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Sexualmoral der Kirche
Liebet einander!
Im März 2021 erteilte der Vatikan der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare eine klare Absage: Homosexualität gehöre nicht zum Plan Gottes. Wie gehen reformwillige Priester und schwule Katholiken damit um? Jetzt in der aktuellen Ausgabe des JOURNAL FRANKFURT.
Rund 272 000 Menschen sind 2019 aus der katholischen Kirche ausgetreten – so viele wie nie zuvor. Laut einer Umfrage des internationalen Daten- und Analyseunternehmens YouGov, erhoben im März dieses Jahres, denken mehr als ein Viertel der deutschen Kirchenmitglieder über einen Austritt nach. Motivation hierbei ist nicht etwa der fehlende Wille, weiterhin Kirchensteuer zu zahlen, sondern zwei ganz grundsätzliche Probleme der katholischen Kirche: der intransparente Umgang mit den seit Jahrzehnten anhaltenden Missbrauchsvorwürfen und die insgesamt veralteten (Sexual-) Moralvorstellungen.
In Papst Franziskus hatten weite Teile der Glaubensgemeinschaft große Hoffnungen bezüglich möglicher Reformen gesetzt, als dieser 2013 zum 266. Bischof von Rom gewählt wurde. Doch selbst der Pontifex Maximus scheint nicht in der Lage, den mittelalterlichen Muff aus den Gemäuern des Vatikans zu vertreiben. Bereits 2019 sagte Papst Franziskus in einem Interview mit dem mexikanischen Fernsehsender Televisa, Homosexuelle seien „Kinder Gottes“: „Man kann niemanden deswegen aus einer Familie werfen oder das Leben vermiesen. Was wir brauchen, ist ein Gesetz zur eingetragenen Partnerschaft; dadurch sind sie rechtlich abgesichert.“
Der Vatikan ließ diese Passage zunächst aus dem Beitrag herausschneiden; als sie letztlich doch öffentlich wurde und für entsprechende Aufmerksamkeit sorgte, schickte die vatikanischen Glaubenskongregation ein Dekret hinterher, das eindeutiger – und für Homosexuelle niederschmetternder – kaum sein könnte. Die christliche Gemeinschaft sei zwar aufgerufen, „Menschen mit homosexuellen Neigungen mit Respekt und Takt aufzunehmen“, heißt es in der Stellungnahme, grundsätzlich handle es sich bei Homosexualität jedoch um eine „Lebenspraxis“, die „nicht als objektiv auf die geoffenbarten Pläne Gottes hingeordnet anerkannt“ werden könne. Gott segne zwar den „sündigen Menschen“, aber nicht die „Sünde“ selbst. Die Kirche, so die Glaubenskongregation, habe schlichtweg nicht die Vollmacht, homosexuelle Paare zu segnen. Papst Franziskus, so heißt es in dem Dokument, unterstütze das Dekret.
Frankfurts Stadtdekan Johannes zu Eltz empfindet das als wenig überraschend; der Papst agiere aus einer stringent seelsorgerischen Orientierung heraus, er vermeide Verletzungen und begegne, so wie ich es auch im Katechismus steht, allen Menschen gleichermaßen mit Respekt, Toleranz und Fairness. „Das ändert aber nichts an der an der lang entwickelten offiziellen Lehrmeinung der Kirche in dieser Frage. Und auch der Papst kann nicht plötzlich sagen: ‚Morgen schreiben wir mal alles um‘“, resümiert er. „Die Position der katholischen Kirche zur männlichen Homosexualität wird von der exklusiv männlichen Perspektive des katholischen Lehramtes bestimmt“, sagt Johannes zu Eltz. Er ist ein Befürworter von Reformen in der katholischen Kirche und unterstützt die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare in der Gemeinschaft. Das Gebaren der katholischen Kirche wirke heute an dieser Stelle „anachronistisch und unmenschlich.“
„Hoffentlich merkt es niemand“
„Als das Nein kam habe ich einige Male tief durchatmen müssen. Das war so enttäuschend und frustrierend“, erinnert sich Stefan Diefenbach. Der 56-Jährige ist Geschäftsführer des Weltladen Bornheim, katholischer Theologe, Mitglied in der Gemeinde Sankt Josef – und seit einigen Jahren mit einem Mann verheiratet. Diefenbach ist überzeugter Katholik, doch bis zu seinem Outing als schwuler Mann, war es ein langer Weg. Aufgewachsen ist er in einer Familie, in der die Kirche „irgendwie immer dazugehörte“. Nach dem Besuch einer christlichen Schule engagierte er sich bereits früh in der Jugendarbeit und absolvierte mit dem Engagement als Messdiener und dem Lektorendienst den „klassischen kirchlichen Werdegang“, wie er selbst sagt.
Es folgten ein Theologiestudium in Münster, die Diakonen- und Priesterweihe, Jugendarbeit und Seelsorge-Projekte. Dass er Männer liebt, ahnte Stefan Diefenbach während dieser Zeit bereits; in ihm reifte zunehmend das Bedürfnis, offen über seine Homosexualität sprechen zu können, sich nicht verstecken zu müssen und vor allem auch, eine echte Beziehung führen zu können. Schließich trat er aus der Ordensgemeinschaft aus, zog nach Frankfurt und eröffnete zusammen mit einer Bekannten den Weltladen Bornheim.
