Partner
Lecture Performance im Schweizer 5
Über das Unbehagen zu wohnen – mit Tee und Diashow in die Vergangenheit
Vom 30. November bis zum 9. Dezember ist im Schweizer 5 die Performance „Über das Unbehagen zu wohnen“ zu sehen. Es geht um transgenerationales Erbe und die Komplexität von Identitäten.
In der Schweizer Straße Hausnummer 5, versteckt hinter einer rostfarbenen Wand im Hochparterre, sitzt Lela Herder hinter dem Schreibtisch ihres Urgroßvaters und erzählt die Geschichte ihrer Familie. Es ist eine Odyssee der Nachkriegsglobalisierung, die sich über Generationen erstreckt – von Berlin nach Italien oder Spanien und wieder zurück – und verdeutlicht, wie einzelne kleine Schicksale immer wieder mit dem „großen Ganzen“ zusammenhängen. Fast zehn Jahre lang hat Herder gesammelt, in privaten und öffentlichen Archiven recherchiert und insgesamt 200 Dokumente zusammengetragen, die sie den Besucherinnen und Besuchern der Lecture Performance „Über das Unbehagen zu wohnen“ per Diashow präsentiert.
MacGuffin, also das handlungsauslösende Objekt der Performance, ist der Schreibtisch des Urgroßvaters. Über Generationen hinweg wurde er in der Familie weitervererbt, stand in sämtlichen Wohnzimmern herum und nahm Platz ein und weg. Gebrauchen konnte ihn eigentlich niemand – denn der Uropa war mit seinen 1,56 Metern deutlich kleiner als der Rest der Verwandtschaft – und dennoch kann sich keiner der Verwandten von ihm trennen. Als Lela Herders Mutter ihre Wohnung in Barcelona aufgelöst hat, habe sie alles bis auf den Schreibtisch weggegeben und ihn ohne zu fragen per Spedition nach Frankfurt geschickt – so lautet zumindest die Erzählung.
Über das Unbehagen zu wohnen – transgenerationales Erbe per Teekanne
Der Tisch und auch die silberne Teekanne aus einem jüdischen Kaufhaus, die auf ihm steht, verkörpern den Kern dessen, was auch schon im Titel der Performance anklingt: Kann es eine Art von transgenerationalem Erbe geben, welches unter anderem in Form von letztlich unbrauchbaren Gegenständen im Alltag auftaucht, die aber symbolisch für bestimmte Geschichten stehen? Symbolisch ist mit dem Schweizer 5, das von einer jüdischen Familie geerbt wurde und weiterhin verwaltet wird, auch der Veranstaltungsraum: Ähnlich der Teekanne gibt es auch Orte, die man nicht loslassen will, die einen aber gleichzeitig belasten, sagt die Produzentin Elena Polzer.
Der Auslöser in Herders Privatleben, sich tiefergehend mit der eigenen Familiengeschichte zu befassen, war die Erkenntnis im jungen Erwachsenenalter mit Anfang 20, dass ein Teil ihrer Familie jüdisch ist; wobei das Jüdisch-Sein immer eine Fremdzuschreibung gewesen sei. „Irgendwie wussten es alle, aber irgendwie hat es nie jemand thematisiert“, erzählt Herder, die auch die Regisseurin der Performance ist, im Interview: „Eigentlich lässt sich voll viel von dem, was in dieser Familie passiert ist, auch an Traumata, zurückführen auf den Moment der Vertreibung.“ Bereits 1934 floh der betroffene Teil ihrer Familie ins Exil, darauf folgten Entwurzelung und Fragen der Zugehörigkeit. Diese und weitere Fragen versucht Herder in der 75-minütigen Diashow zu beantworten.
Auch das Private und Persönliche ist politisch
Das Interessante an der Familiengeschichte ist laut Elena Polzer, dass sie nicht nur eine von Opfern, sondern auch von Täterinnen und Tätern ist, insgesamt also eine sehr deutsche Geschichte. Angesichts der hochgradig persönlichen Arbeitsweise habe es anfangs Vorbehalte gegeben, nicht aber von ihrer Seite. Polzer hege diesbezüglich eine feministische Haltung, dass das Private und Persönliche auch politisch sei. Die Performance sei ein Kammerstück, um die politische Aussage zu treffen, „dass es gut wäre, wenn wir alle wieder lernen, genauer hinzuhören und dabei gleichzeitig mitzudenken, was die Implikationen sind“.
„Über das Unbehagen zu wohnen“ verspricht kuriose Gestalten und wunderschöne Fotos. Es ist eine intime Abendveranstaltung für all jene Menschen, die kurz vor Weihnachten mal keine Lust auf die typischen, kitschigen Weihnachtstheaterstücke haben und stattdessen bei einer Tasse Tee an Zeitgeschehen und Politik interessiert sind, findet Polzer. Außerdem verspricht sie zusätzlich zum Tee noch selbstgebackene Plätzchen.
