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Interview: Sybille Steinbacher

„Das Fritz Bauer Institut gehört zu Frankfurts Stadtgeschichte“

1995 wurde das Fritz Bauer Institut gegründet, in diesem Jahr feiert es sein 25-jähriges Bestehen. Das JOURNAL FRANKFURT hat mit Direktorin Sybille Steinbacher über die Gründungszeit und die Zukunft des Instituts sowie seine Bedeutung für Frankfurt und Deutschland gesprochen.
JOURNAL FRANKFURT: Frau Steinbacher, das Fritz Bauer Institut feiert in diesem Jahr sein 25-jähriges Bestehen. Was waren die bisher wichtigsten Projekte des Instituts?
Sybille Steinbacher: Das Institut hat sich schon früh einen Namen gemacht. Es war die erste Einrichtung in der Bundesrepublik, die sich explizit der Geschichte des Holocaust gewidmet hat. Zudem hat sich das Institut früh darauf konzentriert, nicht nur Forschungs-, sondern auch Vermittlungsarbeit ins Zentrum zu stellen. In diesem Bereich wurde dann auch Pionierarbeit geleistet. Das Fritz Bauer Institut fertigte beispielsweise Handreichungen für Lehrkräfte zu den Themen Nationalsozialismus, Verfolgungspolitik und Holocaust an. Mit Ausstellungen konnte sich das Institut ebenfalls früh einen Namen machen. 1995 gab es bereits eine Ausstellung über die sogenannten DP’s, Displaced Persons. Ein Thema, das in der zeithistorischen Forschung damals noch kaum beleuchtet wurde. Wichtig war auch die Ausstellung mit dem Titel „Legalisierter Raub“, in der es um die „Arisierungspolitik“ und vor allem die Rolle der Finanzbehörden ging, ihr Untertitel lautete: „Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden“. Diese Ausstellung wurde in vielen Orten in Hessen und auch bundesweit gezeigt und hat in der Öffentlichkeit sehr viel Aufmerksamkeit erregt. Anfang der 2000er-Jahre gab es die Ausstellung über den Auschwitz-Prozess, die als Wanderausstellung in viele deutsche Großstädte ging. Zu den Meilensteinen der Arbeit des Fritz Bauer Instituts zählen überhaupt seine Dokumentationen zum Auschwitz-Prozess.

Welche Bedeutung hat das Institut heute noch für Frankfurt? Behandeln Sie auch stadtspezifische Themen?
Das Institut gehört zur Frankfurter Stadtgeschichte. Wenn man sich andere Städte wie zum Beispiel München anschaut, so hat es dort Jahrzehnte gedauert, bis das von Stadt und Land getragene NS-Dokumentationszentrum schließlich 2015 eröffnet wurde. Frankfurt und Hessen waren mit Blick auf das Fritz Bauer Institut hingegen 20 Jahre früher dran. Das große öffentliche Interesse an der Arbeit des Instituts und auch die Förderung und Unterstützung, wie ich sie in Frankfurt erlebe, empfinde ich als etwas Besonders. Die NS-Geschichte Frankfurts war bisher kein Schwerpunkt am Institut. Wir befassen uns nun mit einigen stadtspezifischen Themen, wie beispielsweise der „Gesundheitspolitik“ und sogenannten Sozialhygiene, außerdem mit der Geschichte der Goethe-Universität in der NS-Zeit, ferner mit der Zwangsarbeit im KZ Katzbach in den Adlerwerken und auch mit der NS-Vergangenheit einiger Spieler und Funktionäre von Eintracht Frankfurt.

Worum geht es Ihnen, über die Stadtgrenzen hinaus, bei den Forschungsprojekten?
Die Arbeit, die wir machen, ist für die deutsche Gesellschaft wichtig, denn es geht uns um die kritische Auseinandersetzung mit der NS-Zeit und um die gesellschaftliche Vermittlung der Ergebnisse unserer Forschungen. Es war ja nicht immer so, dass die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit zum nationalen Selbstverständnis in Deutschland gehört hat, so wie das heute der Fall ist. Im Gegenteil, lange wurde sie beschwiegen. Im Dezember vergangenen Jahres bei ihrem Besuch in der Gedenkstätte Auschwitz brachte es Bundeskanzlerin Angela Merkel gut auf den Punkt, als sie sagte, dass es für die Beschäftigung mit der NS-Zeit keinen Schlussstrich geben könne. Die Auseinandersetzung damit ist unabschließbar.

