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Studie über Sicherheit im Bahnhofsviertel
„Die Polizei allein kann das Drogenproblem nicht lösen“
Die Lage im Bahnhofsviertel spitzt sich weiter zu. Eine Studie der Frankfurt University of Applied Sciences zeigt: Für Drogengebrauchende fehlt es an Schlafplätzen, Aufenthaltsorten und Konsumräumen in anderen Stadtteilen. Doch auch legale Drogen bereiten dem Viertel Probleme.
Wie sicher fühlen sich die Menschen im Bahnhofsviertel? Durch was fühlen sie sich sicher oder unsicher und was sind die Auslöser dafür? In einer Mischung aus quantitativer und qualitativer Studie hat die Frankfurt University of Applied Science (FUAS) die Sicherheit in urbanen Räumen in Bezug auf die offene Drogenszene im Frankfurter Bahnhofsviertel untersucht. Unter der Leitung des sozialwissenschaftlichen Suchtforschers Heino Stöver hat das Institut für Suchtforschung (ISSF) ermittelt, wie sicher Expertinnen und Experten, Anwohnende, Konsumierende und Nutzende des öffentlichen Raumes das Viertel einschätzen. Ein besonderer Fokus lag dabei auf dem öffentlichen Konsum illegaler Substanzen. Die Studie wurde im Rahmen des Förderprogramms „Forschung für die zivile Sicherheit 2012 bis 2017“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) realisiert.
Die Ergebnisse des ISSF bestätigten dabei, dass sich die subjektive Wahrnehmung von Sicherheit von objektiven Sicherheitsrisiken unterscheidet. Unterschiedliche Parameter wie Gender, Kultur, Alter und Tageszeiten spielten dagegen eine stark beeinflussende Rolle, heißt es in dem Ergebnisbericht der Studie. Insgesamt würden für die Studie 171 quantitative Interviews und 13 qualitative Interviews geführt.
Alkoholisierte Männer sorgen für das größte Unbehagen
Als eines der Ergebnisse sieht Stöver die Wichtigkeit für den Ausbau eines Quartiersmanagements, um die unterschiedlichen im Viertel lebenden Menschen zusammenzubringen. „Es ist wichtig, die Menschen nicht gegeneinander zu stellen, sondern die Belange aller zu betrachten. Dabei müssen auch Sexarbeiterinnen und Drogenkonsumierende berücksichtigt werden.“ Von den Drogengebrauchenden selbst ginge in der Wahrnehmung der Befragten so zum Beispiel keine wirkliche Gefahr aus. Das subjektive Unwohlsein durch das zu beobachtende Elend, die Vermüllung und Exkremente seien dabei viel eher ein Faktor.
Zudem seien es überwiegend nicht die Konsumierenden illegaler Drogen, die für das negative Bild des Viertels sorgen. Besonders von alkoholisierten Männergruppen gingen Risiken wie Gewalt, Beleidigungen und sexistische Übergriffe aus, dies gaben sowohl die Anwohnenden als auch die Konsumierenden in der Befragung an. „Auch legaler Drogenkonsum spielt eine Rolle, Alkohol und Männlichkeit müssen dementsprechend ebenfalls in den Blick genommen werden. Vorfälle dieser Art erleben wir ja ständig, wie beispielsweise zuletzt am Opernplatz“, betont Stöver. „Das ganze Thema wird noch wenig thematisiert und gewissermaßen als Naturgesetz hingenommen. 'Männer sind halt so', heißt es dann.“ Wichtig sei es, in einem sozialen Raum wie dem Bahnhofsviertel eine Balance aus den verschiedenen Einflüssen herzustellen.
Zustände wie an der Taunusanlage in den 80ern
In Betracht gezogen wurde bei der Studie auch die Situation an der Taunusanlage Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre. Dort erreichte die Situation in Frankfurt mit rund 1000 Drogengebrauchenden täglich ihren Höhepunkt. Damals habe man aufgrund der zunehmenden HIV-Infektionen und Drogentodesfälle mit einem „akzeptierenden drogenpolitischen Ansatz“ gearbeitet, erklärt Stöver. Repressive Methoden, die in den Medien häufig gefordert würden, hätten sich dabei als kontraproduktiv herausgestellt.
