Am Dienstag begann der Prozess um den Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke vor dem Oberlandesgericht Frankfurt. Zahlreiche Anträge prägten den Auftakt der Verhandlungen. Der Vorsitzende Richter wandte sich mit einem dringenden Appell an die schweigenden Angeklagten.
Elena Zompi /
Ein Jahr nach dem Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke begann vor dem Oberlandesgericht Frankfurt der Prozess gegen seinen mutmaßlichen Mörder Stephan Ernst und dessen mutmaßlichen Komplizen Markus H. Walter Lübcke wurde in der Nacht auf den 2. Juni 2019 auf der Terrasse seines Hauses in Wolfhagen-Istha erschossen.
Der erste Prozesstag war geprägt von zahlreichen (Befangenheits-) Anträgen seitens der Verteidigung. Bereits kurz nach Beginn der Verhandlung stellte Ernsts Verteidiger Mustafa Kaplan (Kaplan vertrat eines der Opfer des Bombenanschlags der Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos) einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Thomas Sagebiel. Zudem beantragten beide Verteidiger Ernsts eine Ausschließung der Verteidigung von Markus H. sowie eine Aussetzung des Verfahrens. Ernsts zweiter Verteidiger, Frank Hannig, begründete den Antrag auf Aussetzung zudem damit, dass der Gesundheitsschutz aufgrund der Corona-Pandemie nicht ausreichend und der Zugang der Öffentlichkeit zu dem Prozess stark eingeschränkt sei.
Die Verteidigung des Mitangeklagten Markus H., Nicole Schneiders und Björn Clemens, stellten ebenfalls etliche Anträge. Schneiders forderte unter anderem die Verhandlung für drei Wochen zu unterbrechen oder sie ganz auszusetzen. Als Begründung nannte sie, dass sie nicht alle Akten vor Prozessbeginn lesen konnte, da sie erst kürzlich als Pflichtverteidigerin von Markus H. bestellt wurde. Clemens forderte zudem, dass die Anklage nicht verlesen wird sowie die Aufhebung der Haft seines Mandanten. Er befürchte eine Vorverurteilung, unter anderem durch Medienberichte, von Markus H. Dieser sei „öffentlich hingerichtet“ worden, bevor der Prozess überhaupt begonnen habe.
Anklage und Reaktion der Angeklagten
Mit der Verlesung der Anklage endete der erste Prozesstag. Die Bundesanwaltschaft hat Stephan Ernst des Mordes angeklagt, Markus H. der Beihilfe zum Mord durch Worte und gemeinsame Schießübungen. Im Falle des 2016 niedergestochenen Geflüchteten, der ebenfalls als Nebenkläger auftritt, wird Stephan Ernst versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Die Bundesanwaltschaft zeichnet in ihrer Anklage das Bild einer engen Freundschaft zwischen Stephan Ernst und Markus H., die geprägt war von einem „völkisch nationalistischen“ Weltbild und immer radikaler werdenden Diskussionen. Beide hätten laut Anklageschrift bereits vor Jahren Angst vor einer Ausrottung des deutschen Volkes und Bürgerkriegsähnlichen Zuständen gehabt und seien davon überzeugt gewesen, dass sich „die Deutschen“ bewaffnen müssten. Markus H. sei nicht in die konkreten Pläne von Stephan Ernst eingeweiht gewesen, beide einigten sich jedoch laut Anklageschrift darauf „etwas gegen Lübcke zu machen“.
Die beiden Angeklagten hätten bei Verlesung der Anklageschrift kaum unterschiedlicher auftreten können. Während Ernst mit steifer Miene meist nach unten schaute, konnte sich Markus H. ein leichtes Lächeln, gefolgt von hochgezogenen Augenbrauen und verschränkten Armen vor der Brust nicht verkneifen.
Den Tatverdächtigen gegenüber saß die Familie Lübcke, die als Nebenklägerin in dem Prozess auftritt. Die Familienmitglieder hatten zuvor angekündigt, dass sie „den angeklagten mutmaßlichen Tätern in die Augen sehen“ wollen. Der Anwalt der Familie, Holger Matt, erklärte am Dienstagmorgen, dass sich die Familie jedoch im Prozess nicht äußern werde.
Auch die Angeklagten schweigen zum Prozessauftakt. Bereits vor Beginn der Verhandlungen kündigte Ernsts Verteidiger Mustafa Kaplan gegenüber dem Spiegel an, dass sein Mandant am ersten Prozesstag schweigen wolle. „Bis auf Weiteres“ sei keine Aussage geplant; ob Ernst sich im Laufe des Prozesses äußern werde, ließ Kaplan jedoch offen.
Appell an die Angeklagten
Richter Sagebiel appellierte nach Verlesung der Anklageschrift an Ernst und H., Ihr Schweigen zu brechen: „Hören Sie nicht auf Ihre Verteidiger, hören Sie auf mich. Ein frühes Geständnis, wenn es denn etwas zu gestehen gibt, zahlt sich immer aus.“ Sagebiel erklärte, dass er damit seiner prozessualen Fürsorgepflicht nachkommen wolle. An Stephan Ernst gerichtet sagte er: „Sie haben einmal gesagt, dass Sie in Ihrem Leben viel falsch gemacht haben und einmal etwas richtig machen wollen. Ich sage Ihnen, machen Sie es jetzt.“
Großer Andrang vor Prozessbeginn
Wie groß das Interesse an dem Prozess ist, zeigt auch die Zahl der akkreditierten Journalistinnen und Journalisten: Mehr als 200 Personen haben sich für den Prozess akkreditiert, darunter auch Medienvertreterinnen und -vertreter aus den Niederlanden, der Türkei und der Schweiz. Coronabedingt können aktuell nur 19 von ihnen in den Verhandlungssaal, 41 weitere können die Verhandlung per Tonübertragung in einem externen Raum verfolgen. In dem Zuschauerbereich finden weitere 18 Menschen Platz. Die Platzvergabe erfolgte dabei nach einem Schlangenprinzip. Dementsprechend warteten einige Medienvertreterinnen und -vertreter bereits in der Nacht vor dem OLG, um sich einen Platz im Gerichtssaal sichern zu können.