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Literatur
Lyriktage in Frankfurt
Fünf Veranstaltungsorte in Frankfurt und entlang des Museumsufers präsentieren an fünf Tagen wichtige Stimmen und Debatten der Gegenwartslyrik.
Solle noch einmal jemand behaupten, Gedichte fänden kein Publikum mehr. Der große Saal der Evangelischen Akademie am Römer war voll besetzt, und wie in den guten alten Zeiten saßen sogar Menschen auf den Heizkörpern an den großen Fenstern, um überhaupt noch einen Platz bei der Eröffnungsveranstaltung der Lyriktage Frankfurt zu finden.
Vier Tage lang werden knapp 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an unterschiedlichen Veranstaltungsorten zum einen über die aktuelle ästhetische Positionen und auch über die ökonomische Situation des Lyrikbetriebs sprechen, zum anderen aber auch die Literatur selbst zu Wort kommen lassen. Sonja Vandenrath, Frankfurter Literaturbeauftragte, Initiatorin und Programmleiterin des Festivals, sprach von den Lyriktagen als „Aufmerksamkeitsbooster“ für das Genre. Das sorgfältig durchdachte und vielseitige Programm sei auch, so Vandenrath, ein „Ausdruck der Wertschätzung und Gratifikation“.
Lyriktage in Frankfurt: zentralen Figurender deutschsprachigen Lyrikszene
Die Eröffnungsveranstaltung war zweigeteilt: Zunächst hielt Nico Bleutge, der sowohl als Schriftsteller als auch als Literaturkritiker einer der zentralen Figuren in der deutschsprachigen Lyrikszene ist, eine beeindruckende Auftaktrede, in der er über die Möglichkeiten des poetischen Schreibens zur Sichtbarmachung und Verarbeitung von Trauererfahrungen reflektierte. Der Tod seines Vaters, so erzählte Bleutge, habe ihn wie betäubt zurückgelassen; ein Zustand, in dem die Sprachlosigkeit, das Fehlen von Sprache zunächst von einer formelhaften Sprache ersetzt worden sei, um dann aber im lyrischen Sprechen Anschluss zu finden. Vom persönlichen Erleben weitete sich Bleutges Vortrag aus zu einem Nachdenken über die Darstellung von Gewalt und Verlust in Gedichten der Gegenwart, seien es Rassismuserfahrungen wie bei Claudia Rankine oder Kriegserlebnisse in den Gedichten ukrainischer Lyrikerinnen und Lyriker.
Dass das Gedicht auch eine Speicherfunktion hat und dass das Lesen von Lyrik nicht der Ablenkung, der Erbauung, sondern vielmehr der Sichtbarmachung von Katastrophen dienlich sein kann, wurde im Anschluss auf dem Podium mehrfach betont.
Moderiert von der Frankfurter Journalistin Beate Tröger, diskutierten fünf Akteure der Lyrikszene über die Möglichkeiten von Vermittlung. Katharina Schultens beispielsweise, die seit September vergangenen Jahres das Haus für Poesie in Berlin leitet, unterstrich, dass auch Lyrikveranstaltungen sehr wohl auf große Publikumsresonanz stoßen. Performance, Laut, Text fänden ein breites Interesse: „Die Lyriklesungen sind voll!“.
Verkauf von gedruckter Lyrik problematisch
Dass hingegen die Vermittlung und auch der Verkauf von gedruckter Lyrik problematisch geworden ist, bestätigten sowohl Gregor Dotzauer, Literaturredakteur des „Tagesspiegel“, als auch Daniela Seel. Seel feiert in diesem Jahr mit ihrem Verlag „kookbooks“ den 20. Geburtstag. Ein Verlag, der die Lyrikszene in Deutschland maßgeblich verändert und geprägt hat, der aber ohne Selbstausbeutung nicht zu realisieren sei, wie sie erzählt. Die Agora, die Sendeplätze, der Aufmerksamkeitsraum für Gedichte, zerbröselten zunehmend, so der Tenor, nicht nur, aber auch in Zeitungen und im Rundfunk.
Tristan Marquardt, Lyriker, Vermittler und Verleger, sammelte Punkte beim Publikum, als er Frankfurt als „die Stadt des baldigen Pokalsiegers“ bezeichnete; Nico Bleutge wiederum, und darin waren sich alle einig, macht sich um die Lyrik an sich überhaupt keine Sorgen. So ein bisschen ging es auf dem Podium zu wie in jener Episode der Firma Hesselbach, in der das Fräulein Pinella betont, sie habe eine wunderbare Handschrift, nur leider könne sie kaum jemand lesen.
