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Total hingebungsvoll, Volume 2
Mit „Wunderland“ ist gerade das neue Album von Ralf Hildenbeutel erschienen. Im Interview mit dem JOURNAL FRANKFURT erzählt der Pianist und Filmmusikkomponist vom spielerischen Umgang mit vielen Instrumenten und lobt seinen ehemaligen Mitstreiters Sven Väth.
Journal Frankfurt: Zwei Jahre nach Deinem viel beachteten Solo-Piano-plus-Streicher-Debüt „Lucy’s Dream“ ist nun mit „Wundeland“ eine neues Album erschienen. Wie organisierst Du Dich eigentlich – machst Du neben Deinen anderen Arbeiten immer neue Stücke fertig, hast dann Skizzen zum Weiterverarbeiten, oder gehst Du ganz gezielt zu einem Zeitpunkt X an ein komplettes Album ran?
Ralf Hildenbeutel: Ich arbeite regelmässig nebenher an den Soloalben, immer wenn Zeit dafür ist. Ich habe eigentlich schon direkt nach „Lucy’s Dream“ mit dem neuen Album angefangen, oft kommen jedoch Aufträge dazwischen, wo keine Zeit ist, oder es ist etwas Luft und ich sitze ich wieder mal eine Woche intensiv an meiner eigenen CD. Im Prinzip verteilt sich das dann über zwei Jahre. Klar – wäre ich früher damit fertig geworden, hätte ich sie wohl auch früher veröffentlicht.
Journal Frankfurt: Aber das hätte dann vielen Leuten die zeit genommen, „Lucy“ richtig auf sich wirken zu lassen...
Ralf Hildenbeutel: Ja stimmt, im Endeffekt sind zwei Jahre kein schlechter Rhythmus.
Journal Frankfurt: Erklärt die Arbeitsweise auch den Charakter der Platte, die Kontinuität, Piano plus Streicher wie beim Solo-Debüt, weil es eben fast nahtlos weiter ging mit den Aufnahmen, aber eben auch die Veränderungen, die unüberhörbar sind. Jetzt wieder nur Flügel und Streicher als „Volume 2“ wäre Dir sicher zu wenig gewesen...
Ralf Hildenbeutel: Das hätte ich nicht gemacht...
Journal Frankfurt: Also welche Geister hast Du diesmal gerufen?
Ralf Hildenbeutel: (lacht) Die Geister, die ich rief – ein Titel auf „Wunderland“ heißt ja so... Ich mag bei diesen Solosachen schon das für mich wieder neu entdecke Akustische weiter führen, auch die Geigen- und Klaviergeschichten, aber es war mir auch wichtig, andere Elemente einzubringen. Ich habe auch lange mit dem Gedanken gespielt, mehr mit Gesang zu arbeiten, das hat sich aber teilweise aus organisatorischen Gründen nicht ergeben, das mache ich dann vielleicht ein andermal. Dafür habe ich diesmal hier und da mal wieder gerne mit Rhythmus gearbeitet und viele "Spielsachen" eingebracht, andere Instrumente.
Journal Frankfurt: Wie ergibt sich das – hast Du quasi eine Thematik, die Du ausarbeitest, die dann klangliche Assoziationen auslöst, dass Du dann sagst, dafür brauche ich jetzt diese nette kleine Erfindung aus Russland, das Theremin....
Ralf Hildenbeutel: Das ist witzig. Ich bin durch Zufall auf Dorit Chrysler gestoßen, beim Stöbern im Netz, hatte eigentlich was ganz anderes gesucht. Auf jeden Fall hatte ich plötzlich sie auf dem Schirm, habe ihre Videos gesehen und fand das so super, das sich sie spontan angemailt habe. Sie lebt in New York, ich kannte sie gar nicht, das ist ganz außerplanmäßig geschehen. Und da ich eh schon mein Toy Piano eingebracht hatte, und ein paar schöne Akkordeongeschichten, dachte ich, dass passt ganz sicher auch ganz gut dazu. Das Theremin kennen auch die wenigsten, wenn dann nur als Sound aus “Hui Buh, das Schlossgespenst“ oder auch die singende Säge. Doch darüber habe ich entdeckt, dass es da eine richtige Szene gibt, mit richtig guten Sachen...
Journal Frankfurt: Man vergisst manchmal, was wirklich dahinter steckt, gerade bei Instrumenten, die niemand wirklich ernst nimmt, auch Maultrommel oder Ukulele. Plötzlich siehst man ein ganzes Konzert damit und ist überrascht Gerade ist die Ukulele als Soloinstrument beim Deutschen Jazzfestival in Frankfurt angekommen und alle waren verblüfft...
Ralf Hildenbeutel: Man hat ja ohnehin Glück, wenn man mit Musik Geld verdienen kann. Bei den Soloalben kommt dann aber noch dieser Spielfaktor dazu, auch viele interessante Instrumente benutzen zu können, die ich zum Teil ersteigert und gesammelt habe.
