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Das Waisen-Karussell

Shoa-Denkmal im Bahnhofsviertel eröffnet

Am Donnerstag wurde im Bahnhofsviertel ein Holocaust-Denkmal der israelischen Künstlerin Yael Bartana der Öffentlichkeit übergeben. „The Orphan Carusel/Das Waisen-Karussell“ erinnert an die Rettung von 20 000 jüdischen Kindern und Jugendlichen.
„Auf bald, mein Kind!“, „Auf Wiedersehen, Mutter!“, „Auf Wiedersehen, Vater!“ – Diese Worte stehen auf den Seiten des kleinen Kinderkarussells im Stil der 1930er-Jahre auf dem Gehsteig an der Ecke Kaiserstraße/Gallusanlage. Die Karussellreplik ist voll funktionsfähig und lässt sich doch nur mit großer Mühe drehen. Eine im Boden eingelassene Tafel verrät, warum das so ist: Es handelt sich um eine Arbeit der israelischen Künstlerin Yael Bartana, die an ein tragisches Kapitel der Frankfurter Stadtgeschichte erinnern soll – die Rettung jüdischer Kinder und Jugendlicher vor nationalsozialistischer Verfolgung im Rahmen sogenannter Kindertransporte. Am Donnerstag, dem 2. September, wurde Bartanas „The Orphan Carousel/Das Waisen-Karussell“ mit einem Festakt der Öffentlichkeit übergeben.

Teil der Frankfurter Geschichte

Die Kindertransporte sind ein vielen Bürger:innen unbekannter Teil Frankfurter Geschichte: Im Anschluss an die Novemberpogrome von 1938 und den zunehmend verzweifelten Versuchen jüdischer Familien, ein Exilland zu finden, versuchten jüdische Eltern, wenigstens ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. Mit Hilfe verschiedener Hilfsorganisationen und dem persönlichen Einsatz einzelner Personen wurden zwischen November 1938 und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 etwa 20 000 jüdische Kinder und Jugendliche ohne Begleitung ihrer Eltern mit Zügen der deutschen Reichsbahn im Rahmen sogenannter Kindertransporte aus Frankfurt ins sichere Ausland gerettet. Frankfurt diente dabei als zentrale Sammelstelle für jüdische Kinder und Jugendliche aus dem Südwesten Deutschlands sowie aus Österreich, Tschechien und Polen. Aus Frankfurt selbst traten etwa 600 Kinder die Reise ins Ungewisse an. Viele der zurückgebliebenen Eltern fielen der nationalsozialistischen Diktatur zum Opfer, wurden verschleppt und ermordet. Vier von zehn Kindern sollten ihre Angehörigen nach Kriegsende nie wieder sehen.

Yeal Batanas Waisen-Karussell steht genau an der Stelle, an der sich der zentrale Sammelpunkt der Kinder befand. Hier – knapp 500 Meter vom Hauptbahnhof entfernt – mussten Eltern und Kinder voneinander Abschied nehmen. Auch, wenn die Nationalsozialisten damit öffentlichkeitswirksame Abschiedsszenen an den Zügen vermeiden wollten, hätten die Verbrechen im Nationalsozialismus nicht im Verborgenen, sondern mitten im öffentlichen Leben stattgefunden, erklärte Kulturdezernentin Ina Hartwig (SPD). Über die Hintergründe, die Schicksale engagierter Frankfurter:innen und die Biografien geretteter Kinder informieren neben dem Denkmal auch die bereits am Vortag eröffnete Ausstellung „Kindermigration aus Frankfurt“ im Deutschen Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek sowie ein Begleitband zur Ausstellung.

Rettung, Verlust und Erinnerung

Andere Städte wie Berlin, Hamburg und London gedenken bereits seit über zehn Jahren den Kindertransporten. „Es wurde Zeit“, griff Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) in seinem Grußwort entsprechend dem Tenor der anderen Redebreiträge beim Festakt im Lichtbau des Jüdischen Museums vorweg. Es sei wichtig, dass auch dieser Teil der Geschichte Frankfurts endlich öffentlich aufgearbeitet und mit dem neuen Denkmal Teil aktiver Erinnerungskultur werde.

Marc Grünbaum, Kulturdezernent der Jüdischen Gemeinde, verwies auf die Ambivalenz, die der Geschichte der Kindertransporte innewohne. Sie sei Zeugnis des Überlebens aber auch des Traumas der lebensrettenden Trennung sowie des Leids derjenigen, die zurückblieben und nicht gerettet wurden. Vor allem aber sei „die Geschichte der Kindertransporte eine Geschichte des Versagens der Weltgemeinschaft als die physische Bedrohung jüdischen Lebens bereits offensichtlich und bekannt war.“ Und, so Grünbaum weiter, möge Yael Bartanas „Waisen-Karussell uns nicht nur ein Zeugnis für Menschlichkeit in unmenschlichen Zeiten sein, sondern auch ein Mahnmal für das richtige Handeln in unserer Zeit, in der Verfolgung, Flucht und Vertreibung immer noch allgegenwärtig sind.“

Diesen Gegenwartsbezug hob auch die Künstlerin selbst hervor. Während ihre Arbeit an die Kinder der Transporte von 1938 und 1939 erinnert, sei „The Orphan Carousel“ allen Kindern und Jugendlichen gewidmet, die ihre Heimat und Familien verlassen müssen, um zu überleben und eine bessere Zukunft zu finden. Mit ihrer Arbeit wolle sie dabei nicht nur Erwachsene, sondern mittels seiner Gestalt als Karussell auch Kinder ansprechen. Es ginge darum, Neugier zu erzeugen und Eltern zu ermuntern, ihre Kinder über die Ereignisse und historischen Hintergründe zu unterrichten.
 
Fotogalerie:
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3. September 2021, 13.06 Uhr
Sebastian Schellhaas
 
 
 
 
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Text: Christoph Schröder / Foto: © Harald Schröder
 
 
 
 
 
 
 
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