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Initiative Stolpersteine
„Wenn man damals nur getreten worden wäre, bräuchte man keine Stolpersteine“
1500 Stolpersteine erinnern in Frankfurt an die Opfer des Nationalsozialismus. Ein Gespräch mit Hartmut Schmidt und Martin Dill von der Initiative Stolpersteine über das größte dezentrale Mahnmal Europas.
Zum Hintergrund: Im Jahr 1992 verlegte der Künstler Gunter Demnig den ersten Stolperstein Deutschlands vor dem Historischen Kölner Rathaus. Eingraviert ist darauf der von Heinrich Himmler verfasste Auschwitz-Erlass, der im Dezember 1942 dazu aufrief, „Zigeunermischlinge, Rom-Zigeuner und nicht deutschblütige Angehörige zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft nach bestimmten Richtlinien auszuwählen und in einer Aktion von wenigen Wochen in ein Konzentrationslager einzuweisen.“ Heute gelten die Stolpersteine mit 75 000 Stück in 23 europäischen Ländern als das größte dezentrale Mahnmal weltweit. Noch immer werden sie ausschließlich von Demnig und seinem Team hergestellt und beschriftet, und zum Teil auch noch von ihm verlegt. In Frankfurt wurde 2003 der erste Stolperstein von der „Initiative Stolpersteine“ verlegt, die seit 2007 ein gemeinnütziger Verein ist. Seit 2012 werden in Frankfurt auch Stolpersteine für nicht-jüdische Opfer des Nationalsozialismus verlegt. Einen Teil der Verlegungen übernimmt in Frankfurt auch die Organisation für Langzeitarbeitslose FfmTippTopp.
Hartmut Schmidt, Jahrgang 1942, hat Publizistik und Germanistik in Berlin studiert und war 25 Jahre als Redakteur beim Evangelischen Pressedienst in Frankfurt tätig. Er ist seit 2004 Mitglied der Initiative Stolpersteine und inzwischen der 1. Vorsitzende des Vereins. Martin Dill, Jahrgang 1961, ist gebürtiger Frankfurter, promovierter Biologe und seit 2019 freiberuflicher Stadt- und Kulturführer.
JOURNAL FRANKFURT: Wir stehen hier vor dem Stolperstein von Jakob Hess, an der Adresse „Hinter dem Lämmchen 6“ in der neuen Altstadt. Wer war Jakob Hess?
Hartmut Schmidt: Jakob Hess war ein Euthanasie-Opfer. Er hatte eine Behinderung und kam bereits 1933 in die Pflegeeinrichtung Bethel in Bielefeld. Dort hatte er sich eigentlich gut entwickelt, dann gab es aber die Entscheidung des Landes Hessen, dass Menschen mit geistiger oder körperlicher Behinderung in Anstalten verlegt werden müssen, die sich in der Region befinden. Deshalb wurde er von Bethel in die Pflegeanstalt Eichberg verlegt und dort ermordet. Seinen Stolperstein gibt es schon länger, er lag aber zunächst woanders. Bei der Fertigstellung der Neuen Altstadt wurde er an den ehemaligen Wohnort verlegt.
Martin Dill: Die Idee ist grundsätzlich, den Stein am letzten freigewählten Wohnort des Opfers zu legen. Nicht an den letzten Aufenthaltsort, der war im Regelfall ja nicht selbstgewählt. Hess' Ermordung erfolgte im Rahmen des sogenannten T4-Programms, benannt nach dem Tiergarten Hausnummer 4 in Berlin, der Steuerzentrale des Programms. T4 wurde zentral organisiert, um geistig und körperlich behinderte Menschen umzubringen. So wurde beispielsweise in Hadamar die dortige Heil- und Pflegeanstalt in eine Tötungsanstalt umgebaut, auch Gaskammern wurden eingebaut. Das Programm wurde dann aufgrund von Protesten, unter anderem von der katholischen Kirche, angeblich eingestellt. Im Hintergrund ließ man die Menschen trotzdem weiter verhungern. Das Personal aus den Heilanstalten und deren Kenntnisse wurden anschließend zur Tötung der Jüdinnen und Juden in den Konzentrationslagern eingesetzt. Man hat das Töten mit Gas dort sozusagen geübt.
Wie erfahren Sie von den Menschen, für die Sie Stolpersteine verlegen?