In der Arbeit heute sei es deshalb auch umso wichtiger die Vermittlung zwischen Polizei und Drogenhilfe zu stärken. In der Schweiz unterlägen beispielsweise Durchsuchungen in Drogenkonsumräumen konkreten Vereinbarungen. Starke Repressionen würden erst nach ausreichend vorangegangener Warnungen und anderer Maßnahmen durchgeführt. In Frankfurt stehe man dagegen wieder vor den gleichen Problemen wie zu Zeiten der Taunusanlage, so der Sozialforscher. „Die Polizei alleine kann das Drogenproblem nicht lösen. Sie kann Sanktionen durchführen, aber daraus entsteht nur ein Drehtüreffekt, wenn sich nicht auch strukturell etwas ändert.“
Für ganz Hessen brauche es deshalb einen übergeordneten Konsens, aktuell kriminalisiere man jedoch lediglich mehr Menschen, treibe diese damit in die Illegalität und die Kriminalstatistiken in die Höhe. Der aktuelle Jahresbericht des Bundeskriminalamts zeigte, dass rund 80 Prozent der Drogendelikte „konsumnahe Delikte“ waren, also nur Mengen für den Eigenbedarf betrafen. Schmugglerbanden würden dagegen immer weniger gefasst, ergänzt Stöver. Vielmehr solle sich Frankfurt und Hessen für die Regulierung der illegalisierten Substanzen für den Eigenbedarf einsetzen und ein zukunftsfähiges und praxisnahes Lösungskonzept erarbeiten.
Mehr Orte für Drogengebrauchende schaffen
Als einen möglichen Lösungsansatz sieht der Suchtforscher in erste Linie das Schaffen von mehr Schlafplätzen, Wohnungsangeboten und Aufenthaltsräumen. „Housing first“ wird diese Strategie genannt. Auch die Konzentration an Drogengebrauchenden aus dem Bahnhofsviertel herauszuführen, spiele dabei eine wichtige Rolle. Zudem fehle ein Konsumraum allein für Frauen bisher und könnte in anliegenden Stadtteilen entstehen. „Wir gehen davon aus, dass ein Viertel der Konsumierenden Frauen sind. Sie mögen organisierter sein und suchen sich häufig Schlafplätze bei Freiern, aber auch dabei setzen sie sich immer wieder Gewalttätigkeit oder anderen Gefahren aus.“
So wurden Instrumente zur Entlastung des öffentlichen Raums entwickelt. Drogenkonsumräume hätten sich danach als besonders wirksame Maßnahme im progressiven Umgang mit den lokalen Szenen und dem Zusammenleben zwischen der Zivilbevölkerung und der offenen Szene herausgestellt, so der Sozialforscher. „Nichtsdestotrotz kommt es häufig zu Beschwerden etwa von Gewerbetreibenden oder zu negativen medialen Berichterstattungen, die ein Bild von der Gefahr zeichnen, die von Konsumierenden illegalisierter Substanzen ausgeht.“
Dabei ließe sich durch die vier Druckräume in Frankfurt bisher vor allem ein positives Resümee ziehen. Seit ihrer Existenz wurde lediglich ein Drogentoter verzeichnet, in den 400 anderen Notfällen pro Jahr reanimierten die Mitarbeitenden die Konsumierenden direkt vor Ort oder konnten sie rechtzeitig in ein Krankenhaus einliefern lassen. Zudem würden sie einen Brückenschlag zu weiterführenden Angeboten wie Entzug und/oder Substitution bieten. Allein 2019 wurden insgesamt 183 605 Konsumvorgänge in den Frankfurter Drogenkonsumräumen erfasst. Diese Konsumvorgänge hätten sonst im öffentlichen Raum stattgefunden. Um das Infektionsrisiko zu senken, müsse auch der inhalative Drogengebrauch gestärkt werden und für die Benutzerinnen und Benutzer von Spritzen entsprechende Automaten aufgestellt werden. Denn für viele Konsumierende würde der Besuch eines Konsumraums auch das Heraustreten aus der Anonymität bedeuten.
