ja auch heute noch mache. Und ich habe die meisten unserer Songtexte geschrieben. Das waren im Nachhinein betrachtet, künstlerische Werke, auch wenn wir das damals nicht so gesehen haben. Als das Stipendium bewilligt wurde, kam die Idee, aus all dem ein Buch zu machen. Eine Autobiografie wollte ich nicht schreiben, sondern eine für mich und viele meiner Zeitgenossen und Zeitgenossinnen bedeutende Zeit dokumentieren. Zum Glück habe ich viele Dokumente und Dias aus der Schall-und-Rauch-Zeit aufgehoben. Ich ließ die Dias digitalisieren und scannte die Dokumente ein, und so wurde es ganz von selbst eine Art Fotoalbum.
Stichwort Stadtbilder als Impulsgeber für Deutschrock. Die Inspirationen lagen also auf der Straße ... Ich muss gerade an Rainer Golembiewskis Buch „Augen in der Großstadt" denken. Über das schrieb ich, dass es ein politisches wie poetisches Projekt ist, das genau in dieser Kombination funktioniert – bei Schall und Rauch stelle ich es mir ähnlich vor. Die Poesie sollte mit Sicherheit nicht zu kurz kommen ...
Das ist ja alles nicht so bewusst abgelaufen. Wir waren Teil der politischen Bewegung. Wir gingen auf Demos. Wir probten zuerst im Schlachthof, viele unserer Auftritte waren in der Fabrik IV, die dann abgerissen wurde. Wir haben am eigenen Leib gespürt, wie Offenbach kaputt saniert wurde. In Frankfurt tobte der Häuserkampf. In den Beziehungen gab es heftige Auseinandersetzungen mit den Frauen und den Themen der Frauenbewegung. Die politischen Themen reichten bis ins Privatleben. Die Texte drücken das alles aus. Nicht nur den Protest, sondern auch die Sehnsucht nach einem besseren Zusammenleben. Aber wir haben tatsächlich auch Gedichte von Brecht, Kunert und Tucholsky vertont.
Sie haben in der Einleitung zwei Themen angerissen, die unsere Gegenwart bestimmen: die Pandemie und die Klimakrise. Braucht es eine Krise, um endlich wieder ins Bewusstsein zu rufen, wie (über-)lebenswichtig Kultur ist und gehen wir ansonsten zu lieblos damit um? Und Sie erwähnten „Fridays For Future". Wie haben Sie über die Jahre, ja Jahrzehnte, die Streitkultur erlebt, gerade auch im Zusammenhang mit Musik?
Mit der Berry Blue Band war ich bis zur Pandemie ganz gut unterwegs. Das fiel auf einmal weg. Wir haben dann zu dritt – Vibraphon, Gitarre, Percussion und Gesang – sehr oft auf dem Offenbacher Wochenmarkt gespielt. Es war nicht zu übersehen, dass die Musik die Leute zum Strahlen brachte, Erwachsene und vor allem auch Kinder. Manche bewegten sich zur Musik und wir bekamen sehr viel positive Resonanz. Das war jedes Mal berührend. Bei einem unserer ersten Konzerte im Capitol, wo wir unser Swingtanz-Programm spielten, fragte ein junges Paar, ob sie tanzen dürften. Eigentlich war das verboten, aber wir haben es einfach erlaubt. Dieses Bild, Swing-Tanz mit Masken, diese durch die Pandemie gebremsten Möglichkeiten, das war schon schmerzhaft und natürlich haben sich alle danach gesehnt, wieder nach Freiheit, Musik und Tanz ausleben zu können. Und dann spürt man natürlich, wie wichtig Musik und Kultur für unser Lebensgefühl sind. Zu den anderen Bands in der Schall-und-Rauch-Zeit: Wir haben spontan vier Songs von Ton Steine Scherben in unser Programm aufgenommen. An andere Deutsch-Rock-Bands mit ähnlichen Texten kann ich mich nicht erinnern. Es gab Liedermacher. Aber wir kamen vom Rock und Blues. Wir haben es einfach gemacht. Wir lieferten den Soundtrack zur Bewegung, das waren wir selbst, es kam gut an und unsere Musik war tanzbar. Auch die Presse war begeistert. Streitkultur über die Musik – daran kann ich mich nicht erinnern. Wir spielten ja auch überall: in der Batschkapp, im Sinkkasten, bei Gewerkschaftsveranstaltungen, bei den Grünen, an der Uni beim Friedenskongress, in Jugendzentren, bei Rock-gegen-Rechts-Events..