Schmidt: Bei den Euthanasie-Opfern gibt es noch große Probleme mit den Verlegungen, da dort häufig der Datenschutz greift. Das ist der Unterschied zu den jüdischen Opfern, die alle in einer Datenbank erfasst sind. Eine Datenbank für die Euthanasie-Opfer gibt es bislang nicht, obwohl sie bereits beschlossen ist. Die Steine, die wir für Euthanasie-Opfer verlegt haben, wurden fast alle durch die Initiative von Angehörigen verlegt. Zumindest bei den Familien, bei denen die Angehörigen ein Gedenken wünschen. Es gibt aber auch Familien, die wollen nichts davon wissen, dass jemand aus ihrer Familie auf diese Weise ums Leben kam.
Dill: Auch für Opfer, die das Konzentrationslager überlebt haben oder Kinder, die mit dem Kindertransport fliehen konnten, verlegen wir Steine. Deshalb kam es in den vergangenen Jahren sogar gelegentlich vor, dass die Überlebenden selbst bei der Verlegung ihres Stolpersteins dabei waren.
Warum Stolpersteine und nicht einfach ein zentrales Denkmal?
Dill: Bei den Stolpersteinen geht es um zwei Aspekte: Das eine ist, dass man die Menschen, die in den Straßen wohnen, daran erinnert, welches Unrecht geschehen ist. Der zweite Aspekt betrifft die Angehörigen der Opfer. Für manche ist das sozusagen der einzige Grabstein, den sie haben, das einzige, wo sie hinkommen können, um sich zu erinnern. Entsprechend sind die Verlege-Zeremonien oftmals sehr anrührend, mit Familienzusammenführungen aus der ganzen Welt. Es werden Lieder gesungen und sich an den Händen gehalten oder die Männer sprechen ein Kaddisch zusammen.
Schmidt: Mir gefällt an den Stolpersteinen, dass sie im Alltag wirken und so bescheiden sind. Es ist niemand gezwungen, zu gedenken, man kann vorbei gehen, aber man kann auch stehen bleiben und den Stein lesen. Bei mir in der Straße liegen 17 Stolpersteine – ich kann täglich beobachten, wie unterschiedlich die Menschen damit umgehen.
Dill: Wir wollen aber auch nicht sagen, dass Stolpersteine die einzige richtige Form des Gedenkens sind. Im Vogelsberg beispielsweise gibt es in einem Dorf eine schöne große Tafel und einen Gedenkgarten. Da das Dorf nur aus verteilten Höfen besteht, hätten Stolpersteine dort nicht viel Sinn.
Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in München, ist entschieden gegen Stolpersteine, da sie es als „unerträglich“ empfindet, die Namen ermordeter Jüdinnen und Juden auf Tafeln zu lesen, die in den Boden eingelassen sind und auf denen mit Füßen „herumgetreten“ werde. Wie sehen Sie das?
Schmidt: Da zitiere ich gerne den Künstler und Erfinder der Stolpersteine, Gunter Demnig: „Wenn man damals nur getreten worden wäre, bräuchte man keine Stolpersteine.“ Jeder, der etwas gegen die Stolpersteine hat, orientiert sich an Frau Knobloch. Wir haben Glück, dass in Frankfurt eine andere Auffassung überwiegt.
Dill: Die Idee, Gedenktafeln an Hauswänden oder Zäunen anzubringen, hat sich einfach als nicht praktikabel herausgestellt, weil man auch das Einverständnis derer braucht, denen das Haus gehört. Auf der Straße erleben wir außerdem einen ganz anderen „Stolpereffekt“.
Schmidt: Wir informieren die Anwohnerinnen und Anwohner auch nicht explizit. Wir verteilen nur Blätter an die umliegenden Häuser, wenn eine Verlegung stattfindet.
Wer stellt die Stolpersteine her und hält sie in Stand?
Schmidt: Gunter Demnig macht die Steine mit seinem Team noch selbst, die Namen werden per Hand eingetrieben. Die Recherche erfolgt mittlerweile bei uns, früher hat Demnig diese ebenfalls selbst gemacht. Teilweise verlegt die Organisation für Langzeitarbeitslose FfmTippTopp die Stolpersteine für uns. Im Mai dieses Jahres werden wir 60 neue Steine gemeinsam mit Gunter Demnig verlegen. Im Juni werden wir 40 weitere Steine selbst verlegen. Ich habe immer wenn ich unterwegs bin, eine Tube mit Metallreinigungsmilch dabei, um die Steine zu putzen, aber ich kann natürlich nicht alle putzen. Wir suchen daher nach Putzpaten, die sich darum kümmern, dass die Steine sauber bleiben.
