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36. exground filmfest Wiesbaden – Weltkino vor der Haustür
Vom 17. bis zum 26. November findet das 36. exground filmfest Wiesbaden mit rund 200 Beiträgen und internationalen Entdeckungen statt. Auch Frankfurter Kinos sind beteiligt.
Wenn man an das Wiesbadener exground denkt, dann fällt einem sofort ein: Weltkino quasi direkt vor der Haustür. So ist es auch diesmal, im 36. Festivaljahr, eine stolze Zahl. Dass Chile 2023 im Länderfokus steht, hat verschiedene Gründe: Einmal sorgten gleich mehrere chilenische Arthouse-Produktionen in den vergangenen Monaten für Aufsehen.
Darüber hinaus ist das Wiesbadener Filmfest bestrebt, „in jedem zweiten Jahr ein außereuropäisches Land in den Mittelpunkt zu stellen“, so dessen Leiterin Andrea Wink. Zudem jährt sich der Militärputsch unter Augusto Pinochet zum 50. Mal. Daher spielen Gewalt, Kolonialismus und Unterdrückung in zahlreichen Arbeiten eine Rolle.
Chile im Länderfokus des 36. exground filmfest Wiesbaden: Gewalt, Kolonialismus und Unterdrückung
Der Eröffnungsfilm „1976“ (auch am 20.11. um 20.15 Uhr im Frankfurter Pupille-Kino) spielt drei Jahre nach Beginn der Militärdiktatur. Gewalt auf den Straßen gehört längst zur Normalität. Die rosa Farbe auf den Schuhen der wohlhabenden Hausfrau Carmen (Aline Küppenheim) zu Beginn steht für das vergossene Blut vieler verschleppter Menschen. Als ein befreundeter Priester sie um Hilfe für einen Verwundeten bittet, muss sie sich positionieren.
Dies trifft ebenso auf die Protagonisten von „Los Colonos/The Settlers“ zu. Felipe Gálvez’ Debüt (auch am 22.11., 20.15 Uhr, Pupille) beginnt als elegisch-düsterer Siedlungswestern über die Erschließung Patagoniens, der sich zur apokalyptischen Vision über das Abschlachten der indigenen Bevölkerung ausweitetet. Völlig mit Genre-Erwartungen bricht das düstere Historiendrama, als das Protagonisten-Trio gegen Ende aus der Handlung verschwindet – unter dem Verweis, dass der Genozid weiterging.
„1976“ ist 2023 Eröffnungsfilm: Drei Jahre nach Beginn der Militärdiktatur ist Gewalt Normalität
Um sich an einem gnadenlosen deutschen Großgrundbesitzer (Sebastian Hülk) rächen zu können, verschreibt sich derweil das christlich erzogene Mädchen Rosa anno 1880 der Zauberei: „Sorcery“ (auch 25.11., 18 Uhr, Orfeos Erben) vereint bildgewaltig surreale Elemente mit einer politischen Anklage gegen Rassismus und Unterjochung der Indigenen. Neben einer Lesung über Salvador Allende und einem Kurzfilmprogramm gilt es noch, sieben weitere chilenische Arbeiten, teils als deutsche Premieren, zu entdecken.
Mit Frankfurt, aber ohne Darmstadt und die in Mainz mittlerweile geschlossenen Arthouse-Kinos, präsentiert das exground sein Programm zwischen dem Schwerpunktthema, den Sektionen World Cinema, Youth Days (darunter der sehenswerte Iran-Trickfilm „Die Sirene“) und dem Kurzfilmwettbewerb wie gewohnt in der Caligari FilmBühne, der benachbarten Krypta und dem Murnau-Filmtheater.
Beiträge aus Lateinamerika, Spanien und Deutschland – darunter auch ein Oscar-Vorschlag
Stark vertreten sind auch 2023 erneut die lateinamerikanischen und spanischen Beiträge, darunter der dreistündige argentinische Oscar-Vorschlag „The Deliquents“ um eine Geldunterschlagung.
Für die deutsche Reihe konnte man neben „Roxy“ mit Devid Striesow als Taxifahrer, dem Mutter-Tochter-Road Movie „Sprich mit mir“ und dem mehrfach ausgezeichneten Iran-Drama „Leere Netze“ ebenfalls „Falling Into Place“ terminieren, das Regiedebüt der beliebten Schauspielerin Aylin Tezel. Festivalleiterin Andrea Wink zeigt sich erfreut, dass Tezel ihre in Schottland und England angesiedelte Liebesgeschichte auch persönlich vorstellen will.