Sein Coming-Out hatte Diefenbach letztlich erst als 40-Jähriger. Der Leidensdruck davor war enorm, erzählt er heute, 16 Jahre später. „Hoffentlich merkt es niemand“, sei ein omnipräsenter Gedanke gewesen. „Das ist schon eine richtig harte und sehr spezielle Zeit“, sagt der Theologe über sein Outing. „Das kennen Heterosexuelle so nicht; sie müssen sich nicht für ihre sexuelle Orientierung rechtfertigen und auch mit sich selbst nicht ausmachen, dass sie nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen. Das ist schon ein Kampf.“
Stefan Diefenbach glaubt, dass die Ablehnung des Vatikans aus einem Mangel an Begegnung resultiere. Besonders sichtbar sei dies auch im Umgang mit dem Thema Transgender. Häufig werde innerhalb der Kirche behauptet, Trans-Personen würden „heute dies, morgen das“ wollen. „Bei solchen Aussagen hat man den Eindruck, dass der Vatikan keine Ahnung hat und nicht mit Menschen gesprochen hat, die das hinter sich haben“, sagt Diefenbach verärgert.
Eine Wahrnehmung, die Johannes zu Eltz bestätigen kann. Auch der heute so kritische Stadtdekan hatte einen langen Weg von den erzkonservativen Grundsätzen seiner frühen Jahre bis zum jetzigen Standpunkt, wie er einräumt. Dass er nicht immer so gedacht habe wie heute, sei noch nett ausgedrückt, sagt der 63-Jährige. Er habe über Jahrzehnte hinweg eine abstrakte und abwertende Haltung gehabt. „Mich hat vor allem die Begegnung mit homosexuellen Männern in Frankfurt, die zugleich überzeugte Katholiken sind, bekehrt. Diese Kontakte haben mich wirklich verändert und von meinen herzlosen Vorurteilen kuriert“, beschreibt der Dekan ungeschönt seinen Wandlungsprozess. „Ich habe mich so verhalten, wie ich das in meiner Schulzeit gelernt und verinnerlicht habe.“
Auf dem Jesuiten-Internat für Jungen, das Johannes zu Eltz besuchte, sei Homosexualität ein angstbesetztes Tabu gewesen, „wie in jeder geschlossen männlichen Gesellschaft“. „Der Sprung der katholischen Kirche heraus diesen kulturellen Ghettos von Männerwirtschaft und Männerbünden, hinein in die bunte Vielfalt von menschlichen Beziehungen, ist für uns die Riesenherausforderung dieser Zeit.“
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Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Reportage „Liebet einander!“; den vollständigen Text finden Sie in der aktuellen Mai-Ausgabe des JOURNAL FRANKFURT: „Katholisch. Schwul. Die verdrehte Sexualmoral der Kirche“.
In Papst Franziskus hatten weite Teile der Glaubensgemeinschaft große Hoffnungen bezüglich möglicher Reformen gesetzt, als dieser 2013 zum 266. Bischof von Rom gewählt wurde. Doch selbst der Pontifex Maximus scheint nicht in der Lage, den mittelalterlichen Muff aus den Gemäuern des Vatikans zu vertreiben. Bereits 2019 sagte Papst Franziskus in einem Interview mit dem mexikanischen Fernsehsender Televisa, Homosexuelle seien „Kinder Gottes“: „Man kann niemanden deswegen aus einer Familie werfen oder das Leben vermiesen. Was wir brauchen, ist ein Gesetz zur eingetragenen Partnerschaft; dadurch sind sie rechtlich abgesichert.“
Der Vatikan ließ diese Passage zunächst aus dem Beitrag herausschneiden; als sie letztlich doch öffentlich wurde und für entsprechende Aufmerksamkeit sorgte, schickte die vatikanischen Glaubenskongregation ein Dekret hinterher, das eindeutiger – und für Homosexuelle niederschmetternder – kaum sein könnte. Die christliche Gemeinschaft sei zwar aufgerufen, „Menschen mit homosexuellen Neigungen mit Respekt und Takt aufzunehmen“, heißt es in der Stellungnahme, grundsätzlich handle es sich bei Homosexualität jedoch um eine „Lebenspraxis“, die „nicht als objektiv auf die geoffenbarten Pläne Gottes hingeordnet anerkannt“ werden könne. Gott segne zwar den „sündigen Menschen“, aber nicht die „Sünde“ selbst. Die Kirche, so die Glaubenskongregation, habe schlichtweg nicht die Vollmacht, homosexuelle Paare zu segnen. Papst Franziskus, so heißt es in dem Dokument, unterstütze das Dekret.