Die deutschsprachige Gegenwartslyrik scheint in einer hervorragenden Verfassung zu sein. Nur kaufen möchten sie derzeit nur sehr wenige Menschen. Aber war das nicht immer schon so? Immerhin: Zuhören, das bewies der Auftakt zu den Lyriktagen Frankfurt, mögen sehr viele. Und allein das ist ein schönes Signal.
www.lyriktage-frankfurt.de
Vier Tage lang werden knapp 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an unterschiedlichen Veranstaltungsorten zum einen über die aktuelle ästhetische Positionen und auch über die ökonomische Situation des Lyrikbetriebs sprechen, zum anderen aber auch die Literatur selbst zu Wort kommen lassen. Sonja Vandenrath, Frankfurter Literaturbeauftragte, Initiatorin und Programmleiterin des Festivals, sprach von den Lyriktagen als „Aufmerksamkeitsbooster“ für das Genre. Das sorgfältig durchdachte und vielseitige Programm sei auch, so Vandenrath, ein „Ausdruck der Wertschätzung und Gratifikation“.
Die Eröffnungsveranstaltung war zweigeteilt: Zunächst hielt Nico Bleutge, der sowohl als Schriftsteller als auch als Literaturkritiker einer der zentralen Figuren in der deutschsprachigen Lyrikszene ist, eine beeindruckende Auftaktrede, in der er über die Möglichkeiten des poetischen Schreibens zur Sichtbarmachung und Verarbeitung von Trauererfahrungen reflektierte. Der Tod seines Vaters, so erzählte Bleutge, habe ihn wie betäubt zurückgelassen; ein Zustand, in dem die Sprachlosigkeit, das Fehlen von Sprache zunächst von einer formelhaften Sprache ersetzt worden sei, um dann aber im lyrischen Sprechen Anschluss zu finden. Vom persönlichen Erleben weitete sich Bleutges Vortrag aus zu einem Nachdenken über die Darstellung von Gewalt und Verlust in Gedichten der Gegenwart, seien es Rassismuserfahrungen wie bei Claudia Rankine oder Kriegserlebnisse in den Gedichten ukrainischer Lyrikerinnen und Lyriker.
Dass das Gedicht auch eine Speicherfunktion hat und dass das Lesen von Lyrik nicht der Ablenkung, der Erbauung, sondern vielmehr der Sichtbarmachung von Katastrophen dienlich sein kann, wurde im Anschluss auf dem Podium mehrfach betont.
Moderiert von der Frankfurter Journalistin Beate Tröger, diskutierten fünf Akteure der Lyrikszene über die Möglichkeiten von Vermittlung. Katharina Schultens beispielsweise, die seit September vergangenen Jahres das Haus für Poesie in Berlin leitet, unterstrich, dass auch Lyrikveranstaltungen sehr wohl auf große Publikumsresonanz stoßen. Performance, Laut, Text fänden ein breites Interesse: „Die Lyriklesungen sind voll!“.
Verkauf von gedruckter Lyrik problematisch
Dass hingegen die Vermittlung und auch der Verkauf von gedruckter Lyrik problematisch geworden ist, bestätigten sowohl Gregor Dotzauer, Literaturredakteur des „Tagesspiegel“, als auch Daniela Seel. Seel feiert in diesem Jahr mit ihrem Verlag „kookbooks“ den 20. Geburtstag. Ein Verlag, der die Lyrikszene in Deutschland maßgeblich verändert und geprägt hat, der aber ohne Selbstausbeutung nicht zu realisieren sei, wie sie erzählt. Die Agora, die Sendeplätze, der Aufmerksamkeitsraum für Gedichte, zerbröselten zunehmend, so der Tenor, nicht nur, aber auch in Zeitungen und im Rundfunk.
Tristan Marquardt, Lyriker, Vermittler und Verleger, sammelte Punkte beim Publikum, als er Frankfurt als „die Stadt des baldigen Pokalsiegers“ bezeichnete; Nico Bleutge wiederum, und darin waren sich alle einig, macht sich um die Lyrik an sich überhaupt keine Sorgen. So ein bisschen ging es auf dem Podium zu wie in jener Episode der Firma Hesselbach, in der das Fräulein Pinella betont, sie habe eine wunderbare Handschrift, nur leider könne sie kaum jemand lesen.
Die deutschsprachige Gegenwartslyrik scheint in einer hervorragenden Verfassung zu sein. Nur kaufen möchten sie derzeit nur sehr wenige Menschen. Aber war das nicht immer schon so? Immerhin: Zuhören, das bewies der Auftakt zu den Lyriktagen Frankfurt, mögen sehr viele. Und allein das ist ein schönes Signal.
www.lyriktage-frankfurt.de
24. Mai 2023, 11.27 Uhr
Christoph Schröder
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