Die Corona-Pandemie dagegen hat der Drogenhilfe neben Angebotseinschränkungen und Verunsicherungen auch gut getan, so musste ein flexibleres Regelwerk erstellt werden, durch das beispielsweise Drogenhilfeeinrichtungen Methadon abgeben dürfen.
Die Ergebnisse des ISSF bestätigten dabei, dass sich die subjektive Wahrnehmung von Sicherheit von objektiven Sicherheitsrisiken unterscheidet. Unterschiedliche Parameter wie Gender, Kultur, Alter und Tageszeiten spielten dagegen eine stark beeinflussende Rolle, heißt es in dem Ergebnisbericht der Studie. Insgesamt würden für die Studie 171 quantitative Interviews und 13 qualitative Interviews geführt.
Alkoholisierte Männer sorgen für das größte Unbehagen
Als eines der Ergebnisse sieht Stöver die Wichtigkeit für den Ausbau eines Quartiersmanagements, um die unterschiedlichen im Viertel lebenden Menschen zusammenzubringen. „Es ist wichtig, die Menschen nicht gegeneinander zu stellen, sondern die Belange aller zu betrachten. Dabei müssen auch Sexarbeiterinnen und Drogenkonsumierende berücksichtigt werden.“ Von den Drogengebrauchenden selbst ginge in der Wahrnehmung der Befragten so zum Beispiel keine wirkliche Gefahr aus. Das subjektive Unwohlsein durch das zu beobachtende Elend, die Vermüllung und Exkremente seien dabei viel eher ein Faktor.
Zudem seien es überwiegend nicht die Konsumierenden illegaler Drogen, die für das negative Bild des Viertels sorgen. Besonders von alkoholisierten Männergruppen gingen Risiken wie Gewalt, Beleidigungen und sexistische Übergriffe aus, dies gaben sowohl die Anwohnenden als auch die Konsumierenden in der Befragung an. „Auch legaler Drogenkonsum spielt eine Rolle, Alkohol und Männlichkeit müssen dementsprechend ebenfalls in den Blick genommen werden. Vorfälle dieser Art erleben wir ja ständig, wie beispielsweise zuletzt am Opernplatz“, betont Stöver. „Das ganze Thema wird noch wenig thematisiert und gewissermaßen als Naturgesetz hingenommen. 'Männer sind halt so', heißt es dann.“ Wichtig sei es, in einem sozialen Raum wie dem Bahnhofsviertel eine Balance aus den verschiedenen Einflüssen herzustellen.
Zustände wie an der Taunusanlage in den 80ern
In Betracht gezogen wurde bei der Studie auch die Situation an der Taunusanlage Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre. Dort erreichte die Situation in Frankfurt mit rund 1000 Drogengebrauchenden täglich ihren Höhepunkt. Damals habe man aufgrund der zunehmenden HIV-Infektionen und Drogentodesfälle mit einem „akzeptierenden drogenpolitischen Ansatz“ gearbeitet, erklärt Stöver. Repressive Methoden, die in den Medien häufig gefordert würden, hätten sich dabei als kontraproduktiv herausgestellt.