Journal Frankfurt: Hat mit diesem Spieltrieb auch der Titel des Albums zu tun? Obwohl Rio Reiser ja schon vor vielen Jahren erklärt hat, Wunderland ist abgebrannt... Du kreierst es also neu...
Ralf Hildenbeutel: So klassisch will ich das gar nicht sehen. Aber ich glaube schon, dass es irgendwie daraus resultiert, die Musik, das Musikmachen so anzugehen. Ich denke bei meinen CDs auch immer filmisch visuell und durch diese ganzen unterschiedlichen Klangfacetten der vielen Instrumente ergab sich für mich schon dieser Wunderland-Charakter.
Journal Frankfurt: Kann man eigentlich sagen, dass einiges von dem, was Du jetzt auf Deinen Soloalben musikalisch gemacht hast, schon mal vorweg genommen worden ist, sich zumindest andeutete auf Produktionen, die Du für die Labels Eye Q und Recycle Or Die und auch in Zusammenarbeit mit Sven Väth gemacht hast?
Ralf Hildenbeutel: Gerade in den Alben in den Neunzigern, die ich auch mit Sven gemacht habe, sind viele solcher spielerischen Elemente drin, wo wir auch mal Cembalo eingebaut (das war dann zwar kein echtes, sondern ein Sample) oder auch Flöte – da gab es auch schon diese Spielfreude und man hat viel an unterschiedlichen Sounds eingebracht. Insofern gibt es da einige Titel, bei denen man Ähnliches schon erkennen kann. Später, in der langen Popphase dann sicher eher nicht, da gab es andere Regeln, aber gerade in der angesprochenen Zeit, da gab es viel Freigeist und Ausleben, da hat man gerne alles probiert.
Journal Frankfurt: Da habe ich noch ein altes Ziutat von Dir zu „Harlequin...“ – „Superwichtige zeit, alles neu, innovativ und wir konnten mit allen Regeln brechen...“
Ralf Hildenbeutel: Das war ja auch der Kick damals...
Journal Frankfurt: Was war denn aus Deiner Sicht das Geniale, auch Kongeniale an der Verbindung Väth/Hildenbeutel? War das auch die Konstellation eines klassischen Nicht-Musikers, der auf einen Studierten traf – wie kann man das in Nachhinein werten?
Ralf Hildenbeutel: Ganz grob gesagt schon, der Musiker mit seinen Möglichkeiten, aus seinem musikalischen Background, auch aus der Klassik, zu schöpfen, und der Nicht-Musiker, aber mit einem tollen musikalischen Gefühl unverfangenen ausgestattet – man konnte sich gegenseitig wunderbar Anschieben und Ausbremsen.
Journal Frankfurt: Irgendwann war dann klar, dass man an der nächsten Weggabelung getrennte Wege gehen würde. Es war aber nicht so, dass ihr euch deswegen aus den Augen verloren hättet... Man hat zwar nicht mehr konkret an Projekten zusammen gearbeitet, aber schon verfolgt, was der andere gemacht hat. wie hast Du die Entwicklung von Sven wahrgenommen?
Ralf Hildenbeutel: Ich habe das auf alle Fälle verfolgt. Ich bin zwar nicht mehr jeder Woche im Club, aber ich bin immer mal wieder da, und bin auch nach wie vor daran interessiert, was sich im Bereich der ganzen elektronischen Szenerie tut, was sich da musikalisch bewegt. Insofern kenne ich auch viele Veröffentlichungen auf Cocoon Recordings ebenso bekommt man mit, wo Sven überall unterwegs ist.
Journal Frankfurt: Ich habe vor zehn Jahren das letzte richtige Interview gemacht zu VD „Contact“, ein Album, das sehr musikalisch war, kein DJ-Album, sondern eher das eines Musikers, bei dem man dann vielleicht überrascht festgestellt hat, was Väth da an unterschiedlichen musikalischen Stilistiken auslebte. Bei seinem neuen Album meinte er, es ist ja quasi „nur“ ein DJ-Mix-Album. Und trotzdem spiegelt es ja die Persönlichkeit dieses Typen wider, und nicht nur seine „Eleventh Season“ auf Ibiza...
Ralf Hildenbeutel: Ich habe die Doppel-CD durchgehört und musste zum Teil schmunzeln, weil ich in einigen Tracks den alten Väth gehört habe, das ist so markant. Das hätte auch eine Platte sein können, die er gemacht hat, man erkennt seinen Style einfach nach all den Jahren sofort. Da ist eine gewisse Bewegung drin, das ist typisch Väth. Es ist ganz klar ein Mix-, aber eben auch ein Väth-Album.