Frankfurts Stadtdekan Johannes zu Eltz empfindet das als wenig überraschend; der Papst agiere aus einer stringent seelsorgerischen Orientierung heraus, er vermeide Verletzungen und begegne, so wie ich es auch im Katechismus steht, allen Menschen gleichermaßen mit Respekt, Toleranz und Fairness. „Das ändert aber nichts an der an der lang entwickelten offiziellen Lehrmeinung der Kirche in dieser Frage. Und auch der Papst kann nicht plötzlich sagen: ‚Morgen schreiben wir mal alles um‘“, resümiert er. „Die Position der katholischen Kirche zur männlichen Homosexualität wird von der exklusiv männlichen Perspektive des katholischen Lehramtes bestimmt“, sagt Johannes zu Eltz. Er ist ein Befürworter von Reformen in der katholischen Kirche und unterstützt die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare in der Gemeinschaft. Das Gebaren der katholischen Kirche wirke heute an dieser Stelle „anachronistisch und unmenschlich.“
„Hoffentlich merkt es niemand“
„Als das Nein kam habe ich einige Male tief durchatmen müssen. Das war so enttäuschend und frustrierend“, erinnert sich Stefan Diefenbach. Der 56-Jährige ist Geschäftsführer des Weltladen Bornheim, katholischer Theologe, Mitglied in der Gemeinde Sankt Josef – und seit einigen Jahren mit einem Mann verheiratet. Diefenbach ist überzeugter Katholik, doch bis zu seinem Outing als schwuler Mann, war es ein langer Weg. Aufgewachsen ist er in einer Familie, in der die Kirche „irgendwie immer dazugehörte“. Nach dem Besuch einer christlichen Schule engagierte er sich bereits früh in der Jugendarbeit und absolvierte mit dem Engagement als Messdiener und dem Lektorendienst den „klassischen kirchlichen Werdegang“, wie er selbst sagt.
Es folgten ein Theologiestudium in Münster, die Diakonen- und Priesterweihe, Jugendarbeit und Seelsorge-Projekte. Dass er Männer liebt, ahnte Stefan Diefenbach während dieser Zeit bereits; in ihm reifte zunehmend das Bedürfnis, offen über seine Homosexualität sprechen zu können, sich nicht verstecken zu müssen und vor allem auch, eine echte Beziehung führen zu können. Schließich trat er aus der Ordensgemeinschaft aus, zog nach Frankfurt und eröffnete zusammen mit einer Bekannten den Weltladen Bornheim.
Sein Coming-Out hatte Diefenbach letztlich erst als 40-Jähriger. Der Leidensdruck davor war enorm, erzählt er heute, 16 Jahre später. „Hoffentlich merkt es niemand“, sei ein omnipräsenter Gedanke gewesen. „Das ist schon eine richtig harte und sehr spezielle Zeit“, sagt der Theologe über sein Outing. „Das kennen Heterosexuelle so nicht; sie müssen sich nicht für ihre sexuelle Orientierung rechtfertigen und auch mit sich selbst nicht ausmachen, dass sie nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen. Das ist schon ein Kampf.“
Stefan Diefenbach glaubt, dass die Ablehnung des Vatikans aus einem Mangel an Begegnung resultiere. Besonders sichtbar sei dies auch im Umgang mit dem Thema Transgender. Häufig werde innerhalb der Kirche behauptet, Trans-Personen würden „heute dies, morgen das“ wollen. „Bei solchen Aussagen hat man den Eindruck, dass der Vatikan keine Ahnung hat und nicht mit Menschen gesprochen hat, die das hinter sich haben“, sagt Diefenbach verärgert.
Eine Wahrnehmung, die Johannes zu Eltz bestätigen kann. Auch der heute so kritische Stadtdekan hatte einen langen Weg von den erzkonservativen Grundsätzen seiner frühen Jahre bis zum jetzigen Standpunkt, wie er einräumt. Dass er nicht immer so gedacht habe wie heute, sei noch nett ausgedrückt, sagt der 63-Jährige. Er habe über Jahrzehnte hinweg eine abstrakte und abwertende Haltung gehabt. „Mich hat vor allem die Begegnung mit homosexuellen Männern in Frankfurt, die zugleich überzeugte Katholiken sind, bekehrt. Diese Kontakte haben mich wirklich verändert und von meinen herzlosen Vorurteilen kuriert“, beschreibt der Dekan ungeschönt seinen Wandlungsprozess. „Ich habe mich so verhalten, wie ich das in meiner Schulzeit gelernt und verinnerlicht habe.“
Auf dem Jesuiten-Internat für Jungen, das Johannes zu Eltz besuchte, sei Homosexualität ein angstbesetztes Tabu gewesen, „wie in jeder geschlossen männlichen Gesellschaft“. „Der Sprung der katholischen Kirche heraus diesen kulturellen Ghettos von Männerwirtschaft und Männerbünden, hinein in die bunte Vielfalt von menschlichen Beziehungen, ist für uns die Riesenherausforderung dieser Zeit.“
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Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Reportage „Liebet einander!“; den vollständigen Text finden Sie in der aktuellen Mai-Ausgabe des JOURNAL FRANKFURT: „Katholisch. Schwul. Die verdrehte Sexualmoral der Kirche“.
29. April 2021, 11.04 Uhr
Ronja Merkel/Elena Zompi
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