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Foto: Das Frankfurter Bahnhofsviertel bei Nacht © AdobeStock/*Sindy*
Foto: Das Frankfurter Bahnhofsviertel bei Nacht © AdobeStock/*Sindy*

Frankfurter Bahnhofsviertel

„Idee eines gereinigten Bahnhofsviertels ist Utopie“

Anne Rau und Tim Lukas forschen zum Thema Sicherheit in Bahnhofsvierteln. Im Interview mit dem JOURNAL FRANKFURT sprechen sie über den Sieben-Punkte-Plan und zeigen alternative Lösungsansätze auf.
JOURNAL FRANKFURT: Wie bewerten Sie den Sieben-Punkte-Plan der Hessischen Landesregierung zur Senkung der Kriminalität im Frankfurter Bahnhofsviertel?
Anna Rau: Das Bahnhofsviertel ist immer ein Kriminalitätsschwerpunkt. Es kann mal mehr und mal weniger werden, aber es wird immer einer sein. Die gestiegene Kriminalität ist keine Entwicklung, die in den letzten Monaten nur in Frankfurt stattgefunden hätte. Deutschlandweit ist die Kriminalität in den vergangenen Jahren angestiegen. Anzukündigen, die Drogenszenen und Kriminalität aus Bahnhofsvierteln zu entfernen, ist Populismus. Die Idee eines „gereinigten Bahnhofsviertels“ ist eine Utopie. Der Maßnahmenplan enthält wenig Neues, viele der beschlossenen Punkte werden in Frankfurt bereits umgesetzt. Ein behördenübergreifender Ansatz im Umgang mit Drogenabhängigen und Wohnungslosen wird beispielsweise schon in vielen Projekten umgesetzt.

Tim Lukas: Tatsächlich ist es erstaunlich, wie viele verschiedene Akteure im Frankfurter Bahnhofsviertel aktiv sind, soziale Träger, verschiedene Sicherheitsbehörden, Interessensvertretungen und Initiativen. Es gibt eine Vielzahl an Arbeitsgruppen und Gremien, in denen ressortübergreifend zusammengearbeitet wird. Wenn nun eine stärkere Vernetzung gefordert wird, so wird man feststellen müssen, dass eine interorganisationale und interdisziplinäre Zusammenarbeit bereits stattfindet. Da braucht es in einer Stadt wie Frankfurt sicherlich keine guten Ratschläge aus Wiesbaden, um das zu verbessern. Ohnehin gibt es für die komplexen Problemlagen im Bahnhofsviertel keine einfachen Lösungen.

Suchthilfezentrum, Künstliche Intelligenz und Housing First im Frankfurter Bahnhofsviertel

Welche der sieben Punkte halten Sie für sinnvoll?
Rau: Finanzielle Unterstützung für kommunale Projekte ist richtig und wichtig, damit beispielsweise das geplante Suchthilfezentrum mit einer gesicherten Finanzierung schnell die Arbeit aufnehmen kann. Tatsächlich neu ist der Einsatz von KI in der Auswertung des Materials der Videoüberwachung. Dabei bleibt abzuwarten, zu welchen langfristigen Ergebnissen das führt.

Lukas: Der Housing First-Ansatz ist ein sehr guter Weg, um Wohnungslosigkeit zu bekämpfen. Dieser Ansatz muss nicht mehr erprobt werden, er gehört in Regelstrukturen überführt. Es gab und gibt so viele Pilot- und Modellprojekte und die einschlägigen Evaluationen zeigen die Vorteile deutlich auf.

Rau: Sogar in Frankfurt ist Housing First in einem ersten Pilotprojekt bereits praktiziert worden. Es konnten damit zahlreiche Personen erfolgreich in Wohnraum vermittelt werden. Wir sollten generell mehr darüber sprechen, was es alles schon an Hilfen gibt und was alles bereits funktioniert – gerade in Frankfurt.

„Niedrigschwelliger Angebote sollten dort gemacht werden, wo die Hilfe auch gebraucht wird“

Welche Punkte sind Ihrer Meinung nach nicht sinnvoll?
Rau: Eine Verlagerung der Beratung, Behandlung und Betreuung aus dem Bahnhofsviertel hinaus wäre sicherlich keine sinnvolle Maßnahme. Niedrigschwelliger Angebote sollten dort gemacht werden, wo die Hilfe auch gebraucht wird. Wenn die Hilfsangebote aus dem Viertel hinauswandern würden, wären zwei Szenarien denkbar, die aber beide nicht zielführend sind: Entweder würden die Betroffenen die Angebote nicht mehr wahrnehmen und die Beratung würde scheitern oder es würden sich an anderer Stelle neue Szenen bilden.