In diesem Zusammenhang die Frage: Soll Ihre Geschichte mit dem Buch auch eine Ermunterung für jüngere Bands sein, Ihrem Vorbild zu folgen? Ist die Zeit „für diese Art der Musik" wieder gekommen? Sie haben auch von der ungebrochenen Aktualität vieler Ihrer alten Texte geschrieben …
Das Buch ist sicher auch für jüngere Leute interessant, weil sie dann nachvollziehen können, wie rebellisch wir waren und wie offen mit unseren Themen, privat und politisch. Mit dem Buch habe ich das alles wieder in Erinnerung gerufen. Das hat vor allem uns selbst, den alten Bandmitgliedern, Teilen der Szene, die das Buch wahrgenommen haben, und mir, sehr gutgetan. Wir waren damals mutig, wir haben nicht gefragt, ob wir damit Erfolg haben würden. Wir hatten die Themen, daraus wurden Texte, und es gab herausragende Musiker in der Band, die dazu die Musik und spektakuläre Soli entwickelten. Das war alles sehr spontan und kreativ. Da war eine ungeheure Energie in uns, die man in den wenigen Songs, die wir aufgenommen haben, und die jetzt durch das Buch digital verfüg gemacht wurden, spüren kann. Detlef Kinsler
>> Das Berry Blue Trio tritt am 5.11., 18 Uhr im Rathaus in Offenbach auf.
Siegfried Bäuerle-Keßler: Erinnerungen an meine Bandjahre mit Schall & Rauch wurden bei mir geweckt, als ich 2019 zum ersten Mal an einer Fridays-for-Future-Demo in Frankfurt teilnahm. Wir sind damals mit einer ähnlichen Begeisterung gegen Umweltzerstörung, z.B. gegen die Startbahn West oder für Abrüstung auf die Straße gegangen. Mir wurde bewusst, wie aktuell viele unserer Lieder auch heute noch sind.
Ich glaube, Sie haben eines bewusst vermieden: eine Autobiografie zu schreiben. Der Eindruck, den „Wilde Jahr – Musik und Rebellion" optisch auf Anhieb vermittelt, ist der eines ganz privaten Fotoalbums mit kommentierenden Texten, das allerdings aufgrund der Geschichten, die auch Stadt- und Szene-Geschichte spiegelt, mehr als nur eine persönliche Relevanz hat …
Ich hatte bei der Hessischen Kulturstiftung ein Künstlerstipendium für die Überbrückung der Corona-Krise beantragt. Im Ausschreibungstext wurden neben künstlerischen Produktionen auch Dokumentationen künstlerischer Werke genannt. Mit Schall & Rauch hatte ich damals begonnen, neben Studium und Beruf, regelmäßig öffentlich Musik zu machen, was ich ja auch heute noch mache. Und ich habe die meisten unserer Songtexte geschrieben. Das waren im Nachhinein betrachtet, künstlerische Werke, auch wenn wir das damals nicht so gesehen haben. Als das Stipendium bewilligt wurde, kam die Idee, aus all dem ein Buch zu machen. Eine Autobiografie wollte ich nicht schreiben, sondern eine für mich und viele meiner Zeitgenossen und Zeitgenossinnen bedeutende Zeit dokumentieren. Zum Glück habe ich viele Dokumente und Dias aus der Schall-und-Rauch-Zeit aufgehoben. Ich ließ die Dias digitalisieren und scannte die Dokumente ein, und so wurde es ganz von selbst eine Art Fotoalbum.
Stichwort Stadtbilder als Impulsgeber für Deutschrock. Die Inspirationen lagen also auf der Straße ... Ich muss gerade an Rainer Golembiewskis Buch „Augen in der Großstadt" denken. Über das schrieb ich, dass es ein politisches wie poetisches Projekt ist, das genau in dieser Kombination funktioniert – bei Schall und Rauch stelle ich es mir ähnlich vor. Die Poesie sollte mit Sicherheit nicht zu kurz kommen ...
Das ist ja alles nicht so bewusst abgelaufen. Wir waren Teil der politischen Bewegung. Wir gingen auf Demos. Wir probten zuerst im Schlachthof, viele unserer Auftritte waren in der Fabrik IV, die dann abgerissen wurde. Wir haben am eigenen Leib gespürt, wie Offenbach kaputt saniert wurde. In Frankfurt tobte der Häuserkampf. In den Beziehungen gab es heftige Auseinandersetzungen mit den Frauen und den Themen der Frauenbewegung. Die politischen Themen reichten bis ins Privatleben. Die Texte drücken das alles aus. Nicht nur den Protest, sondern auch die Sehnsucht nach einem besseren Zusammenleben. Aber wir haben tatsächlich auch Gedichte von Brecht, Kunert und Tucholsky vertont.