Dill: Bei jüdischen Opfern ist es beispielsweise sehr wichtig, die Steine Jom haScho’a, dem Holocaust-Gedenktag, und am 9. November, zum Gedenken der Opfer der Novemberpogrome, zu putzen.
Wie werden die Stolpersteine finanziert?
Schmidt: Die Angehörigen möchten immer zahlen, aber das lehnen wir ab. Sie dürfen gerne eine allgemeine Spende an uns abgeben, aber die Patenschaft übernimmt jemand anderes. Bei der Verlegung führen wir Angehörige und Pat*innen dann schließlich zusammen.
Dill: Die Stadt bezahlt die Freilegung der Straße. Im April organisieren wir eine Reise nach Tel Aviv, für solche speziellen Aktionen können wir dann auch eine Anfrage beim Kulturamt für eine finanzielle Unterstützung stellen.
Verlegen Sie die Stolpersteine auch in der Region oder nur auf Frankfurter Stadtgebiet?
Schmidt: Städte wie Offenbach und Wiesbaden haben eigene Initiativen. Bei einzelnen Dörfern aus der Umgebung kam es schon vor, dass wir angefragt wurden, ob wir dort einen Stolperstein verlegen könnten, weil es das Dorf nicht finanzieren wollt oder konnte. In Niedermockstadt haben wir beispielsweise den Bürgermeister angefragt. Der hat uns dann erlaubt, dort einen Stolperstein zu verlegen, aber nur, wenn es ihn nichts kostet. Letztendlich ist dort eine recht große Veranstaltung mit 60 bis 70 Besucherinnen und Besuchern und zehn Angehörigen aus aller Welt zustande gekommen.
Dill: Wenn eine Gemeinde oder eine Stadt zu klein für eine eigene Initiative ist, übernimmt die Verlegung meistens ein Geschichtsverein. In großen Städten wie Berlin hat jeder einzelne Stadtteil eine Stolperstein-Initiative.
Der Stadtteil Höchst hat auch eine eigene Initiative. Diese wollen aber keine „Nazi-Begriffe“ wie „Polenaktion“, „Rassenschande“ oder „Volksschädling“ auf den Stolpersteinen verwenden. Gunter Demnig hält aber gerade diese Begriffe für wichtig in der Erinnerungskultur. Wie denken sie darüber?
Schmidt: Ich denke, dass jeder versteht, was es bedeutet, wenn etwas in Anführungszeichen gesetzt ist. Man kann keine Stolpersteine verlegen, ohne dazu zu schreiben, warum jemand umgekommen ist.
Dill: „Polenaktion“ ist der historische Begriff, es gibt keinen anderen. Natürlich ist das Nazi-Sprache aber die Verwendung von Begriffen wie „Rassenschande“ soll ja auch daran erinnern, wie es damals zuging.
Weitere Beiträge zur nationalsozialistischen Vergangenheit Frankfurts finden Sie in der aktuellen Februar-Ausgabe des JOURNAL FRANKFURT.
Hartmut Schmidt, Jahrgang 1942, hat Publizistik und Germanistik in Berlin studiert und war 25 Jahre als Redakteur beim Evangelischen Pressedienst in Frankfurt tätig. Er ist seit 2004 Mitglied der Initiative Stolpersteine und inzwischen der 1. Vorsitzende des Vereins. Martin Dill, Jahrgang 1961, ist gebürtiger Frankfurter, promovierter Biologe und seit 2019 freiberuflicher Stadt- und Kulturführer.
JOURNAL FRANKFURT: Wir stehen hier vor dem Stolperstein von Jakob Hess, an der Adresse „Hinter dem Lämmchen 6“ in der neuen Altstadt. Wer war Jakob Hess?
Hartmut Schmidt: Jakob Hess war ein Euthanasie-Opfer. Er hatte eine Behinderung und kam bereits 1933 in die Pflegeeinrichtung Bethel in Bielefeld. Dort hatte er sich eigentlich gut entwickelt, dann gab es aber die Entscheidung des Landes Hessen, dass Menschen mit geistiger oder körperlicher Behinderung in Anstalten verlegt werden müssen, die sich in der Region befinden. Deshalb wurde er von Bethel in die Pflegeanstalt Eichberg verlegt und dort ermordet. Seinen Stolperstein gibt es schon länger, er lag aber zunächst woanders. Bei der Fertigstellung der Neuen Altstadt wurde er an den ehemaligen Wohnort verlegt.