Journal Frankfurt: Seine Persönlichkeit ist immer präsent, nicht in den Hintergrund gestellt... Viele tendieren ja jetzt dazu zu sagen, der ehemalige Techno-Underground sei jetzt beim Jetset angekommen – spürst Du auch in diesen Alben noch diesen Aufbruchgeist von früher, der ja bei Dir auch noch da ist – aber er definiert sich ja längst bei euch beiden anders?
Ralf Hildenbeutel: Also bei ihm habe ich das Gefühl, Sven wird auch mit 70 noch auf der Kanzel stehen und Platte auflegen wo es sonst bei vielen in der Szene längst langweilig geworden ist oder sich lahm gelaufen hat. Aber es gibt ein paar DJs, bei denen man merkt, die können gar nicht anders – der Sven ist da ganz weit vorne mit viel Lust und Spieltrieb. Sonst könnte er das ja auch so nicht durchziehen und dabei noch so gut aussehen. Er ist ja nach wie vor auch international unterwegs – das muss man schon richtig wollen.
Journal Frankfurt: Er ist ja schon noch eine Rampensau während Du immer als der Schöngeist galtest...
Ralf Hildenbeutel: (lacht) So war das immer. Denn wenn beide vorne stehen wollen, da gibt es nur Stress, aber wenn keiner nach vorne will, würde niemand was davon mitkriegen.
Journal Frankfurt: Gutes Stichwort – nach vorne gehen: Angekündigt waren jetzt sporadische Solo-Piano-Konzerte... So richtig Bock, ob Solo oder mit Streichquartett die Musik der beiden Platten im großen Stil auf die Bühne zu bringen, hast Du nicht oder? Habe da mit Sven im Interview mal ein wenig rum gesponnen: wenn ein Klassikstar wie Alice Sara Ott in die DJ-Sets der Yellowlounge im Cocoon eingebunden wird, können wir uns das mit Dir da auch wunderbar vorstellen... Man müsste eigentlich ganz spezielle Locations für eine Präsentation finden – bei den Events zur Kulturhauptstadt Europas, im Ruhrpott, in alten Zechen und Fabriken, hätte das zwischen Lesungen, Performances etc ganz wunderbar hinein gepasst... Wäre das was, wo Du Dich siehst, oder bleibt es doch lieber beim Studiotüfteln...?
Ralf Hildenbeutel: Es ist so: ich mache jetzt eine Sache in Hamburg im Planetarium, das ist super, da spiele ich nur Klavier und dazu läuft dann die Sternenshow, anschließend legt der Raphael Marionneau auf, das ist dann ein schöner Mix, akustisch und elektronisch, das ist für mich ein guter Rahmen zum Reinfühlen. Den geplanten Auftritt mit Streichern in Berlin musste ich jetzt erst mal nach hinten schieben wegen des hohen Aufwandes und der vielen Arbeit hier. Aber wie Du schon sagst – im richtigen Umfeld, im richtigen Rahmen, wenn gute Visuals am Start sind, kann ich mir das gut vorstellen. Doch ich nur allein am Klavier und eine Stunde spielen – das braucht wohl keiner. Ich bin ja nicht Gonzales, der 'ne gute Show macht... Das in Hamburg ist jetzt mal ein Antester, aber sicher ergibt sich noch die eine oder andere Möglichkeit.
Journal Frankfurt: Zurück zur aktuellen CD. Da gibt es immer wieder Hinweise auf die Nacht, aber auch auf Naturgewalten, das Meer, die Wiesen, der Herbst, die stark in Deinen Fokus gerückt sind. Ist das quasi ein Tribut an die instrumentale Arbeit, dass dann diese ganzen Essentials, die starken Bilder auftauchen wie wir sie auch schon in der Musikgeschichte schon bei den Impressionisten hatten...? Oder funktioniert es vielleicht auch so, dass man sicher seine eigene Musik dann anhört, auf sich wirken lässt und dann denkt: das war ursprünglich vielleicht mal ein ganz abstraktes Stück Musik, eine Idee, wird aber jetzt in meinen Kopf zu konkreten Bildern und dann bekommt es seinen Titel?
Ralf Hildenbeutel: Teilweise, aber beides ist möglich. Oft ergibt es sich aus der Art der Musik, wenn man sich es dann hinterher anhört. Die akustischen Sounds assoziieren dann oft eher Naturgeschichten. Das war zwar so nicht geplant, nur ich wollte keine abstrakte Betitelung, das gibt es ja oft, „Movement 1“, „Movement 2“ – ich finde da kann man schon einen kleinen Anstoß geben fürs Kopfkino. Irgendwie passt das zusammen.
Journal Frankfurt: Die Lebensmittelpunkte Frankfurt und Paris, die Nähe zum Günthersburgpark und Père Lachaise, stehen noch?
Ralf Hildenbeutel: Ja, das Dreieck, jetzt mit Studio in Bornheim, nicht mehr in Offenbach.
Interview: Detlef Kinsler
25. November 2010, 14.28 Uhr
Detlef Kinsler
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