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Slammer mit Niveau
Zerzauste Haare, Cordhose und Hornbrille auf der Nase – der typische Wissenschaftler denken Sie? Falsch gedacht. Denn der moderne Wissenschaftler versteckt sich nicht mehr hinter einem Bücherberg, sondern stellt sich in einen überfüllten Saal und versucht die Zuschauer auf amüsante Art und Weise von seinen Lehren zu überzeugen. Das zieht.
Doch was ist „Science Slam“ eigentlich? Initiator Bruno Deiss: „Seriöse Wissenschaften werden humorvoll vorgetragen. Die sonst als langweilig bezeichnete Wissenschaft soll so unters Volk gebracht werden. Doch alles ist ernsthafter als beim Poetry Slam.“ Ob das zusammenpasst? Wir werden es sehen.
Am Samstagabend fanden sich 700 Zuschauer – trotz der WM-Partie England gegen die USA – zum „2. Science Slam“ im Audimax der Goethe-Uni ein. Wie vorm heimischen Flachbildschirm machten es sich die Gäste mit Chips und Bier auf den Klappstühlen bequem. Zehn Minuten haben die Kandidaten Zeit, die Zuschauer in ihren Bann zu ziehen. Die Jury aus dem Publikum vergibt die Punkte, ein „Applausometer“ misst die Lautstärke beim Applaus und wird bei der Wertung berücksichtigt.
Der Arzt Peter Stein hat die A…karte gezogen, wie Moderator Thomas Ranft erklärt: „Der Erste hat es immer am Schwersten. Das Publikum muss sich erst warm klatschen. Außerdem wissen sie ja noch nicht, was vielleicht noch viel besseres oder schlechteres kommt.“ Dennoch legt Peter Stein mit seiner PowerPoint-Präsentation über die „Mythen der Medizin“ los und hat die Lacher sofort auf seiner Seite. Jetzt weiß ich, dass das Telefonieren mit dem Handy im Krankenhaus gar keine Störungen verursacht und Haare nach dem Tod nicht mehr weiterwachsen. Dieser Prozess benötige nämlich sehr viel Energie. „Und wenn ich mich so im Publikum umsehe, haben so einige Herrschaften den Wachstum der Haar aus Gründen der Energieersparnis bereits vor dem Tod eingestellt“, so Stein. Am Ende seines Vortrages ein Riesenapplaus.
Anschließend folgten vier Themen, die mich und auch das Publikum nicht allzu überzeugten. Die Lacher waren eher spärlich gesät. „Sex und Mathematik“ hört sich lustig an, war es aber nicht. „Warum der LHC die Welt zerstört und was wir dagegen tun können“ hat Sascha Vogel gut und lustig vorgetragen, für meinen Geschmack aber ein Hauch zu physikalisch. Er sei Protonenliebhaber und Mitglied der „Protonen Befreiungsfront“. Er fordere die Freilassung aller Protonen, die im Teilchenbeschleuniger festgehalten werden, denn diese Prozedur tue ihnen weh. Wir wollen ja auch nicht, dass gleich drei A380 auf uns fallen. Es folgte „Vom Teilchenzauber lasergetriebener Plasmablasen“ – zum Einschlafen langweilig. „Tourismus im Mittelalter“ war auch gut. Leider hat man den Vortragenden teilweise schlecht verstanden, da er viel zu schnell geredet hat. Viele Witze bekam ich akustisch nicht mit.
Dann betrat der letztendliche Sieger, Michael Deveaux, die Bühne. Mit seiner Präsentation „Antimaterie beim Arzt“ wickelte er die Zuschauer gekonnt um den Finger. Antimaterie entstehe aus Teilchen, die aufeinanderprallen. „Das tut den Protonen weh, ist aber für einen guten Zweck“, so Deveaux. So können die Gammastrahlen Tumore im menschlichen Körper erkennen. Super Sache, super Vortrag zwischen Wissenschaft und Unterhaltung. Und zur Belohnung bekam der Wissenschaftler den „Bembel der Weisheit“ überreicht.
Irgendwie erinnert mich das ganze Spektakel ein wenig an die Castingshows aus dem Fernsehen. Unterschied: Niveau und Intelligenz schwebte durch die Luft.
Ps: Auf dem Weg von meinem Wochendend-Domizil nach Frankfurt in einer geliehenen Luxuskarosse kam mir ein Nagel in die Quere. Und so stand ich mit einem platten Reifen in der Frankfurter Nordweststadt. Zum Glück hatte ich einen Kfz-Mechaniker mit an Bord. Ja, ich bin eine Frau, die den ADAC gerufen hätte, anstatt die Reifen selbst zu wechseln. Emanzipation hin oder her…
14. Juni 2010, 19.00 Uhr
Julia Lorenz
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