Musikfilme haben bei exground eine lange Tradition
Besonders verweist Wink bei den American Independents auf die Musikfilme „Hung Up On a Dream: The Zombies“ und „Little Richard: I Am Everything“, ein Genre, das bei exground lange Tradition hat. Passend zu Richards späterer Prediger-Berufung wird die Rock’n’Roll-Biografie in der Krypta gezeigt.
Die indigene Community Amerikas steht dagegen im Mittelpunkt von „Fancy Dance“: Erica Tremblays Generations- und Familienkonflikt um die queere Jax, die das Sorgerecht für ihre Nichte zu verlieren droht und ihre verschwundene Schwester sucht, zerfasert zwar im Verlauf etwas. Doch die großartige Lily Gladstone („Killers of the Flowers Moon“) und der Appell für die Powow-Tradition machen das stimmige Kleinstadtporträt trotzdem herausragend.
„Gott existiert, ihr Name ist Petrunya“
Ein weiteres Highlight versteckte man am 23.11. um 17.15 Uhr im Caligari-Kino: „The Happiest Man in the World“ beginnt als rasant entwickeltes Ensemblestück beim Speed-Dating in einer Hotelanlage von Sarajevo. Erst langsam muss Asja erkennen, dass sie einen der Teilnehmer offenbar aus dem Bosnienkrieg kennt.
„Gott existiert, ihr Name ist Petrunya“ war ein Versprechen, das Regisseurin Teona Strugar Mitevska mit diesem Schuld-und-Sühne-Drama erneut einlöst. Es glänzt durch eine furiose Kameraarbeit, bitteren Humor, rasante Inszenierung und einen unter die Haut gehenden Plot. Solche Perlen kann man nur bei Festivals wie dem exground entdecken.
Info
Caligari FilmBühne
Marktplatz 9, 65183 Wiesbaden
Murnau Filmtheater
Murnaustraße 6, 65189 Wiesbaden
Krypta der Marktkirche
Marktplatz 9, 65183 Wiesbaden
(Eingang gegenüber der Caligari FilmBühne)
Literaturhaus Villa Clementine
Frankfurter Straße 1, 65189 Wiesbaden
Pupille – Kino in der Goethe-Uni
Mertonstraße 26-28, 60325 Frankfurt
Nassauischer Kunstverein
Wilhelmstraße 15, 65185 Wiesbaden
Orfeos Erben
Hamburger Allee 45, 60486 Frankfurt
Darüber hinaus ist das Wiesbadener Filmfest bestrebt, „in jedem zweiten Jahr ein außereuropäisches Land in den Mittelpunkt zu stellen“, so dessen Leiterin Andrea Wink. Zudem jährt sich der Militärputsch unter Augusto Pinochet zum 50. Mal. Daher spielen Gewalt, Kolonialismus und Unterdrückung in zahlreichen Arbeiten eine Rolle.
Der Eröffnungsfilm „1976“ (auch am 20.11. um 20.15 Uhr im Frankfurter Pupille-Kino) spielt drei Jahre nach Beginn der Militärdiktatur. Gewalt auf den Straßen gehört längst zur Normalität. Die rosa Farbe auf den Schuhen der wohlhabenden Hausfrau Carmen (Aline Küppenheim) zu Beginn steht für das vergossene Blut vieler verschleppter Menschen. Als ein befreundeter Priester sie um Hilfe für einen Verwundeten bittet, muss sie sich positionieren.
Dies trifft ebenso auf die Protagonisten von „Los Colonos/The Settlers“ zu. Felipe Gálvez’ Debüt (auch am 22.11., 20.15 Uhr, Pupille) beginnt als elegisch-düsterer Siedlungswestern über die Erschließung Patagoniens, der sich zur apokalyptischen Vision über das Abschlachten der indigenen Bevölkerung ausweitetet. Völlig mit Genre-Erwartungen bricht das düstere Historiendrama, als das Protagonisten-Trio gegen Ende aus der Handlung verschwindet – unter dem Verweis, dass der Genozid weiterging.