Martin Dill: Die Idee ist grundsätzlich, den Stein am letzten freigewählten Wohnort des Opfers zu legen. Nicht an den letzten Aufenthaltsort, der war im Regelfall ja nicht selbstgewählt. Hess' Ermordung erfolgte im Rahmen des sogenannten T4-Programms, benannt nach dem Tiergarten Hausnummer 4 in Berlin, der Steuerzentrale des Programms. T4 wurde zentral organisiert, um geistig und körperlich behinderte Menschen umzubringen. So wurde beispielsweise in Hadamar die dortige Heil- und Pflegeanstalt in eine Tötungsanstalt umgebaut, auch Gaskammern wurden eingebaut. Das Programm wurde dann aufgrund von Protesten, unter anderem von der katholischen Kirche, angeblich eingestellt. Im Hintergrund ließ man die Menschen trotzdem weiter verhungern. Das Personal aus den Heilanstalten und deren Kenntnisse wurden anschließend zur Tötung der Jüdinnen und Juden in den Konzentrationslagern eingesetzt. Man hat das Töten mit Gas dort sozusagen geübt.
Wie erfahren Sie von den Menschen, für die Sie Stolpersteine verlegen?
Schmidt: Bei den Euthanasie-Opfern gibt es noch große Probleme mit den Verlegungen, da dort häufig der Datenschutz greift. Das ist der Unterschied zu den jüdischen Opfern, die alle in einer Datenbank erfasst sind. Eine Datenbank für die Euthanasie-Opfer gibt es bislang nicht, obwohl sie bereits beschlossen ist. Die Steine, die wir für Euthanasie-Opfer verlegt haben, wurden fast alle durch die Initiative von Angehörigen verlegt. Zumindest bei den Familien, bei denen die Angehörigen ein Gedenken wünschen. Es gibt aber auch Familien, die wollen nichts davon wissen, dass jemand aus ihrer Familie auf diese Weise ums Leben kam.
Dill: Auch für Opfer, die das Konzentrationslager überlebt haben oder Kinder, die mit dem Kindertransport fliehen konnten, verlegen wir Steine. Deshalb kam es in den vergangenen Jahren sogar gelegentlich vor, dass die Überlebenden selbst bei der Verlegung ihres Stolpersteins dabei waren.
Warum Stolpersteine und nicht einfach ein zentrales Denkmal?
Dill: Bei den Stolpersteinen geht es um zwei Aspekte: Das eine ist, dass man die Menschen, die in den Straßen wohnen, daran erinnert, welches Unrecht geschehen ist. Der zweite Aspekt betrifft die Angehörigen der Opfer. Für manche ist das sozusagen der einzige Grabstein, den sie haben, das einzige, wo sie hinkommen können, um sich zu erinnern. Entsprechend sind die Verlege-Zeremonien oftmals sehr anrührend, mit Familienzusammenführungen aus der ganzen Welt. Es werden Lieder gesungen und sich an den Händen gehalten oder die Männer sprechen ein Kaddisch zusammen.
Schmidt: Mir gefällt an den Stolpersteinen, dass sie im Alltag wirken und so bescheiden sind. Es ist niemand gezwungen, zu gedenken, man kann vorbei gehen, aber man kann auch stehen bleiben und den Stein lesen. Bei mir in der Straße liegen 17 Stolpersteine – ich kann täglich beobachten, wie unterschiedlich die Menschen damit umgehen.
Dill: Wir wollen aber auch nicht sagen, dass Stolpersteine die einzige richtige Form des Gedenkens sind. Im Vogelsberg beispielsweise gibt es in einem Dorf eine schöne große Tafel und einen Gedenkgarten. Da das Dorf nur aus verteilten Höfen besteht, hätten Stolpersteine dort nicht viel Sinn.
Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in München, ist entschieden gegen Stolpersteine, da sie es als „unerträglich“ empfindet, die Namen ermordeter Jüdinnen und Juden auf Tafeln zu lesen, die in den Boden eingelassen sind und auf denen mit Füßen „herumgetreten“ werde. Wie sehen Sie das?
Schmidt: Da zitiere ich gerne den Künstler und Erfinder der Stolpersteine, Gunter Demnig: „Wenn man damals nur getreten worden wäre, bräuchte man keine Stolpersteine.“ Jeder, der etwas gegen die Stolpersteine hat, orientiert sich an Frau Knobloch. Wir haben Glück, dass in Frankfurt eine andere Auffassung überwiegt.