Sie haben in der Einleitung zwei Themen angerissen, die unsere Gegenwart bestimmen: die Pandemie und die Klimakrise. Braucht es eine Krise, um endlich wieder ins Bewusstsein zu rufen, wie (über-)lebenswichtig Kultur ist und gehen wir ansonsten zu lieblos damit um? Und Sie erwähnten „Fridays For Future". Wie haben Sie über die Jahre, ja Jahrzehnte, die Streitkultur erlebt, gerade auch im Zusammenhang mit Musik?
Mit der Berry Blue Band war ich bis zur Pandemie ganz gut unterwegs. Das fiel auf einmal weg. Wir haben dann zu dritt – Vibraphon, Gitarre, Percussion und Gesang – sehr oft auf dem Offenbacher Wochenmarkt gespielt. Es war nicht zu übersehen, dass die Musik die Leute zum Strahlen brachte, Erwachsene und vor allem auch Kinder. Manche bewegten sich zur Musik und wir bekamen sehr viel positive Resonanz. Das war jedes Mal berührend. Bei einem unserer ersten Konzerte im Capitol, wo wir unser Swingtanz-Programm spielten, fragte ein junges Paar, ob sie tanzen dürften. Eigentlich war das verboten, aber wir haben es einfach erlaubt. Dieses Bild, Swing-Tanz mit Masken, diese durch die Pandemie gebremsten Möglichkeiten, das war schon schmerzhaft und natürlich haben sich alle danach gesehnt, wieder nach Freiheit, Musik und Tanz ausleben zu können. Und dann spürt man natürlich, wie wichtig Musik und Kultur für unser Lebensgefühl sind. Zu den anderen Bands in der Schall-und-Rauch-Zeit: Wir haben spontan vier Songs von Ton Steine Scherben in unser Programm aufgenommen. An andere Deutsch-Rock-Bands mit ähnlichen Texten kann ich mich nicht erinnern. Es gab Liedermacher. Aber wir kamen vom Rock und Blues. Wir haben es einfach gemacht. Wir lieferten den Soundtrack zur Bewegung, das waren wir selbst, es kam gut an und unsere Musik war tanzbar. Auch die Presse war begeistert. Streitkultur über die Musik – daran kann ich mich nicht erinnern. Wir spielten ja auch überall: in der Batschkapp, im Sinkkasten, bei Gewerkschaftsveranstaltungen, bei den Grünen, an der Uni beim Friedenskongress, in Jugendzentren, bei Rock-gegen-Rechts-Events..
In diesem Zusammenhang die Frage: Soll Ihre Geschichte mit dem Buch auch eine Ermunterung für jüngere Bands sein, Ihrem Vorbild zu folgen? Ist die Zeit „für diese Art der Musik" wieder gekommen? Sie haben auch von der ungebrochenen Aktualität vieler Ihrer alten Texte geschrieben …
Das Buch ist sicher auch für jüngere Leute interessant, weil sie dann nachvollziehen können, wie rebellisch wir waren und wie offen mit unseren Themen, privat und politisch. Mit dem Buch habe ich das alles wieder in Erinnerung gerufen. Das hat vor allem uns selbst, den alten Bandmitgliedern, Teilen der Szene, die das Buch wahrgenommen haben, und mir, sehr gutgetan. Wir waren damals mutig, wir haben nicht gefragt, ob wir damit Erfolg haben würden. Wir hatten die Themen, daraus wurden Texte, und es gab herausragende Musiker in der Band, die dazu die Musik und spektakuläre Soli entwickelten. Das war alles sehr spontan und kreativ. Da war eine ungeheure Energie in uns, die man in den wenigen Songs, die wir aufgenommen haben, und die jetzt durch das Buch digital verfüg gemacht wurden, spüren kann. Detlef Kinsler
>> Das Berry Blue Trio tritt am 5.11., 18 Uhr im Rathaus in Offenbach auf.
2. November 2021, 12.44 Uhr
Detlef Kinsler
Detlef Kinsler
Weil sein Hobby schon früh zum Beruf wurde, ist Fotografieren eine weitere Leidenschaft des Journal-Frankfurt-Musikredakteurs, der außerdem regelmäßig über Frauenfußball schreibt. Mehr von Detlef
Kinsler >>
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