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„Schule mit/ohne Rassismus“

Schülerin verweigert N-Wort - Debatte über Rassismus an Schulen

Am Montag findet im Haus am Dom (19.30 Uhr) eine Diskussion über Schule und Rassismus statt. Benjamin Ortmeyer spricht bereits im Vorfeld über die Hintergründe und das N-Wort mit dem JOURNAL.
Herr Ortmeyer, Sie beteiligen sich an eine Diskussion über „Schule mit/ohne Rassismus“. Was ist der konkrete Anlass?
Ursprünglich ging es um eine Offenbacher Schule, die Theodor-Heuss-Schule. Dort hatte eine Schülerin sich geweigert, das N-Wort von einem Arbeitsblatt vorzulesen, und es gab ein Riesentheater. Sie wurde zwangsweise in eine Parallelklasse strafversetzt. Hier hat sich ein Unverständnis für eine Position, die sich gegen den Rassismus richtet, gepaart mit einer autoritären pädagogischen Denkart.

Was waren die Konsequenzen?
Diese Schule hatte die Auszeichnung „Schule ohne Rassismus“, sodass die Frage auftrat: Wie geht man damit um, wenn an einer Schule, die diesen Ehrentitel hat, so falsch mit Fragen des Rassismus umgegangen wird. Insofern steht jetzt nicht diese Schule im Vordergrund, sondern die tiefergehenden Fragen: Was kann an Schulen getan werden, was muss in der Bildung von Lehrkräften an den Universitäten flächendeckend geschehen, damit Lehrkräfte sensibel, informiert und engagiert mithelfen, gegen Rassismus und Nationalismus vorzugehen.

Schülerin wurde strafversetzt, weil sie N-Wort nicht lesen wollte


Sie liefern sich gerade einen juristischen Rechtsstreit mit dem Stadtschulamt Offenbach in dieser Angelegenheit. Was ist der derzeitige Stand?
In Kürze: 1. Gegen den unhaltbaren Beschluss der Klassenlehrerkonferenz über diese Strafversetzung und die fürchterlichen Äußerungen des Schulleiters in der Presse habe ich zunächst Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Schulleiter eingelegt. Die vom Staatlichen Schulamt Offenbach, ohne auf die Argumente einzugehen, „nach Prüfung“ abgelehnt wurde. 2. Daraufhin habe ich Dienstaufsichtsbeschwerde gegen das Staatliche Schulamt Offenbach, gegen deren Leitung und gegen deren Juristen gestellt, die diese Ablehnung zur Verantwortung hatten. Das Staatliche Schulamt Offenbach hat über sich selbst zu Gericht gesessen und festgestellt, dass sie alles richtig gemacht haben. Also auch abgelehnt.

Dienstaufsichtsbeschwerde gegen das Staatliche Schulamt Offenbach

3. Das ist so absurd, dass ich gegen das Staatliche Schulamt beim Kultusminister Dienstaufsichtsbeschwerde gestellt habe. Ich habe darauf hingewiesen, dass der Minister als Jurist wohl nicht akzeptieren kann, dass der Schulleiter der Öffentlichkeit in der FR mitteilt, dass die Zwangsversetzung der Schülerin nötig gewesen wäre, weil – so wörtlich laut FR – „die Mutter mit einem Rechtsanwalt gedroht“ habe. Als ob sie nicht das Recht habe, einen Rechtsanwalt einzuschalten. Aber auch auf dieses Argument wurde nicht eingegangen, mir wurde mitgeteilt, der Minister habe alles gelesen, und dann wurde die Dienstaufsichtsbeschwerde ebenfalls abgelehnt. Immerhin kann jetzt niemand kommen und sagen: Warum hat sich denn keiner beschwert! Es ist eine Art Lehrstück, dokumentiert in einer Broschüre des AStA der Goethe-Universität.


Das Siegel „Schule ohne Rassismus“ steht im Fokus. Warum ist dieses Siegel für nicht alle erstrebenswert?
Die Plakette sollte für alle durchaus erstrebenswert sein. Aber sie ist kein Freibrief, Rassismus an der eigenen Schule zu vertuschen. Den Streit darüber gab es schon vor Jahren an einer Berliner Schule, an der es judenfeindlich zuging. Es gibt zig Beispiele. Was also tun, wenn eine Schule aus guten Gründen diese Plakette erhalten hat, sich dann aber Schulleitung und die Mehrheit des Kollegiums überhaupt nicht so verhalten, wie man es von demokratischen, antirassistischen Menschen eigentlich erwarten könnte, wenn die sich gar hinter der Plakette verstecken?



Können Sie das konkretisieren?
Es passiert halt gar nichts. Und das ist fatal. Sicher geht es nicht darum, Zigtausend Schulen, die dieses Siegel haben, ständig zu überprüfen. Aber wenn berechtigte Beschwerden eingelegt werden, müsstest es doch eine Kommission geben, die möglicherweise auch entscheidet, dieses Siegel wieder zu entfernen. Genau das ist seit vielen Jahren in der Diskussion. Eine Schule in Tübingen, Schule ohne Rassismus, hat ausgerechnet Boris Palmer als Paten; er posiert damit auf seinen Fotos. Das ist ja wohl der Witz des Jahrhunderts.