„Der Frankfurter Weg ist nicht gescheitert, er muss sich nur stetig weiterentwickeln“

Mit dem Sieben-Punkte-Plan soll ein „neuer Frankfurter Weg“ eingeschlagen werden. Wie stehen Sie zum ursprünglichen Frankfurter Weg in der Drogenpolitik? Würden Sie ihn als gescheitert betrachten?
Rau: Nein, absolut nicht. Die Drogenszene hat sich in den letzten Jahren stark verändert, der Aufstieg von Crack und Kokain erfordert natürlich neue Lösungen. Gescheitert ist der Frankfurter Weg deshalb aber nicht, er muss sich nur stetig weiterentwickeln.

Lukas: Dabei haben wir noch gar nicht über synthetische Opioide wie Fentanyl gesprochen, auch dahingehend wird es Anpassungen brauchen. Suchtkranke werden auch immer älter, auch damit wird man sich beschäftigen müssen. Ich sehe allerdings nicht, dass der Maßnahmenplan dafür die Innovationen bereithält, mit denen die anstehenden Herausforderungen sinnvoll bearbeitet werden könnten.

Rau: Es ist unstrittig, dass es veränderte Konsummuster gibt und diese veränderten Konsummuster haben natürlich einen Einfluss auf das Zusammenleben im Sozialraum. Dass es dadurch vermehrt Konflikte gibt, ist auch unstrittig. Die Frage ist nur, wie gehen wir damit um. Der Maßnahmenplan ist keineswegs ein „neuer Frankfurter Weg“, dafür enthält er zu wenig Neues.

„Bahnhofsviertel sind Brenngläser gesellschaftlicher Konflikte“

Welche Maßnahmen würden Sie sich von der Politik wünschen?
Lukas: Den Mikrohandel von Konsument zu Konsument in bestimmten Einrichtungen zuzulassen, wäre eine konsequente Weiterentwicklung des Frankfurter Weges. Das lässt sich jedoch hierzulande aus rechtlichen Gründen nicht ohne Weiteres umsetzen. Ein solcher Ansatz, wie er etwa in Zürich erfolgreich verfolgt wird, wäre aber wirklich ein bedeutender Fortschritt, der viele schwerwiegende Probleme im öffentlichen Raum abschwächen könnte.

Rau: Auch kommunenübergreifende Projekte sind notwendig. Die Einrichtung von Drogenkonsumräumen in anderen hessischen Kommunen würde das Frankfurter Bahnhofsviertel entlasten. Hier besteht in anderen Teilen des Landes erheblicher Nachholbedarf.

Lukas: Man muss auch anerkennen, dass Bahnhofsviertel seit einigen Jahren größeren Veränderungsprozessen unterliegen. Bahnhofsviertel sind Brenngläser gesellschaftlicher Konflikte, die hier besonders sichtbar werden. Es gibt hier ja noch ganz andere Problemlagen als die Szene der Suchtkranken und Wohnungslosen. Junggesellenabschiede und Menschen, die das Bahnhofsviertel als Partykiez nutzen, legen auch entgrenzte Verhaltensmuster an den Tag. Wenn wir hier über Unsicherheit sprechen, müssen wir auch über die Unsicherheiten reden, die dieses Verhalten für die Angehörigen der Straßenszenen, aber auch für Frauen und vulnerable Gruppen bedeuten kann.



Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Deutsch-Europäischen Forums für Urbane Sicherheit mit Ordnungsdezernentin Annette Rinn (Mitte). Anna Rau und Tim Lukas stehen rechts.

Info
Im Rahmen des Forschungsprojekts „Sicherheit im Bahnhofsviertel“ fand am Donnerstag, den 13. März, eine Begehung im Frankfurter Bahnhofsviertel statt, an der Expertinnen und Experten aus dem gesamten Bundesgebiet teilnahmen. Tim Lukas leitet Forschungsgruppen im Fachgebiet Bevölkerungsschutz, Katastrophenhilfe und Objektsicherheit an der Universität Wuppertal. Anna Rau ist die Geschäftsführerin des Deutsch-Europäischen Forums für Urbane Sicherheit.
 
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14. März 2025, 10.55 Uhr
Anika Schilling
 
 
 
 
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