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Schirn Kunsthalle: We Never Sleep
Zwischen Realität und Fiktion der Spionage
Smart, gut aussehend und verführerisch – James Bond gilt als Inbegriff des Meisterspions. Doch neben dieser glamourösen Welt gibt es eine dunklere, eine reale Seite der Spionage. Die Schirn Kunsthalle offenbart einen Einblick.
Die Welt der Agenten in Büchern und Filmen fasziniert viele von uns, doch spätestens seit dem Abhörskandal um die Geheimdienste NSA und BND hat sich auch ein weniger glamouröses Bild abseits von Verfolgungsjagden, schnellen Autos, Decknamen und Verführungen in unseren Köpfen verankert. Die Schirn widmet sich in „We Never Sleep“ dieser Disparität zwischen Sorge vor staatlicher Überwachung und Heldenmythos, zwischen Realität und Fiktion. Der Ausstellungstitel stammt von der 1850 gegründeten Detektei Pinkerton, die unter anderem 1861 einen Anschlag auf Abraham Lincoln verhinderte. Rund 70 Gemälde, Fotografien, Videoarbeiten, Skulpturen und Installationen von 40 Künstlerinnen und Künstlern präsentieren das Thema Spionage durch das Prisma zeitgenössischer Kunst und Gestaltung.
© Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2020, Foto: Norbert Miguletz
„Statt zu ,entlarven‘ oder zu ,erklären‘, geht es vor allem darum,
Überraschungen zu schaffen“, erklärt die Kuratorin der Ausstellung Cristina Ricupero. Dieses Prinzip fängt bereits bei der Ausstellungsarchitektur an. Zu Beginn führt der Weg durch die Installation „The Third Degree“ des niederländischen Künstlers Gabriel Lester, eine Art Irrgarten aus Wegen, Sackgassen, Eingängen und Ausgängen. Dabei kommen aus dem Nichts eindringliche Fragen und Sätze, die an Verhöre erinnern. Später führt ein langer schmaler Gang durch die Schau, links und rechts des Ganges offenbaren sich verschiedene Ausstellungsstücke.
Eines davon ist die Installation „Der Tag X“ von Henrike Naumann: Ein blaues Leuchtschild über einem grünen Sofa weist in einer Öffnung links des Ganges auf den „Tag X“ hin, ein Begriff, der in den vergangenen Monaten präsenter ist denn je. Bekannt ist der „Tag X“ im Zusammenhang mit rechtsextremen Gruppen und meint den Tag, an dem ein angeblicher Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung stattfindet. Zunehmend fällt er auch im Zusammenhang mit der Kritik an den Corona-Auflagen. Rechts von dem Leuchtschild befindet sich ein Raum, der an ein Hauptquartier eines James-Bond-Bösewichts erinnert. In der Mitte steht ein Fernseher, der unter anderem Videoaufnahmen von Protestmärschen in Berlin zeigt, eine Männerstimme erzählt von einem Umsturz des Systems: „Niemand hätte gedacht, dass es so schnell passieren wird.“ Was zunächst wie ein Rückblick auf den Mauerfall erscheint, entpuppt sich bei längerer Betrachtung der Bilder als Ausblick auf einen fiktiven kommenden Umsturz. Die Installation aus dem Jahr 2019 ist mittlerweile noch aktueller als zur Entstehungszeit. Naumann selbst hat sich vor wenigen Monaten eine der sogenannten „Hygienedemos“ in Berlin angeschaut: „Es war als würde der Film zur Realität werden. Genau das zeigt, wie fragil unser System ist und wie sehr wir es verteidigen müssen“, erzählt die Künstlerin.
© Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2020, Foto: Norbert Miguletz
Daneben zeigen zahlreiche Objekte, unter anderem aus dem Deutschen Spionagemuseum Berlin sowie dem dortigen Stasimuseum, reale Spionagemittel: eine Baumwurzel mit versteckter Kamera, ein Versteck im Schuhabsatz oder eine Bauchattrappe, ebenfalls für die versteckte Kamera. Die Belustigung, die man bei diesen aus der Zeit gefallen Objekten teilweise vielleicht empfinden mag, weicht, wenn man vor Augen geführt bekommt, wozu sie tatsächlich verwendet wurden. Der in der DDR geborenen Künstlerin Cornelia Schleime ist dies selbst passiert. 1981 erhielt die Performancekünstlerin Ausstellungsverbot und erwirkte 1984 schließlich eine Ausreisegenehmigung in den Westen. In der Hektik der Reise musste sie den Großteil ihres künstlerischen Schaffens in der DDR zurücklassen. Jahre später, nach dem Fall der Mauer, erfuhr sie aus ihren Stasi-Akten, dass sie jahrelang von ihrem besten Freund ausspioniert worden war, der an vielen ihrer Kunstaktionen teilgenommen hatte. Ihre Arbeit „Auf weitere gute Zusammenarbeit“ besteht aus den Beobachtungsunterlagen der Stasi, die die Künstlerin mit Fotos ihrer Selbstinszenierung ergänzt.
© Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2020, Foto: Norbert Miguletz
„Statt zu ,entlarven‘ oder zu ,erklären‘, geht es vor allem darum,
Überraschungen zu schaffen“, erklärt die Kuratorin der Ausstellung Cristina Ricupero. Dieses Prinzip fängt bereits bei der Ausstellungsarchitektur an. Zu Beginn führt der Weg durch die Installation „The Third Degree“ des niederländischen Künstlers Gabriel Lester, eine Art Irrgarten aus Wegen, Sackgassen, Eingängen und Ausgängen. Dabei kommen aus dem Nichts eindringliche Fragen und Sätze, die an Verhöre erinnern. Später führt ein langer schmaler Gang durch die Schau, links und rechts des Ganges offenbaren sich verschiedene Ausstellungsstücke.
Eines davon ist die Installation „Der Tag X“ von Henrike Naumann: Ein blaues Leuchtschild über einem grünen Sofa weist in einer Öffnung links des Ganges auf den „Tag X“ hin, ein Begriff, der in den vergangenen Monaten präsenter ist denn je. Bekannt ist der „Tag X“ im Zusammenhang mit rechtsextremen Gruppen und meint den Tag, an dem ein angeblicher Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung stattfindet. Zunehmend fällt er auch im Zusammenhang mit der Kritik an den Corona-Auflagen. Rechts von dem Leuchtschild befindet sich ein Raum, der an ein Hauptquartier eines James-Bond-Bösewichts erinnert. In der Mitte steht ein Fernseher, der unter anderem Videoaufnahmen von Protestmärschen in Berlin zeigt, eine Männerstimme erzählt von einem Umsturz des Systems: „Niemand hätte gedacht, dass es so schnell passieren wird.“ Was zunächst wie ein Rückblick auf den Mauerfall erscheint, entpuppt sich bei längerer Betrachtung der Bilder als Ausblick auf einen fiktiven kommenden Umsturz. Die Installation aus dem Jahr 2019 ist mittlerweile noch aktueller als zur Entstehungszeit. Naumann selbst hat sich vor wenigen Monaten eine der sogenannten „Hygienedemos“ in Berlin angeschaut: „Es war als würde der Film zur Realität werden. Genau das zeigt, wie fragil unser System ist und wie sehr wir es verteidigen müssen“, erzählt die Künstlerin.
© Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2020, Foto: Norbert Miguletz
Daneben zeigen zahlreiche Objekte, unter anderem aus dem Deutschen Spionagemuseum Berlin sowie dem dortigen Stasimuseum, reale Spionagemittel: eine Baumwurzel mit versteckter Kamera, ein Versteck im Schuhabsatz oder eine Bauchattrappe, ebenfalls für die versteckte Kamera. Die Belustigung, die man bei diesen aus der Zeit gefallen Objekten teilweise vielleicht empfinden mag, weicht, wenn man vor Augen geführt bekommt, wozu sie tatsächlich verwendet wurden. Der in der DDR geborenen Künstlerin Cornelia Schleime ist dies selbst passiert. 1981 erhielt die Performancekünstlerin Ausstellungsverbot und erwirkte 1984 schließlich eine Ausreisegenehmigung in den Westen. In der Hektik der Reise musste sie den Großteil ihres künstlerischen Schaffens in der DDR zurücklassen. Jahre später, nach dem Fall der Mauer, erfuhr sie aus ihren Stasi-Akten, dass sie jahrelang von ihrem besten Freund ausspioniert worden war, der an vielen ihrer Kunstaktionen teilgenommen hatte. Ihre Arbeit „Auf weitere gute Zusammenarbeit“ besteht aus den Beobachtungsunterlagen der Stasi, die die Künstlerin mit Fotos ihrer Selbstinszenierung ergänzt.
24. September 2020, 13.59 Uhr
Elena Zompi
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