Dill: Die Idee, Gedenktafeln an Hauswänden oder Zäunen anzubringen, hat sich einfach als nicht praktikabel herausgestellt, weil man auch das Einverständnis derer braucht, denen das Haus gehört. Auf der Straße erleben wir außerdem einen ganz anderen „Stolpereffekt“.
Schmidt: Wir informieren die Anwohnerinnen und Anwohner auch nicht explizit. Wir verteilen nur Blätter an die umliegenden Häuser, wenn eine Verlegung stattfindet.
Wer stellt die Stolpersteine her und hält sie in Stand?
Schmidt: Gunter Demnig macht die Steine mit seinem Team noch selbst, die Namen werden per Hand eingetrieben. Die Recherche erfolgt mittlerweile bei uns, früher hat Demnig diese ebenfalls selbst gemacht. Teilweise verlegt die Organisation für Langzeitarbeitslose FfmTippTopp die Stolpersteine für uns. Im Mai dieses Jahres werden wir 60 neue Steine gemeinsam mit Gunter Demnig verlegen. Im Juni werden wir 40 weitere Steine selbst verlegen. Ich habe immer wenn ich unterwegs bin, eine Tube mit Metallreinigungsmilch dabei, um die Steine zu putzen, aber ich kann natürlich nicht alle putzen. Wir suchen daher nach Putzpaten, die sich darum kümmern, dass die Steine sauber bleiben.
Dill: Bei jüdischen Opfern ist es beispielsweise sehr wichtig, die Steine Jom haScho’a, dem Holocaust-Gedenktag, und am 9. November, zum Gedenken der Opfer der Novemberpogrome, zu putzen.
Wie werden die Stolpersteine finanziert?
Schmidt: Die Angehörigen möchten immer zahlen, aber das lehnen wir ab. Sie dürfen gerne eine allgemeine Spende an uns abgeben, aber die Patenschaft übernimmt jemand anderes. Bei der Verlegung führen wir Angehörige und Pat*innen dann schließlich zusammen.
Dill: Die Stadt bezahlt die Freilegung der Straße. Im April organisieren wir eine Reise nach Tel Aviv, für solche speziellen Aktionen können wir dann auch eine Anfrage beim Kulturamt für eine finanzielle Unterstützung stellen.
Verlegen Sie die Stolpersteine auch in der Region oder nur auf Frankfurter Stadtgebiet?
Schmidt: Städte wie Offenbach und Wiesbaden haben eigene Initiativen. Bei einzelnen Dörfern aus der Umgebung kam es schon vor, dass wir angefragt wurden, ob wir dort einen Stolperstein verlegen könnten, weil es das Dorf nicht finanzieren wollt oder konnte. In Niedermockstadt haben wir beispielsweise den Bürgermeister angefragt. Der hat uns dann erlaubt, dort einen Stolperstein zu verlegen, aber nur, wenn es ihn nichts kostet. Letztendlich ist dort eine recht große Veranstaltung mit 60 bis 70 Besucherinnen und Besuchern und zehn Angehörigen aus aller Welt zustande gekommen.
Dill: Wenn eine Gemeinde oder eine Stadt zu klein für eine eigene Initiative ist, übernimmt die Verlegung meistens ein Geschichtsverein. In großen Städten wie Berlin hat jeder einzelne Stadtteil eine Stolperstein-Initiative.
Der Stadtteil Höchst hat auch eine eigene Initiative. Diese wollen aber keine „Nazi-Begriffe“ wie „Polenaktion“, „Rassenschande“ oder „Volksschädling“ auf den Stolpersteinen verwenden. Gunter Demnig hält aber gerade diese Begriffe für wichtig in der Erinnerungskultur. Wie denken sie darüber?
Schmidt: Ich denke, dass jeder versteht, was es bedeutet, wenn etwas in Anführungszeichen gesetzt ist. Man kann keine Stolpersteine verlegen, ohne dazu zu schreiben, warum jemand umgekommen ist.
Dill: „Polenaktion“ ist der historische Begriff, es gibt keinen anderen. Natürlich ist das Nazi-Sprache aber die Verwendung von Begriffen wie „Rassenschande“ soll ja auch daran erinnern, wie es damals zuging.
Weitere Beiträge zur nationalsozialistischen Vergangenheit Frankfurts finden Sie in der aktuellen Februar-Ausgabe des JOURNAL FRANKFURT.
12. Februar 2020, 09.18 Uhr
Johanna Wendel
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15. November 2024
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