N-Wort bei Übersetzungen ersetzen

Apropos Palmer. Das N-Wort taucht in vielen klassischen Texten nach wie vor auf. Wie sollen Schulen mit solchen Texten umgehen?
Bei Übersetzungen gibt es aus meiner Sicht überhaupt kein Problem. Etwa in der Übersetzung einer Rede von Martin Luther King wird das ja auch getan, nämlich das N-Wort mit einer klaren Bezeichnung Black, also die Schwarze Bevölkerung usw., zu ersetzen. Übersetzungen müssen sich der jeweils aktuellen Sprache anpassen. Auch Martin Luther mit seiner Bibelübersetzung ins Mittelhochdeutsche können Sie heute nicht mehr im Original verstehen. Das Mittelhochdeutsch wurde mehr oder minder korrekt in aktuelles Hochdeutsch übertragen - und da kann man sich über viele Stellen sicher streiten. Heißt es: Du sollst nicht töten, oder wie im althebräischen Text: Du sollst nicht morden. Was ist die richtige Übersetzung?

Aber darum geht es ja nicht ...

Richtig, es geht eher um Pippi Langstrumpf oder, um etwas Ernsteres zu nehmen, um Texte von Karl Marx in englischsprachigen Zeitungen über den Krieg der Nordstaaten gegen die Südstaaten und andere wichtige Texte. Eins steht für mich fest: Ohne Kommentar und ohne klare Distanzierung von dem beleidigenden Sinn heute ist die Beschäftigung mit einem solchen Text und auch das Herausgeben eines solchen Textes eine Beleidigung. Denn das ist der eindeutige Effekt des N-Wortes: Menschen herabzusetzen, zu entwürdigend und zu beleidigen. Es sei dahingestellt, ob vor 200 Jahren dieses Wort nicht auch schon diese Bedeutung hatte, oder eben nur allgemeingültig verwendet wurde.


N-Wort kann nicht unkommentiert bzw. nur im wissenschaftlichen Kontext verwendet werden

Das heißt?
Auf jeden Fall kann es heute nicht unkommentiert verwendet werden und muss es so weit wie möglich vermieden werden. Eine Ausnahme sehe ich nur bei einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einem Originaltext wie etwa die wissenschaftliche Ausgabe von Hitler „Mein Kampf“. Aber das wollen sie auch nicht im Zeitungskiosk kaufen können, weil das volksverhetzende Schriften sind. Und Schriften, die nicht als Ganzes volksverhetzend sind, aber volksverletzende Inhalte haben, müssen entsprechend als problematisch eingestuft und mit Kommentaren versehen werden. Ich habe auch kein Problem, wenn das vorne in einem Vorwort erklärt wird, dass man dann das beleidigende Wort durch klare Begriffe, durch richtige Erklärungen ersetzt.


Was sagen Sie zu dem Argument, man würde in das historische Dokument eingreifen und Geschichte verfälschen?

Historische Dokumente sind historische Dokumente und müssen im Original erhalten werden. Viele gehören auch ins Archiv, in die Bibliotheken für die wissenschaftliche Arbeit, aber nicht populär ohne Kommentar in die Menschheit gestreut. Die humanistischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller wären heute die ersten ,die gegen jegliche Diskriminierung der Schwarzen Bevölkerung ihre Stimme erheben, dagegen ankämpfen und mit einer Veränderung ihres Textes einverstanden wären - allemal mit einem erklärenden Vorwort. Dennoch gibt es natürlich sehr viel unterschiedliche Fälle, über die man im Einzelnen streiten muss.



Zur Person_____________________________________________________________

Benjamin Ortmeyer (Jahrgang 1952) war 28 Jahre an unterschiedlichen Schulen als Lehrer tätig und initiierter das Projekt: „Die Nazi-Zeit an den Schulen erforschen“. 1996 erhielt er auch im Kontext des Buches „Schulzeit unterm Hitlerbild“ den Heinz-Galinski-Preis der Jüdischen Gemeinde Berlin. Promotion: „Schicksal jüdischer Schülerinnen und Schüler: Leerstelle deutscher Erziehungswissenschaft“. 2003 wechselte er Wechsel an die Goethe-Universität, dann Habilitation: „Mythos und Pathos statt Logos und Ethos: Zu den Publikationen führender Erziehungswissenschaftler in der NS-Zeit“. Weiter Publikationen gegen das Deutschlandlied sowie über das Thema Pädagogik in der Nazi-Zeit.
 
Fotogalerie:
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8. Mai 2023, 18.14 Uhr
Katja Thorwarth
 
Katja Thorwarth
Die gebürtige Frankfurterin studierte an der Goethe-Uni Soziologie, Politik und Sozialpsychologie. Ihre journalistischen Schwerpunkte sind Politik, politisches Feuilleton und Meinung. Seit März 2023 Leitung online beim JOURNAL FRANKFURT. – Mehr von Katja Thorwarth >>
 
 
 
 
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