In der Arbeit heute sei es deshalb auch umso wichtiger die Vermittlung zwischen Polizei und Drogenhilfe zu stärken. In der Schweiz unterlägen beispielsweise Durchsuchungen in Drogenkonsumräumen konkreten Vereinbarungen. Starke Repressionen würden erst nach ausreichend vorangegangener Warnungen und anderer Maßnahmen durchgeführt. In Frankfurt stehe man dagegen wieder vor den gleichen Problemen wie zu Zeiten der Taunusanlage, so der Sozialforscher. „Die Polizei alleine kann das Drogenproblem nicht lösen. Sie kann Sanktionen durchführen, aber daraus entsteht nur ein Drehtüreffekt, wenn sich nicht auch strukturell etwas ändert.“
Für ganz Hessen brauche es deshalb einen übergeordneten Konsens, aktuell kriminalisiere man jedoch lediglich mehr Menschen, treibe diese damit in die Illegalität und die Kriminalstatistiken in die Höhe. Der aktuelle Jahresbericht des Bundeskriminalamts zeigte, dass rund 80 Prozent der Drogendelikte „konsumnahe Delikte“ waren, also nur Mengen für den Eigenbedarf betrafen. Schmugglerbanden würden dagegen immer weniger gefasst, ergänzt Stöver. Vielmehr solle sich Frankfurt und Hessen für die Regulierung der illegalisierten Substanzen für den Eigenbedarf einsetzen und ein zukunftsfähiges und praxisnahes Lösungskonzept erarbeiten.
Mehr Orte für Drogengebrauchende schaffen
Als einen möglichen Lösungsansatz sieht der Suchtforscher in erste Linie das Schaffen von mehr Schlafplätzen, Wohnungsangeboten und Aufenthaltsräumen. „Housing first“ wird diese Strategie genannt. Auch die Konzentration an Drogengebrauchenden aus dem Bahnhofsviertel herauszuführen, spiele dabei eine wichtige Rolle. Zudem fehle ein Konsumraum allein für Frauen bisher und könnte in anliegenden Stadtteilen entstehen. „Wir gehen davon aus, dass ein Viertel der Konsumierenden Frauen sind. Sie mögen organisierter sein und suchen sich häufig Schlafplätze bei Freiern, aber auch dabei setzen sie sich immer wieder Gewalttätigkeit oder anderen Gefahren aus.“
So wurden Instrumente zur Entlastung des öffentlichen Raums entwickelt. Drogenkonsumräume hätten sich danach als besonders wirksame Maßnahme im progressiven Umgang mit den lokalen Szenen und dem Zusammenleben zwischen der Zivilbevölkerung und der offenen Szene herausgestellt, so der Sozialforscher. „Nichtsdestotrotz kommt es häufig zu Beschwerden etwa von Gewerbetreibenden oder zu negativen medialen Berichterstattungen, die ein Bild von der Gefahr zeichnen, die von Konsumierenden illegalisierter Substanzen ausgeht.“
Dabei ließe sich durch die vier Druckräume in Frankfurt bisher vor allem ein positives Resümee ziehen. Seit ihrer Existenz wurde lediglich ein Drogentoter verzeichnet, in den 400 anderen Notfällen pro Jahr reanimierten die Mitarbeitenden die Konsumierenden direkt vor Ort oder konnten sie rechtzeitig in ein Krankenhaus einliefern lassen. Zudem würden sie einen Brückenschlag zu weiterführenden Angeboten wie Entzug und/oder Substitution bieten. Allein 2019 wurden insgesamt 183 605 Konsumvorgänge in den Frankfurter Drogenkonsumräumen erfasst. Diese Konsumvorgänge hätten sonst im öffentlichen Raum stattgefunden. Um das Infektionsrisiko zu senken, müsse auch der inhalative Drogengebrauch gestärkt werden und für die Benutzerinnen und Benutzer von Spritzen entsprechende Automaten aufgestellt werden. Denn für viele Konsumierende würde der Besuch eines Konsumraums auch das Heraustreten aus der Anonymität bedeuten.
Die Corona-Pandemie dagegen hat der Drogenhilfe neben Angebotseinschränkungen und Verunsicherungen auch gut getan, so musste ein flexibleres Regelwerk erstellt werden, durch das beispielsweise Drogenhilfeeinrichtungen Methadon abgeben dürfen.
16. Oktober 2020, 10.05 Uhr
Johanna Wendel
Johanna Wendel
Jahrgang 1993, Technikjournalismus-Studium an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, seit Januar 2019 beim Journal Frankfurt. Mehr von Johanna
Wendel >>
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