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Binding-Schließung
„Der erste Frankfurter Bierkrawall war siegreich“
Am Freitag wurden ab 18 Uhr die Frankfurter Bierkrawalle neu aufgelegt. Veranstalterin: die Römer-Fraktion der PARTEI. Nico Wehnemann erklärt, was der Protest mit Binding und Stadtkultur zu tun hat.
Herr Wehnemann, die Binding-Brauerei wird den Standort in Sachsenhausen schließen. Was bedeutet das für die Stadt?
Es ist das Ende für den Status „Großstadt“. Kennen Sie eine Großstadt in Deutschland ohne eine eigene Brauerei? Städte wie Hannover haben sogar mehrere Großbrauereien. Also mir ist das peinlich. Darum haben wir parlamentarisch versucht, die Stadt zur Rettung oder zum Einstieg bei Binding zu bewegen. Da das keinen Erfolg hatte, gibt es nun außerparlamentarischen Krawall.
Wie wichtig ist eine eigene Brauerei für die Frankfurter Stadtkultur?
Naja, niemand hat Binding getrunken, weil es ein leckeres Bier ist. Die Menschen haben es gekauft, weil es ein mittelmäßiges und besonders lokales Bier ist, das hier auch zum Stadtbild gehört. Wie müssen wir uns künftig die Frankfurter Wasserhäuschen vorstellen? Kommt da jetzt Becks-Werbung dran? Wird da bald Heineken ausgeschenkt? Eine Stadt ohne eigene Brauerei hat einfach keine Stadtkultur.
Bierkrawalle in Frankfurt konnten Bierpreis deckeln
Aber ist durch die Radeberg-Gruppe die Binding-Marke nicht längst ihrer eigenen Tradition entkoppelt?
Das sehe ich nicht so. Wenn ein großer Konzern (die Radeberger Gruppe gehört ja zu Dr. Oetker), mit Tiefkühlpizza Gewinne macht und diese für die Querfinanzierung von günstigem Bier verwendet, bin ich dafür. Hauptsache, die Bierpreise bleiben stabil. Was passiert, wenn diese unermesslich steigen, haben wir ja vor 150 Jahren gesehen.
Apropos. Am 21. April jähren sich die Frankfurter Bierkrawalle zum 150. Mal. Was hat das mit der Schieflage der Binding-Brauerei zu tun?
Anlass für den Krawall war die Erhöhung des Bierpreises um 12,5 Prozent. Das Bier sollte nicht mehr einen Batzen kosten, was vier Kreuzern entsprach, sondern viereinhalb Kreuzer. Viele Arbeiter:innen konnten sich das nicht leisten und protestierten. Am 21. April eskalierte die Situation. Nach einem Volksfest an der Breiten Gasse zog eine Demonstration zu einer lokalen Brauerei an der Neuen Mainzer Straße, wo es Zusammenstöße mit Brauereibeschäftigten gab. Die Frankfurter Polizei war völlig überfordert und rief das preußische Militär. Das hat den Aufstand dann blutig niedergeschlagen. Zwanzig Menschen starben, darunter ein Kind.
Bezahlbares Bier gehört in Frankfurt zu den Grundbedürfnissen
Was hat das mit heute zu tun?
Wie damals, so gehört auch heute ein bezahlbares Bier zu den Grundbedürfnissen der Menschen. Es steht zu befürchten, dass mit dem Wegzug von Binding nur noch teure Craftbiere aus Frankfurt kommen. Ich möchte das weder trinken, noch möchte ich mir das leisten – das ist was, um Touristen abzuzocken.
Sie planen eine Reaktivierung der Bierkrawalle am kommenden Freitag. Was wollen Sie damit erreichen?
Also zum einen möchten wir der vielen Toten gedenken. Wir werden zunächst einen Kranz am Südbahnhof niederlegen und Bier trinken. Es ist für mich und viele meiner Mittrinker:innen unerhört, dass wir als Stadt 175 Jahre Paulskirche feiern, den größten revolutionären Akt dieser Stadt zwischen 1848 und 1918 aber komplett ignorieren. Das wird einer Demokratie nicht gerecht. Zumal der erste Frankfurter Bierkrawall siegreich war (die Preiserhöhung wurde zurückgenommen), das Paulskirchen-Parlament war nicht so durchschlagend erfolgreich. Die Stadtpolitik lässt hier die Chance liegen, ein Jubiläumsjahr für alle und nicht nur für Fans der Nationalversammlung zu veranstalten. Daher fordern wir auch ein Denkmal für die Bierkrawalle von 1873.
