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Im Gespräch mit Mirjam Wenzel

Zwischen wachsendem jüdischem Selbstbewusstsein und gestiegenem Antisemitismus

Die Wiedereröffnung des Jüdischen Museums verzögert sich. Im Interview mit dem JOURNAL FRANKFURT erzählt Museumsdirektorin Mirjam Wenzel, wie weit die Vorbereitungen schon vorangeschritten sind und was sie unter einem „Museum ohne Mauern“ versteht.
JOURNAL FRANKFURT: Die für Frühjahr 2020 angesetzte Wiedereröffnung des Jüdischen Museums verzögert sich. Durch unerwartet aufwändige Arbeiten am Altbau und Schwierigkeiten, Baufirmen zu finden, muss der Termin in die zweite Jahreshälfte 2020 verschoben werden. Ärgert Sie die Verzögerung oder richten Sie den Blick nach vorne?

Mirjam Wenzel: Die Verschiebung der Eröffnung hat uns sehr getroffen, weil wir in den vergangenen Monaten mit aller Kraft an der Fertigstellung unserer neuen Dauerausstellung und unserer neuen Bibliothek, der Entwicklung eines Museumskonzepts mit einem koscher-milchigem Café, einem ansprechenden Shop, mit neuen Formen der Vermittlung und vielem mehr gearbeitet haben. Am gravierendsten aber sind die Folgen für unser Ausstellungsprogramm. Wir müssen nun die erste Wechselausstellung „Unser Mut: Juden in Europa 1945-48“, an der wir seit knapp vier Jahren zusammen mit etlichen internationalen Kooperationspartnern arbeiten, auf einen sehr viel späteren Zeitpunkt verschieben.

Wie weit sind Ihre Vorbereitungen? Haben Sie schon mit dem Einbau der neuen Dauerausstellung begonnen?

Wir haben in den vergangenen Wochen zusammen mit unseren Ausstellungsgestaltern bereits damit begonnen, im Rothschild-Palais die Ausstellungsbauten zu montieren. Ein Großteil der Vitrinen ist vor Ort, die Texte befinden sich schon an den Ausstellungskörpern, die digitalen Medienanwendungen sind produziert und abgenommen, die Katalogtexte verfasst. Für uns hat die neue Dauerausstellung also schon eine greif- und sichtbare Gestalt. Und wir sehen: Sie wird schön.

Wie geht es jetzt weiter?

Wir haben im Rahmen unseres Erneuerungsprozesses das Leitbild eines „Museums ohne Mauern“ entworfen und uns in den vergangenen vier Jahren mit diversen Pop up-Plattformen, Stadtspaziergängen, Outreach-Bildungsprogrammen und digitalen Angeboten auch als ebensolches präsentiert. Das setzen wir nun fort und bauen unser Profil mit Blick auf die Eröffnung noch weiter aus. Vom 19. bis 21. Januar 2020 veranstalten wir mit Kooperationspartnern eine wissenschaftliche Tagung an der Goethe-Universität zum Thema unserer nunmehr ersten Wechselausstellung „Die weibliche Seite Gottes“; am 15. und 16. März 2020 findet ein Symposium „Zwischenzeiten: Zur jüdischen Diaspora in Europa“ statt. Dieses Symposium gibt einen Einblick in das, was im Zentrum des neuen Jüdischen Museums steht: Wir nehmen die gegenwärtige Situation von Jüdinnen und Juden in den Blick und diskutieren mit vielen bekannten Schriftsteller*innen, Intellektuellen, Politiker*innen und Wissenschaftler*innen über das Spannungsfeld zwischen dem wachsenden jüdischen Selbstbewusstsein und dem gestiegenem Antisemitismus in Europa. Am 29. März 2020 wird die Gesellschaft unserer Freund*innen und Förder*innen zum ersten Mal den „Ludwig Landmann-Preis für Mut und Haltung“ an eine herausragende Persönlichkeit verleihen und zu diesem Anlass in das neue Jüdische Museum einladen, welches eigens für diesen Abend seine Türen öffnet.

Rechnen Sie damit, dass die Eröffnung in der zweiten Jahreshälfte 2020 klappt?

Ja. Ich bin und bleibe – auch und gerade als Leiterin eines Jüdischen Museums in turbulenten Zeiten – Optimistin.

Haben Sie Angst, dass das Vertrauen der Leihgeber*innen und Vertragspartner*innen beschädigt wird?

Das Jüdische Museum Frankfurt genießt in der internationalen Museumswelt einen hervorragenden Ruf. Dementsprechend haben wir für unsere Dauerausstellung und auch für unsere Wechselausstellungen viele Zusagen zu unseren Leihanfragen bekommen. Seit der Bauherr uns bekannt gegeben hat, dass wir die Eröffnung verschieben müssen, habe ich etliche Telefonate geführt und viele Briefe und Mails geschrieben, um unsere Leihgeber*innen und Vertragspartner*innen über die Situation zu informieren und an die vertrauensvolle Zusammenarbeit der Vergangenheit anzuknüpfen. Bislang begegnet mir viel Verständnis und die Zusicherung, unser Museum in dieser schwierigen Situation nicht hängen lassen zu wollen. Einige unserer Kooperationspartnerinnen und -partner haben uns sogar schon Asyl angeboten. Darüber freue ich mich.

Welche Bedeutung hat das Jüdische Museum, insbesondere in Zeiten, in denen antisemitischer Hass wieder zunehmen?

Das Jüdische Museum Frankfurt erfreut sich in dieser Stadt einer überparteilichen und breiten Unterstützung. Dafür und für das Vertrauen in unsere Museumsarbeit bin ich sehr dankbar – gerade auch mit Blick auf die gesellschaftspolitischen Veränderungen der letzten Zeit. Wenn mich etwas mit Sorge oder auch Ärger erfüllt, dann ist es das Klima der Hetze und Gewalt, dem wir mit unserer Museumsarbeit entschieden entgegentreten müssen. Hier gilt es, den Blick nach vorne zu richten und Perspektiven für ein respektvolles Zusammenleben zu entwickeln.
 
Fotogalerie:
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18. Dezember 2019, 10.30 Uhr
Helen Schindler
 
 
 
 
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