Hat Frankfurt seine nationalsozialistische Vergangenheit Ihrer Meinung nach ausreichend aufgearbeitet? Das Thema der „Arisierung“ jüdischer Immobilen beispielsweise haben andere Städte früher bearbeitet.
In der Tat wurde die Ausplünderungspolitik, von den Nationalsozialisten „Arisierung“ genannt, für Hamburg, München, Mannheim und andere Städte längst untersucht. Wir möchten uns das Thema nun für Frankfurt näher anschauen, gerade in Bezug auf den Raub von Immobilien und Grundstücken. Zur Villa Kennedy hat Dieter Wesp eine interessante Studie vorgelegt, auch Doris Eizenhöfer hat sich mit der „Grundstücksarisierung“ befasst. Beide werden wichtige Gesprächspartner sein, wenn wir das Projekt aufnehmen werden.

Mit welchen Opfergruppen setzt sich das Fritz Bauer Institut heute vornehmlich in seiner Forschung auseinander?
Neben der Verfolgung der deutschen und europäischen Jüdinnen und Juden befassen wir uns auch mit anderen Verfolgtengruppen im Dritten Reich. In unserem aktuellen Bulletin „Einsicht“ beschäftigen wir uns beispielsweise mit dem Antiziganismus von der NS-Zeit bis in die Gegenwart. Da geht es uns um die Verfolgungssituation der Sinti und Roma im Dritten Reich, aber auch um ihre Lage in der frühen Bundesrepublik, in der DDR und eben heute. Auch „Euthanasie“ ist ein Themenbereich, mit dem wir uns auseinandersetzen. Unsere Jahreskonferenz fand im vergangenen Sommer zum Thema „Der nationalsozialistische Krankenmord“ in Europa statt. Dabei ging es darum zu fragen, wie in den besetzten und eroberten Ländern im Zweiten Weltkrieg, insbesondere in Osteuropa mit den psychisch Kranken umgegangen wurde. Auch befassen wir uns mit den Prozessvorbereitungen, die Fritz Bauer im Zusammenhang mit „Euthanasie“-Verbrechen traf. Dieser Prozess wäre wahrscheinlich noch größer geworden als der Auschwitz-Prozess, allerdings kam er nicht mehr zustande. Fritz Bauer ist ja leider schon 1968 gestorben.

Welche Projekte plant das Fritz Bauer Institut in Zukunft?
Ich nenne Ihnen gern einige unserer laufenden Projekte: Darunter die Forschungen zum Rechtsradikalismus nach 1945. Wie hat sich der Rechtsradikalismus entwickelt? Welche Vereinigungen gab es? Welche Publikationen? Ferner untersuchen wir die Rolle des Juristen Friedrich Karl Kaul und damit die Rolle der DDR in den westdeutschen Gerichtsverfahren zu den NS-Gewaltverbrechen. Der Blick auf Kaul zeigt, wie präsent der deutsch-deutsche Konflikt in diesen Prozessen war. Im Zusammenhang mit dem Projekt zur Geschichte der Goethe-Universität in der NS-Zeit entsteht eine Dissertation über die Rüstungsforschung im Zweiten Weltkrieg an der Goethe Universität. Und eines unserer künftigen Forschungsvorhaben wird sich mit der Frage nach dem Umgang der Deutschen mit den sowjetischen Kriegsgefangenen im Zweiten Weltkrieg befassen.

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Über Sybille Steinbacher: Geboren 1966 in München, Studium der Geschichte und Politikwissenschaften, 2010 Gastprofessur des Fritz Bauer Instituts für interdisziplinäre Holocaust- forschung. 2010 bis 2017 Professorin für Zeitgeschichte/Vergleichende Diktatur-, Gewalt- und Genozidforschung an der Universität Wien. Seit Mai 2017 Direktorin des Fritz Bauer Instituts und Inhaberin des Lehrstuhls zur Erforschung der Geschichte und Wirkung des Holocaust am Historischen Seminar der Goethe-Universität Frankfurt am Main

Weitere Beiträge zur nationalsozialistischen Vergangenheit Frankfurts finden Sie in der Februar-Ausgabe 2020 sowie hier.
 
Fotogalerie:
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24. Februar 2020, 11.36 Uhr
Johanna Wendel
 
Johanna Wendel
Jahrgang 1993, Technikjournalismus-Studium an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, seit Januar 2019 beim Journal Frankfurt. – Mehr von Johanna Wendel >>
 
 
 
 
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