Der soziale Friede muss mit Steuergeldern gesichert werden
Und was ist mit Binding?
Zum anderen gibt es dringenden Handlungsbedarf was Binding angeht. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Chefs von Binding und Henninger damals für die Rücknahme der Bierpreiserhöhung verantwortlich waren. Jetzt können wir endlich etwas zurückgeben, und so werden wir vor die BINDING-Brauerei ziehen und von der Radeberger-Gruppe nicht weniger als die Vergesellschaftung der Braukessel fordern.
Sie fordern beispielsweise einen Bierpreis von max. 3 Euro pro 0,5 Liter. Wie sollen die Wirtschaften das finanzieren?
Hier muss die Politik tätig werden. Wenn wir auf lange Sicht einen erneuten Bierkrawall mit Toten und vielen Verletzten verhindern wollen, muss der soziale Friede mit Steuergeld gesichert werden. Wenn Banken und Großkonzerne vom Staat gerettet werden können und es ja sogar eine Zeitlang staatlich gestützte Deckelungen der Spritpreise gab, muss auch eine steuerfinanzierte Bierpreisbremse machbar sein - der Sprit der einfachen Leute!
Übernahme der Binding-Brauerei durch die Stadt erhält Frankfurter Kultur
Was hätte die Stadt davon?
Wir könnten mit der Übernahme der Binding-Brauerei durch die Stadt zum einen Frankfurter Kultur bewahren und zum anderen dafür sorgen, dass wir ein günstiges Bier an die Wirtschaften dieser Stadt liefern können. Wieso betreibt die Stadt Frankfurt ein eigenes Weingut, das auch noch widerlichen Trinkessig erzeugt, statt wohlschmeckende Getränke? Dieses Jahr läuft der Pachtvertrag mit dem, nennen wir ihn „Winzer“, aus – wir könnten das Geld besser in eine Brauerei investieren. Ich möchte jedenfalls nicht, dass aus Binding Export ein Binding Import wird, und ich kann mir nicht vorstellen, dass das hier jemand trinken wird.
INFO_________________________________________________________________
Start der Krawalldemo ist der Diesterwegplatz, Freitag, um 18 Uhr. Mistgabeln und Fackeln und Bier nicht vergessen!
Zur Person:
Nico Wehnemann ist Vorsitzender der Die PARTEI Frankfurt, im Stadtparlament und veranstaltet jedes Jahr bundesweite Flunkyballmeisterschaften.
Es ist das Ende für den Status „Großstadt“. Kennen Sie eine Großstadt in Deutschland ohne eine eigene Brauerei? Städte wie Hannover haben sogar mehrere Großbrauereien. Also mir ist das peinlich. Darum haben wir parlamentarisch versucht, die Stadt zur Rettung oder zum Einstieg bei Binding zu bewegen. Da das keinen Erfolg hatte, gibt es nun außerparlamentarischen Krawall.
Wie wichtig ist eine eigene Brauerei für die Frankfurter Stadtkultur?
Naja, niemand hat Binding getrunken, weil es ein leckeres Bier ist. Die Menschen haben es gekauft, weil es ein mittelmäßiges und besonders lokales Bier ist, das hier auch zum Stadtbild gehört. Wie müssen wir uns künftig die Frankfurter Wasserhäuschen vorstellen? Kommt da jetzt Becks-Werbung dran? Wird da bald Heineken ausgeschenkt? Eine Stadt ohne eigene Brauerei hat einfach keine Stadtkultur.
Aber ist durch die Radeberg-Gruppe die Binding-Marke nicht längst ihrer eigenen Tradition entkoppelt?
Das sehe ich nicht so. Wenn ein großer Konzern (die Radeberger Gruppe gehört ja zu Dr. Oetker), mit Tiefkühlpizza Gewinne macht und diese für die Querfinanzierung von günstigem Bier verwendet, bin ich dafür. Hauptsache, die Bierpreise bleiben stabil. Was passiert, wenn diese unermesslich steigen, haben wir ja vor 150 Jahren gesehen.
Apropos. Am 21. April jähren sich die Frankfurter Bierkrawalle zum 150. Mal. Was hat das mit der Schieflage der Binding-Brauerei zu tun?