Info
Schweizer 5
Schweizer Straße 5
Premiere: Donnerstag, 30. November, 19.00 Uhr (ausverkauft)
Weitere Termine:
1. Dezember, 19.00 Uhr (Fr)
2. Dezember, 17.30 Uhr mit Kinderbetreuung (Sa)
7. Dezember, 19.00 Uhr (Do)
8. Dezember, 19.00 Uhr (Fr)
9. Dezember, 17:30 Uhr mit Kinderbetreuung (Sa)
Tickets für 13,96 Euro unter www.eventbrite.de (Zahlung per PayPal) oder per E-Mail an tickets@andpartnersincrime.org (bei Möglichkeit nur für ermäßigte Karten, zur Voranmeldung für die Kinderbetreuung und Barzahlung an der Abendkasse)
Maximal 30 Plätze, zeitnahe Buchung wird empfohlen
MacGuffin, also das handlungsauslösende Objekt der Performance, ist der Schreibtisch des Urgroßvaters. Über Generationen hinweg wurde er in der Familie weitervererbt, stand in sämtlichen Wohnzimmern herum und nahm Platz ein und weg. Gebrauchen konnte ihn eigentlich niemand – denn der Uropa war mit seinen 1,56 Metern deutlich kleiner als der Rest der Verwandtschaft – und dennoch kann sich keiner der Verwandten von ihm trennen. Als Lela Herders Mutter ihre Wohnung in Barcelona aufgelöst hat, habe sie alles bis auf den Schreibtisch weggegeben und ihn ohne zu fragen per Spedition nach Frankfurt geschickt – so lautet zumindest die Erzählung.
Der Tisch und auch die silberne Teekanne aus einem jüdischen Kaufhaus, die auf ihm steht, verkörpern den Kern dessen, was auch schon im Titel der Performance anklingt: Kann es eine Art von transgenerationalem Erbe geben, welches unter anderem in Form von letztlich unbrauchbaren Gegenständen im Alltag auftaucht, die aber symbolisch für bestimmte Geschichten stehen? Symbolisch ist mit dem Schweizer 5, das von einer jüdischen Familie geerbt wurde und weiterhin verwaltet wird, auch der Veranstaltungsraum: Ähnlich der Teekanne gibt es auch Orte, die man nicht loslassen will, die einen aber gleichzeitig belasten, sagt die Produzentin Elena Polzer.
Der Auslöser in Herders Privatleben, sich tiefergehend mit der eigenen Familiengeschichte zu befassen, war die Erkenntnis im jungen Erwachsenenalter mit Anfang 20, dass ein Teil ihrer Familie jüdisch ist; wobei das Jüdisch-Sein immer eine Fremdzuschreibung gewesen sei. „Irgendwie wussten es alle, aber irgendwie hat es nie jemand thematisiert“, erzählt Herder, die auch die Regisseurin der Performance ist, im Interview: „Eigentlich lässt sich voll viel von dem, was in dieser Familie passiert ist, auch an Traumata, zurückführen auf den Moment der Vertreibung.“ Bereits 1934 floh der betroffene Teil ihrer Familie ins Exil, darauf folgten Entwurzelung und Fragen der Zugehörigkeit. Diese und weitere Fragen versucht Herder in der 75-minütigen Diashow zu beantworten.
Das Interessante an der Familiengeschichte ist laut Elena Polzer, dass sie nicht nur eine von Opfern, sondern auch von Täterinnen und Tätern ist, insgesamt also eine sehr deutsche Geschichte. Angesichts der hochgradig persönlichen Arbeitsweise habe es anfangs Vorbehalte gegeben, nicht aber von ihrer Seite. Polzer hege diesbezüglich eine feministische Haltung, dass das Private und Persönliche auch politisch sei. Die Performance sei ein Kammerstück, um die politische Aussage zu treffen, „dass es gut wäre, wenn wir alle wieder lernen, genauer hinzuhören und dabei gleichzeitig mitzudenken, was die Implikationen sind“.
„Über das Unbehagen zu wohnen“ verspricht kuriose Gestalten und wunderschöne Fotos. Es ist eine intime Abendveranstaltung für all jene Menschen, die kurz vor Weihnachten mal keine Lust auf die typischen, kitschigen Weihnachtstheaterstücke haben und stattdessen bei einer Tasse Tee an Zeitgeschehen und Politik interessiert sind, findet Polzer. Außerdem verspricht sie zusätzlich zum Tee noch selbstgebackene Plätzchen.
Schweizer 5
Schweizer Straße 5
Premiere: Donnerstag, 30. November, 19.00 Uhr (ausverkauft)
Weitere Termine:
1. Dezember, 19.00 Uhr (Fr)
2. Dezember, 17.30 Uhr mit Kinderbetreuung (Sa)
7. Dezember, 19.00 Uhr (Do)
8. Dezember, 19.00 Uhr (Fr)
9. Dezember, 17:30 Uhr mit Kinderbetreuung (Sa)
Tickets für 13,96 Euro unter www.eventbrite.de (Zahlung per PayPal) oder per E-Mail an tickets@andpartnersincrime.org (bei Möglichkeit nur für ermäßigte Karten, zur Voranmeldung für die Kinderbetreuung und Barzahlung an der Abendkasse)
Maximal 30 Plätze, zeitnahe Buchung wird empfohlen
27. November 2023, 17.35 Uhr
Sina Claßen
Sina Claßen
Studium der Publizistik und des Öffentlichen Rechts an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit Oktober 2023 beim Journal Frankfurt. Mehr von Sina
Claßen >>
Mehr Nachrichten aus dem Ressort Kultur
Ausstellung
Goldene Zeiten – aber nicht für alle
Das Städel Museum Frankfurt widmet Rembrandt erneut eine große Ausstellung. Diesmal stehen die Gruppenbildnisse im Fokus, aber es wird auch kritisch auf das „Goldene Zeitalter“ geblickt.
Text: Jasmin Schülke / Foto: © Bernd Kammerer
KulturMeistgelesen
- Kunstausstellung in EschbornGesammelte Fotografien der Deutschen Börse
- Applaus-Awards 2024Auszeichnungen für Clubs im Rhein-Main-Gebiet
- Literatur in FrankfurtNeue Lesebühne im Café Mutz
- No Other LandEin Skandalfilm, der keiner sein will
- Filmfestival in WiesbadenExground Filmfest legt Fokus auf Flucht und Migration
27. November 2024
Journal Tagestipps
Freie Stellen