Um sich an einem gnadenlosen deutschen Großgrundbesitzer (Sebastian Hülk) rächen zu können, verschreibt sich derweil das christlich erzogene Mädchen Rosa anno 1880 der Zauberei: „Sorcery“ (auch 25.11., 18 Uhr, Orfeos Erben) vereint bildgewaltig surreale Elemente mit einer politischen Anklage gegen Rassismus und Unterjochung der Indigenen. Neben einer Lesung über Salvador Allende und einem Kurzfilmprogramm gilt es noch, sieben weitere chilenische Arbeiten, teils als deutsche Premieren, zu entdecken.
Mit Frankfurt, aber ohne Darmstadt und die in Mainz mittlerweile geschlossenen Arthouse-Kinos, präsentiert das exground sein Programm zwischen dem Schwerpunktthema, den Sektionen World Cinema, Youth Days (darunter der sehenswerte Iran-Trickfilm „Die Sirene“) und dem Kurzfilmwettbewerb wie gewohnt in der Caligari FilmBühne, der benachbarten Krypta und dem Murnau-Filmtheater.
Stark vertreten sind auch 2023 erneut die lateinamerikanischen und spanischen Beiträge, darunter der dreistündige argentinische Oscar-Vorschlag „The Deliquents“ um eine Geldunterschlagung.
Für die deutsche Reihe konnte man neben „Roxy“ mit Devid Striesow als Taxifahrer, dem Mutter-Tochter-Road Movie „Sprich mit mir“ und dem mehrfach ausgezeichneten Iran-Drama „Leere Netze“ ebenfalls „Falling Into Place“ terminieren, das Regiedebüt der beliebten Schauspielerin Aylin Tezel. Festivalleiterin Andrea Wink zeigt sich erfreut, dass Tezel ihre in Schottland und England angesiedelte Liebesgeschichte auch persönlich vorstellen will.
Besonders verweist Wink bei den American Independents auf die Musikfilme „Hung Up On a Dream: The Zombies“ und „Little Richard: I Am Everything“, ein Genre, das bei exground lange Tradition hat. Passend zu Richards späterer Prediger-Berufung wird die Rock’n’Roll-Biografie in der Krypta gezeigt.
Die indigene Community Amerikas steht dagegen im Mittelpunkt von „Fancy Dance“: Erica Tremblays Generations- und Familienkonflikt um die queere Jax, die das Sorgerecht für ihre Nichte zu verlieren droht und ihre verschwundene Schwester sucht, zerfasert zwar im Verlauf etwas. Doch die großartige Lily Gladstone („Killers of the Flowers Moon“) und der Appell für die Powow-Tradition machen das stimmige Kleinstadtporträt trotzdem herausragend.
Ein weiteres Highlight versteckte man am 23.11. um 17.15 Uhr im Caligari-Kino: „The Happiest Man in the World“ beginnt als rasant entwickeltes Ensemblestück beim Speed-Dating in einer Hotelanlage von Sarajevo. Erst langsam muss Asja erkennen, dass sie einen der Teilnehmer offenbar aus dem Bosnienkrieg kennt.
„Gott existiert, ihr Name ist Petrunya“ war ein Versprechen, das Regisseurin Teona Strugar Mitevska mit diesem Schuld-und-Sühne-Drama erneut einlöst. Es glänzt durch eine furiose Kameraarbeit, bitteren Humor, rasante Inszenierung und einen unter die Haut gehenden Plot. Solche Perlen kann man nur bei Festivals wie dem exground entdecken.
Caligari FilmBühne
Marktplatz 9, 65183 Wiesbaden
Murnau Filmtheater
Murnaustraße 6, 65189 Wiesbaden
Krypta der Marktkirche
Marktplatz 9, 65183 Wiesbaden
(Eingang gegenüber der Caligari FilmBühne)
Literaturhaus Villa Clementine
Frankfurter Straße 1, 65189 Wiesbaden
Pupille – Kino in der Goethe-Uni
Mertonstraße 26-28, 60325 Frankfurt
Nassauischer Kunstverein
Wilhelmstraße 15, 65185 Wiesbaden
Orfeos Erben
Hamburger Allee 45, 60486 Frankfurt
14. November 2023, 11.47 Uhr
Gregor Ries
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