Anlass für den Krawall war die Erhöhung des Bierpreises um 12,5 Prozent. Das Bier sollte nicht mehr einen Batzen kosten, was vier Kreuzern entsprach, sondern viereinhalb Kreuzer. Viele Arbeiter:innen konnten sich das nicht leisten und protestierten. Am 21. April eskalierte die Situation. Nach einem Volksfest an der Breiten Gasse zog eine Demonstration zu einer lokalen Brauerei an der Neuen Mainzer Straße, wo es Zusammenstöße mit Brauereibeschäftigten gab. Die Frankfurter Polizei war völlig überfordert und rief das preußische Militär. Das hat den Aufstand dann blutig niedergeschlagen. Zwanzig Menschen starben, darunter ein Kind.
Was hat das mit heute zu tun?
Wie damals, so gehört auch heute ein bezahlbares Bier zu den Grundbedürfnissen der Menschen. Es steht zu befürchten, dass mit dem Wegzug von Binding nur noch teure Craftbiere aus Frankfurt kommen. Ich möchte das weder trinken, noch möchte ich mir das leisten – das ist was, um Touristen abzuzocken.
Sie planen eine Reaktivierung der Bierkrawalle am kommenden Freitag. Was wollen Sie damit erreichen?
Also zum einen möchten wir der vielen Toten gedenken. Wir werden zunächst einen Kranz am Südbahnhof niederlegen und Bier trinken. Es ist für mich und viele meiner Mittrinker:innen unerhört, dass wir als Stadt 175 Jahre Paulskirche feiern, den größten revolutionären Akt dieser Stadt zwischen 1848 und 1918 aber komplett ignorieren. Das wird einer Demokratie nicht gerecht. Zumal der erste Frankfurter Bierkrawall siegreich war (die Preiserhöhung wurde zurückgenommen), das Paulskirchen-Parlament war nicht so durchschlagend erfolgreich. Die Stadtpolitik lässt hier die Chance liegen, ein Jubiläumsjahr für alle und nicht nur für Fans der Nationalversammlung zu veranstalten. Daher fordern wir auch ein Denkmal für die Bierkrawalle von 1873.
Und was ist mit Binding?
Zum anderen gibt es dringenden Handlungsbedarf was Binding angeht. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Chefs von Binding und Henninger damals für die Rücknahme der Bierpreiserhöhung verantwortlich waren. Jetzt können wir endlich etwas zurückgeben, und so werden wir vor die BINDING-Brauerei ziehen und von der Radeberger-Gruppe nicht weniger als die Vergesellschaftung der Braukessel fordern.
Sie fordern beispielsweise einen Bierpreis von max. 3 Euro pro 0,5 Liter. Wie sollen die Wirtschaften das finanzieren?
Hier muss die Politik tätig werden. Wenn wir auf lange Sicht einen erneuten Bierkrawall mit Toten und vielen Verletzten verhindern wollen, muss der soziale Friede mit Steuergeld gesichert werden. Wenn Banken und Großkonzerne vom Staat gerettet werden können und es ja sogar eine Zeitlang staatlich gestützte Deckelungen der Spritpreise gab, muss auch eine steuerfinanzierte Bierpreisbremse machbar sein - der Sprit der einfachen Leute!
Was hätte die Stadt davon?
Wir könnten mit der Übernahme der Binding-Brauerei durch die Stadt zum einen Frankfurter Kultur bewahren und zum anderen dafür sorgen, dass wir ein günstiges Bier an die Wirtschaften dieser Stadt liefern können. Wieso betreibt die Stadt Frankfurt ein eigenes Weingut, das auch noch widerlichen Trinkessig erzeugt, statt wohlschmeckende Getränke? Dieses Jahr läuft der Pachtvertrag mit dem, nennen wir ihn „Winzer“, aus – wir könnten das Geld besser in eine Brauerei investieren. Ich möchte jedenfalls nicht, dass aus Binding Export ein Binding Import wird, und ich kann mir nicht vorstellen, dass das hier jemand trinken wird.
INFO_________________________________________________________________
Start der Krawalldemo ist der Diesterwegplatz, Freitag, um 18 Uhr. Mistgabeln und Fackeln und Bier nicht vergessen!
Zur Person:
Nico Wehnemann ist Vorsitzender der Die PARTEI Frankfurt, im Stadtparlament und veranstaltet jedes Jahr bundesweite Flunkyballmeisterschaften.
21. April 2023, 10.47 Uhr
Katja Thorwarth
Katja Thorwarth
Die gebürtige Frankfurterin studierte an der Goethe-Uni Soziologie, Politik und Sozialpsychologie. Ihre journalistischen Schwerpunkte sind Politik, politisches Feuilleton und Meinung. Seit März 2023 Leitung online beim JOURNAL FRANKFURT. Mehr von Katja
Thorwarth >>
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